Volltext Seite (XML)
Neue Methoden zur Berechnung von Kalibrierungen. 29. Jahrg. Nr. 18. Aber auch dem Erfahrenen werden, abgesehen von den Methoden selbst, die Anschauungen und üeberlegungen, aus welchen sie entstanden sind, manchen guten Dienst tun. Sie geben die Lösung für viele bisher nicht oder nicht voll kommen geklärte Erscheinungen. Ich erinnere als Beispiele nur an das eingangs erwähnte Schrumpfen des Steges eines T-Eisens, das nach Länge und Breite stattfindet, oder an die Tat sache , daß der Winkel eines Quadratkalibers größer als 90° gewählt werden muß, wenn das Eisen rechtwinkelig werden soll (der mittlere Teil des eingesteckten Quadratstabes wird ge drückt und längt sich, bei den äußeren Teilen ist dies nicht der Fall, die horizontale Dia gonale muß sich deshalb gleich dem mehr erwähnten Gummiband verkürzen), und viele ähn liche Fälle. Insbesondere geben die Längungs diagramme (s. Abb. 18) in vielen Fällen gute Anhaltspunkte; ich pflege sie seit geraumer Zeit bei Kalibrierungen, welche Scwierigkeiten bereiten, aufzuzeichnen, um mir Rechenschaft über die bei den letzteren auftretenden inneren Spannungen zu geben. Als Beispiel sei das zweite liegende Kaliber einer T-Kalibrierung gezeigt, in welches ein sogenanntes Glockenkaliber flach eingesteckt wird (Abbild. 23). Man sieht in dem Längungs- und Spannungs diagramm, daß der mittlere Teil stark voreilen möchte, aber von den äußeren Teilen zurück gehalten wird. Das Maß des Zurückhaltens gibt die schraffierte Fläche, welche oberhalb der mittleren Längung (Lm 2 ) liegt. Es muß dem nach viel Material von dem mittleren gedrückten in die äußeren gezogenen Teile wandern. Solche Profile gehen immer stark in die Breite; tatsäch lich weist das vorliegende auch beim Walzen eine große Breitung auf. Umgekehrt breiten Kaliber, welche an den Rändern stärker als in der Mitte gedrückt werden, wenig, z. B. ein Quadrat, das in ein Oval gesteckt wird. Das Längungs- diagramm zeigt, daß hier das Material zum Teil von außen nach innen wandern muß, weshalb die Breitung trotz der hier besonders hohen Drucke verhältnismäßig gering, dagegen die Streckung groß ausfällt (Abb. 24). Endlich ist sehr wahrscheinlich, wie ich schon bei den Randspannungen des Bandeisens angedeutet habe, daß die aus dem Längungsdiagramm ersicht lichen inneren Spannungen eines Profils ein Maß geben für den Kraftbedarf, welcher für die Einheit des verdrängten Materials aufzuwenden ist. Die hervorragenden Untersuchungen der »Kommission zur Ermittlung des Kraftbedarfs an Walzwerken“* zeigen einen besonders großen Energieverbrauch immer bei solchen Profilen, * „Stahl und Eisen“ 1909 S. 1, Bericht von H. Ort mann; sowie J. Puppe: „Versuche zur Ermittlung des Kraftbedarfs an Walzwerken“. Düsseldorf 1909, Verlag „Stahleisen m. b. H.“ S. 161 u. Schaubild 29. bei welchen infolge stark ungleicher Einzel- längungen besonders große innere Spannungen auftreten müssen. Ich vermute deshalb, daß der große Kraftbedarf z. B. von Profil 9 der ange- geführten I-Kalibrierung nicht, wie Ortmann annimmt, auf das Anpressen an die Walzenränder zurückzuführen ist, sondern in der Hauptsache auf die genannten großen inneren Spannungen, welche bei Aufzeichnung des Längungsdiagramms und Aufsuchen der mittleren Längung sofort erkenntlich werden. Ob diese Vermutung richtig ist, würde sich zeigen, wenn bei dem betreffenden Profil die Walzränder so weit zurückgedreht würden, daß das Walzgut sie nicht mehr berührt. Ich zweifle nicht, daß der Kraftbedarf auch dann Abbildung 23. Abbildung 24. ein besonders hoher bleiben wird. Mir selbst fehlt die Gelegenheit zu solchen Versuchen. Bemerkt sei noch, daß die Spannungen, welche durch die Flächen im Längungsdiagramm über bezw. unter der mittleren Längung dargestellt werden, nicht etwa gleichbedeutend sind mit den Spannungen, welche nach dem Walzen in einem Stab verbleiben. Die ersteren werden während des Walzvorganges zum größeren Teil ausge glichen. Der kleinere, im Profil verbleibende Teil, der vermutlich eine Funktion des Wander widerstandes ist, wird aber bei gleichem Wander widerstand den Spannungsflächen des Längungs diagramms proportional sein. Die letzteren geben also auch ein Maß für die in einem Profil ver bleibenden Spannungen, welche die Veranlassung zu den oft beschriebenen Erscheinungen des Ein reißens von Trägerflanschen usw. bilden. Wenn ich diese Abhandlung zur Veröffent lichung gebe, so bin ich mir bewußt, daß sie keine abgeschlossene Arbeit darstellt. Der Stoff ist zu umfangreich und zu kompliziert, um leicht