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1. Juli 1906. Vorgänge beim Stahlschmelzen. Stahl und Eisen. 775 Vorgänge beim ie Ansicht, daß die Blasenbildung im Martin- —— stahl mit der Beschaffenheit des verwen deten Generatorgases im Zusammenhang steht, wird vielfach vertreten. Meinen Beobachtungen nach kann eine Aufnahme von Generatorgas während der Schmelz- und der Kochperiode, wenn eine solche überhaupt stattfindet, nur von untergeordneter Bedeutung sein. In „Stahl und Eisen“ * habe ich seiner Zeit eine Anzahl Gas analysen aus Stahlchargen veröffentlicht. Ein Teil der Proben dieser Gasanalysen war Thomas stahlblöcken, ein Teil Martinstahlblöcken ent nommen. Es konnte festgestellt werden, daß ein Unterschied hinsichtlich der Zusammensetzung der Gase beider Stahlsorten nicht bestand. Je weiter das Flußeisen entkohlt war, desto weniger Kohlenoxydgas und desto mehr Wasserstoffgas enthielten sowohl die Gase aus Thomas- wie aus Martinflußeisen. Da beim Thomasprozeß nur die zugeführte Luft und die mittels dieser zur Ver brennung gelangenden Elemente Silizium, Kohlen stoff, Mangan und Phosphor in Betracht kommen können, so müssen die Gase einmal durch die zugeführte Luft und ferner durch Oxydation obiger Elemente entstanden sein. Das Vor handensein von Wasserstoffgas muß beim Thomas prozeß als Zersetzungsprodukt des mit dem Ge bläsewind eingeführten Wassers erklärt werden. Ein Kubikmeter Luft enthält bei mittlerer Temperatur 12 g Wasser. Zur Umwandlung von 10 t Roheisen in Stahl werden etwa 3000 cbm Luft erforderlich sein. Es wird mithin ein Quan tum von 36 kg Wasser durch eine 10 t-Charge geblasen. Der größere Teil des Wassers geht jedenfalls als Wasserdampf in die Luft. Der Wärmeverlust wird, wenn auch nur ein geringer Teil des Wassers zu Wasserstoff reduziert werden sollte, immerhin ein sehr großer sein. Mehr noch als beim Hochofenprozeß würde es von Interesse für die Klarstellung der Vor gänge beim Stahlschmelzen sein, wenn sich eine Hütte dazu verstände, den Gebläsewind nach dem Verfahren von James Gayley zu trocknen. Jedenfalls dürfte das Auftreten von Wasserstoff gasen bei Anwendung des Gefrierverfahrens auf ein Minimum reduziert werden. Die Stahlqualität würde ohne Zweifel eine bessere. Der Höchstgehalt an Wasserstoff, den ich konstatiert habe, betrug 27,46 °/o bei 52 °/o CO und 7,4 °/o CO,. Die Gasproben wurden direkt dem flüssigen Stahl entnommen. Es ist also da durch zugleich erwiesen, daß Wasserstoff auch bei sehr hohen Temperaturen, die, da es sich um Flußeisen mit geringem Kohlenstoff handelt, * 1897 Nr. 2 8. 43. Stahlschmelzen. (Nachdruck verboten.) auf mindestens 1400° C. geschätzt werden kann,* im flüssigen Stahl vorhanden ist. Von den oben angeführten Elementen gehen Silizium, Mangan und Phosphor flüssige Verbindungen mit dem zugeführten Sauerstoff des Gebläsewindes und dem zugeschlagenen Kalk ein. Nur der Kohlen stoff verbrennt gasförmig. Es bilden sich also neben Kieselsäure, Manganoxyd und phosphor saurem Kalk Kohlenoxyd und Kohlensäure. Die Gasbildung und die Ausscheidung in die Luft erreichen ihren Höhepunkt in der Kochperiode während der Verbrennung des Kohlenstoffes, sie nehmen mit der Entkohlung ab. Nicht nur die flüssigen, sondern auch die gasförmigen Ver bindungen sind zum Teil nach Beendigung des Prozesses mit dem flüssigen Stahl legiert und haben das Bestreben, auszuseigern, solange der Stahl flüssig bleibt. Der chemische Prozeß im Martinofen ver läuft, nachdem der Einsatz (Roheisen und Schrott) durch Verbrennung der Generatorgase so weit er hitzt ist, daß Silizium, Kohlenstoff, Mangan und Phosphor anfangen zu verbrennen, in derselben Weise wie beim Thomasprozeß. Die Dauer dieses Prozesses ist abhängig von der Menge des im Roheisen enthaltenen Siliziums, Kohlen stoffs, Mangans, Phosphors und des zugeführten Sauerstoffs der Luft oder von Erzen. Der Martinprozeß kann nicht zu Ende geführt werden auch bei Benutzung des besten Generatorgases, wenn das Bad nicht einen bestimmten Prozent satz von diesen Elementen enthält, die mit der zugeführten Luft verbrennen und dadurch dem Stahl die zum Gießen erforderliche Temperatur verleihen. Ein großer Vorteil, durch den der Martinofen dem Konverter vielleicht noch ein mal den Rang ablaufen wird, ist der, daß der Martinofenprozeß nicht au ein Roheisen be stimmter Zusammensetzung gebunden ist. Wenn das Roheisen genügend Kohlenstoff besitzt, ist die übrige Zusammensetzung von untergeordneter Bedeutung. Der Verlauf des Martinofenprozesses ist ein langsamer, einmal weil die Verbrennungsluft nur die Oberfläche des Bades berührt und weil beim weiteren Verlauf die sich bildende Schlacke eine direkte Berührung des Bades mit der Luft er schwert. Beim Konverterprozeß ist die Be rührung der durchgepreßten Luft mit dem Roh eisenbade eine weit innigere. Die Verbrennung des Kohlenstoffs geht mithin weit schneller vor sich. Wenn bisher noch ein Unterschied zwischen Herd- und Konverterprozeß hinsichtlich der * Ledebur: Handbuch der Eisenhüttenkunde. II. Aufl. 8. 657.