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kohlenrevier hätten sich geweigert, die Arbeiteraus schüsse als Organe für die Verhandlung mit den Ar beitgebern anzuerkennen. Der Kreis der Mitglieder des Zentralverbandes habe sich in der Berichtsperiode wieder wesentlich erweitert, zuletzt noch durch den Beitritt des großen bayrischen industriellen Verbandes. Wenn überhaupt, so könnten jetzt nur noch ganz unbedeutende In dustriezweige im Zentralverbande nicht vertreten sein. Wenn daher jetzt noch immer behauptet werde, der Zentralverband vertrete nur die sogenannten schweren Industrien, so geschehe das wider besseres Wissen und in der böswilligen Absicht, Uneinigkeit in der In dustrie herbeizuführen. Die Einigkeit und die Ueber- Zeugung von der Solidarität der Interessen habe die Industrie in den 70er Jahren in dem schweren Kampfe um die Umkehr der Wirtschaftspolitik vom bedin gungslosen Freihandel zum Siege geführt; wegen der Uneinigkeit sei sie bei der Aufstellung des neuen Zolltarifs und bei dem Abschluß der neuen Handels verträge geschlagen worden. Es sei das Streben der Organe des Zentralverbandes, wieder mehr Einigkeit in der Industrie herzustellen; dieses Streben habe bereits den Erfolg gehabt, daß eine Interessengemein schaft zwischen dem Zentralverbande, der Zentralstelle zur Vorberatung von Handelsverträgen und dem Bunde der Industriellen zum Abschluß gelangt sei. Diese Gemeinschaft habe schon in sehr bedeutungsvollen Fragen und in voller Uebereinstimmung zusammen gearbeitet. Die Betrachtung der wieder gestiegenen Ziffern des deutschen Außenhandels und der deutschen Handels flotte führte den Berichterstatter zur Erörterung der deutschen Seeinteressen und dabei zur Hervorhebung des Wandels der Verhältnisse in der Rivalität und in der Machtstellung der Staaten. Der Wetteifer der Staaten und Völker richte sich im Kriege und im Frieden wesentlich auf die Erreichung wirtschaftlicher Vorteile und Ueberlegenheit. Die Betätigung der Stärke und Macht und daher des maßgebenden politi schen Einflusses beruhe gegenwärtig nicht mehr auf der Stärke der Heere, sondern auf der Macht und Stärke der Streitkräfte zur See. Daher werde es Deutschland gegenwärtig trotz seines glänzenden Heeres sehr schwer, seine Stellung im Rate der Völ ker zu behaupten; denn es sei mit der Entwicklung seiner Flotte zurückgeblieben. Den maßgebenden Ein fluß in allen großen politischen Weltfragen übe Eng land aus, weil es mit seiner Streitmacht zur See die Meere beherrsche. Deshalb habe der Zentralverband, wenn es sich um Stärkung und Vermehrung der Flotte gehandelt habe, der Regierung mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln Beistand geleistet. Die Lage der Industrie bezeichnete der Berichterstatter im allgemeinen als günstig, obgleich Ausstände und Wagenmangel manche Schwierigkeiten bereitet hätten. Wenn diese günstige Lage den kritischen 1. März überdauert und das Anhalten der günstigen Kon junktur bereits zu der Behauptung Veranlassung ge geben habe, daß der neue Zolltarif und die neuen Handelsverträge doch wohl nicht so ungünstig für die Industrie wären, wie anfangs angenommen worden sei, so müsse der Berichterstatter diese Behauptung zurückweisen. Die Folgen so großer Umwälzungen könnten niemals plötzlich eintreten; gewisse Ver hältnisse wirkten in ihrer Uebertragung mildernd und ebenso wirke die günstige allgemeine Wirtschaftslage. Die Übeln Folgen der sehr gesteigerten Auslandstarife, der deutschen Zollherabsetzungen und der neuen Handelsverträge würden für große und bedeutende Industrien unabwendbar sein. Der Berichterstatter weist dies im einzelnen und als Beispiel für die Ma schinen- und Kleineisenindustrie und für bedeutende Zweige der Textilindustrie nach. Er besprach sodann die in der Berichtsperiode abgeschlossenen Handels verträge und insbesondere das mit den Vereinigten Staaten zustande gekommene Handelsprovisorium. Obgleich der Zentralverband erkannt habe, daß die Bedingung für Deutschland höchst ungünstig sei, habe er sich doch für den Abschluß des Provisoriums bis zum 1. Juli 1907 ausgesprochen; er sei dabei von der Ansicht ausgegangen, daß die deutsche Industrie zur zeit auf einen Zollkrieg mit den Vereinigten Staaten nicht genügend vorbereitet sei. Die Fortdauer des mit dem Provisorium geschaffenen Zustandes sei jedoch weder mit den wirtschaftlichen Interessen noch mit der Würde des Deutschen Reiches vereinbar; er richte daher an die deutsche Industrie die Mahnung, sich beizeiten auf einen Zollkrieg vorzubereiten, der un vermeidlich sein werde, wenn die Vereinigten Staaten glauben sollten, das Deutsche Reich auch ferner un günstig behandeln und benachteiligen zu können. Zu den Verkehrsverhältnissen übergehend erachtete Bueck weitere Ermäßigungen der Güterfrachten zur Herabdrückung der Erzeugungskosten für unerläßlich und auch, im Hinblick auf die großen Ueberschüsse besonders der Preußischen Staatseisenbahnverwaltung, für ausführbar. Einen höchst peinlichen Eindruck hätten auf weite Volkskreise die Verhandlungen des Reichstags und deren Ergebnis in bezug auf die Reichsfinanz reform gemacht. Der Zentralverband habe jedoch an der in seiner Ausschußsitzung vom 9. Dezember 1905 eingenommenen Stellung festgehalten. Er habe sich zu jenen Verhandlungen nicht weiter ge äußert und gegen das Ergebnis nicht Einspruch er hoben, weil er die Beschaffung größerer Mittel für das Reich im Interesse der Stärkung unserer Streit kräfte zur See, insbesondere aber auch in Rücksicht auf die finanziell bedrängte Lage der kleineren deutschen Staaten, für unerläßlich gehalten habe. Dennoch sei zu bedauern, daß die wohlüberlegten Vorschläge der Regierung in der Hauptsache zurück gewiesen und die Hauptlast auf den Verkehr gelegt worden sei. Der Reichstag habe sich der großen Aufgabe der Finanzreform im Reiche nicht gewachsen gezeigt, wie überhaupt die von den Mehrheitsparteien auch in der Kolonial- und in der Sozialpolitik ein geschlagene und verfolgte Richtung jeden Vaterlands freund mit ernster Sorge um die Zukunft des Deutschen Reichs erfüllen müßte. Seine Betrachtungen über die sozialpolitischen Zustände knüpfte der Berichterstatter an die von dem Staatssekretär von Posadowsky in der Sitzung des Reichstags vom 12. Dezember 1905 gemachten Aeußerungen. Der Staatssekretär hatte seiner Ueber- Zeugung dahin Ausdruck gegeben, daß es kein Land mit so geordneten sozialen, wirtschaftlichen und po litischen Zuständen gebe wie Deutschland, kein Land, wo auch den untersten Volksklassen nach dem Grund sätze „suum cuique“ so ihr wirtschaftliches und poli tisches Recht zuteil werde, wie in Deutschland. Zum weiteren Beweise dessen verwies der Berichterstatter unter Vorlegung des betreffenden Zahlenmaterials auf die Leistungen der Arbeiterversicherungen, in denen Deutschland einzig dastehe, die jedoch nicht ver hinderten, daß die sozialdemokratische Be wegung gerade in Deutschland immer größeren Umfang annehme. Er verwies darauf, daß diese Be wegung in neuerer Zeit einen vollständig revolutionären Charakter angenommen habe; dieser habe sich er schreckend betätigt in der Verherrlichung der mit Raub, Brand und Mord verbundenen revolutionären Bewegung in Rußland. Für die Industrie sei die Sozialdemokratie gefährlich wegen der mit Verlogen heit und Infamie betriebenen Verhetzung der Arbeiter, der damit verbundenen Verschlechterung des Arbeits verhältnisses und wegen der Störung der Arbeit durch die von ihr zahlreich veranlaßten Ausstände. Der Berichterstatter schilderte, um die Gefährlichkeit