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1. Juli 1906. Berichte über Versammlungen aus Fachvereinen. Stahl und Eisen. 821 und das Hochofenwerk auf der Insel Elba zu besuchen und eingehend zu besichtigen. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß durch Ein ladungen in die herrlichen Sammlungen Roms und dessen Altertümer allabendlich die mühevolle Arbeit der Teilnehmer am Kongreß belohnt wurde, so beim Empfang durch die Munizipalität Roms und die Inter nationale Kunst-Vereinigung im Palazzo dei Conser- vatori in Campidoglio, beim Gartenfest auf dem Palatino, welches leider durch ein heftiges Gewitter etwas gestört wurde, die Bewirtung in der herrlichen Villa d’Este in Tivoli usw. Dem Empfang beim Könige von Italien konnte der Berichterstatter leider nicht mehr beiwohnen, weil ihn die Pflicht fortrief. Ueberall betätigte sich die Gastfreundschaft der Ita liener in vollem Maße. Verein deutscher Ingenieure.* Feier des fünfzigjährigen Bestehens. Nachdem die Teilnehmer der 47. Hauptversamm lung sich am Vorabend zur Begrüßung im Winter garten zusammengefunden hatten, wo ein von Baurat M. Krause, dem Vorsitzenden des Berliner Bezirks vereines gedichteter Prolog mit wirkungsvollen lebenden Bildern einen durchschlagenden Erfolg davontrug, begann am 11. Juni früh 91/4 Uhr im großen Saale des Reichshauses unter Anwesenheit zahlreicher Ver treter der Behörden, der Wissenschaft und Industrie die erste Sitzung. Von Ministern waren erschienen: der Staatssekretär Graf Posadowsky-Wehner, der Kultusminister Dr. Studt und der Finanzminister v. Rheinbaben. Der zeitige Vorsitzende des Vereines, Professor Slaby- Charlottenburg, eröffnete die Sitzung mit einer Ansprache, in der er darauf hinwies, daß an der wirt schaftlichen Erstarkung Deutschlands, die neben der politischen Einigung des Reiches das letztverflossene Menschenalter kennzeichnet, der deutsche Ingenieur reichlichen Anteil habe. Jener wirtschaftliche Auf schwung habe noch mehr als uns selber die anderen Völker mit Staunen erfüllt. Vortragender kennzeichnet den Verlauf der Entwicklung an ihren wesentlichsten Erscheinungen, der Ausbeutung der deutschen Eisen- und Kohlenlager, dem Aufstreben der technischen Wissenschaft und des Erfindergeistes. „Nicht im gleichen Schritte (wie ihre Leistungen) wuchs die Anerkennung, welche der gebildete Teil unseres Volkes der schaffenden Ingenieurtätigkeit entgegenbrachte. Ihrem natürlichen Emporwachsen aus dem Handwerke haftete noch lange der Bodengeruch körperlicher Arbeit an, die von der ausschließlich geistig erzogenen, herrschenden Klasse zwar geschätzt und verwertet, aber nicht als ebenbürtig anerkannt wurde. Der Ingenieurberuf vertritt eine zur Wissenschaft gewor dene Technik, die auf den geistigen Höhen der Mensch heit auch nicht um eine Stufe zurückstehen will. Der ethische Gehalt dieses Berufes hat den Vergleich mit anderen niemals zu scheuen.“ „Die Geschichte des Vereines zeigt den Kampf des Ingenieurs um seine soziale Stellung; aber der erstarrte Idealismus einer abgeklungenen Kulturperiode verschloß sich in Deutsch land hartnäckig der Aufnahme neuer Keime aus dem stets sich verjüngenden Boden der Zeit. Da erstand der Befreier, wo die Welt ihn am wenigsten vermutet. Von der Höhe des Thrones erklang an der Jahr hundertwende das erlösende Wort, welches den Auf stieg freimachte zu den geweihten Höhen der Wissen schaft für alle, die auch in unserer Geisteswelt sich um das Banner »Excelsior« scharen. Unser Kaiser gab uns Bürgerrecht und Freibrief in der Welt des höchsten geistigen Lebens; er erhob uns zu voll wertigen Mitkämpfern für die Größe des Vaterlandes * Vergl. „Stahl und Eisen“ 1906 Nr. 12 8. 750. und erteilte der aufblühenden Wissenschaft des In genieurs in ihren tiefsten Wurzeln neueidealelmpulse. Es wird immerdar als eine segensreiche Fügung ge priesen werden, daß in einer Zeit, wo die schaffenden Kräfte des Volkes zur Sonne drängten, auf der Höhe des Thrones ein Mann erstand, der unbefangen und regsamen Geistes den vollen Wert dieser Kräfte ermaß. Der deutsche Ingenieur weiß sich frei von Byzantinismus; in dieser Stunde aber will er öffent lich Zeugnis ablegen von dem tiefen Gefühl, das ihn beseelt. In Ehrfurcht und Begeisterung bringen wir heute die goldene Grashof-Denkmünze unserm Kaiser dar. Sie zeigt sein eigenes Bild und die Ideal gestalt unserer Wissenschaft, die den Lorbeer des Dankes reicht. Seine Majestät unser allergnädigster Kaiser, er lebe Hoch, Hoch, Hoch!“ Im Anschluß an die Rede wurde ein Huldigungs telegramm an den Kaiser abgesandt. Noch am Abend des Tages traf die Antwort ein, die folgenden Wort laut hatte: „Dem Verein deutscher Ingenieure danke ich von ganzem Herzen für die mir gewidmete goldene Denkmünze. Der Verein darf sich versichert halten, daß ich, wie bisher, seinen Bestrebungen mein leb haftes Interesse zuwenden werde; möge die Tätig keit des Vereines auch in den kommenden fünfzig Jahren von reichem Erfolge begleitet sein. Wilhelm R. An den Verein deutscher Ingenieure, zu Händen des Hm. Geheimrat Slaby.“ Es sprach nunmehr der Staatssekretär Graf v. Posadowsky-Wehner: Die stattliche Versamm lung hervorragender Vertreter der Ingenieur-Wissen schaft des In- und Auslandes lege ein vollgültiges Zeugnis für die hohe Bedeutung ab, welche der Ingenieur für die Entwicklung des Kulturlebens der Völker für sich in Anspruch nehmen kann. „Sie ver körpern in der gewaltigen Vielseitigkeit der Technik unserer Zeit gleichzeitig die theoretische AVissenschaft und die praktische Kunst ihrer Anwendung. Die Technik des Ingenieurs ist eine uralte.“ „Schon Alter tum und Mittelalter haben große Werke der Technik hervorgebracht, aber diesen Ihren Vorgängern fehlten die bewegenden Kräfte des Dampfes und der Elek trizität, und deshalb erforderten jene Arbeiten einen unendlich längeren Zeitraum wie die Werke moderner Technik. Die technische Entwicklung war eine lang same und kam nur engbegrenzten Kreisen und Ge bieten zugute. Die Technik unserer Zeit überwindet dagegen Zeit, Raum und die Macht der Elemente; sie beeinflußt die gesamten Lebensbedingungen der Kulturvölker.“ „Auch auf sozialpolitischem Gebiete kann der Ingenieur in der Vermittlung zwischen Arbeit nehmer und Arbeitgeber, in der Fürsorge für Leben und Gesundheit des Arbeiters wichtige Aufgaben er füllen ; er hat Gelegenheit, in so häufige Berührung mit der handarbeitenden Bevölkerung zu kommen, wie wenig andere Vertreter der angewandten Wissen schaften.“ „Gegenüber der mehr abstrakten, etwas scholastischen Wissenschaft vergangener Jahrhunderte stellt die moderne Technik die Wissenschaft kräftiger Willensäußerung und praktischer Betätigung dar und hat somit wesentlich dazu beigetragen, das Verständnis der Völker für die unmittelbaren Bedingungen mensch licher Wohlfahrt und menschlichen Fortschrittes an zuregen und zu vertiefen. Die Vertreter der Technik beanspruchen deshalb mit guten Gründen eine in jeder Beziehung gleichberechtigte Stellung mit den Vertretern der mehr abstrakten Wissenschaften und macht sich dies Schwergewicht im sozialen, amtlichen und politischen Leben immer sichtbarer geltend. Die Zukunft der technischen Wissenschaften ist unbegrenzt, und Sie, meine Herren, sind die Piloten auf diesem unermeßlichen Gebiete der Forschung.“