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1. September 1904. Ist das Hüttenwesen ein Zweig der technischen Chemie? Stahl und Eisen. 987 chemischer Zusammensetzung zu liefern; er hat dem Maschinen- und Bauingenieur einen und denselben Stoff in den verschiedensten Formen, mit den verschiedensten Härte- und sonstigen Festigkeitsgraden und anderen physikalischen Eigenschaften zu liefern, und die Chemie, die Analyse sind es keineswegs allein, welche ihm den Weg zeigen, diese Aufgaben zu erfüllen, Aufgaben, hinter denen die Forderung einer bestimmten chemischen Zusammensetzung, was Schwierigkeit ihrer Erfüllung betrifft, oft weit zurücktreten. Wie oft wendet sich der Lieferant, der Händler, der Abnehmer eines Metalls an uns mit der Frage, wie es komme, daß dieses oder jenes Streitobjekt seine Er wartungen nicht erfülle, trotzdem es nicht die geringste Abweichung in der chemischen Zu sammensetzung von früheren, ohne Schwierig keit verwendbaren Lieferungen zeigte. Und nicht selten genügt ein Blick auf die Struktur, eine einfache Prüfung der physikalischen Eigen schaften, um den unter den Atomen vergeblich gesuchten Fehler auf der Oberfläche der Mole külmassen zu entdecken. Lassen Sie uns nun, hochverehrte Fest genossen, einen Rundgang durch einige größere Hüttenwerke machen. Hat das Werk seine eigenen Gruben, so wird das Erz ja mit einiger Regelmäßigkeit angeliefert, andernfalls kommt es von Zeit zu Zeit in größeren Posten zu Schiff oder mit der Bahn an und ist natürlich zu lagern. Man wird uns also bei unserer Be sichtigung zunächst auf den Lager- oder Röst platz führen, wo wir unter Umständen viele Tausende von Tonnen Erz und den mit den Erzen zu verschmelzenden Zuschlägen, Ver schlackungsmitteln, Brennstoffen usw. vorfinden. Die Erzschmelzöfen der Mansfelder Kupfer hüttenwerke, der bedeutendsten Gewerkschaft dieser Art in Deutschland, nehmen z. B. täg lich annähernd 3000 t an Erzen und Brennstoff auf. Eisenhütten haben wir in Deutschland, deren Öfen nach der Denkschrift meines Freundes Wüst über die Organisation des eisenhütten männischen Unterrichts täglich 20- bis 50 000 t Erz- und Zuschläge verschlucken. Machen wir uns nur eine Vorstellung davon, was es heißt, diese Massen aus Eisenbahnwagen, aus Schiffen zu entladen, zu lagern. Von den Lager- oder Röstplätzen sollen diese Massen den Schmelz öfen oder Laugereianlagen zugeführt werden. Die heutigen Hochöfen erreichen Höhen bis 30 m. In der Golderzlaugerei benutzt man Lösegefäße von 12 m Durchmesser bei 4 m Höhe und stellt diese mächtigen Bottiche in zwei Stockwerken übereinander. Während die den Schmelzöfen zugeführten festen Stoffe nieder gehen, müssen die Öfen mit beträchtlichen Mengen Luft bedient werden. Kühlwasser ist ebenfalls in erheblichen Mengen zur Erhaltung besonders gefährdeter Ofenteile erforderlich. Sehr groß ist die in Aufbereitungs- und Laugerei- j betrieben zu bewegende Flüssigkeitsmasse. In elektrischen Schmelzbetrieben handelt es sich ja meist um geringere Materialmassen, dagegen | sind große mechanische Kräfte zunächst in Elektrizität umzusetzen, in dieser Form zu | leiten und zu verteilen, dann wieder in Wärme überzuführen. Wenn sich der Umsatz von elek trischer Energie in Wärme in einem elektrischen Ofen für das Kubikmeter Rauminhalt auf 300 bis 400 Pferdekräfte in jeder Sekunde beläuft, so haben wir es noch mit Betrieben zu tun, deren Durchführung noch lange nicht die höchst erreichbaren Temperaturen erfordert. Die ausgebrachten Metalle sind meist, selbst wenn sie unmittelbar Handelsware bilden, in geeignete Formen zu vergießen; aber in vielen Fällen, eventuell nach mehrmaliger Raffination werden sie, wie zum Beispiel Eisen, Kupfer, Zink, Zinn, Nickel, auf der Hütte selbst zu Stäben, Schienen, Blechen, Draht usw. verwalzt, sie werden mit anderen Metallen legiert, sie werden vor dem Ausgange aus der Hütte nicht nur chemisch, sondern auch physikalisch auf ihr Gefüge, ihre elektrischen, magnetischen Eigen schaften untersucht, wie ja auch schon der Be trieb außer durch chemische Analysen durch optische und elektrische Beobachtungs- und Meßinstrumente sorgfältig überwacht wird. Und schließlich ist die Aufgabe des Betriebsleiters noch lange nicht gelöst, wenn er die Erzeug nisse gelagert oder wieder versandt hat. Die Abfälle: Schlacken, Laugereirückstände, Ab wässer, Abgase machen oft noch größere Sorge als der ganze Betrieb selbst: sie sind nicht nur zu beseitigen, unschädlich zu machen, sie sind nach Möglichkeit noch nutzbringend zu । verwerten. So liefert die Mansfelder kupfer schieferbauende Gewerkschaft jährlich 15 bis 20 Millionen Straßenpflastersteine, welche durch ein einfaches Gießverfahren aus Schlacken hergestellt werden. Die Schlacken der Hoch ofenwerke, soweit sie nicht selbsttätig zerfallen, werden granuliert und zur Herstellung von Mörtel, Zement und für andere Zwecke verkauft. Die Abgase der Eisen- und Kupferhochöfen werden wieder zur Wärme- und Krafterzeugung in Dampf- und Gaskraftmaschinenanlagen ver wertet; sie liefern nicht nur Kraft für die eigenen Betriebe, sondern noch einen Überschuß zur Abgabe an Bergwerke, elektrische Bahn- und Beleuchtungs-Gesellschaften. Und dieses gewaltige Getriebe von Dampf-, Gas- und Wasserkraftanlagen, elektrischen Zen tralen, Kraftverteilungsanlagen, Hebezeugen, Eisenbahnnetzen, Wasser- und Luftleitungen, Hämmern, Pressen, Walzen usw. spinnt sich heute um wenige, oft recht einfache chemische Prozesse eines Hüttenwerks. Und dürfen wir