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Ich möchte zunächst feststellen, daß die eigentliche Chemie, die Wissenschaft des Stoff umsatzes, zwar den ersten Metallurgen zum sehr wesentlichen Teile ihr Dasein verdankt, daß die Vertreter der Chemie jedoch vor länger als 30 Jahren, als sie mit wenigen Ausnahmen das Heil der Chemie in der Bekleidung und Ver einigung von Benzolkernen mittels der ver schiedensten Ketten finden zu können glaubten, die anorganische Chemie und mit ihr die Chemie der Metalle in dem damals durchaus nicht klaren Sumpfe geringschätzend stecken ließen. Noch in der Zeit der ersten großen Triumphe der organischen Chemie, im Jahre 1875, begann ich das Studium der Chemie, und zu Beginn meines zweiten Studiensemesters — ich hatte damals noch keine Vorlesung über organische Chemie zu hören Gelegenheit gehabt — wurde ich schon dazu benutzt, dem mir außer als Flecken tilgungswasser noch ganz unbekannten Benzol Sulfonsäure-, Nitro-, Anido- und andere Gruppen anzuhängen. In der anorganischen Chemie, wurde ich damals von älteren Kommilitonen be lehrt, sei nichts mehr zu holen. Das wollte mir nun durchaus nicht einleuchten, denn anorga nische Chemie hatte ich gehört und war keines wegs überzeugt, daß das Gehörte das Gebiet der anorganischen Chemie in jeder Richtung er klärt hatte. Ich entschied mich also, der da maligen Zeitrichtung entgegen, gerade für die anorganische Chemie, und hatte auch das Glück, während meiner zwölfjährigen Praxis, wenige Monate ausgenommen, nur in anorganischen Be trieben Beschäftigung zu finden und hier auch in metallurgischen Betrieben, welche wegen ihres geringen Umfangs teilweise noch heute an chemische Fabriken angegliedert sind. Wenn ich nun während dieser Zeit zu meiner größten Genugtuung feststellen konnte, daß ich mich keineswegs geirrt hatte, auf dem Gebiete der Metallchemie noch sehr viele ungelöste Fragen und somit hochinteressante Arbeit vor zufinden, und wenn auch viele dieser Fragen empirisch-technisch gelöst werden konnten, so blieb doch, da man sich eben bei dem Ge schwindschritt der Praxis meist damit begnügen mußte, im wahren Sinne des Wortes probierend die Schwierigkeiten zu überwinden, ohne Zeit zu finden, dem Wesen der Hindernisse und scheinbaren Unregelmäßigkeiten tiefer nachzu gehen, noch vieles ungeklärt. Worin bestand auch früher die chemische Forschung? Es wurde analysiert, d. h. der zu untersuchende Stoff wurde in seine Bestandteile zerlegt und aus seinen Grundstoffen oder in der Praxis aus möglichst billigen Rohmaterialien wieder auf zubauen versucht. Ich bin weit entfernt davon, geringschätzend von diesem Vorgehen zu sprechen; es hat uns viel Licht gebracht; aber es darf doch nicht übersehen werden, daß dieser Weg auf dem Gebiete der Metallchemie das Ende fand, das er naturnotwendig finden mußte. Das letzte Viertel des vorigen Jahrhunderts eröffnete neue Bahnen, indem es uns lehrte, gewissen hafter als bisher den mit den stofflichen Ver änderungen stets verbundenen Energieumsatz zu beachten. Zur Zeit, als ich meine Studien begann, galt es für den Chemiker zwar als nützlich, doch nicht als unbedingt nötig, an einem physikali schen Praktikum teilzunehmen — und heute? Man denke sich heute eine theoretische Chemie ohne van’t Hoffs klassisches Gesetz der ver dünnten Lösungen, also ohne Kenntnis der Tat sache, daß sich gelöste Stoffe innerhalb ihres Lösungsmittels genau verhalten, wie Gase oder Dämpfe in dem gleichen Raume. Man denke sich eine theoretische Chemie, welche sich kühn hinwegsetzt über den Zusammenhang zwischen physikalischen Eigenschaften und dem Bau des Moleküls. Man denke sich eine theoretische Chemie, welche das Wesen chemischer Um setzungen erklären will, ohne die Grundgesetze der chemischen Massenwirkung, der chemischen Statik und Kinetik, ohne die Lehren von der Umwandlung der Energie. Nun, und eine Chemie auf dem Boden dieser Gesetze? Was ist denn eine solche Chemie? Der Name, den sich die gegenwärtige Generation der theoretischen Che miker selbst zugelegt hat, sagt alles; sie nennen sich physikalische Chemiker. Und diese physikalische Chemie ist die Chemie des Hüttenmannes, sie ist und muß noch viel allgemeiner werden die Chemie des Minera logen und des Geologen und damit des Berg mannes; und sie wird auch allgemeiner als bisher die Chemie des Maschinen- und Elektro ingenieurs werden, sobald er erkannt haben wird, daß sie nicht nur eine Analysiertechnik ist, sondern daß sie Auskunft zu geben im stande ist über den Zusammenhang von Kraft und Stoff, über Faktoren, mit denen jeder In genieur täglich zu rechnen hat. Lassen Sie noch ein Menschenalter über unsere Hochschulen hinweggehen und es gibt keinen „Chemiker“ mehr, „Chemiker“ im alten Sinne des Worts. Glauben Sie nicht, hochgeehrte Festgenossen, daß ich die analytisch-synthetische Forschungs arbeit der früheren Entwicklungsperiode der Chemie als überwundenen Standpunkt betrachtet wissen möchte, wir brauchen sie nach wie vor; aber wir wollen die Analyse, die Synthese ver folgen mit größerer Genauigkeit und Gewissen haftigkeit als bisher; wir wollen sie beobachten durch die schärfste Lupe, welche uns die Physik । zu bieten vermag; wir wollen zerlegen und aufbauen unter sorgsamster Beachtung der Grundgesetze des gesamten physikalischen Wissens. Der Hüttenmann hat nicht nur die Aufgabe zu erfüllen, ein Produkt von bestimmter