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bestimmungen der Versicherungsanstalten, die Witwen und Waisen der Arbeiter eine Für- I sorge vom 1. Januar 1910 ab genießen werden. 1 Es handelt sich nun darum, ob schon vor diesem Zeitpunkte ein derartiges Gesetz in Kraft treten wird. Das ist kaum anzunehmen. Um die er wähnten Jahreseinnahmen zu erzielen, muß der neue Zolltarif in Kraft gesetzt sein. Das ist bisher noch nicht der Fall. Es ist auch zweifelhaft, wann es geschehen wird. Jeden falls dürfte der neue Zolltarif nicht eher zur Geltung kommen, als die neuen Handelsverträge wenigstens mit der Mehrzahl derjenigen Staaten, mit denen wir Tarifverträge abgeschlossen haben, zustande gekommen sein werden. Die Ver tragsverhandlungen werden gegenwärtig geführt. Selbst wenn sie aber im nächsten Jahre zum Abschluß kommen sollten, wobei immer noch zu bedenken ist, daß Österreich-Ungarn bisher seinen neuen Zolltarif nicht fertig gestellt hat, so würde doch von der Fertig stellung der Verträge bis zu ihrer Inkraft setzung und damit bis zum Inslebentreten des Zolltarifs eine längere Zeit verstreichen, um die Geschäftswelt sich auf die neuen Verhältnisse einrichten zu lassen. Dieser Zwischenzeitraum wird, wenn er nicht ganz ein Jahr ausmacht, so doch jedenfalls einer solchen Spanne sich nähern. Man wird bestenfalls damit rechnen können, daß im Jahre 1905 der neue Zolltarif für das Deutsche Reich in Kraft tritt. Dann wird man natürlich noch mindestens ein oder zwei Jahre abwarten müssen, um zu sehen, wie hoch die Jahreseinnahmen, die im Zolltarifgesetz für die Witwen- und Waisenversorgung der Ar beiter festgesetzt sind, sich stellen werden. An der Höhe der verfügbaren Mittel wird man die Höhe der zu gewährenden Renten bemessen müssen. Jedenfalls dürfte vor dem Jahre 1907 gar nicht an die endgültige Herstellung eines Entwurfes für die Witwen- und Waisenversiche rung gedacht werden können. Die dann noch übrigbleibende Zeit würde zur endgültigen Ver abschiedung eines so einschneidenden Gesetzes gerade noch ausreichen. Also vor dem 1. Januar 1910 dürfte auch die gesetzliche Festlegung der Auszahlung von Witwen- und Waisenrenten kaum erfolgen. Dann aber ist, wie gesagt, diese Auszahlung sicher, da, wenn nicht der eine Weg bis dahin beschritten wäre, der andere nach dem Gesetze eingeschlagen werden müßte. Gar keine Aussicht hat vorläufig die Idee der Arbeitslosenversicherung. Abgesehen davon, daß neben dem Witwen- und Waisen- Versicherungsprojekt nicht noch ein anderes, noch viel bedeutenderes auf dem gleichen Ge biete in Angriff genommen werden kann, ist die ganze Idee noch vollständig unreif. Überall, wo man in kleineren Gemeinwesen Versuche da mit gemacht hat, sind dieselben mißglückt. Es ist auch erklärlich. Da die Simulation in dieser Beziehung große Ausdehnung annehmen kann, so dürfte es sehr schwer halten, zwischen Ar beitsscheuen und Arbeitslosen mit unfehlbarer Sicherheit zu entscheiden. Jedenfalls hat man in der deutschen Arbeitgeberschaft nicht die Be sorgnis zu hegen, daß wenigstens in nächster Zeit auf diesem Gebiete irgendwelche Neuerun gen zu erwaiten sind. Trotzdem sind, wie wir gesehen haben, der Projekte in bezug auf Ausbau und Erweite rung der staatlichen Versicherung eine ganze Menge. Es wäre wirklich angezeigt, wenn in dieser Beziehung eine Beschränkung eintreten und wenn namentlich dafür gesorgt würde, daß die Arbeitgeberschaft nicht immer mit neuen Lasten bedacht würde. Deutschland steht nicht allein in der Welt; es hat auf dem Weltmarkt mit Rivalen zu kämpfen, die von der Natur außerordentlich begünstigt sind und deshalb mit geringeren Gestehungskosten rechnen können. Schließlich könnte der Fall eintreten, daß Deutschland auf dem Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig wäre, und dann würde den Ar beitern, denen man durch die fortwährende Aus dehnung der Versicherung helfen will, der größte Nachteil, nämlich die Entziehung von Arbeits gelegenheit, zugefügt sein. Die Gesetzgebung eines Reiches hat außerdem die Aufgabe, nicht bloß das Interesse eine r Bevölkerungsschicht im Auge zu halten und zu wahren, sie soll darüber die andern Schichten und das große Ganze nicht vergessen, namentlich stetige Aufmerksamkeit dem Gesichtspunkt schenken, daß nur dann, wenn der allgemeine Handel und Verkehr, das ganze Gewerbe und sämtliche dabei beteiligten Interessen gefördert werden, auf die Dauer die allgemeine Wohlfahrt gesichert ist. Es ist nichts dagegen einzuwenden, daß für einige Zeit einzelne Bevölkerungsschichten von der Gesetz gebung bevorzugt werden, dann besonders nicht, wenn sie vorher etwa vernachlässigt worden wären. Sie aber dauernd zu bevorzugen, dazu ist nicht nur kein Anlaß gegeben, es wird dies durch das Interesse der Gesamtheit geradezu verboten. k, Krause.