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18 Stahl und Eisen. Bericht an die am 20. Dez. 1902 abgehaltene Hauptversammlung u. s. w. 23. Jahrg. Nr. 1. sein in einer Zeit, die doch möglicherweise kommen könne, wo eine Umkehr der jetzigen Gesetzgebung für nötig erachtet werde. Welche merkwürdigen Urteile übrigens bei einzelnen Gewerbegerichten zustande kommen, mag folgender Fall zeigen, der ein der »Nord westlichen Gruppe“ angehöriges Werk betrifft. Die Arbeitsordnung dieses Werkes enthält in § 18 folgende Bestimmung: „Ohne genügende Entschuldigung darf kein Arbeiter eine Schicht ausbleiben. Bei wieder holtem Ausbleiben während eines und desselben Monats kann der Ausgebliebene sofort entlassen werden. Wer ohne genügende Entschuldigung mehr als 2 Tage ausbleibt, verliert das Recht auf Weiterbeschäftigung und gilt als widerrechtlich aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. In diesem Falle, sowie überhaupt in jedem Falle der Auflösung des Arbeitsverhältnisses ohne Einhaltung der vereinbarten Kündigungsfrist, ver wirkt der Arbeiter den rückständigen Lohn bis zum Betrage seines durchschnittlichen Wochenlohnes zu Gunsten der Krankenkasse der Hütte.“ In einer gegen das Werk anhängig gemachten Klage bezeichnete der Vorsitzende des Gewerbe gerichts auf Grund des § 394 des Bürgerlichen Gesetzbuches den § 18 der Arbeitsordnung als einen Verstofs gegen das Gesetz und deshalb als rechtsunwirksam. Das Werk machte dem gegenüber geltend, dafs der § 18 seiner Arbeits ordnung sich auf den § 134 der als ein Spezial gesetz anzusehenden Gewerbeordnung stütze, welche durch Artikel 32 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch nicht aufgehoben sei, und dafs aufserdem der § 273 des letzteren Gesetzes kraft des Zurückbehaltungsrechtes dem Arbeitgeber die Berechtigung verleiht, den ver wirkten Lohn einzubehalten. Diese Ausführungen waren vollständig zutreffend, denn § 134 Abs. 2 der Gewerbeordnung lautet folgendermafsen: „Den Unternehmern von Fabriken, in welchen in der Regel mindestens 20 Arbeiter beschäftigt werden, ist untersagt, für den Fall der rechtswidrigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeiter die Verwirkung des rück ständigen Lohnes über den Betrag des durchschnitt lichen Wochenlohnes hinaus auszubedingen.“ Der § 394 des Bürgerlichen Gesetzbuches aber, auf den sich das betr. Gewerbegericht bezieht, lautet: „Soweit eine Forderung der Pfändung nicht unter worfen ist, findet die Aufrechnung gegen die Forderung nicht statt. Gegen die aus Kranken-, Hilfs- oder Sterbekassen, insbesondere aus Knapp schaftskassen und Kassen der Knappschaftsvereine zu beziehenden Hebungen können jedoch ge schuldete Beträge aufgerechnet werden.“ Somit widerspricht einerseits § 18 jener Arbeitsordnung dem § 134 Abs. 2 der Gewerbe ordnung nicht, und es findet aufserdem in der Einbehaltung des rückständigen Lohnes keine Auf rechnung im Sinne des § 394 des Bürgerlichen Gesetzbuches statt. Das betreffende Werk aber vermochte den Gewerberichter nicht zu überzeugen und wurde verurteilt. Da das Objekt des Streites unter 100 Mark beträgt, so ist eine Berufung unmöglich, und es würde also diesem Arbeitgeber kein Weg mehr offen stehen, etwaige wiederholte Verurteilungen rückgängig zu machen, die wegen eines Para graphen seiner Arbeitsordnung noch erfolgen können, der weder gegen die Gewerbeordnung noch gegen das Bürgerliche Gesetzbuch verstöfst. Dafs dadurch unhaltbare Zustände herbei geführt werden, liegt auf der Hand. Im Verfolg der Einführung der Lohn zahlungsbücher ist die Mifsstimmung über diese Institution, die in § 134 Absatz 3 der Gewerbeordnung enthalten ist, allgemein geworden. Zahlreiche wirtschaftliche Körperschaften, u. a. der Deutsche Handelstag, haben Eingaben an das Reichsamt des Innern gerichtet, in denen die Beseitigung dieser Bestimmung dringend gefordert wird. Der „Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen“ hebt z. B. in seiner Eingabe hervor, dafs die ganze Einrichtung eine grofse Belästigung für den Arbeitgeber sei. Die lästigste Vorschrift bestehe darin, dafs der Arbeitgeber oder der Betriebsleiter die Unterschrift persönlich und mit Tinte zu vollziehen hat. In grofsen Betrieben mit vielen minderjährigen Arbeitern würde dies nicht durchzuführen sein, wenn nicht die Aus füllung der Bücher den Lohnzahlungsbeamten übertragen worden wäre, ein Modus, der aber bekanntlich mit der Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen durch die Gewerbeaufsichtsbeamten nicht im Einklänge stehe. Um aber die Un möglichkeit eines anderen Verfahrens darzutun, seien nur einige Zahlen über die Beschäftigung minderjähriger Arbeiter hier mitgeteilt. Es beschäftigen: Fried. Krupp, Essen 3 444 Phönix, Akt.-Ges. für Bergbau und Hütten betrieb, Laar I 000 Rheinische Stahlwerke, Meiderich (Ruhrort) 733 Eisen- und Stahlwerk Hoesch, Dortmund 750 Hörder Bergwerks- u. Hüttenverein, Hörde 953 Thyssen & Cie., Mülheim (Ruhr) . • 1 500 Union, Act.-Ges. für Bergbau, Eisen- und Stahlindustrie, Dortmund .... 1303 Gutehoffnungshütte, Oberhausen . . . 1 740 u. s. w. u. s. w. Demnach müssen Arbeitgeber und Betriebsleiter wöchentlich eine nicht unerhebliche Zeit für eine unnütze Verrichtung aufwenden. Aber durch ihre Unterschrift in Hunderten von Büchern bescheinigen sie etwas, das zu prüfen sie keineswegs in der Lage sind. Die Ausfertigung, Führung und Unter zeichnung, das Einsammeln und Verteilen der