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252 Stahl und Eisen. Tarifverträge und. Großindustrie. 29. Jahrg. Nr. 7. Weise einschränkt, die mit der Geschäftsführung und der Kalkulation einer auf dem Weltmärkte mitbietenden Industrie nicht in Einklang zu bringen ist. Eine verschlechterte Anpassung an die Marktlage durch eine Verringerung der Be weglichkeit in der Geschäftsführung wird zweifel los hierdurch hervorgerufen. Es ist ganz un möglich, daß bei einem Umschlag der wirtschaft lichen Verhältnisse niedrigere als im Tarifvertrag festgesetzte Löhne gezahlt werden. Die Gewerk schaftsführer würden hierfür kein Verständnis zeigen, sie würden es sicherlich zum Kampfe kommen lassen. Für die Arbeiter selber würde das auch kein Vorteil sein, denn der Unternehmer würde bei einem Wechsel der Marktlage ge zwungen, die minderleistungsfähigen Arbeiter ab zustoßen und den Betrieb überhaupt möglichst ein zuschränken. Die Gewerkschaftskasse müßte dann ganz bedeutende Summen für Arbeitslosenunter stützung aufwenden. Die Erfahrung hat gezeigt, daß die Erneuerung eines Tarifvertrages niemals mit auch nur einem einzigen Vorteil für den Arbeitgeber geendet hat. Bei jeder Erneuerung bekommt der Arbeitgeber eine tüchtige Portion neuer Pflichten aufgebürdet, der Arbeitnehmer dagegen erhält in der Hauptsache neue Rechte. Die Gewerkschaften verfolgen die Taktik, durch den Abschluß von Tarifverträgen die Individualisierung der Löhne auszuschalten. Die Tarifverträge machen es unmöglich, daß entsprechend den Leistungen des einzel nen Arbeiters der Lohn gezahlt wird. Durch die Schematisierung der Löhne wollen die Ge werkschaften erreichen, daß alle Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf die Leistungen gleichmäßig entlohnt werden. Wie schon erwähnt, schlägt dieses Bestreben eine Brücke zu den gewerk schaftlichen und politischen Zielen. Daß hinter dem Tarifvertrag politische Beweggründe stehen, geht schon daraus hervor, daß beim Abschlusse eines Tarifvertrages die Forderungen des sozial demokratischen Parteiprogramms der Freigabe des 1. Mai und des Acht-Stundentages fast regel mäßig wiederkehren. Bisher sind diese For derungen an der festen Widerstandskraft der Arbeitgeber-Organisationen gescheitert. Wenn jedoch die Regierung durch Betätigung der oben erwähnten Entschließung dem Streben der sozialdemokratischen Gewerkschaften Vorschub leistet, so erleichtert sie ihnen die Erreichung ihres Endzieles. Ein weiterer Einwand, der von der Groß industrie gegen den Abschluß von Tarifverträgen gemacht wird, ist der, daß der Tarifvertrag der Vervollkommnung der Technik im Wege steht. Die Erfahrungen sowohl in England wie in Deutschland haben bewiesen, daß sich die Arbeiterorganisationen wiederholt gegen die Einführung von Arbeit sparenden Maschinen gewehrt haben, um auf diese Weise zu verhindern, daß sich das Arbeitsangebot ver mehrt ; denn bei vermehrtem Angebot sinken ganz naturgemäß auch die Löhne. Wenn es auch gelingen sollte, die Bestimmungen des Tarif vertrages dem jeweiligen Stande der Technik anzupassen, was aber in vielen Fällen unmög lich ist — es sei nur erinnert an die Akkord arbeit —, so kann eine plötzlich auftauchende Neuerfindung den ganzen Tarifvertrag auf einmal über den Haufen werfen. Die Folge davon wird sein, daß alle die Kämpfe, die für den Abschluß des Tarifvertrages geführt sind, von neuem losbrechen; denn der Arbeitgeber muß natürlich schon mit Rücksicht auf die Konkurrenz versuchen, die neue Erfindung möglichst auszunutzen. Die Gewerkschaft wird sich sicherlich gegen die Einführung der Neu erfindung aus den oben erwähnten Gründen zur Wehr setzen.* Außerdem ist zu bedenken, daß die technischen Verhältnisse in den ver schiedenen Betrieben ein und desselben Gewerbe zweiges derart verschieden gelagert sind, daß eine Gleichmäßigkeit einfach unmöglich ist, zumal wenn der Abschluß eines nationalen Tarifes in Frage kommt. Einzeltarife würden selbstverständlich dem Gewerbezweige nichts nützen, und es würde durch die mehr oder minder freiwillige oder erzwungene Nachgiebig keit des Arbeitgebers erst recht eine uner wünschte Ungleichmäßigkeit erzielt. Recht beachtenswert ist, daß unter der Herrschaft der Tarifverträge ein Zurück gehen der Leistungen des einzelnen Arbeiters zu beachten ist. Das läßt sich sowohl für das Buchdruckgewerbe als auch namentlich für das Baugewerbe ganz einwandfrei feststellen. Gelegentlich des Abschlusses des neuen Tarifes im Baugewerbe hat der Verband der Arbeit geber im Baugewerbe eine Denkschrift heraus gegeben, in der auf diesen wunden Punkt auf merksam gemacht wird. So heißt es u. a. „Gerade das Herabsetzen der Arbeitsleistung findet bei den Arbeiterorganisationen eine systematische Förderung. Diese Ca’canny- politik, die die englische Industrie fest gestelltermaßen so sehr geschädigt hat, läßt sich insbesondere für das Baugewerbe zahlen mäßig nachweisen. In Berlin z. B. wurden früher bei 10- bezw. llstündiger Arbeitszeit jedes Arbeiters im Durchschnitt 800 bis 900 Steine vermauert; diese Arbeitsleistung ging aber bei allmählicher Verkürzung der Arbeits zeit reißend und unverhältnismäßig stark zurück, so daß während der letzten mehr jährigen Hochkonjunktur im Baugewerbe bei 9 stündiger Arbeitszeit schließlich vielfach nur noch 300 Steine verarbeitet wurden. * „Wie durch zahlreiche Beispiele der englischen Trade Unions zur Genüge bemessen wird.“ Die Redaktion.