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224 Stahl und Eisen. Aus Fachvereinen. 29. Jahrg. Nr. 6. Aus Fachvereinen. Centralverband Deutscher Industrieller. Die aus allen Teilen des Reiches außerordentlich zahlreich besuchte Delegiertenversammlung vom 30. Januar d. J., an der auch viele Vertreter der Reichs- und der preußischen Staatsregierung teilnahmen, wurde vom Vorsitzenden, Landrat a.D.Rötger, geleitet. Auf der Tagesordnung standen zunächst zwei Vorträge über süddeutsch e Wasser Straßen, Berichterstatter G. Ste 11 er-Nürnberg und Hoffmann-Heilbronn, die namens des Direktoriums folgenden Beschluß antrag einbrachten: „Der Centralverband Deutscher Industrieller hat die Ueberzeugung gewonnen, daß die südlichen Teile des Deutschen Reiches, insbesondere die Bundesstaaten Bayern und Württemberg, wirt schaftlich dadurch erheblich benachteiligt sind, daß sie von den Erzeugungsorten ihrer wichtigsten Roh stoffe und von ihren hauptsächlichsten Absatzgebieten weit entfernt sind. Im allgemeinen Interesse des Reiches liegt es, eine gleichmäßige wirtschaftliche Entwicklung aller Gebiete und Bundesstaaten zu sichern und damit vor allem auch den inneren Güteraustausch zwischen den einzelnen Gebieten des Reiches zu fördern. Eür die genannten süd deutschen Slaaten wird diesesZiel durch Verbesserung der Verkebrsbedingungen, in erster Linie durch den Bau leistungsfähiger Schiffahrtsstraßen erreicht werden können. Der Centralverband richtet daher an die beteiligen Staatsregierungen die dringende Bitte, den Bau solcher Wasserstraßen, insbesondere die weitere Kanalisierung des Maines und die des Neckars baldigst in Angriff zu nehmen und mit allem Nachdruck auf die Beseitigung derjenigen Hindernisse hinzuwirken, welche dem Ausbau dieser Wasserstraßen und der Vervollständigung des deutschen Wasserstraßennetzes überhaupt noch entgegenstehen.“ Nach eingehender Erörterung, an der Baurat Dr.eIng. h. c. v. R i e p p e 1-Nürnberg, Dr. Kuhlow- München, Abg. Dr. Beumer-Düsseldorf und Schott- Heidelberg teilnahmen, wurde der Beschlußantrag einstimmig angenommen. Es folgte ein Vortrag des Reg.-Rates B a r t el s- Berlin über die Gewerbeordnungs-Novelle, der zur Annahme der nachfolgenden Entschließung führte : „1. Die Delegiertenversammlung des Centralverbandes Deutscher Industrieller legt entschiedene Ver wahrung gegen die überstürzte Beschlußfassung über die Sondergewerbenovelle, Reichsgesetz vom 28. Dez. 1908 — R. G. Bl. 8. 667 — durch Reichstag und Bundesrat ein. Bei den der Regierung und dem Reichstage rechtzeitig bekannt gegebenen Bedenken gegen dieses Gesetz, durch welches namentlich die Textilindustrie in ver schiedenen Landesteilen schwer geschädigt wird, wäre zu erwarten gewesen, daß man vor end gültiger Verabschiedung sieh nochmals mit den Interessenten verständigt hätte. 2. Da durch das Gesetz die bisher zulässige Arbeits zeit für weibliche Arbeiter erheblich gekürzt wird, gewinnt besondere Bedeutung die Gefahr weiterer Einschränkung der Arbeitsdauer durch die Aus dehnung des Fortbildungsschulzwanges auf weib liche Arbeiter bis zu 18 Jahren. Will man nicht, wie weite Kreise der Industrie meinen, hierfür über haupt kein Bedürfnis anerkennen, so muß unbedingt gefordert werden, daß die Herabsetzung der Schul pflicht bis zum vollendeten 16. Lebensjahre erfolgt. Vor allem muß verlangt werden, um eine differen zierende Behandlung der einzelnen Betriebe zu ¬ einander durch Beschlüsse der einzelnen Gemeinden zu vermeiden, daß im Gewerbegesetz für Arbeiter in Betrieben mit motorischer Kraft vorgesehen wird, daß der Fortbildungsschulunterricht außerhalb der ortsüblichen Berufs-Arbeitszeit angesetzt werde. 3. Im übrigen bestätigt die Delegierten Versammlung nochmals die Beschlüsse, welche zum Entwürfe des Gesetzes betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung in der Versammlung vom 13. März 1908 gefaßt sind.“ Darauf folgte die Beratung des Gesetzentwurfes über die Errichtung von Arbeitskammern. Hierüber referierte Hr. Generalsekretär B u e ck. Er erwähnte zunächst, daß der Centralverband sich bereits am 13. März v. J. mit dem ersten Entwurf beschäftigt habe und diesem gegenüber zu einer Ablehnung gekommen sei. In der Begründung zum jetzt vor liegenden Entwürfe und auch sonst sei das Bestreben hervorgetreten, den überall bemerkbar gewordenen Widerstand der industriellen und wirtschaftlichen Vertretungen als bedeutungslos hinzustellen. Der Staatssekretär des Innern habe im Reichstage anders verfahren. Er habe gestanden, daß man bei dem Widerstande von Arbeitgebern und Arbeitern eigentlich die Hand von der Regelung der Materie lassen solle. Der Staatssekretär habe aber erklärt, daß er nach wie vor der Ansicht sei, daß paritätisch und fachlich gegliederte Arbeitskammern zur Erzielung eines besseren Verhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeiter notwendig sei. Dieser Ansicht hätten sich die verbündeten Regierungen angeschlossen, und so sei es gekommen, daß den Reichstag ein Gesetz entwurf beschäftige, der wie kaum einer vorher den Widerspruch von Arbeitgebern und Arbeitern hervor gerufen habe. Der Referent ging danach auf die Verschiedenheiten ein, die der zweite Entwurf gegen über dem ersten aufweist. Die Befugnis zur Er richtung von Arbeitekammern sei vom Bundesrat auf die Landeszentralbehörden übertragen. Das habe auch im Reichstage Widerspruch hervorgerufen, weil die Gleichmäßigkeit der Gestaltung im Reiche gefährdet erscheine. Schon nach dem ersten Entwürfe seien die Handwerker in die Arbeitskammern einbegriffen gewesen. Da viele davon bekanntlich der Sozial demokratie angehören, so würden sie zur Majorisierung der anderen Arbeitgeber beitragen. Nach dem neuen Entwürfe sollten auch die Arbeitnehmer im Handwerk in den Kammern ihre Vertretung finden. Auch die Betriebsbeamten sollten nicht ausgeschlossen sein, was eine weitere Gefahr für die Industrie bedeute, nachdem die Vereinigungen dieser Beamten eich bereits vielfach auf den Boden des sozialdemokratischen Kiaseenkampfes gestellt hätten. Das Institut der Arbeitskammer sei ein komplizierter Apparat, besonders auch hinsichtlich der vorzunehmenden Wahlen. Betreffs des Wahlverfahrens hätten die verbündeten Regierungen ihre ersten Vorschläge nicht aufrecht erhalten können. Die liberalen Parteien, einschließlich der Nationallibera len, des Zentrums, der Polen und der Sozialdemokratie, seien des Lobes voll darüber, daß die Regierungen unter Erstreckung auf die weiblichen Personen das geheime, gleiche und direkte Wahlrecht angenommen hätten. Dabei sei doch sicher, daß solche Wahlen in den be teiligten Kreisen große Erregung hervorrufen und eine alles Maß überschreitende Agitation und Verhetzung veranlassen. Die Rivalität der verschiedenen Arbeiter organisationen untereinander steigere noch diese widerwärtigen Erscheinungen. Die durch solche Wahlkämpfe verschärften Gegensätze würden sich auf die Arbeitskammern übertragen. Der Sozialdemokratie dienten solche Wahlen dazu, um die Verhetzung der Arbeiter auf die Spitze zu treiben. Dabei habe der Reichs-