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20. Januar 1909. Kartellgesetzoebung im Auslande. Stahl und Eisen. 107 Bemerkenswert ist, daß zur gleichen Zeit, wo einzelne Staaten sich zu den schärfsten Maß regeln gegen die . Kartelle veranlaßt sehen, an dere Staaten einzelne Zweige der Industrie zwangs weise kartellieren. Dasürteil der Regierung über die Wirkung und Bewertung der Gesetze kann man nur kräftigst unterschreiben. Die Denkschrift sagt nämlich: „Ueberdies wird die größere oder geringere Wirksamkeit einer gesetzgeberischen Maßnahme vielfach nicht von dem Inhalte des Gesetzes, sondern von seiner Handhabung in der Praxis abhängen, und diese wird durch so viele Faktoren des staatlichen Lebens beeinflußt, daß Erfahrungen eines Landes nicht ohne weiteres auf ein anderes übertragen werden können.“ Da es Zweck und Aufgabe der Denkschrift sein sollte, durch eine Uebersicht über die in anderen Staaten zur Lösung der Kartellfrage ergriffenen Maßnahmen eine „Grundlage für die Erörterung und Beurteilung der in Deutschland hervorgetretenen Vorschläge zur Regelung des Kartellwesens zu schaffen“, ist im allgemeinen von einer kritischen Behandlung des Materials abgesehen worden. Im übrigen würde eine sachgemäße Bewertung für eine etwaige Rege lung des Kartellwesens in Deutschland“ recht wenig Brauchbares gewinnen. Anderseits er mutigen auch die in der Denkschrift mitgeteilten Erfahrungen des Auslandes keineswegs zu einem gesetzlichen Vorgehen, da sie den klaren Beweis liefern, daß bisher jedes staatliche Eingreifen in das Kartellwesen niemals das erreichte, sondern vielfach sogar das Gegenteil von dem erzielte, was angestrebt wurde. In Oesterreich hat man, entgegen der Recht sprechung des deutschen Reichsgerichtes, das die §§ 152, 153 unserer Gewerbeordnung be kanntlich nicht auf Kartell Vereinbarungen für anwendbar erklärte, den Vorschriften des dortigen Koalitionsgesetzes vom 7. April 1870 durch § 4 Anwendbarkeit verliehen, wenn „Verab redungen von Gewerbsleuten zu dem Zwecke um den Preis einer Ware zum Nachteile des Publikums zu erhöhen“, getroffen werden. — Verabredungen von Arbeitgebern oder Arbeit nehmern zwecks Verminderung oder Erhöhung des Lohnes, sowie Unterstützungs- oder Benach teiligungs-Vereinbarungen für diejenigen, welche bei den Verabredungen bleiben oder sich von ihnen befreien, besitzen nach dem § 2 des Ge setzes keine rechtliche W irkung. Wie sehr der Ausspruch der Denkschrift, daß vielfach nicht der Inhalt eines Gesetzes, sondern seine Handhabung in der Praxis das Wesentlichste sei, berechtigt ist, zeigt sich auch in Oesterreich. Denn der Begriff „Gewerbs leute“, der ursprünglich nur Handwerker und Produzenten des täglichen Lebensbedarfes, wie Bäcker, Fleischer umfaßte, wurde vom k. k. Obersten Gerichtshof im Jahre 1898 auch auf die Produzenten ausgedehnt, die „über den Rahmen eines gewöhnlichen handwerksmäßigen Betriebes hinaus fabrikmäßig Ware erzeugen“. Damit wurden alle gewerblichen Unternehmer, Großbetriebe, wie Großhändler dem oben er wähnten § 4 unterstellt. Nicht allein die unmittelbare, sondern auch sogar die mittelbare Preisbeeinflussung, Kon tingentierung der Produktion, Verteilung des Absatzgebietes usw. macht den Kartellvertrag rechtlich unwirksam. Einige Urteile haben selbst Vereinbarungen, die eine Verbesserung der Qualität der Waren unter gleichzeitiger Preiserhöhung bezwecken, für rechtsunverbindlich erklärt, weil es nicht auf die Wirkungen dieser Vereinbarungen, sondern auf die „bloße Möglich keit einer für das Publikum ungünstigen Preis gestaltung“ ankomme. Zu allem Ueberfluß ist auch noch durch die neue österreichische C. P. 0. der Ausweg aus der Rechtsunsicherheit durch ein Schiedsgericht versperrt. Daß endlich gestellte Kautionen rechtlich zurückverlangt werden können, ergibt sich aus der Ungültigkeit des Kartellvertrages ja von selbst. Strafrechtliche Sanktion des Verbotes findet nicht statt, sofern nicht Ein schüchterungsmittel oder Gewalt angewendet werden. Die verschiedensten Versuche der Regierungen, zu einer allgemeinen Lösung der Kartellfrage, wie auch für bestimmte Produktionsgebiete z. B. Zucker und Petroleum zu gelangen, scheiterten, so daß also die rechtliche Unsicherheit auch forthin noch besteht. In Ungarn hat bisher eine besondere Re gelung des Kartellrechtes nicht stattgefunden; die Kartelle unterliegen daher den Bestimmungen des allgemeinen Civilrechtes. Der in der Recht sprechung herrschende Geist kommt im Wesen dem österreichischen nahe, weshalb auch ein zelne Kartellverträge für rechtsunwirksam er klärt wurden. Doch ist im Gegensatz zu Oester reich den Kartellen das bedeutungsvolle Hilfs mittel eines Schiedsgerichtes geblieben. Im Auf trage des ungarischen Handelsministers hat der Reichstagsabgeordnete Dr. Mandel einen Gesetz entwurf über Kartellverträge ausgearbeitet, der ein Kartellbuch vorsieht, in das der Kartellver trag, der überhaupt schriftlicher Form bedarf, zur Rechtsgültigkeit eingetragen werden muß. Dem Staatsanwalt steht das Recht der zivil rechtlichen Anfechtbarkeit des Kartellvertrages zu, doch wurden in der Kritik speziell die Be stimmungen hierüber als voraussichtlich zu wirkungslos und schwach verdammt. Strafrecht liche Ahndung ist auch hier nicht vorgesehen, wohl aber Schadenersatzverpflichtung. In Frankreich, wie auch in Elsaß-Loth- ringen, sind noch die bekannten Artikel 419 u. 420