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13. Januar 1909. Das Verzinnen von Metallgegenständen in alter und neuer Zeit. Stahl und Eisen. 57 Werdegang der Kunst des Verzinnens geben. Wenn icli dabei mit der sprichwörtlich gewor denen deutschen Gründlichkeit zu Werke gehend etwas weit aushole, so geschieht es im Einklang mit einem Goetheschen Spruch, der da lautet: „Wer nicht von dreitausend Jahren Sich weiß Rechenschaft zu geben, Bleibt im Dunkeln, unerfahren, Mag von Tag zu Tage leben.“ Die Kunst des Verzinnens, d. h. das Ueber- ziehen von Metallgegenständen mit einer dünnen Schicht von metallischem Zinn, ist weit älter, als allgemein angenommen wird; ja sie reicht, wie ich Ihnen alsbald zeigen werde, weit in das graue Altertum und selbst bis in die vor historische Zeit zurück und ist, wie alle Kultur, aus dem fernen Osten zu uns gekommen. In den meisten chemisch - metallurgischen Lehr- und Handbüchern, die mir bisher zu Ge sicht gekommen sind, wird angegeben, daß das Verzinnen eine Erfindung der Gallier sei. Die betreffenden Autoren stützen sich dabei, wenn sie nicht einfach voneinander abgeschrieben haben, — was ja auch heute noch vorkommen soll, — auf eine Stelle in der Naturgeschichte des älte ren Plinins (34. Buch, Kap. 48), wonach der Ruhm dieser Erfindung den Biturigern gebührt. Lenz in seiner bekannten „Mineralogie der Griechen und Römer“ übersetzt die betreffende Stelle wie folgt: „Kupferne Sachen zu über- Zinnen, ist eine gallische Erfindung; sie sehen dann aus wie silberne und man nennt sie »In- coctilia«. Später hat man auch in der Stadt Alesia begonnen, in ähnlicher Weise namentlich die Verzierungen an den Geschirren der Last- und Zugtiere zu versilbern, in welcher Kunst die Bituriger sich zuerst hervortaten.“ Der leider für die Wissenschaft viel zu früh verstorbene Archäologe Host mann bemerkt hierzu: „Wenn Plinius die Erfindung des Ver zinnens den Galliern zuschreibt, so ergeben da gegen die archäologischen Tatsachen, daß ledig lich ein altetruskisches Verfahren zu seiner Zeit in Gallien wieder zur Aufnahme gekommen sein konnte.“ Aber auch Hostmann befindet sich mit seiner Ansicht im Irrtum, denn wie ich schon eingangs hervorgehoben habe, läßt sich die Kunst des Verzinnens noch weiter ver folgen. Bleiben wir zunächst bei den schrift lichen Ueberlieferungen. Der griechische Philosoph Theophrastus, der von 372 bis 287 vor Chr. lebte, sagt an einer Stelle: „Von den Athenern erzählt man, daß sie rotglühendes und blankes Eisen in ein Erzgefäß tauchen; andere wollen auch wissen, daß sie hierbei Zinn zusetzen. Dieses Eintauchen geschieht nicht des Gewichtes, sondern des Geschmacks wegen, welchen die Gefäße sonst hätten.“* Auch * Vgl.Dr. L. Beck: „Geschichte d.Eisens“ I.Bd.8.459. Plinius hebt den letzterwähnten Umstand be sonders hervor, indem er sagt: „Verzinnung kupferner Gefäße gibt den Speisen einen besseren Geschmack und schützt vor dem Gift des Grün spans, ohne die Gefäße schwerer zu machen.“ Aus beiden soeben genannten Quellen geht deutlich hervor, daß die Zinnschicht, die über den Metallgegenständen ausgebreitet war, sehr dünn gewesen sein mußte, weil das Gewicht dadurch nicht merklich erhöht wurde. Um sich von der Wahrheit dieser Behauptung zu überzeugen, ließ der englische Chemiker Watson, wie der gelehrte Technologe Johann Beck mann 1797 erwähnt, ein Gefäß von 254 Quadrat zoll Oberfläche, das 26 Unzen wog, verzinnen. Das Gewicht hat sich dabei nur um 1/2 Unze oder etwa 14 g vermehrt; es entspricht das mithin einer Gewichtszunahme von etwa 2 °/o. Wenn uns der römische Geschichtschreiber Curtius Ruphus erzählt, daß die indischen Gesandten Alexander dem Großen (etwa 326 v. Chr.) unter anderen Geschenken auch 100 Ta lente „ferrum candidum“, also weißes Eisen überbracht haben, so möchte ich fast annehmen, daß es sich dabei um verzinntes Eisen, vielleicht um das erste Weißblech handelte. Sie werden mir nach dem Gesagten zugeben müssen, daß meine Erklärungsweise weniger gesucht ist, als diejenige eines älteren Philologen, welcher an nahm, man habe unter ferrum candidum ein Metall zu verstehen, „welches wegen natürlicher Bei mischungen von Silber oder Gold eine helle glänzende Farbe hatte“. Weniger zutreffend er scheint mir auch die Bemerkung, die der beste Kenner der Geschichte des Eisens, Professor Dr. L. Beck, macht, indem er sagt: „Das indische Eisen hieß bei den Alten auch ferrum candidum, wegen der ausgezeichneten Politur, die es annahm.“ — Homer, auf den man bei jeder Gelegenheit gern zurückgreift, spricht zwar nicht direkt vom Verzinnen, allein zwischen den Zeilen kann man, wenn man will, doch lesen, daß die Alten auch zu seiner Zeit schon, also etwa um 1000 v. Chr., diese Kunst verstanden und ausgeübt haben. Ich denke z. B. an die Beinschienen des Achill, die wohl nicht, wie der Dichter sagt, aus feinem Zinn gegossen, sondern eher aus verzinntem hartem Metall hergestellt waren. Nur so konnten sie beim Anprallen eines Speeres wirk lich, wie der Dichter sagt, „tönen mit schreck lichem Klang“, während die weichen zinnernen Beinschienen von dem scharfen Erz sang- und klanglos durchbohrt worden wären. An einer andern Stelle erwähnt der göttliche Sänger den Harnisch des Agamemnon, auf dem 20 Zinn streifen mit 10 blau schimmernden Stahlstreifen und 12 Streifen aus funkelndem Golde ab wechselten. In diesem und ähnlichen Fällen können wir vielleicht an eine Ausschmückung