Volltext Seite (XML)
Ohne mich auf gelehrte Entwicklungen ein zulassen, habe ich das Wort „Verschleifsfestig- keit“ eingeführt, und jeder Praktiker versteht, was damit gemeint sein soll. Der durchschnitt liche Flächenverschleifs beim Eisenbahngeleise beträgt jährlich 21 qmm, oder was noch deut licher ist: Vom Kopfe einer normalen Schiene wird in drei Jahren 1 mm Höhe abgefahren. Am Schienenstofs ist der Verschleifs bei den bisherigen Oberbau-Konstruktionen durchweg viel gröfser, doch das ist kein normales Verhältnis. Der Verschleifs vernichtet also in Deutschland allein jährlich 19 000 t Schienenstahl, und auf der ganzen Welt mehr als das 13 fache. Unter der Einwirkung dieser natürlichen, nie voll ständig zu beseitigenden Abnutzung könnte einer Bessemerschiene selbst auf stark beanspruchten Linien eine Lebensdauer von 30 Jahren garan tiert werden, wenn nicht die bisherige unvoll kommene Stofskonstruktion ihr ein vorzeitiges Ende bereitete. Auf diesen letzteren Punkt komme ich noch zurück. Das gröfstenteils von mir selbst zusanimen gebrachte und bereits in dem genannten Werke verwertete Beobachtungsmaterial ist noch nicht vollständig genug, um endgültige Schlüsse auf die Abhängigkeit der Verschleifsfestigkeit von der durch andere mechanische und chemische Proben gekennzeichneten Beschaffenheit des Stahls zu zulassen. Aber eines tritt bislang deutlich her vor, dafs von den Erzeugnissen der heute gängigen Stahlbereitungsverfahren der Bessemerstahl sich für Schienen am widerstandsfähigsten erwiesen hat.* Dabei will ich Thomasschienen älteren Datums, welche wegen grofser Weichheit einen aufsergewöhnlich starken Verschleifs erlitten haben, unberücksichtigt lassen. Auch Thomas schienen neuerer Zeit stehen dem Bessemerstahl nach, selbst bei höherem Kohlenstoffgehalt. Ich schiebe die Überlegenheit des Bessemerstahls zum Teil auf den Siliciumgehalt, zum Teil auf die gröfsere Homogenität des Metalls und eine gründ lichere Beseitigung des Sauerstoffs — ganz unbeschadet der vielleicht nicht ausgeschlossenen Möglichkeit, auch im Thomasprozefs durch weitere künstliche Zusätze und sonstige Mittel ein eben bürtigeres Schienenmaterial zu schaffen. Man ist auf diesem Wege bereits zu gewissen Fortschritten gelangt. Einstweilen bleibt aber m. E. die Tat sache bestehen, dafs man der Natur des für viele andere Eisensorten an sich vortrefflich geeigneten Thomas-Verfahrens mit den- ange wandten Mitteln einen Zwang antut, der sich bei jeder Unaufmerksamkeit rächen mufs. Der Eisenbahningenieur und die Bahnver waltungenwerden sich selbstverständlich zunächst * Anmerkung der Redaktion. Diese An schauung des Herrn Verfassers wird bekanntermafsen von den Vertretern der Thomasstahlwerke nicht geteilt. an die fertigen Schienen halten, und wenn diese die mechanischen Proben bestehen und vor allem sich im Betriebe bewähren, zufrieden gestellt sein. Erst in zweiter Linie wird man aus all gemein wissenschaftlichem Interesse erfahren wollen, woraus und wie das Fabrikat entstanden ist, sowie welche chemische Zusammensetzung und welche kristallinische Struktur es hat. Was aber eine weitere Hauptsorge sein mufs, ist, dem guten Material auch die den Anforderungen des Eisenbahnbetriebes zweckmäfsig angepafste Form zu geben. Für die gesamte Technologie ist es von der gröfsten Bedeutung, dafs die Nutzmetalle sich nicht, wie Holz und Stein, allein durch Abtren nung von Teilen in bestimmte Formen bringen lassen, sondern auch durch Giefsen und Schmieden. Die Kunst des Formgusses aus Flufsstahl und weichem Flufseisen ist erst in der letzten Zeit Allgemeingut geworden, und, wie die Düsseldorfer Ausstellung des vergangenen Jahres es in reichem Mafse zeigte, zu einer grofsen Vollkommenheit gelangt. Für den Eisenbahn-Oberbau hat diese Kunst keine sehr grofse Bedeutung. Wollte man heute gegossene Schienen, etwa solche aus Stahl- gufs, herstellen, so würde dabei die Güte des gewalzten Stahls nicht erreicht, und die Be schaffungskosten würden sich viel zu hoch stellen. Hier tritt daher die andere auf der Zähigkeit des Metalls beruhende Art der Formgebung in ihr Recht, und wo es sich um langgestreckte prismatische Körper handelt, steht das Walz werk an Billigkeit und Genauigkeit heute unüber- troffen da. Die. Leistungen der Walzwerkstech nik haben sich nach Güte und Menge bis ins Ungemessene gesteigert, so zwar, dafs ein zeit- gemäfs eingerichtetes Schienenwalzwerk täglich über 1500 t Schienen fertig zu stellen vermag. Das macht in einem Jahre von 300 Arbeitstagen eine Leistung, welche der Deckung eines Schienen bedarfs für 5400 km Geleislänge entspricht. Wenn man Vergleiche anstellt zwischen den ersten Eisenbahnen und denjenigen der Jetztzeit, so findet man, dafs namentlich für Schienen anfänglich durchaus keine einfachen Formen ge wählt wurden. Abgesehen von den eigenartig gestalteten, ursprünglich gufseisernen Winkel schienen mit Spurflantschen, sind auch die späteren Schienen aus Gufseisen für Räder mit Radflantschen nicht ohne Schwierigkeiten herzustellen gewesen. Deshalb wurde in jener Zeit den Schienen ge wöhnlich nur eine Länge von 1 Yard (0,914 m) gegeben und das Gestänge an dem Zusammen- stofs zweier solcher Schienenstücke durch Unter lagen unterstützt. Gewissermafsen aus dem Gefühl heraus, vielleicht auch infolge vorgekommener Brüche, machte man die Schienen zwischen den Auflagepunkten in zweckentsprechender Weise höher als auf den Stützpunkten, und so entstand die sogenannte Fischbauchform. Diese wurde