213 sagte Lavater zu mir: „Sie müssen mir den Gefallen thun und den alten Bodmer malen." „Wer ist das?" fragteich. „Man nennt ihn," sagte Lavater, „den Altvater der deutschen Gelehrten und Dichter; er ist von ganz Zürich geehrt und geschätzt und man würde es mir übel nehmen, wenn ich mich malen ließe und Bodmer's Portrait würde nicht von Ihnen gemalt." „Was ist denn sein Hauptver dienst?" fragte ich. „Gelehrte Kritik," sagte er. Dies Wort verwechselte ich mit dem Worte: bekritteln. „Nein," erwie- derte ich, „den Menschen verlange ich nicht einmal zu sehen, viel weniger zu malen! Denn ich hasse die Menschen, welche Anderer Fehler aufsuchen und dann öffentlich zur Schau aufstcllen." Ich hatte auch schon gehört von einer Classe Gelehrter in Zürich, welche Lavater'S Gegner wären, und glaubte, jener Bodmer sei der Hauptanführer und Lavater habe seine Bitte nur deshalb geäußert, um seine Beleidiger dadurch zu beschämen. Ich schlug es also rund ab. Er aber bestand darauf, brachte mir eine richtigere Meinung von dem Manne bei und ich war schon um so bereitwilliger, ihn zu besuchen, da ich hörte, daß er ein Freund von Homer sei, den er sogar in deutsche Verse übersetzt habe. „Sie müssen ihn aber während des Gesprächs malen, ohne ihn zu belästi gen," fuhr Lavater fort; „denn zum Sitzen wird er sich nicht bequemen und wenn er die Zurüstung von Staffelei und Malkasten sähe, so würde er cs nicht einmal erlauben." Ich wandte ihm dagegen ein, daß ich nur Tadel verdienen würde, wenn ich das Portrait eines Mannes so im Fluge und gleichsam auf den Raub malen wollte. „Sie brauchen ihn nur zu sehen," versetzte Lavater, „er hat ein sehr bedeutsames Gesicht und ist so leicht zu treffen, daß ich selbst, obgleich ich nur wenig zeichnen kann, ihn dennoch mit den Händen auf dem Rücken und mit geschlossenen Augen ähnlich