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Frankenberger Tageblatt, Bezirks-Anzeiger : 03.05.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-05-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1786999250-191005039
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1786999250-19100503
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1786999250-19100503
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Frankenberger Tageblatt, Bezirks-Anzeiger
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-05
- Tag 1910-05-03
-
Monat
1910-05
-
Jahr
1910
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leistet, dagegen ersolgtrn 855 Rück-ahlmigen (Einlagen und Zinsen) im Betrag von 227»25 Mk. 32 Pfg. f* Die Mltfeter ist in Frankenberg ruhig verlaufen Die Veranstaltungen waren gut besucht, wenn auch vielleicht dir Organisation auf noch stärkere Beteiligung gerechnet hatte Zur Versammlung auf dem Lchützenplayr hatten sich etwa 500 Personen etngefundrn. — Ja Mittweida »ar, wie von dort geschrieben wird, der Umzug abgesagt worden — Di, au» allen Teilen Deutschland» vorliegrnden Meldungen lassen erkennen, daß die Maifeiern allerort» ruhig verlaufen find. Nur in Magdeburg kam e» zu Zu sammenstößen mit der Polizei, die in der Stadt dem Zuge sich entgegenstellte. Ein Schutzmann wurde dort vom Pserdr gerissen, die Polizei ging mehrerrmal blank vor, einige Per- sonrn erlitten Berletzunaen. In Pari» wurde infolge der umfassenden von der Regierung getroffenen Maßregeln die Kundgebung im Boi» de Boulogne aufgegeben. (Weitere Nachrichten befinden sich unter Ehemnitz und den Telegrammen.) fass. Ptz»»,l«k»ttrt. Vie Kunst, Klavier zu spielen, nennt nicht jeder sein eigen. Zwar ist der Wunsch, die Tasten »u meistern und eine Komposition selbst zu spielen, wohl in jüxm Musiklirbenden rege, aber zwischen Wollen und Können liegt eine tiefe Kluft. Diese Kluft zu überbrücken, ist die Aus. gäbe de» bekannten Klaviersptel-Jnstrumentr» „Solodant-Phonoia". welche» mit Leichtigkeit an ein beliebige» Klavier angestellt und ohne besondere Borkenntnisse von jedem Musikfreund gehandhabt werden kann. Dafür, daß der Vortrag auch künstlerisch, d. h. nicht nur technisch sauber, sondern auch seelisch belebt ist, sorgen dir Künstlernotenrollrn, enthaltend da» Originalspiel erster Meister, sowie die Solodant-Erfindung, welch letztere die Melodie selbst innerhalb eine» Akkorde» selbsttätig hervorhebt. Die Kunstler sind voll de» höchsten Lobe» über die Leistungen der Solodant-Phonola und stellen sie an die Spitze aller ähnlichen Apparate. Dem hie sigen musiklirbenden Publikum den Beweis von der Leistungs fähigkeit der „Phonola" zu erbringen, ist der Zweck eine» Kon- »ert», da» die hiesige Firma Earl Metzler morgen, Dienstag, im Hotel zum Roß veranstaltet. ES sei der Besuch dieses Konzert» allen Musikfreunden empfohlen. s* Datzpelkaazert. Es sei hier nochmals auf das morgen, Dien»tag, abend im „Kaisersaal" stattfindende Doppelkonzert der Stadtkapellen Frankenberg und Hai nichen hingrwiesen. Da» Programm ist im Anzeigenteil dieser Nummer enthalten. E» verspricht einen schönen Abend. Den ersten Teil wird Herr Direktor Prager, den zweiten Herr Direktor Arnold leiten. s* Lehe»-«ü»e. Gestern früh gegen 5 Uhr hat sich in einer hiesigen Gastwirtschaft der etwa 22 Jahre alte Schlosser Arnold au» Ehemnitz in die linke Schläfe geschossen und schwer verletzt. Er wurde in» hiesige Krankenhaus gebracht, dürfte jedoch kaum am Leben erhalten werden können. Was den jungen Mann zu der betrübenden Tat veranlaßte, ist nicht bekannt. fwg. Per LsudeSveretll tzer Ortskrauleukassenbeamteu im Königreich Sachsen (Sitz Dresden) hält am 8. Mai d. I. Vorm. 10 Uhr im großen Saale des „Zoologischen Garten" in Leipzig seine erste Jahreshauptversammlung ab. Be sonders hervortretende Punkte der Tagesordnung sind ein Reserat betr. die Reichsversicherungsordnung, sowie die Stellungnahme zur geplanten Gründung eines Bundes Deutscher OrtSkrankenkassenbramtrn. Der LandeSverrin steht aus dem Boden der bestehenden StaatS« und Gesellschaftsordnung. fax. Zu« Jubiläum de» SächsischenLaudeSverbaud» G«del»derger, da» vom 4. bis 6. Juni in Dresden gefeiert wird, finden, wie zu den früheren Tagungen, auch PretSwett- schreiben statt. Die Wettschreiben sind angesetzt: Sonntag, den k. Juni, Vorm. '/,9 Uhr im Gewerbehause, und zwar in der Schnelligkeit von 160, 200 und 230 Silben in der Minute. In der öffentlichen Aestversammlung, die durch die Anwesenheit de» hohen Schirmherrn de» Berbandes, König Friedrich August, eine besondere Weihe erhält, erfolgt die Verkündigung de» Ergebnisse» der im vorigen Jahre auf der Lande»v«rband»versammlung in Zittau gestellten Preisaufgab«. f Die Ließe z»r Heimat. Ein reizende» Wort erzählt man sich von dem beliebten Märchendichter Andersen. An dersen war au» Dänemark nach Pari- gekommen, wo e» ihm so gut gefiel, daß der Philosoph Victor Eousin ihn eine» Tage» fragt«: „Hätten Sir nicht Lust, ganz bei un» zu bleiben? E» muß doch ein recht traurige» Leben sein in Ihrer Heimat." Andersen seufzte, schüttelte aber den Kopf und sagte endlich: „Liebt man seine Mutter weniger, wenn sie häßlich ist?" * * f EßerSborf. In der vergangenen Nacht wurde dir »um früherrn Richtrrschen Gute gehörend« Scheun« bi» auf den südlichen Giebel durch Feuer völlig ringräschert. E» liegt Brandstistung vor. Ein der Tat verdächtiger Arbeiter aus Ebersdorf, welcher schon wegen der früherrn Feuer in Hast gewesen ist, wurde abermals festgenommen. — d. Ehemnitz. Die gestern hier veranstaltete sozial demokratische Maifeier bestand in einem Umzug durch die Straßen der Stadt und einer Versammlung unter freiem Himmel, in der von drei Rrdnertribünrn herunter Ansprachen gehalten wurden. An dem Straßenumzug, in dem Fahnen und Embleme mitgesührt wurden und in dem sich 25 Musik- korp» befanden, nahmen etwa 20000 Personen teil, darunter eine große Anzahl Frauen. Der Zug bewegt« sich vom sozialdemokratisch«« „BolkShauS" in der Vorstadt Kappel quer durch die Stadt, unter Vermeidung der Hauptverkehr» straßen, nach dem auf der anderen Seite der Stadt liegenden freien Platz, den der Rat zur Verfügung gestellt hatte Zwischenfälle sind, soweit bekannt, nicht vorgekommen. Dir Polizei hatte sich vollständig zurückgezogen. Die von der Parteiorganisation bestellten Ordner, die al» solche kenntlich gemacht waren, haben die Ordnung vollkommen ausrrht- erhalten. — Dresden. Graf Zeppelin ist gestern abend aus Friedrichshafen hier eingetroffen. — Nach langem Leiden starb hier unerwartet der Geh. Negierungsrat a. D. v. Carlo Witz. Zuletzt war er Amtshauptmann in Bautzen. Ein hart näckiges Leiden zwang den beliebten Beamten, sich vorzeitig in den Ruhestand versetzen zu lassen. — Crauzahl i. E. Die Kircheninspektion hat den Widerspruch des Gemrinderats gegen die vom Kirchenvorstand beschlossene Ausnahme einer Anleihe in Höhe von ungefähr 100000 Mark zum Zwecke des Kirchenbaues zurückgrwiesen und dies damit begründet, daß der Kirchbau eine Notwendig keit und die Gemeinde nicht derartig ungünstig gestellt ist, daß sie die durch die Verzinsung und Tilgung dieser Anleihe entstehenden Gemeindeanlagen nicht zu tragen vermöchte. — Awickan. Die Kgl. Staatsregierung hat der Elek trizitätsgesellschaft in Schneeberg, bez. der ElckirizitätS- und Straßenbahngesellschaft in Zwickau die Konzession zu den Vor arbeiten für die elektrische Bahn von Schneeberg nach Auerbach i. V. erteilt. Die Vorarb«iten sollen alsbald in Angriff genommen werden. — Hartenstein. Der hier wohnhafte 39 Jahre alte Bergarbeiter Seltmann wurde auf der Deutschlandgrube in OelSnitz von einem durchgehenden Hunt totgequetscht. Er hinterläßt Frau und vier noch schulpflichtige Kinder. — k. Falkenstein. (Privattelegramm.) Heute vormittag wurde hier im „CajS Bauer" die etwa 19 Jahre alte Kell nerin ermordet Der Täter ist der Liebhaber de» Mäd chen». Di«s« hatte ihm einen Abjchirdsbrirs geschrieben, wo rauf er am Sonnabend von Berlin hirrher kam. Heut« vor mittag vermochte er da» Mädchen allein anzvtreffen. Mit einem Rasiermesser schnitt rr ihm den Hal» durch. Der Täter i't verhaftet. — Wie weiter berichtet »ird, ist der bald nach der !at festgenoiamen« Mörder der 24 Jahr« alt« Reisrnde Hugo Gritzen au» Berlin Dir grtötet« Kell nerin war erst seit tinigrn Tagen hier beschäftigt. ra»«»»trcdic»tt. »»«tsche» Reich. — Landtag»abgeordneter Langhammer (Ehemnitz) hat gegen Rechtsanwalt Dr. Zoephel (Leipzig), der in einer Abwehr in der Presse gegen L scharfe Worte gebrauchte, Klage wegen Beleidigung eingelritet. Dr. Zoephel will Widerklage erheben. Mag der R«inigung»prozeß vor sich gehen, Druckerschwärze ist für den ganzen Zwist schon viel zu viel verwendet worden. — Die Ortsgruppe Dresden de» Hansa-Bunde» hat ihr 4000. Mitglied ausgenommen. Die Ortsgruppe dürfte somit nicht nur die stärkste Organisation in Dresden, sondern auch einer der größten Zweigvrrrine de» Hansa-Bundr» sein. — Der Kaiser und di« reichsländtsch« Ber« fassungSsrage. Gelegentlich der Tafel beim BezirkSpräst- denten Grafen Zeppelin unterhielt sich der Kaiser nach der „Frankf. Ztg." eingehend mit dem Reich»tag»abg. Dr. Gre goire über die elsaß-lothringische Verfassungssrag«. D«r Mo narch will den Wünschen Elsaß-Lothringen» in jeder Weise Rechnung tragen. Er versichert, daß rr seinerseits der schnellen Lösung der Frage keine Schwierigkeiten in den Weg legen wolle. Bezüglich der parlamentarischen Vertretung de» Lan de» wünschte der Kaiser ein Zweikammersystem. Der Kaiser wiederholte seine Straßburger Aeußerung, daß er selbst Landes herr von Elsaß-Lothringrn bleiben werde. — Dir Sicherung Helgolands. Der Berwaltungs- bericht des Kreises Meldorf, zu dem die Insel Helgoland ge hört, besagt folgendes: Durch Anschüttungen hat sich da» Terrain der Insel auf 70'/, Hektar vergrößert. Infolge der Errichtung von Schutzmauern hat da» Abbröckeln von FelS- massen fast ganz ausgehört. Der letzte größere Felssturz fand im Mai (e» handelt sich um 1909) statt, wobei über 1100 Kubikmeter Gestein in die See fielen. — Der Vorstand des Deutschen Städtetage» be schloß einmütig, eine Eingabe an den Reichstag zu richten, worin der in d.n früheren Eingaben vertretene Standpunkt, daß die «er tzuwach-steuer als Reichssteuer zurzeit un- geeignet sei, aufs neue betont wird. — Die wiederholte Abstimmung des preußischen Herren hauses über die Wahlrechtsvorlage findet, wie man ver mutet, am 25. oder 27. Mai statt. — Zur Versicherung der Privatangestellten. Zur Vorbereitung des Entwurfs eine» Gesetzes, betreffend die Pensions- und Hintrrbliebenenversicherung der Privatangrstrll« ten werden sich die beiden Referenten vom Reichsamt de» Innern, die Geheimen Oberrrgierungsrätr Beckmann und Koch, in nächster Zeit nach Wien begeben, um dir österreichische Privatversichrrung zu studieren. Es handelt sich dabei haupt sächlich um die überaus schwierige Frage der Stellung der Er- satzkassen zu einer Reichsversicherungsanstalt. In Oesterreich sind die privaten Versicherungsunternehmungen neben der Reichsanstalt in Geltung geblieben, wodurch die Verhältnisse d«r Privatbeamtrnversicherung in erheblichem Grade beeinttäch« walpurgisfeuer. „Ein, Vrzählung nach dem Leben" von Paul Simon, Oberwiesa. 2 — — > (pachdruck «rtaten) Endlich schlug e» auf dem Kirchturm halb Zwölf. Langsam richtete sich Sörn vom Bettrand auf. Auf den Zehen gehend, schlich er sich in einen Winkel, in dem er unter der Diele ein Kästchen verborgen wußte. Langsam zog er das betreffende Brett in die Höhe, entnahm daS Kästchen seinem Versteck und stellte es auf einen kleinen Tisch, der nahe dem Bett stand. Der Mond schien nicht mehr durch das Fenster. Geräuschlos zündete Särn eine Kerze an und blendete den nach der Kammer seine» Sohne» fallenden Schein durch ein Stück Papier ab. Hieraus untersuchte er die Tür und fing dann an, das Kästchen behutsam zu öffnen. Es enthielt eln kleines Fläschchen und einen Schwamm. Beide- ließ er in seiner Rocktasche verschwinden. Dann verbarg er das Kästchen wieder an seinen alten Ort und schlich sich, nachdem er das Licht verlöscht hatte, zur Kammer hinaus. Er hatte Glück. Die Bodentreppe verriet nicht du'ch ihr Knarren seine böse Spur. Jetzt stand er vor der Tür, hinter der seine kranke Frau Im Schlummer ruhte. Zu ihr wollte er sich hinemschleichen, den Schwamm mit der Flüssigkeit des Fläschchens tränken und ihn dann der sorglos Atmenden unter die Nase halten Er klinkte leise die Tür und stand im Zimmer. Stockdunkel ivar e» in demselben und lotenslill Ec gelangte an das Bett. I tzt beugte er sich über lein Weib und ho chte aus dessen Atem. Nichts vermochte er zu vernehmen. Ec hielt die Hand flach über Mund und Nase der Schlummernden, ober nicht bas Geringste verspürte er. Plötzlich fühlte sich Sörn von hinten wie von einer unge wissen, undeimlich n Gewalt gepackt und zurückgerissen. Er drehte sich erschrocken um, aber niemand war da. Dann entzündete er da» Licht auf dem Leuchter, der am Kvpsende de» Bettes stand, hob «» empor und leuchtete in daS r ett. Der spärliche Schein der Kerze beleuchtete ein blasses, friedliches, lebloieS Gesicht. Da war schon einer früher dagewesen als der Mörder. Die Seele war hinüber in da» Schattenreich geglitten. Sörn war von dem Bett der Toten zurückgelreten und stand starr, gleich einer Bildsäule, im Zimmer. Er gewann j-doch bald seine Fassung wieder. Jetzt galt es schnell zu handeln. Polternd stürmte er die Treppe hinauf zu der Kammer seines SohneS, in dem er schrie: „Georg, Georg! Komm herunter! Sieh', wie ich die Mutter vorgesunden habe!" Eine bange Ahnung stieg in dem Jüngling aut. In fiebcr- hastrr Hast sprang er aus und gelangte, nur notdürftig angckieidet, mehr stürzend als gehend, an da» Bett der toten Mutter. Er brauchte keine Worte des Vater», er wußte, was geschehen war. Leidenschaftlich ousschreiend: „Meine Mutter, meine Mutier!' warf er sich, vom Schmerz überwältigt, auf die Tote und küßte ihre bleichen, gelben Wangen. Sörn stand im Dunkel deS Türrahmens. Ihn fröstelte. Sein Herz war zu rauh, um nachzmühlen den Schmerz seines Sohnes Den Alten riß eS hinaus — hinaus wollte er. „Ich laus nach dem Doktor — ich lauf!" riet er erregt und verließ daS Zimmer. Und er lief — aber nicht ins Dors, sondern dem Walde zu, den er vor nicht zu langer Zeit verlassen hatte. Dort am Wald rand riß er mit zitternden Händen ein Stück Rasen au» dem Boden und grub dann mit den Fingern ein Loch, in da» rr, scheu wie ein Dieb sich umblickend, da» Fläschchen und den Schwamm vrrsenktr. Dann deckte er die Stelle mit Erde wieder zu. Die» gelang ihm wohl, wenn er doch auch sein Gewissen mit Erde hätte zudeckrn können! — Wie mit Zaubergewalt trieb e» ihn wieder in sein Haus zurück, ohne daß er sein angebliche» Vorhaben auS- gesührt hatte. „Sie ist nun endlich einmal tot, daran läßt sich nichts weiter ändern!" dachte er bei sich. Wieder erschien er im Rahmen der Tür deS SterbezimmerS. An daS Bett der Verschiedenen heranzutreten fehlte ihm der Mut. Von ferne, im Dunkel de» ZtmmerS stehend, schielte er nach dem Ort deS TodeS, an dem noch immer sein Sohn auf den Knieen lag und dir Hand der toten Mutter umklammert hielt. In daS herzzerreißende Schluchzen deS jungen Mannes mischte sich der seltsame Rus einer Himmelsziege, die sich aus einem Zweige des durch dos Fenster blickenden AhornS schaukelte. Endlich hatte Sörn sich getraut, in die Mitte des ZimmerS zu treten. Georg wandte sich um. Seine feuchten Augen suchten die niedergeschlagenen seine- Vater». „Nun, lvie steht'S?" fragte er diesen. „Ach, laß es! Sie ist tot!" murmelte der Alte in seinen dunkelfarbigen Bart. — Der Klang der Trauerglocken hatte sich schon lange im reinen FlühiingSäther verloren. Schon seit geraumer Zeit saß Georg hinter seinen Büchern in der Schule und lernte, soviel nur der arine Kopf vertragen konnte. Nur manchmal gegen Abend, wenn die Lu!t heiler war und die scheidende Sonne mit ihrem Kup'er- rot den Hmmel übergoß, saß er traurig an einem Fenster seines Studierzimmers und blickte hinunter auf die breite Straße, di« an dem Gebäude vorübe»führte. Da gingen die Menschen so lustig aus und ab, lachten und schäkerten, daß nur der reine Anblick einer solchen Fröhlichkeit daS Herz halte erheitern können. Georg wurde eS jedoch unendlich weh, denn dann gedacht« er der heimlich.n Dämmerstunden, die er mit seiner Mutter in innigem Gedanken austausch verlebt batte. „Ja, diese Zeit ist nun dahin! Meine Mutter weilt nicht mehr im Lande der Lebendigen: aber du wirst, ja du mußt sie doch einmal Wiedersehen!" Dann galten seine Ge danken seinem Vater, der nun auch allein sei, und er malte sich auS, wie dieser nun sein Leben gestalte. Auf ihm wollte und sollte er nach dem Wunsche der Mutter seine ganze Liebe ruhen lassen und den Willen deS BaterS auch al» den seinen betrachten. So verrann ihm ein Tag nach dem andern in angestrengter Arbeit, in die sich jedoch nicht selten die Erinnerung an die ver schwundene Zeit einstahl und ihm die Vergangenheit in eine ver blaßte Gegenwart verwandelte. Eines TageS schreckte ihn ein Bries seines Vater» au» der Eintönigkeit sein.» Leben« auf. Immer wieder mußte er die Zeilen dnrchlesen, die ihm so Sonder bares verkündeten, daß rr eS kaum «assen konnte. Er flüchtete sich in ein entlegenes, einsame» Zimmerchen de» Hause». Dort la» er lich taut vor, was er beim stillen Lesen nicht begriff: „Lieber Georg! Ich weiß wohl, daß Dich diese Zeilen in Erstaunen setzen werden. Wenn Du versuchen wirst, Dich vollständig in meine Lage zu versetzen, so wirst Du Dir wohl eingrstehen müssen, daß die Verhältnisse, in denen ich mich in den letzten Jahren befand, nicht die günstigsten für mich wie auch für Dich gewesen sind. Meiner Ordnung willen, und zum Teil auch wegen meiner Menschlichkeit, habe ich mich entschlossen, in eine neue Ehe ein- zutrctdi. Sicherlich wird mein Wollen Dir nicht zuwider sein. Wenn Du in den Ferien nach Hause kommen wirst, werde ich Dir meine Brant, Deine neue Mutter, wenn auch Stiefmutter, vocstellen. Inzwischen möge Dir wie mic die Hoffnung die Brust schwellen, fröhlichen MuliS in einen neuen LebenSkrei» hmeinzusteuern. Die Hoffnung verbinde un», und die Liebe grüßt Dich herzlich von D«inem Vater." „Vater", klang e» von den kahlen, kalkgetünchten Wänden de» ZimmerS im dumpfen, verschwommenen Widerhall zurück. Der Jüngling, der auf einem Schemel gesessen hatte, fuhr jäh in die Höhe, erschreckt über den eigenen Klang seiner Stimme. Konnte wirklich seine Stimme so frostig, so kalt, so mürrisch unterdrückt, fast gehässig klingen? Oder war e» vielleicht nur der Widerhall gewesen, der auS eignem Triebe, dem Worte „Vater" einen so merkwürdigen Klang gegeben hatte? Georg wurde schwul. Er öffnete da» Fenster und ließ den sanften FrühlingSodem hereinströmen. In vollen Zügen sog er ihn ein, daß seine Brust sich mächtig hob. Dann sank er wieder schwer auf feinen Schemel, legte die Arme auf den Festrrstock und dann den Kopf darauf, schloß die Augen und fing an zu sinnen, Ob wohl die Mutter auch so etwa» geahnt hätte? Ob sie da» wohl sür möglich gehalten und dem Vater da» zugetraut hätte? Ja mit dem „ob" war e» jetzt Ueberflüssigkeit zu rechnen. Vor ihm lag die glatte Tatsache: Der Vater will heiraten! Na, dann gut. Er hat einen starren Willen und einen unbeugsamen Nacken. Seine Gründe, di« ihn dazu bewegten, ließen sich hören, wenn sie auch nicht triftig waren- Wenn rr mit einem Weibe von unge fähr gleichem Alter sich vermählen wollte, so hielt er die» nicht verwerflich, wenn auch nicht gerade für schön; denn es konnten vielleicht doch noch so gewisse Fälle eintreten, die ihm da» Da heim etwa» verleiden konnten, die auch einige Veränderungen in Elbschastsbrziehungen zu bringe» vermochten. — Der Gedanke an da» letztere hatte nicht die Kraft, ihn sehr aufzurrgen, weil rr sich mit dem Gedanken abiand, daß seine Studienzrit mit großen Schritten ihrem Ende »ueilte und er dann hinaus mS Leden treten konnte, um sich selbst fein Brot zu verdienen ... So simulierte er inimer weiter und weiter, bi» sich Tag und Nacht in der Dämmerung die Hände reichten und er, in seiner Stellung ver harrend, am Fensterstock einschlief. DaS Heer der Sterne funkelte schon am Himmel in voller Bracht, als Georg au» seinem Schlummer gerüttelt wurde- Der Störer war sein Freund Ewald, der ihn gesucht hatte und nun hinter ihm stand. Leise war er in» Zimmer getreten. Den Brief, der Georg entfallen war, hatte er aufgehoben und durchgrlesen. Lange hatte er schweigend, gedankenvoll, bewegungslos hinter dem jungen Mann gestanden, ehr er di« Hände auf dessen Schultern gelegt und ihn geweckt hatte. Georg fuhr erschreckt in di« Höhe und blickte den Freund mit den stieren Augen eine» Erwachenden an. Doch bald gewann sein Blick den normalen Ausdruck wieder, und al» er sich etwa» gefaßt hatte, überreichte ihm der Freund mit einem stummen, aber dennoch unendlich vielsagenden Blick den bestaubten Brief. Beider Blicke versanken tief ineinander. Schwei gend legte Ewald seinen Arm um den Nacken de» Freunde» und sie Tür schlyß sich geräuschso» hinter zwei Menschen, die sich wirklich verstanden. , Nicht wie «inst bewegte Freude und Unternehmungslust daS Herz Georg-, als vie Zeit gekommen war, daß di« Anstalt für einige Zeit in Frieden ruhen sollt«. Eine gewisse Bangigkeit er füllte den Jüngling, al« er seinen Reisetorv packte, um da» sür ihn jetzt dc« größten Schatze», der Mutter, entbehrende Vaterhaus aufzusuchen. Bald sollte -war wieder in demselben eine neue Mutter schaltem aber da» „Wer?" war ihm da» Unbekannte und Bedrückende. Seine Reise zur Heimat war nur kurz, aber sie wurde ihm unerträglich lang: denn wie ein« Flut stürmend und unaufhaltsam bedrängten ihn Gedanken darüber, wa» er im Vater- Hau» nun sehen und erleben werde. So schnell, wie draußen vor dem Eoupeesenster Landschaften austauchten und verschwanden, um wieder neue Bilder dem hinau»blickenden Auge zu bieten, stiegen in ihm Vermutungen auf, di« nach «in«m Augenblick wie der wichen. (Formung folgt.)
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