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Frankenberger Tageblatt, Bezirks-Anzeiger : 09.11.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-11-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1786999250-190911090
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1786999250-19091109
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1786999250-19091109
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Frankenberger Tageblatt, Bezirks-Anzeiger
-
Jahr
1909
-
Monat
1909-11
- Tag 1909-11-09
-
Monat
1909-11
-
Jahr
1909
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Beilage zm Frankenberger Tageblatt unb Bezirksanzeiger. BrrantworUicher Redakteur: Ernst Roßter- in Franken derg t. Sa. — Druck und 8 er lag von L. >. Roßberg in Frankenberg i. v«. LSI Dienstag, »» 8. November iWK Hul Zcbille« 5purrn im Zacdrenlsnüe. (Nachdruck nicht gestattet.) Ein besondrer Gedenktag auf dem Gebiete der deutschen Literatur geschichte ist herangekommen: der 10. November, an dem vor 150 Jahren unser Schiller zu Marbach das Licht der Welt er blickte. Ein Gedenktag wird es werde» für alle Gebildeten, für da» ganze deutsche Volk. Nicht die üblichen biographischen Notizen allgemeiner Art will ich den Lesern hier auftischen — diese werden Vielen schon so genugsam bekannt sein und in diesen Tagen vielfach ausgefrischt werden. Vielmehr wollen wir uns heute mit dem Aufenthalt und Wirken Schillers speziell in unserem Heimatlande Sachsen beschäftigen. Im Jahre 1784 anfangs Juni erhielt Schiller, der zu dieser Zeit in Mannheim lebte, durch die Vermittlung des Buchhändlers Götz*) eine Sendung zugestellt, die von einigen Leipziger Damen und Herren dn ihn gerichtet war. Grob war nun daS Erstaunen, als Schiller dieser Sendung von anonymer Hand Geschenke ent nehmen konnte, die ihm bewiesen, daß die Geber Verehrerinnen und Verehrer seiner Muse im Sachsenlande seien. Es waren bei- gesügt eine gestickte Brieftasche, das mit Silberstift gezeichnete Bild Ler vier Geber, sowie eine Komposition des LiedeS der Amalie (Räuber III. Akt 1. Szene „Schön wie Engel usw."). Und die Absender? Erst später erfuhr Schiller durch Götz ihre Namen. ES waren vier Leipziger: Christian Friedrich Körner (der Vater des Dichters Theodor Körner», seine Braut Minna Stock, deren Schwester Dora und ihr späterer Bräutigam Huber. Große Freude hatten diese späteren intimen Freunde unseres Dichters diesem be reitet, worüber er auch in Briefen an ihm Nahestehende sich aus drückt. Aber erst am 7. Dezember kommt Schiller dazu, den Leipzigern in einem Briefe seinen Dank auszusprechen. Am 7. Januar 1785 bereits erhält Schiller wieder Nachricht von Dora Stock und Huber; Körner hingegen, abgehalten durch seines Vaters Tod, antwortet erst am 11. Januar. Nach und nach war Schiller der Mannheimer Aufenthalt durch allerlei Miseren gründlich verleidet worden, so daß ihm eine Uebersiedlung nach Leipzig ein gern gehegter Gedanke, den er auch mit seiner Abreise von Mannheim am 9 April 1785 verwirklicht in froher Erwartung des Zusammentreffens mit dem nur 3 Jahre älteren Körner. Am Sonntag, den 13. April, traf unser Dichter in Leipzig ein. wo er seine erste Wohnung im kleinen Johannistal an der Hain straße nahm. In Leipzig traf er auch mit einem Teile der Bondinischen Truppe die Schauspielerin Albrecht und deren Gatten. In der nächsten Zeit, wo nun Schiller suchte sich in seinem neuen Lebenskreise wohlzusühlen, verkehrte er viel in Richters Kaffeehaus (Ecke Katharinenstraße und Brühl), wo ihm aber, wie auch sonst bet seinem Aufenthalte in Leipzig, diö unzähligen Schmarotzer, die sich an dr«. Strahlen seines schon damals begründeten Ruhmes mit sonnen wollten, lästig sind. — In diese Zeit fällt eine Neu bearbeitung des Ficsko, die er dem Schauspieler Reinecke zu Ge fallen vornahm, die aber von diesem dann nicht verwendet wurde. In enge Freundschaft trat dann Schiller mit dem Steinguthändler Kunze, in dessen Hause er viel verkehrte. Nicht allzulange blieb Schiller in Leipzig selbst, vielmehr siedelte er anfangs Mai nach GohltS über, wo er aus einige Monate Wohnung zu nehmen gedachte. Mit denFreunden nahm er hier in dem Garten der an der Pleiße gelegenen Wafferichenke das Mittags mahl ein, den Nachmittag verwendete er zu Spaziergängen, die weiteren Stunden dann zur Arbeit, während einige Abende der Geselligkeit gewidmet wurden. Fast nie sah man Schiller auf diesen Spaziergängen ohne ein Buch, daS er unterwegs studierte, und einer der von ihm bevorzugten und sehr viel benutzten Wege heißt seit jener Zeit der „Poetenweg". *) GeschSftSteilnkhmer des Mannheimer Verlagsbuchhändlers Schwan. Letzterer gab Schiller sofort daS Honorar für den FieSko, den er für 1 Louisdor pro Druckbogen in Verlag nahm, und befreite ihn dadurch aus momentaner finanzieller Sorge. Uuf äem keimerkok. Novelle von Fritz Gantz er. 7 gorUcrurii. —— rswworna Die Reimerhofbäuerin war tief gerührt. „Laß nun das, was vergangen," tröstete sie. „Einmal gibt's auch wieder Sonne. Nur nicht verzweifeln l Und fort darfst du noch nicht. Erst muß dein Fuß heil sein. Und dem Lindenhofbauern kannst du's ja schreiben, daß du später kommst. Gelt?" Es bedurfte keines weiteren Zuredens, um sie zum Bleiben zu bewegen. Sie fühlte sich unendlich froh, daß sie nicht fort brauchte, und dankte mit bewegten Worten. Sehr froh war auch Hansjakob, als er von Katharinas Entschluß erfuhr. Er kramte in seinem birkenen Sekretär ofort nach Schreibpapier, fand auch in einem der Wirt- chaftsbücher noch glücklich Briefbogen und Umschlag, aller- rings etwas stark vergilbt, war aber beim Suchen der übrigen, zum Schreiben nötigen Utensilien weniger von Erfolg begünstigt. Die Tinte erwies sich als vollständig eingetrocknet, und die einzige noch vorhandene Feder hatte mit einem fuchsigen Rost intime Freundschaft ge schlossen. Da mußte erst Vierleben, der Dorfkrämer, der halb taub und lahm in seinem winkligen Laden hauste, 'aber es trotz seiner körperlichen Gebrechen ausgezeichnet verstand, schlechte Ware mit sündhaft hohen Preisen in Verbindung zu bringen, in Nahrung gesetzt werden. Endlich war alles beisammen, und Hansjakob trug Papier, Feder und Tinte selbst zu Katharina hinein. Sie möchte nun schreiben, sagte er, während des Sprechens immer an ihrem Gesichte vorbeisehend, als hätte er ein böses Gewissen, und er freue sich, daß sie bleiben wolle. Sehr. Es sei auch am besten so. Den ganzen Nachmittag über, während er im Heu seiner Arbeit nachging, war er versonnen, dachte fast nur an das Mädchen daheim, sah häufiger nach dem Stande der Sonne, als nach seinem Rechen und wünschte, daß es erst Feierabend sein möchte. Und seine Leute stießen sich öfter mit dem Ellenbogen an, tuschelten einander zu und lächelten bedeutungsvoll. „Er ist gestern bei der Kathrin vom Lindenhof fragen ge- wesen," meinte der Großknecht. Eins der Mädchen nickte und flüsterte zurück: „Aber es scheint, als habe sie ihn ab- lausen lassen." — „Was nur gut wäre," setzte ihre Nach barin, die etwas plapvermäulige und naseweise Dörte hinzu, „denn wenn sie seine Bäuerin werden sollte, möchte sie uns den Brotkorb höher hängen. Aber es scheint ihm nahe zugehen." Endlich, als schon der Tau auf die geschorenen Wiesen fiel und die Sonne hinter dem fernen Kiefernwaldstreifen wie ein riesiger, glühender Ball verschwand, rüstete man zur Heimkehr. Hansjakob ließ, weitaus schreitend, bald alle hinter sich zurück. Gegen Ausgang Mai kam auch der bekannte Verlaasbuchhändler Göschen in Gohlis an und bald knüpften sich zwischen Schiller und seinem neuen Hausgenossen die Bande der Freundschaft. Fröhlich mit den Fröhlichen war Schiller in Leipzig im Kreise der Bekannten, man kegelte; Musik verschönte die Abendstunden im Hause des Ortsrichters oder bei den Albrechts und die hohe Freude, die den Dichter beseelte, fand beredten Ausdruck in seinem „Lied an die Freude", dessen Entstehen jenen glücklichen Stunden zu verdanken sein dürfte*). Allerdings betrübte Schiller auch eines, daß er noch nicht Ge legenheit gehabt batte, seinen Freund Körner persönlich kennen zu lernen, nachdem sich beide schon länger brieflich nähergetreten und Freunde geworden waren. Ein erstes Mal scheinen sich beide flüchtig gesehen zu haben, als KörnerS Mutter am 25. Mat 1785 zu St. Johannis beerdigt wurde: festliegend ist dies jedoch nicht, hingegen fand bestimmt am 1. Juli ein erstes längeres Zusammen sein beider in Kahnsdorf bei Borna statt, dem Besitze der mit Körner verwandten Familie Ernesti. Es fiel dieses Zusammentreffen gerade in eine Zeit, die manche pekuniäre Sorgen für Schiller in sich barg; da war es Körner, der in zarter Weise dem Freunde die größten dieser Steine wenigstens auf bestimmte Zeit in un eigennütziger Art aus dem Wege räumte. — Bald darauf, am 7. August 1785, vermählte sich dann Körner mit seiner Minna und wenige Tage darauf verließ das junge Paar Leipzig, um sich seinem künftigen Wohnort Dresden »uzuwende». Schiller und Huber gaben ihnen das Geleit für ein Stück des Weges. — Auf dem Rückwege (bei Hubertusburg) stürzte Schiller, wobei er sich die rechte Hand quetschte, ein Unfall, der, wenn auch von ihm leichtgenommen, doch sürS Leben Folgen hinterließ. Nicht lange fühlte sich der Dichter mehr wohl in Leipzig. Schon am 6. September schrieb er an die Dresdner Freunde, daß er keine Ruhe mehr habe und „ich muß zu Euch!" Bereits am 10. September erhält er von Körner die Einladung, ihm nach Dresden zu folgen, und so eilig hatte er es, von Leipzig wegzu kommen, daß er bereits am 11. September früh 5 Uhr mit Extra post in Begleitung Dr. Albrechts nach Dresden fährt, wo die Ankunft in der Nacht vom 11. zum 12. September erfolgte. Mit lebhafter Freude begrüßt Schiller schon am nächsten Morgen schriftlich die Freunde vom Goldenen Engel No. 4, eine Treppe: „Guten Morgen in Dresden, lieber Körner!" und als Schluß dieses Briefchens „Wie schlägt mir das Herz, Euch so nahe zu sein, Euch so bald wieder zu sehen!" Mehrfach nun fliegt Schiller aus, um Dresdens Umgebung kennen zu lernen, wobei einen Lieblingspunkt der Loschwitzer Weinberg bildete. Im Blasewitzer Schenkgute lernte Schiller die lustige Wirtstochter Justine Segedin kennen, die wir dann in der „Gustel von Blasewitz" in Wallensteins Lager wiederfinden, wo er sie — man kann sagen — verewigte. Für seine schriftstellerische Tätigkeit fand Schiller im Zu sammenleben mit den Freunden und durch die damit verbundenen Zerstreuungen wenig Sammlung. Diesen Störungen ipancher Art verdankt auch ein Gedichtchen seine Entstehung, das in weiten Kreisen noch wenig bekannt sein dürfte. Es ist überschrieben: „Unterthänigste Promemoria an die Körnersche weibliche Wasch deputation" und beginnt mit den Worten: „Dumm ist mein Kopf und schwer wie Blei!" Sein humoristischer Inhalt aber richtet sich gegen die Waschfrauen, die, im Nebenraum arbeitend, Schiller die schönsten Gedanken für seinen Don Carlos im Entstehen Vertrieben. Ende Oktober kommt nun auch Huber nach Dresden und mit diesem zusammen zieht Schiller in das damalige Fleischmannsche Haus auf dem Kohlenmarkte, nicht weit von der Wohnung Körners. Innige Freude und Freundschaft herrschten auch hier, nachdem nun die fünf wieder zu einem Kreise vereinigt waren, und beim Zusammensein der Freunde bildete das „Lied an die Freude" sozusagen das Bundeslied. *) Die Meinungen über die Zeit des Entstehens deS Gedichtes sind verschieden. Brümmer u. A. verlegen dasselbe in die Gohliser Zeit, wäh rend Berger sowohl wie Harnack die Entstehung auf die Dresdner Zeit zurückführen. Siehe auch in vorliegenden Zeilen weiter hinten. Aber auch manche Arbeiten wurden vorgenommen, so wurde am Don Carlos weiterararbeitet, der jedoch infolge vieler sich notwendig machender Geschtchtsstudien ziemlich langsame Fort schritte machte. Zu dieser Zeit entstand auch der Wechseigesang zwischen Leontes (Körner) und Delia (Minna), zu dem Körner eine Komposition schuf. Auch neue Bekannte traten hier in Schillers LebenSkreis, so der Maler Graff, Kapellmeister Naumann, Professor Becker und Hauptmann von Ärchenholz, zu welch letzterem Schiller besonders freundschaftliche Beziehungen unterhielt. Leben und Geselligkeit, hauptsächlich aber im Rahmen deS engsten Freundeskreises, war nach Schillers Herzen — aber auch nur kurze Zeit getrennt von den Freunden leben zu muffen, war ihm völlig unerträglich, wie auch die Zeit, als Körners erst mit Huber, dann später um- Weih nachten alleine in Leipzig wellten, recht nachteilig auf Schillers Gemütsstimmung und Arbeitslust einwirkte. In Göschens Verlag erschien zu jener Zeit die „Thalia". Leider war es trotz eifrigen Bestrebens Schiller nicht gelungen, sich einen größeren Mitarbeiterstamm zu sichern, sodaß er nun darauf angewiesen war, außer rein poetischen auch noch viele andere kleine Arbeiten beizusteuern, um den Wünschen seiner Leser und besonder» des Verlegers nach Stoff gerecht zu werden- — In der Zeit seines Dresdener Aufenthalte- finden wir auch die Äniänge seiner geschichtsschreiberischen Tätigkeit, es entstanden die Anfänge deS „Geistesfeher", wie auch der „Verbrecher aus ver lorener Ebre". An dem Geisterseher, der sich zum Teil auf Tat sachen aufbaut (Prinz Joh. Friedrich von Braunschweig 1651), arbeitete der Dichter sehr lange und mit wenig Lust und Schaffens freude. Der Anfang deS Romanes erschien im 4. Heft der Thalia 1787, im April 17W die Fortsetzung und erst 1789 der Schluß des ersten Bandes. Ursprünglich sollte dem ersten Band noch ein zweiter folgen, aber zu einem zweiten Bande fühlte Schiller, dem im Lause der Zeit durch seine Fortentwickelung der Stoff ferner gerückt war, kerne Neigung — so blieb der Geisterseher Fragment, ebenso, wie es das Schicksal deS „Menschenfeind", eines drama tischen Versuches, war. Don Carlos und die damit in Verbindung stehenden Geschichtsstudien bildeten und blieben die Haupttätigkrit des Dichters während seines Aufenthaltes im Etbflorenz und wenn hier und da Stockungen auch in der Entstehung des Don Carlos eingetreten sind, so ist die Schuld nicht nur den pekuniären Sorgen zuzuschreiben, die Schiller auch in dieser Zeit durchzukämpfen hatte, sondern auch den Gründen, die anschließend näher betrachtet werden sollen. Die mannigfaltigen Ablenkungen, die durch das Zusammen leben mit den Freunden entstanden, trugen viel zu dem langsamen Vorwärtsschreiten von Schillers Arbeiten bei und da die Er kenntnis dieser Tatsache in dem Dichter Gefühle geistiger Depression auslöste, tauchte in ihm der Gedanke aus, sich — so schwer ihm dies auch werden würde — von den Freunden zu trennen, zudem er auch keine Aussicht vor sich sah, in Dresden eine Anstellung oder eine sonstige Erwerbsquelle zu finden. In dieser trüben Stim mung tras ihn eine Einladung Schröders, der seine Wiener Stellung mit der eines Leiters des Hamburger Theaters vertauscht hatte, nach Hamburg zu kommen, um für seine Bühne tätig zu sein. Die Einladung basierte vom 18. Oktober. Aber erst nach schweren Kämpfen und reiflicher Ueberlegung lehnte Schiller am 18. De zember das Angebot ab in dem Glauben, eine Trennung von den Freunden nicht aushalten zu können. Ein anderer Vorsatz tauchte dann in ihm auf, der, fick nach Kalbsrieth zu Frau Charlotte von Kalb, zu der die freundschaftlichen Beziehungen noch immer be standen, zu wenden. Dieser Plan aber wurde umgestoßen, nachdem Schiller auf einem Maskenball Anfang 1787 in einer auffallend schönen Maske die nicht minder hübsche Henriette von Arnim kennen und lieben gelernt hatte. In sie war der Dichter gar bald ver liebt und ihn in ihre Netze zu ziehen, war der Wunsch Henriettens gewesen, die sich dabei aber nicht scheute, nebenbei noch zwei Lieb haber mit ihrer Gunst zu beglücken. Mit banger Sorge sahen die Freunde das Spielen mit Schillers Leidenschaften und ver geblich versuchten sie diesem die Augen zu öffnen. Da gelang es Katharina sah er dennoch nicht mehr. Seine Mutter sagte ihm, daß sie bereits zur Ruhe gegangen sei. Und der Brief märe nach dem Lindenhof unterwegs. Da gab er sich seufzend zufrieden. Aber sein träumerisches Starren nach den Sternen Hub von neuem an, als er später allein auf der Bank im Vorgarten saß. * * -I« Der Nachmittag des nächsten Tages spielte der fast zur Einfahrt fertigen Nachmahd übel mit. Er setzte ein gries grämiges Gesicht auf, hüllte sich in tiefhängende Wolken gewänder und ließ es aus ihnen so nachhaltig rieseln und rinnen, als sei man schon weit in einen naßkalten Oktober hinein und nicht erst Ende August, noch dazu kurz vor dem Bergen des zweiten Schnittes. Das war eine niederträchtige Geschichte! Eine ganz vermaledeite Geschichte! So vermaledeit, daß es beinahe schien, als habe das Wetter aus lauter Bosheit diesen plötzlichen, gänzlich unerwarteten Umschlag zuwege gebracht. In diesem Sinne schimpfte der Großknecht, und das übrige Gesinde stand ihm nicht nach. Auch die Reimer hofbäuerin zeigte trotz aller zum Ausdruck gebrachten Ab sichten auf das Altenteil und trotz aller versicherten Interesse losigkeit an den Vorgängen in der Wirtschaft ein Gesicht, das an Griesgrämigkeit dem des Himmels nichts voraufließ, und ging übelgelaunt und murrend durchs Haus. Nur einer freute sich. Der, der am allerwenigsten Grund dazu hatte: Hansjakob, der Herr des da draußen auf den Wiesen einweichenden Segens. Ihm war das Wetter gerade recht. Denn es erlaubte ihm, daheim zubleiben und Katharina Gesellschaft zu leisten. Sie saßen beide in dem geräumigen Wohnzimmer und plauderten. Katharinas kranker Fuß war heute schon ge brauchsfähiger. Es war ihr bereits möglich, mit Hilfe eines Stockes einige Schritte zu gehen. Uebermorgen hoffte sie so weit hergestellt zu sein, um sich nach dem Lindenhof be geben zu können. In stiller Wehmut dachte sie des nahen Abschieds. Das Haus und seine Bewohner waren ihr lieb geworden. Sie wußte, daß ihr Erinnern immer mit einer leiien Sehnsucht zu ihnen zurückwandern würde. Vor allem zu dem, der ihr jetzt gegenübersaß und der mit der Schlichtheit und Treuherzigkeit seines Wesens ihre volle Sympathie besaß. Etwas, das noch unerkannt auf dem Grunde ihrer Seele schlummerte, von ihr kaum geahnt, keinesfalls empfunden. Und Hansjakob kannte sich selbst nicht mehr aus. Wann hätte er je Interesse dafür gehabt, stundenlang mit einem jungen Mädchen zusammen zu sein, um ihm in bunter Folge allerlei zu erzählen : von seinen Feldern und Ernten, von seiner Arbeit und seinen Hoffnungen und Plänen. Von vielem anderen noch. Und bei allem Erzählen immer einen schlichten und doch so gemütvollen Ton hervorkehrend, der, trotz so vieler Belanglosigkeiten und nichtiger Kleinig keiten, die er bei seinem Sprechen berührte, das Interesse an seinem Erzählen nicht erlahmen ließ, sondern machte, daß man ihm gern zuhörte. Wann hatte er je so zu einem jungen Mädchen ge redet? Niemals. Stets war er der scheue, schüchterne, zu rückhaltende Mann gewesen, der lieber zehn Meilen lief, als zehn Worte mit einem weiblichen Wesen sprach, aus genommen seine Mutter. Sie verstand ihren großen Jungen auch nicht. Und was sie schon wiederholt als Erklärung zu denken gewagt, war ihr, fo oft sie bis zu diesem Denken gekommen, als bare Lächerlichkeit erschienen. Nein, das nicht! Eben brach Hansjakob sein Erzählen ab und erhob sich. Es war ihm gewesen, als wenn ein Wagen dem Reimer hof näher komme. Wirklich, er hatte sich nicht getäuscht. Schon war das Gefährt dicht am Hause. Nun hielt es. Die beiden feisten Braunen dampften, und ihre Flanken flogen. Der auf dem Bock zusammengekauert hockende, eine kurze Holzpfeife rauchende und wohl völlig durchnäßte Knecht mußte scharf gefahren sein. Die auf dem Hintersitz des leichten Korbwagens be findliche Person entzog Hansjakobs Blicken noch ein riesiger, großkarierter Regenschirm, dessen Form darauf schließen ließ, daß er schon zu Großvaters Zeit in Benutzung ge wesen. Als er dann sehr energisch zusammengeklappt wurde, glaubte Hansjakob seinen Augen nicht trauen zu dürfen. War denn das wirklich die Kathrin Holler, die da mitten im tollsten Regen kam? Natürlich! Aber weshalb kam sie denn? Was wollte die nur? Das war ja eine ganz merkwürdige Geschichte! So merkwürdig, daß Hans jakob vor lauter Staunen der Mund schon eine ganze Weile weit offen stand und kein Wort über seine Lippen kam. Endlich vermochte er, halb über die Schulter hin, zu sagen: „Ihre Verwandte vom Lindenhof ist gekonimen, Katharina. Des Lindenhofbauern Aelteste. Jetzt steigt sie vom Wagen. Nun geht sie ins Haus. Aus der Geschichte mag ein anderer klug werden." Im Flur erklang schon Sprechen. Dann wurde die Tür geöffnet. Die Reimerhofbäuerin geleitete den uner warteten Besuch ins Zimmer. Katharina Holler ging bis zur Mitte des Gemaches, sah sich herausfordernd um und setzte die Spitze des großen Schirms hart auf den Fußboden. Er entließ die Fülle der aufgefangenen Regentropfen in kleinen Rinnsalen, die sich gleich Schlangen über die Dielen wanden, nachdem sie dem seeartigen Gebilde rings um die Schirmspitze her glücklich entronnen waren. Und nun sprach Katharina. Hart und kurz. Ohne vor her ein Wort des Grußes zu sagen. „Ich komme, um dich zu holen, du dal" Dabei sah sie ihre junge Verwandte so gehässig und verächtlich an, daß diese erschrocken zusammenzuckte und wie hilfesuchend zu Hansjakob hinübersah.
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