Volltext Seite (XML)
Beilage W Frankenberger Tageblatt unb Vezirksanzeiger. Verant«ortlich«r Vedaktrur: Ernst Rv^derü in Frankenberg t. 8a. — Druck und Verlag von L. >. Voßberg in Frankenberg t. Sa. L«v Lonnlag. »t» 7. «ovember Bamf csgergezcbicbte Deutsche» Reich. — Unter dem Vorsitze des Königs und in Gegenwart des Prinzen Johann Georg fand am Freitag in Dresden eine Sitzung des sächsischen Gesamtministeriums statt. Es handelte sich in dieser Sitzung um die Feststel lung der Thronrede, mit welcher der König den Land- wirklich besser ist, werden Sie schnell heransfinden. Probieren Sie nur den vorzüglichen Malzkaffee hintertreiben, namentlich indem man die Regierung unter Hinweis auf das Resultat in Sachsen graulich zu machen sucht. Die Regierung wird sich nicht durch Drohungen zurück schrecken lassen dürfen, wie sie jetzt in Graudenz aus dem Munde deS als heißblütigen Führer bekannten Herrn von Oldenburg-Januschau gefallen sind, der Herrn von Bethmann- Hollweg warnte, daß er die Konservativen zu rücksichtslosen Gegnern haben würde, falls er die Hand dazu bieten würde, an dem Grundrahmen des Staates, an der „bewährten" Verfassung zu rütteln. Nun soll gewiß die Verfassung hoch gehalten werden, gleichwohl aber ist diese doch kein Blümlein rühr mich nicht an, sie ist ja auch nur ein Gesetz, das unter gewissen Umständen einer Abänderung unterliegen kann; will man doch beispielsweise ganz gern die Reichsverfassung ändern, um die Einführung von Wasserstraßenabgaben zu ermöglichen und zu dieser Verfassungsänderung wollen ja auch die Ge sinnungsgenossen des Herrn von Oldenburg sehr gern ihre Hand bieten. Gewiß mag der Ausgang der Wahl in Sachsen auf Grund des neuen Systems einen große» Teil des Bürgertums nicht befriedigen, weil die Sozialdemokraten dadurch reichlich ein Viertel der Mandate erhalten haben; aber schuld an diesem Ausfall dürfte ja auch das Bürgertum selbst sein, wenigstens diejenigen, die ihrer Verstimmung über die innere Reichspolitik durch einen sozialdemokratischen Stimmzettel Ausdruck gegeben haben. Jedenfalls wird niemand behaupten können, daß das preußische Wahlsystem ein gerechtes wäre und Herr von Bethmann-Hollweg wird zu zeigen haben, daß er sich nicht einschüchtern läßt, sondern das tut, was er für zweckmäßig hält, denn zur Zeit der Ankündigung der Wahl rechtsreform war er ja stellvertretender preußischer Minister präsident, hatte also wohl zugestimmt und überdies liegt nicht nur ein Versprechen Bülows vor, sondern eine Zusage der Krone, die in der Thronrede niedergelegt ist. Katharina überlegte, daß sie unmöglich so lange Gast freundschaft und Pflege bei den ihr völlig fremden Menschen annehmen könne. Es würde am besten sein, wenn man sie darum bat, daß man sie nach Welzow hinüberfahren lasse, wo man ja ohnehin auf ihr Eintreffen wartete. Als die Reimerhofbäuerin mit dem Frühstück wieder in das Zimmer trat, trug Katharina ihren Entschluß so fort vor. Mutter Reimer war nicht wenig überrascht, als sie er fuhr, daß Katharina auf dem Lindenhofe in einen Dienst zu gehen beabsichtige. Dazu kam, daß die Erwähnung der Familie Holler ihre Empörung über das unverantwortliche Benehmen des Sohnes neu aufflammen ließ. Sie schnitt Katharina daher das Wort ab und sagte barsch, die Stirn in finstere Falten legend: „Da willst du in einen Dienst? Na, das dumme Zeug laß nur! Meinst du denn, dich könnten sie dort ge brauchen? Aber wenn du's schon einmal versprochen hast zu kommen, so mußt du's auch halten. Bestand wird's kaum haben, das merke dir nur. Denn auf Bauerhöfen gibt's harte Arbeit. Na, mach', was du willst! Und da du noch heute rüber willst, kann ich dich nicht halten. Der Jürgen mag nachher gleich anspannen, wenn er vom Felde kommt.... Vorläufig iß. Und ich hab' zu tun." » Sie wandte, sich mit einer harten Bewegung ab und verließ das Zimmer. Katharina sah ihr mit großen, starr blickenden Augen nach. Weshalb redete die Frau plötzlich so unfreundlich zu ihr? Hatte sie irgend etwas getan oder gesagt, das verletzend gewirkt? Sie fand nichts. Ein neues, starkes Gefühl des Verlassenseins bemächtigte sich ihrer, und etwas Heißes, Würgendes stieg ihr im Halse hoch, das das Genießen eines Bissens verhinderte und ihr schließlich das Wasser in die Augen trieb. Sie bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und schluchzte still vor sich hin. Ein heißes Sehnen nach einem einzigen Laut freundlichen Zuspruchs, nach dem sanften, liebkosenden Hinweggleiten einer Hand über ihr Haar, wie es ihre Mutter einst immer getan, stieg in ihr auf. Ach, es war so schwer, packte oft so bitter an, allein zustehen! Und doch galt es, sich damit als einer unab änderlichen Tatsache abzufinden. Sie drängte die Tränen energisch zurück und kleidete sich mit einiger Mühe an. Geduldig, mit traurigen Augen, hockte sie dann auf dem Bettrand und wartete, bis man kommen würde, um ihr zu sagen, daß der Wagen für sie bereitstände. In der Stille der langsam verrinnenden Minuten ging sie ihrer Traurigkeit und einem wehen Gefühl nach. Es war ihr immer, als wenn beides nicht nur dem Be wußtsein ihrer Verlassenheit gelte. Daneben stand noch etwas Dunkles, Unerkanntes. Und dann wußte sie es plötzlich: der Gedanke daran, daß sie wahrscheinlich fort mußte, ohne Hansjakob noch einmal gesehen zu haben, um ihm ein Wort des Dankes und des Abschieds sagen zu können. Ja, das bedrückte sie, das schuf diese doppelt tiefe l Traurigkeit. Eine Stunde mochte sie nun schon warten, und immer noch kam niemand. Auf dem Hofe war alles still und wie ausgestorben. Auch im Hause rührte sich nichts. Man schien sie ganz vergessen zu haben. Der Reimerhofbäuerin frisch angestachelter Zorn hatte längst an Heftigkeit abgenommen, und an ihre Absicht, den Knecht mit dem Anspannen zu beauftragen, dachte sie schon gar nicht mehr, obwohl Jürgen längst daheim war. Erst als Hansjakob kurz vor Mittag aus dem Heu nach Hause kam und sich bei seiner Mutter sofort nach dem Er^ gehen Katharinas erkundigte, wurde sie wieder daran er innert. Mürrisch, ohne den Frager anzusehen, gab sie Aus kunft und teilte ihm die Absicht des jungen Mädchens mit. „Sie will fort?" fragte er verwundert, während etwas wie ein heißes Erschrecken in seine Augen kam. „Weshalb, Mutter?" „Weil sie muß!" klang es kurz zurück. „Auf dem Lindenhof erwartet man sie." Das kam mit scharfer Be tonung heraus. „Was will sie als Kranke dort? Sie soll den Hollers schreiben. Und dann bleibt sie eben hier, bis ihr Fuß geheilt ist. Ich will ihr das sagen." Er wandte sich ab und hatte vor, vom Flur aus, wo er mit seiner Mutter das kurze Zwiegespräch gehabt, in das Wohnzimmer zu treten, da er Katharina in ihm vermutete. „Laß das!" Die Bäuerin vertrat ihm den Weg. „Rede nur, wenn es an der Zeit ist. Jetzt kann ich's selbst. Am besten wär's schon, wenn wir sie ruhig fahren ließen. Sie geht uns ja gar nichts an." Ohne eine Entgegnung abzuwarten, begab sie sich zu Katharina, die bei ihrem Eintritt aufatmend herumfuhr. Nun war wohl das qualvolle Warten vorüber! „Ist das möglich!" rief Mutter Reimer überrascht. „Da steht ja noch alles, wie ich es gebracht habe! Hast du denn keinen Hunger? Und auf dem Bett hockst du ange zogen? Ja, warum denn? Und wie siehst du denn in den Augen aus, Mädchen? Wie? Wohl gar geweint? Ja, aber warum denn?" Katharinas Augen füllten sich von neuem mit Tränen. Wie ein armer, verschüchterter Vogel erschien sie, wie ein in die Irre gegangenes, sich nach dem Vaterhause sehnen des Kind. Ein tiefes Mitleid packte das Herz der Frau plötzlich. Mit einer schnellen Bewegung trat sie zu der leise Schluchzenden, ließ sich neben ihr auf dem Bett nieder und ireichelte ihr liebkosend das Haar. „Arme Dirn'," flüsterte ie unter diesem Streicheln, „dumme Dirn', sei doch ganz till! Und wenn du Kummer und Leid Haft, dann oer- chweig's nicht. Rede nur zu mir, als wenn du zu deiner Mutter sprächst." Katharina tat der warme Klang der Worte unendlich wohl und öffnete ihren Mund. Schon wenige Minuten später hatte sie mit kurzen, schlichten Worten ihre ganze Lebensgeschichte erzählt. (Forlsctzung fokal.) ülalMkdmelona in preurren? (Von unserem Berliner Mitarbeiter.) Obwohl bereits in den 60er Jahren kein geringerer als Fürst Bismarck selbst das preußische Wahlsystem als das schlechteste aller bestehenden bezeichnet hatte, ist dieses mit ganz unwesentlichen Abänderungen auch heute noch in Kraft. Seit Jahrzehnten wird also eine Reform gewünscht, und keineswegs nur in linksstehenden Kreisen, sondern auch durch aus konservative Korporationen haben die Notwendigkeit einer Umänderung dringend empfohlen, insbesondere geheime Stimm abgabe und direkte Wahl. Man versteht es wirklich nicht, warum die sogenannten Urwähler noch besondere Wahlmänner zu erküren haben, die dann ihrerseits die Wahl des Abgeord neten vornehmen, ein Modus, der mit seiner Umständlichkeit sich schon längst als vollkommen überlebt gezeigt hat und dem wohl niemand eine Träne Nachweinen würde. Was nun die öffentliche Stimmabgabe anlangt, so hatte man ver schiedentlich hierin einen Schutz gegen den sozialdemokratischen Ansturm gesehen, aber gerade die letzten Landtagswahlen, speziell in Berlin, haben gezeigt, daß diese offene Stimm abgabe ein vorzügliches Mittel für die Sozialdemokratie ist, welche einfach alle diejenigen boykottiert, welche gegen sie gestimmt oder sich der Stimmabgabe enthalten haben, so daß sie auf solche Weise eine vortreffliche Handhabe besitzt, die Wähler in ihrem Sinne zu beeinflussen. Daß man auch in Regierungskreisen von der Notwendig keit einer Abänderung des jetzigen Zustandes überzeugt ist, hat die vorjährige Thronrede bei Eröffnung des preußischen Landtages gezeigt, und es wäre verfehlt, hierin lediglich ein Entgegenkommen gegen die Wünsche der Linken zu erblicken, auf welche damals Fürst Bülow Rücksicht nehmen zu müssen glaubte. Die Abänderung des Wahlsystems ist in dieser Thronrede direkt als eine der Hauptaufgaben der Regierung bezeichnet worden und von diesem Versprechen wird man sich unter keinen Umständen freimachen können. Fraglich ist es allerdings, ob sich die Regierung nach dem Zerfall des Blocks und der ganzen augenblicklichen innerpolitischen Situation mit dieser Reform sonderlich beeilen wird, wie ja auch begreif licherweise eine derartige Materie nicht übers Knie gebrochen werden kann. Freilich kann es nicht als ausgeschlossen gelten, daß die Gegner einer Wahlreform jetzt alle Hebel in Be wegung setzen werden, um eine solche nach Möglichkeit zu tag am nächsten Donnerstag, den 11. November, zu eröffnen gedenkt. — Die sächsische Erste Ständekammer verliert ! noch den seit dem Landtage 1903/04 der Kammer als Ver- ! treter des Domkapitels Meißen zugehörigen Geheimen Kirchen rat v. Hofmann, der seines hohen Alters wegen um Ent- Hebung von seinem Amte gebeten hat. DaS Domkapitel hat an seiner Stelle den Geheimen Studtenrat Rektor a. D. Peter in Meißen gewählt. — Der Nachfolger des aus der Ersten Kammer aus Gesundheitsrücksichten auSgefchiedenen Geheimen Finanzrates a. D. Dr.-Jng. Jencke wird in dm nächsten Tagen bekannt gegeben werdm. Der König wird wieder einen Vertreter der Industrie auf diesen Posten be rufen. — Die amtliche Bekanntgabe des Einberufungs- Termins des Reichstags zum 30. d. M. ist so früh zeitig erfolgt, daß die Herren Abgeordneten ihre häuslichen Obliegenheiten noch in aller Ruhe erledigen und ihre Dis positionen treffen können. Es ist das natürlich »cbnmal angenehmer, als wenn sie erst unmittelbar vor dem Beginn der Session über den Termin der Einberufung amtlich ik Kenntnis gesetzt werden. Herr v. Bethmann-Hollweg hat also seinen Verkehr als Kanzler mit dm Abgeordneten mit einer Liebenswürdigkeit gegen diese begonnm. — Schwierig wird ja die Stellung des neuen Reichskanzlers gegenüber dm Konservativen sein. Zwar erklären deren Blätter es sür durchaus unbegründet, daß die Abgeordneten v. Hrydebrand und v. Oldenburg dem Herm v. Bethmann bereit- ein Ulti matum gestellt und dm Krieg bis aufs Messer erklärt hätten, falls er am preußischen Landtagswahlrecht rütteln sollte; aber sie bekennen doch, daß es Herr v. Bethmann, der die Finanz reform des Fürsten Bülow vertrat und dann das Angebot der Mehrheitsparteien akzeptierte, im Reichstag nicht leicht haben werde. — Von der Luftschiffahrt. Die Aufgabe der letzten Luftschiffmanöver in Köln bestand darin, bestimmte Höhen und Schnelligkeiten zu erreichen, sie wurden von den Fahr zeugen „Groß II" und „Parsevali" ausgeführt. Die beidm Luftschiffe hielten sich in einer durchschnittlichen Höhe von 1000 Meter. Ein Unfall des Parseval-Luftschiffs, daS beim Aufstieg mit der Gondel an einem Dachvorsprung hängen blieb, war unwesentlich, daS Luftschiff manöverierte sich bald wieder frei. — In Friedrichshafen wird rüstig an der neuen Werstanlage der Lustschiffbaugesellschast Zeppelin gearbeitet. 8uk dem ^ Llmerdof. Novelle von Fritz Gantzer. 6 > .r?nune. ——— - o«7ioreL Katharina jank mit einem wohligen Gefühl des Ge borgenseins in die Kissen zurück und hielt in dem kleinen, freundlichen Gemache neugierig Umschau. Alles in ihm zeugte von peinlicher Sauberkeit, und jedes Stück der Ausstattung redete von behäbiger Wohlhabenheit. Die schwere, eichene Truhe dort mit dem reichen Schnitzwerk war ein Prachtstück, und der mächtige Schrank aus gleichem Holz, der neben ihr stand, hatte auch so etwas Solides, Reelles an sich. Er deuchte sie wie seine Besitzer. Das waren wohl Menschen, auf die man sich verlassen durste, deren einfaches, schlichtes Wesen und stille Freund lichkeit ein goldenes Herz verrieten. Sie rief sich beider Er scheinung in die Erinnerung zurück. Der Mutter Bild vermochte sie nur undeutlich zu zeichnen. Aber die schlanke, breitschultrige Gestalt Hansjakobs stand klar und deut lich vor ihr. Und bei ihm blieben ihre Gedanken eine lange Weile. Sie beschäftigten sich so angelegentlich mit ihm, daß sie das leise Oeffnen der Tür zu ihrem Schlafzimmer überhörte und erst erschrocken aufsah, als ein freund licher Morgengruß an ihr Ohr klang. Die Reimerhof bäuerin kam, um sich nach dem Befinden ihres Gastes zu erkundigen. Katharina blickte mit einem verlegenen Erröten in das Gesicht der alten Frau, da sie in ihm einen strengen, harten Zug zu sehen glaubte, den sie gestern nicht bemerkt hatte. Sie vermutete in ihm den Ausdruck des Unwillens über ihr langes Schlafen und stammelte eine Entschuldigung. „Ich war sehr müde," sagte sie, „deshalb erwachte ich erst vor kurzem. Und als ich aufstehen wollte, vermochte ich es nicht, denn mein Fuß schmerzt noch sehr und läßt ein Gehen nicht zu. Verzeihen Sie, Frau Reimer, daß ich Ihnen so viele Umstände und Mühe mache, und seien Sie mir nicht böse." „Sprich keine Torheiten, Kind! Weshalb sollte ich böse sein? Ich freue mich, daß du so lange geschlafen hast. Es wird am besten sein, wenn du den ganzen Tag über im Bett bleibst. Zunächst will ich nun erst den Fuß frisch verbinden. Und dann sollst du dein Frühstück haben." Katharina glaubte trotz aller freundlichen Worte einen harten Unterklang im Ton herauszuspüren und vermochte nicht ganz froh zu sein. Und jetzt, da sich die alte Frau über den Fuß beugte, um den Verband zu lösen, sah sie's ganz deutlich: in ihren Augen war zorniger Schein, und um den Mund spielte ein verbissener Zug. Sie glaubte sich nicht zu täuschen und schob die zum Ausdruck gebrachte Mißstimmung auf ihre Anwesenheit im Hause. Wenn es ihr doch möglich gewesen wäre, es ver lassen zu können! Aber das ging eben nicht. Drei Tage Ruhe und Schonung seien mindestens nötig, meinte die Bäuerin selbst, als sie den Fuß untersucht und neu ge- wickelt hatte, eher sei an ein Fortgehen nicht zu denken.