Volltext Seite (XML)
die stolz« Burg, welche auf den Löbnitzbergen weit inS Meißner Land hinausschaut, da ging im vorigen Jahre ein gar sonder bare«, geheimnisvolles Raunen. Die Herrin des Schlosse-, deren Visitenkarte eine siebenzackigr Grafenkron« schmückte, war eine üppige, brünette Erscheinung, di« überall, wo sie erschien, berechtigte« Aufsehen erregte. Niemand ahnte, wa« für ein romanhafte«, wechselvolles Leben hinter der Dame lag, man gewährte ihr bereitwilligst Kredit, die Gewerbetreibenden be willigten gern die Ausführung der Aufträge, freute man sich doch, daß endlich auf dem fest Jahren vereinsamten Schlöffe frische- Leben zu pulsieren beginnen sollte. Als man aber nach Monaten auf die Bezahlung der Rechnungen vergeblich wartete, al« sogar die Hüter des Gesetzes oftmals auf dem Berge Visite machten und schließlich auch der Manu mit den Klebemarken auf dem Schlosse eintraf, so erging man sich in allerhand Vermutungen. Die Dame sollte plötzlich große Ver luste erlitten habrn, eine andere Seite behauptete, der reiche Herr St. mache keine Zuwendung mehr. Die Gräfin empfing oftmals Herrengesellschaft, die in Automobilen eintraf, und das waren für da« Schloßpersonal, welches aus einer Zofe, einem Gärtner und Diener bestand, jedesmal einkunftsreiche Tage. Nach etwa einem halben Jahre fröhlichen Lebens auf sonniger Bergeshöhe — in diesen Tagen des Oktober jährt es sich gerade —, da zog die schöne Gräfin von dannen, zahlreiche Gläubiger hatten das leere Nachsehen." Die Schloßherrin war die Gräfin Strachwitz, die „Martergräfin", wie sie nach ihrem masochistischen Treiben genannt wurde, vormals Frau Schnei dermeister Paustion, geboren« Lukoszus. — Dihel«. In Roßwein ist dieser Tage einer älteren Frau ein Sparkassenbuch der Döbelner Sparkasse mit über 200 Mark Guthaben gestohlen worden. Als gestern die bestohlene Frau hier war, um den Verlust des Buches bei der Sparkasse zu melden, wollte gerade eine aus Döbeln gebürtige und in Roßwein wohnende 23jährige Zigarren arbeiterin Geld von dem Guthaben abheben. Tags vorher hatte sie schon 50 Mark abgehoben und das Geld vertan. Die Diebin wurde verhaftet. — Leipzig. Der Bierkrieg ist zu Ende! Am Dienstag mittag fand eine gemeinsame Sitzung des Aktions komitees der Gastwirte und der Vertreter des Brauereivereins statt. DaS Resultat der Verhandlung war die Vereinbarung, daß Gastwirte und Brauer sich je um 50 Pfg. entgegenkom- mrn. Es wurde demnach der Preis für das Hektoliter Lager bier auf 22.50 Mk. festgesetzt, vorbehältlich der Zustimmung aller Gastwirte. — A»e. Die der Deutschen Turnerschaft angehörigen hiesigen Turner wollen ein würdiges Jahndenkmal oder einen Gedenkstein hier errichten. Mit der Sammlung der nötigen Gelder ist bereits begonnen worden. — Harleuftei«. Im nahen Dorfe Oberzschocken brach im Scheibnrrschen Gute auf noch nicht ermittelte Weise Feuer aus, das sämtliche Gebäude des letzteren in Asche legte. — vrtma««S-ors. In Neudörfel verschied am 8. d. M. der Strumpfwirker Traugott Schettler im hohen Alter von 100'/« Jahren. Vor feinem 100. Geburtstag fühlte sich der Greis verhältnismäßig immer noch rüstig. Danach aber wurde er bettlägerig und hat namentlich in der letzten Zett noch viel gelitten. — Meerane. Das 60jährige Bürgerjubiläum feierte hier der Privatier Robbecke. — Weig-dorf b. Zittau. Dieser Tage rückte der sechste Sohn des Hausbesitzers Ullrich im Ortsteil Friedreich zum Militär ein. Ullrich erhielt aus diesem Anlaß vom König ein Gnadengeschenk. Seine Söhne dienten und dienen zur zeit noch bei der Infanterie, bei den Jägern, Schützen, Garde reitem und einer ist Wachtmeister im 17. Ulanen-Rcgiment. c»«ers«rcdlcdtt. »«xtsche» »«»ch. — Der Kaiser dankte dem Großherzog von Oldenburg für daS Telegramm, das den Stapellauf des Schulschiffes „Prinzeß Eitel Friedrich" meldete. Der Monarch schloß mit der Erwartung, daß di« aufopfernden Bemühungen de« Groß« Herzogs und de« SchulschiffveretnS für die Entwicklung der deutschen Seefahrt bald belohnt werden möchten durch ein kräftiges Wiederaufblühen des Seeverkehr«, damit auch der von den Schulschiffen so vortrefflich erzogenen Jugend eine reiche Betätigung gesichert sei. — DaS neue, m Hamburg vom Stapel gelaufene Schul- schiff „Prinzeß Eitel Friedrich" des Deutschen Schul- schiffvereinS wird neben der Ausbildung der Mannschaften unserer Segelschiffe und unserer zukünftigen Schiffsoffiziere auch der seemännischen Ausbildung von Deckmannschaften unserer Dampfer gewidmet sein. Schulschiffe machen meist große Fahrten; so daß der jugendliche Nachwuchs der deut schen Schiffahrt von Jugend auf mit allem, was ihm auf dem Meere begegnen kann, vertraut wird. — Die Reise des Zaren durch Deutschland. Der Zar trifft auf der Reis« von Livadia nach Italien, über Odessa und Alexandrowa kommend, am 21. Oktober in Mün chen ein, wo vermutlich nur ein kurzer Aufenthalt und keine offizielle Begrüßung stattfindet. Von München geht die Reise über den Brenner nach Rom weiter. Die Stunde der An kunft in München steht noch nicht fest. — DieHochzeit des Großherzogs von Sachsen- Weimar mit der Prinzessin Carola Feodora von Sachsen- Meiningen wird voraussichtlich schon in wenigen Wochen, jedenfalls aber noch vor Weihnachten stattfinden. — Verfügungen zum neuen Tabaksteuergesetz. Reichsschatzsekretär Wermuth. hat an die Redaktion der „Südd. Tabakztg." in Mannheim ein Schreiben gerichtet, in dem er in Beantwortung an ihn ergangener Anfragen erklärt, daß die Art und Weise der Erhebung und Verwaltung der neuen Tabaksteuer, also die Auslegung des Gesetzes in zweifelhaften Fällen, verfassungsmäßig den Regierungen der Bundes staaten überlassen ist. Eine einheitliche reichsgesetzltche Re gelung könne also nicht stattfinden. Ferner ist dem genannten Fachblatt eine Verfügung des Reichsschatzamts übermittelt worden, in welcher bestimmt wird, daß nur der Zigarren- fabrikant zur Anmeldung des Wertes zollzuschlagspflichtiger Tabakblätter und damit auch zur Vorlegung der beglaubigten Rechnung verpflichtet ist. Diese Anmeldepflicht kann jedoch der Tabakhändler in manchen Fällen dem Fabrikanten ab nehmen. — Die Steuerfreiheit der Fürsten, die schon so oft parlamentarisch erörtert worden ist, führte in der bay rischen Abgeordnetenkammer zu lebhaften Debatten, in denen jedoch der heitere Ton überwog. Die Spezialdiskussion über das Einkommensteuergesetz bot den Anlaß zu jener Abschwei fung. Ein sozialdemokratischer Antrag forderte die Heran ziehung der Zivilliste des Monarchen, sowie die Einkommen der königlichen Prinzen und Prinzessinnen zur Einkommen steuer. Ein Antrag Quidde begnügte sich mit der Heran ziehung der prinzlichen Einkommen. Finanzminister v. Pfaff erwiderte, daß gesetzlich während der Dauer der Regentschaft an den bestehenden Steuerfreiheiten nichts geändert werden könne. Die Ausführungen des Zentrumsabgeordneten Heim, der auch im Reichstag ein gern gehörter Redner ist, zur Sache erregten im Hause stürmische Heiterkeit. Abg. Heim erklärte, die Steuerfreiheit der bayerischen Prinzen sei nur eine be schränkte, da diese ihr Einkommen aus ihren gewerblichen Be trieben, Grundbesitz, Brauereien usw., sowie ihre Kapitalrente besteuern müßten. Wenn aber diejenigen Einkünfte, welche die Prinzen als Offiziere bezögen, oder wenn sie im Theater mitgeigten oder als Sachverständige bei der Auswahl von Schminke für die Schauspieler fungierten, steuerfrei blieben, so hätte das wenig auf sich. DaS Haus lachte unbändig, denn es wußte, wohin das zielte. — Funkentelegraphie auf „2 III". Die Ver suche mit Funkentelegraphie des „Zeppelin III" sind abge schlossen worden, nachdem festgestellt wurde, daß sie ohne jeg liche störende oder bedenkliche Erscheinung auch im metalli schen Luftschiff vor sich gingen, und daß eine Verständigung mit dem zur Anwendung gelangten Apparat über eine Strecke von etwa 500 Kilometern sich gut erzielen ließ. Nunmehr wird ein Apparat in das Fahrzeug eingebaut. „Zeppelin III" erhält jetzt versuchsweise noch einen dritten Motor, mit dem in der nächsten Zeit Versuche gemacht werden. — Parseval „macht sich", wie man zu sagen pflegt. Die große Fernfahrt von Frankfurt a. M. nach Nürnberg und weiter nach München und Augsburg ist als eine Leistung allerersten Range« anzusehen. ES ist, al« ob der „Parseval III" alte Scharten habe auswetzen wollen. Ueberall wurde das Luftschiff mit Jubel begrüßt, aber auch an materiellem Erfolg hat es nicht gefehlt. Die Stadt Augsburg hatte einen Preis von 1000 Mk. ausgesetzt für den ersten Lenkballon, der dort landen werde. Der Führer deS Luftschiffs, Ober leutnant Stelling, erhielt außerdem einen vom Luftschiffer, verein Nürnberg ausgesetzten Preis von 500 Mk. K »l» »t«l e «. — Den ausschließlichen Verkauf aller Dia manten, die in Deutsch-Südwestafrika gewonnen werden, soll die deutsche Regierung einem Syndikat von Antwerpener Diamantgroßhändlern übertragen haben. Eine amtliche Be stätigung dieser Meldung von deutscher Seite liegt noch nicht vor. Die Uebertragung des alleinigen Verkaufsrechtes an daS Antwerpener Syndikat würde für letztere« ein außer ordentliches kaufmännische« Vertrauensvotum darstellen. Vefterretch-Uxgarx. — Anläßlich der Einbringung der Sprachrngesetze für Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg wird der Ausbruch einer partiellen Ministerkrise erwartet, da die tschechischen Minister sich weigern, die Sprachengesetze zu unterzeichnen. Der Ausbruch der Ministerkrise ist bereits vor dem Zusammentritt des Reichsrats möglich. Der „Pester Lloyd" erfährt, es stehe bereits fest, daß Kossuth und Ap- ponyi mit dem gemäßigten Teil der Unabhängigkeitspartei sich durch einen eklatanten Schritt von der Justhgruppe tren nen und mit der Berfassungspartei fusionieren werden. Da rum habe auch Kossuth den neuesten Entwirrungsplan Po- lonyis abgelehnt. s t a l t e ». — Das italienische Militärluftschiff stieg am Dienstag nachmittag um 2 Uhr 30 Minuten auf dem See Bräcciano auf und traf gtgen 3 Uhr in Rom ein. Nack einigen wohlgelungenen Manöver» in einer Höhe von 150 Metern und zwei Zwischenlandungen kehrte das Luftschiff nach seinem Ausstiegsort zurück. Gerichtsfaal. Bautzen. Wegen zahlreicher Sittlichkeit-Verbrechen an Schul mädchen verurteilte die hiesige Strafkammer den 57 Jahre alten Kantor Schneider auS Neu-Salza zu 1 Jahr 9 Monaten Ge fängnis. Dr. Diederich Hahn vor dem Schöffengericht. Der bekannte Direktor de« Bunde- der Landwirte Dr. Diederich Hahn hatte sich vor dem Schöffengericht in Neuhaus a. d. Oste zu ver antworten, da er in seinem Wahlkreis unwahre Gerüchte über daS Bankhaus E- Calmann verbreitet habe. Dr. Diederich Hahn wurde zu 20 Mark Geldstrafe und Tragung der nicht unbedeutenden Kosten verurteilt. Reichstagsabgeordneter Wetterle zwei Monate Ge fängnis. Das Landgericht Kolmar verurteilte den elsässischen Reichstagsabgeordneten Wetterle wegen Beleidigung des Gymna- stal-Direktors Gneiße durch eine Broschüre, in der gleichzeitig ver steckte Hiebe gegen das Deutsche Reich geführt wurden, zu zwei Monaten Gefängnis. Erschwerend fiel inS Gewicht, daß der Be klagte ein Exemplar seiner Broschüre einem Quintaner der An stalt übergab, deren Leiter Direktor Gneiße ist. Eine Zierde des Deutschen Reich-tagS war Herr Wetterle, der in Kolmar ein Blatt in französischer Sprache herauSgibt, das sich in Bissigkeiten gegen das Reich nicht genug tun kann, niemals. Die Gefängnisstrafe erhöht fernen Wert nicht. Gerecht war das Urteil, daS die Marienburger Strafkammer über die Freunde de» Mörders des Bürgermeisters Dr. Kunze fällte. Die vier Arbeiter hatten gewußt, daß der Arbeiter Hein sich mit dem Plan trug, Dr. Kunze zu ermorden, eine rechtzeitige Warnung aber Unterlasten. Zwei von ihnen wurden zu je 3 Jahren, die anderen zu je 1'/. Jahren Gefängnis verurteilt. vemitkdt«. * Der Rassenhaß t« Amerika. In Harrisburg (Penn sylvania) sollten in den nächsten Tagen ein Weißer und ein Neger, die beide wegen Mordes zum Tode verurteilt waren, Nir letzten Barrs. Roman von Albert Gras von Schlippenbach. 1». Asrqqpui,. Kaum war Agnes abgefahren, als Mademoiselle Benoit Rosemarie zu ihrem Erstaunen aufforderte, das schöne Wetter zu einem gemeinsamen Spaziergang zu benutzen. Die Erzieherin sah sonst streng auf gewissenhaftes Einhalten der Lehrstunden. Natürlich freute sich aber das kleine Mädchen über die unvermutet gewährte Freizeit um so mehr und lief fröhlich auf dem Weg nach vberrankin vor aus, den die Schweizerin einschlug. Während der Regen tage hatte sie daheim bleiben müssen, nun war sie glücklich, sich austollen zu können. Sie mochten ungefähr eine Viertel stunde gegangen sein, als Donatus Heuberg, hoch zu Roh, vom väterlichen Gut her, auf der Straße erschien. So bald er die Nahenden erkannt hatte, winkte er ihnen mit dem Hut und setzte seinen Gaul in Galopp. Kurz vor Rosemarie, die ängstlich zurückwich, parierte er, sprang vom Pferde und begrüßte das Kind mit ausgesuchter Freund lichkeit. Dann reichte er der inzwischen herangekommenen Erzieherin die Hand. „Fräulein von Barr ist heut nach Schönholz gefahren und wird nachmittags sich einige Zeit in Tempelbach auf halten," meinte sie mit gleichgültig klingender Stimme, aber um so beredterer Miene. „Das prachtvolle Wetter lockte uns, die dumpfe Schulstube mit der herrlichen Luft im Freien zu vertauschen." „Sie haben recht getan, Mademoiselle, und ich preise den Zufall, Ihnen zu begegnen. Schade, daß wir nicht näher bei Oberrankin sind, ich würde Sie sonst bitten, im Herrenhause eine Erfrischung zu nehmen." Während Donatus sprach, schaute er die Benoit fragend an. „Fräulein Perpetua würde sich gewiß sehr freuen, unsere Rosemarie zu sehen." Die Schweizerin lächelte boshaft. „Uebrigens, willst du der lieben, jungen Dame nicht einen Strauß pflücken und Herrn von Heuberg bitten, ihn zu übergeben?" Gehorsam fing Rosemarie an, Blumen zu sammeln. Eine Antwort gab sie freilich nicht, man sah es ihr auch an, daß sie den Auftrag nicht mit Freudigkeit erfüllte. Fräulein Perpetua hatte es trotz aller Schmeicheleien nicht verstanden, das Herz des Kindes zu gewinnen. Sobald Rosemarie außer Hörweite war, fingen die Schweizerin und Donatus eifrig zu sprechen an. Nur als das Kind den Strauß dem jungen Herrn übergab, der ihn ziemlich gleich gültig am Sattel befestigte, unterbrachen sie das lebhafte Gespräch, um es gleich darauf wieder fortzusetzen, nach dem Rosemarie, froh, die lästige Aufgabe erfüllt zu haben, spielend fortgesprungen war. Da sie rüstig ausschritten, näherten sie sich Oberrankin immer mehr. Erst vor dem Herrenhause hemmten sie die Schritte. Ein Wagen hielt vor der Tür. „Der Tempelbacher Kreisarzt," erklärte Donatus nach lässig und achselzuckend. „Meine jüngste Schwester bekam in der Nacht ein wenig Fieber. Nicht der Rede wert! Aber Mama in ihrer übertriebenen Aengstlichkeit hat be reits vor Tagesgrauen an den Arzt telegraphiert. — Doch, wollen Sie nickst wenigstens einen Moment eintreten? Mein Vater und meine Geschwister werden sich sehr freuen, Sie und die Kleine begrüßen zu können." Er hatte kaum ausgesprochen, als Eva und Lilli aus dem Garten herbeieilten und Rosemarie stürmisch um armten. Es war ihnen eingeschärft worden, der kleinen Nachbarin stets herzlich entgegenzukommen. Gleich darauf trat der Hausherr mit dem Doktor vor die Tür. Beide zeigten sehr besorgte Mienen und waren so ins Gespräch vertieft, daß sie die Schweizerin und ihre Schutzbefohlene gar nicht bemerkten. „Die andern Kinder müssen also sofort von der kleinen Patientin abgesperrt werden. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät. Wenn wir nur noch Heilserum in Tempel bach hätten! Die Diphtheritis trat leider so plötzlich und gleich sehr bösartig auf. Der Vorrat in der Apotheke war in türzesterZeit erschöpft, und die schleunigst bestellte Sendung ist noch nicht eingetroffen," hörte die Benoit den Arzt sagen. Sie erbleichte; ihre Knie zitterten vor Schreck. Welcher Gefahr hatte sie Rosemarie ausgesetzt, als sie gegen das ausdrückliche Gebot ihres Herrn hierhergegangen warl Keines Wortes mächtig, riß sie das kleine Mädchen von den Heubergschen Schwestern weg und eilte, es an der Hand fortziehend, ohne Abschied zu nehmen, so schnell sie ihre Füße trugen, davon. Auch Donatus war bleich geworden, weniger aus Be sorgnis für die Schwester, als aus Sorge um sich selbst. Er schaute der Erzieherin und dem Kinde nicht einmal nach, sondern wandte sich mit ängstlichen Fragen an den Arzt. Jetzt erst bemerkte Heuberg die Davoneilenden, es war jedoch schon zu spät, ihnen noch einen Gruß nachzu rufen. Der Schreck und die Angst um sein Töchterchen hatten ihn auch halb gelähmt. „Wem gehört das Kind dort?" fragte der Doktor und deutete auf Rosemarie. „Herrn von Barr auf Schwarzhof," antwortete Donatu». Nachdem der Arzt den jungen Herrn etwas über die Ansteckungsgefahr bei Erwachsenen beruhigt hatte, beschloß er die Rolle des besorgten Bruders zu spielen. „Ich werde mich nur schnell umziehen und dann selbst nach der Stadt reiten, um die Medizin au» der Apotheke zu holen," entschied er. Der Ritt nach Tempelbach paßte ja vorzüglich in seinen Plan. „Hoffentlich traf das Serum inzwischen ein," seufzte der Doktor. „Ich kann nicht begreifen, wie ein solches Hauptmittel überhaupt nicht stets in genügender Menge vorhanden sein kann," grollte Heuberg erregt. Der Arzt zuckte verlegen mit den Schultern. Der Vor wurf war ja gerecht. „Wir hatten eben auf eine so schnell um sich greifende Epidemie nicht gerechnet," entschuldigte er die Nachlässigkeit. „Schlimm genug, wo es sich um Leben und Tod handeln kann," brummt« Heuberg. Agnes fand in Schönholz wieder Gesellschaft vor. Klara von Kagen weilte dort seit einigen Tagen zu Be such. Die jungen Damen, die sich schon flüchtig begegneten, fanden bald großes Gefallen aneinander. Fabian war tags zuvor in Schünholz gewesen, um sich das Jawort zu holen. Nun war heut die ganze Familie Witzenhagen aus Rienow herübergekommen. Frau Erika hatte Gerda gerührt in die Arme geschlossen und Tränen der Freude über die reizende Braut ihres geliebten Sohnes geweint, die ja so ganz nach ihrem Herzen wäre. Ja, sie ließ sich sogar ohne jeden Widerspruch von der Großmutter der zukünftigen Schwieger tochter die langen Stammbäume der Gräflich Walkerodeschen und der Fürstlich Arnsteinschen Familien vorerzählen und vorrechnen, wie viel Ahnen Gerda mit in die Ehe brächte. Es war dies um so anerkennenswerter, weil sie mit einer Gegenleistung in dieser Hinsicht nicht aufwarten konnte. Ihre Großmutter entstammte ja einer bürgerlichen Familie. Ja, Frau von Witzenhagen war sogar so liebenswürdig, alle kleinen Nadelstiche und Randbemerkungen der eitlen, hochmütigen Dame, durch die sie immer wieder darauf hin wies, welche Mesalliance ihre Enkelin eigentlich machte, geflissentlich zu überhören. - -