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Beilage W Frankenberger Tageblatt mb BeManzeiger. Verantwortlicher Stedatteur: Ernst Koßterg in Frankenberg i. Sa. Druck und Verlag oon t. S. Roßberg in Frankenberg i. Sa. IOV Smmwg oe» 8. Mai I IVvv vrr neue Sttalproreh. Auf dem Gebiet der deutschen Strafrechtspflege steht be kanntlich ein großes Reformwerk in Aussicht, eine Aenderung der Gerichtsverfassung, d. h. vor allem eine Aenderung in der Zusammensetzung der Gerichte, und dann eine Aenderung des gesamten Verfahrens, daS nicht bloß durch formale, sondern auch sehr wesentliche materielle Vorschriften bestimmt wird. An diesen Tagen ist dem Reichstag die umfangreiche Begrün dung zu den neuen Vorschlägen zugegangen. Die „Deutsche Warte" in Berlin schreibt hierzu: Wenn wir schon früher an der VersassungSresorm recht viel auszusetzen hatten, so werden unsere Bemängelungen durch die vorliegende Begrün dung nicht etwa gehoben oder gar widerlegt. Die Zuziehung des Laien-Elements bei der Strafrechtspflege — eins der wichtigsten und ältesten Volksrechte — hat allerdings eine Erweiterung erfahren, allein diese Mitwirkung ist nicht ein heitlich geregelt, und nicht in der Weise, daß Richterlum und Laientum bei der ganzen Urteilsfindung gemeinsam wirken und sich so in ihren Anschauungen vorteilhaft ergänzen. Anders steht es mit dem Prozeßverfahren. Hier können wir den Neuerungen, die durch die Erfahrungen einer dreißigjährigen Praxis wohl begründet werden, durchgehend beipflichten. Folgende Punkte seien besonders hervorgehoben: Für das Schöffen- und Geschworenenamt sind Reisekosten und Tagegelder vorgesehen. Es entspricht das nicht bloß der Billigkeit, sondern einem dringenden Bedürfnis. Bisher wurde die Ausübung dieses wichtigen Volksrechts von den Minder bemittelten ost als eine schwere Last empfunden. Die Höhe der zu leistenden Vergütungen wird, was nur zu billigen, vom Bundesrat festgesetzt werden, und zwar einheitlich für Schöffen und Geschworene, wodurch zum Ausdruck gebracht wird, daß beide Aemter als' gleichwertig zu betrachten sind. Eine weitere Beschränkung der Oeffentlichkeit als bisher ist besonders sür Beleidigungsprozesse vorgesehen. Hier hat die unbeschränkte Oeffentlichkeit nicht selten dazu geführt, daß der Beleidigte Vorgänge aus seinem Privatleben, die mit der verhandelten Sache gar nicht zusammenhängen, in die Oeffentlichkeit gezerrt und einer schmähsüchtigen Kritik unter zogen sah. Jetzt soll es dem Ermessen des Gerichts über lassen fein, aus Antrag eines Beteiligten die Oeffentlichkeit auszuschließen, ohne daß gerade die öffentliche Ordnung oder die Sittlichkeit gefährdet zu sein braucht. Ebenso wie die Oeffentlichkeit des Verfahrens, hat auch die Verpflichtung zur Strafverfolgung, die den An klagebehörden obliegt, eine gewisfe Einschränkung erfahren. Vor allem soll die Anklagedehörde des Zwanges enthoben sein, wenn es sich um Strastäten von geringer Bedeutung oder um solche handelt, die im jugendlichen Alter begangen sind. Bezüglich der ersteren tritt jedoch die Pflicht zur Ver folgung, das sogenannte Offizialprinzip, wieder ein, wenn der Verletzte die Bestrafung des Täters beantragt. Abgesehe« hiervon wird in den Befugnissen der Aufsichtsbehörde und in der Kontrolle der Oeffentllchkeit ein genügenver Schutz gegen Mißgriffe, d. h. gegen eine zu weitgehende Nachsicht erblickt. Sehr wesentlich sind die vorgeschlagenen Aenberungen bezüg ¬ lich der Zeugen und Sachverständigen. Hier wird zunächst einer seit langer Zeil ausgestellten Forderung der Presse genügt oder doch in ausreichendem Maße Rechnung getragen. Es wird den Redakteuren, Verlegern usw. das Recht gewährt, die Auskunft über die Person des Verfasser- öder Einsenders eines strafbaren Artikels zu verweigern — vorausgesetzt, daß ein Redakteur zu fassen ist und daß es sich nicht um ein Verbrechen handelt. Wichtig ist ferner die Verringerung der Beeidi gungen und die regelmäßige Ersetzung des Voreides durch den Nacheid. — Ein Mangel unserer Rechtspflege besteht auch in der Verwertung der Sachverständigen-Gutachten. Die Richter der unteren Instanzen stehen nicht selten auf dem Standpunkt, daß sie diese Gutachten als unantastbare Wahr heiten hinzunehmen haben, da sie gar nicht in der Lage seien, ihren Sinn zu erfassen. Demgegenüber ist daran festzuhalten, daß sich der Richter an der Hand des Gutachtens, das seine mangelnden technischen Kenntnisse zu ergänzen hat, sein eignes Urteil bilden und auf Grund dieses Urteils in eine selbständige Prüfung der vorliegenden Fragen eintreten soll. Dieser Er folg kann freilich nicht durch Gesetzesparagraphen erzielt wer den, sondern nur dadurch, daß der Richter dem Volksleben möglichst nahetritt und daß er selbst in sich den Beruf fühlt — wie es die römischen Rechtslehrer forderten — „alle gött lichen und menschlichen Dinge" zu erfassen. Eine der bedeut samsten Reformen ist endlich die gesonderte Behandlung der Jugendlichen. Sie besteht im wesentlichen darin, daß eine Bestrafung überhaupt nicht eintreten soll, wo eine Sühne und Besserung im Wege der häuslichen Zucht erreichbar er scheint, daß aber auch da, wo eine Bestrafung am Platze ist, das Urteil von einer besonders dazu geeigneten Behörde in einem besonderen Verfahren zu erlassen ist. 6» ZubllSum aer „Illum. Leitung". Die a S Herausgeberin der „Jllustr. Zeitung" in aller Welt bekannte Leipziger Verlagsbuchhandlung von J..J. Weber, eine der führenden Firmen des deutschen Buchhandels, feiert am 8. Mat das Jubiläum ihres 75jährigen Bestehens. Das große Verlags- Haus ist im Jahre 1834 von dem Schweizer Johann Jakob Weber, geboren am 3. April 1803 zu Stblingen bei Schaffhausen, be gründet worden. Eines der ersten größeren Verlagswerke der jungen Firma war eine „Geschichte Friedrichs des Großen" von Franz Kugler mit 500 Holzschnitten nach Zeichnungen von Adolf Menzel, jetzt eine der größten Seltenheiten des Antiquariats- Handels. Mit dieser Publikation, die seit Jahrhunderten wieder die erste größere deutsche Holzschnittsammlung bildete, beginnt «ine neue Aera des Holzschnitts in Deutschland, und man versteht, daß sich nach diesem Werke das allgemeine Interesse den ferneren Unternehmungen des ideenreichen ManneS zuwandte. So konnte > er es denn wagen, am 1. Juli 1843 die erste Nummer der „Jllustr. j Zeitung" erscheinen zu lassen und damit dem deutschen Volke seine erste Bilderzeitung zu schenken, das Vorbild aller ähnlichen Unter nehmungen der Gegenwart. Freilich waren die zu überwindenden i Schwierigkeiten nicht gering. Hauptsächlich mangelte eS an ge eigneten Holzschneidern, die erst allmählich herangebildet werden konnten. Es fehlt hier an Raum, Einzelheiten aus der inhalt- reichen Geschichte der „Jllustr. Zeitung", die zugleich auch eine Chronik der deutschen illustrierten Presse bildet, zu geben. Schon beiin flüchtigen Durchblättern der vorliegenden 3400 Wochennum ¬ mern zeigt sich, welche Fülle an einzigartigem Material sich hier dem Geschichtsschreiber darbietet, und zu deo erfreulichsten Resul taten dieses FopchenS gehört die Erkenntnis, daß die „Jllustr. Zeitung" niemals auf einer Entwicklungsstufe stehengeblieben ist, sondern sich stets den Anforderungen der Zett anzuvassen verstan den hat, so daß sie jetzt in vielleicht noch hagerem Maße al« früher ihre führende Stellung in der inlernatioualen Zeltschrfften-Lite- ratur behauptet. Der Begründer der „Jllustr. Zeitung" hatte das seltene Glück, daß seine Schöpfung in die Hände verständnis voller Nachkommen gelangte, die «S sich als Hauptaufgabe stellten, stets in Verbindung mit ihrer Zeil zu üleiben. Als Johann Iakob Weber die Augen zum ewigen Schlummer schloß, traten sein Erbe drei Söhne an: Johannes, Hermann und Dr. Felix Weber. Wäh rend Johannes Weber au die Spitze der bald nachher gegründete» Berliner Filiale trat, teilten sich die Brüder Hermaon und F lix in die Leitung des Leipziger H iwe». Hermann Weber wandte seine Tätigkeit vor allem der Buchdruckerei und dem Buchverlag zu; die Leitung der „Jllustr. Zeitung" lag vornehmlich m den Händen Dr. Feliz Webers, der vom Jahre 1889 au, al« sei« Brüder Johannes und Hermann in der Blüte ihrer Jahre kurz nacheinander vom Tode dahingerafft worden waren, allein au der Spitze der Firma stand, bis ihm in seinen Neffen Johann Jakob und Horst Weder, sowie in seinem Sohne Siegfried neue Heffer heranwuchsen. Dr. Felix Webers Name ist mlt der Entwicklung der „Jllustr. Zeitung" unzertrennlich verknüpft. Er erbaute u. a. 1895/96 das an der Reudnttzer Straße gelegene Geschäftshaus, in dem eine große Buchdruckerei und eine qalvaaoplastische Anstall errichtet wurden, deren Leitung der älteste Sohn Hermann Webers, Johann Jakob Weber der Jüngere, übernahG, dessen Name altz hervorragender Buchdrucker gar bald einen guten Slaaa gewann. Der Fachwelt schenkte er in seinem im Verlag von I. I. Wed«r erschienenen „Handbuch der Buchdruckerkunst" eine» der beiten Bücher über dieses Gewerbe. Die Firm« bat ihm neben der mo dernen kaufmännischen Organisation ihres Betriebe« auch io bezug auf die typographische Ausstattung der Verlagswerke und der „Jllustr. Zeitung" viel zu danken. Direkt vorbildlich gewirkt haben seine Bestrebungen, im Inseratenteil der „Jllustr. Zeitung", genau so wie im redaktionellen, künstlerische Grundsätze zur An wendung zu bringen. Leider ist der reich Begabte am 21. April 1906 auS dem Leben geschieden. Am 20. August desselben Jahres folgte ihm Dr. Felix Weder in die Ewigkeit nach. Die jetzt am Ruder befindliche dritte Generation, die Herren Horst und Sieg fried Weber, hat es nicht nur verstanden, den alten Ruf der Zei tung zu wahren, sondern beide Herren haben auch Mit Diel Ge schick den Inhalt des Blattes weiter auLgebaut. Die wachsende Ausdehnung der technischen Betriebe, die schon im Jahre 1905 durch die Angliederung einer Anstalt für die photochemuchen Ver vielfältigungsverfahren einen Anbau bedingte, hat tn diesem Jubel jahr abermals einen großen Erweiterungsbau nötig gemacht, der im Herbst seiner Bestimmung übergeben wird, der beste Beweis dafür, daß haS Lebenswerl Johann Iakob WeberS noch tn voller Blüte steht. Die besondere Sorge der beiden Lester der „Jllustr. Zeitung" gilt der Vervollkommnung der modernen Reproduktions techniken, aus welchem Gebiet sie, wie namentlich die verschie denen Sondernummern der „Jllustr. Zeitung" beweisen, «ls Pfad finder tätig sind. — Neben dem Ausbau der „Jllustr. Zeitung" haben Johann Iakob Weber und seine Nachsolger noch ein« reich« verlegerische Tätigkeit entfaltet. — Aus Anlaß des Verlags-Jubi läums ist die zur Ausgabe gelangte Nummer »436 der „Jllustr. Zeitung" als Sonderheft erschienen, da« sticht nur einen ungemein fesselnden Einblick in die Geschichte des Hause« Webtr gewährt, sondern auch als interessanter Beitrag zur Zeit- und Kultur geschichte der letzten 75 Jahre freudig gu llregrüßen ist. In bezug auf drucktechnische Ausstattung bildet diese« Sonderheft der „Jllustr. Zeitung", dessen Einzelpreis 2 Mk. beträgt und tn der Buchhand lung von C. G. Roßberg tn Frankenberg zu haben ist, eine kau« zu übertreffende Musterteistung. Ass Teutfchk Wied. Eine Geschichte aus den nationalen Verhältnissen Böhmens von Anton Ohorn. !». Sortierung.! - iNnchdruL verboten. Und nun setzte er des weiteren die Einzelheiten der Arbeit auseinander, reichte dann Rodert freundlich die Hand und ging so gemütlich und langsam, wie er gekommen, über den Hoi. Die Gesellen Huben sogleich an, hinter ihm drem zu singen, der Meister aber stimmte nicht ein. Der Doktor konnte übrigens kaum das HauS erst verlassen haben, als Bohuver Sander, der über die Gasse hinüber wohnte, in seiner Arbeitsschürze und mit einer gewissen Aufregung in die Werkstatt Roberis stürzte. „Was hat denn der bei Dir gewollt?" fragte er hastig. „Er hat einen Bücherschrank bestellt." „Den darfst Du nicht unfertigen, Robert!" „Warum nicht?" „Weil man mit diesem Menschen nicht verkehren darf, wenn man nicht in Verruf kommen will." „Wieso denn?" „Er ist ein Ketzer, ein Protestant!" Der junge Meister lächelte: „Ueber dies Vorurteil bin ich hinaus; wer jahrelang bei protestantischen Meistern gearbeitet und gesehen hat, wie ehrbar, fromm und tüchtig eS da zugeht, und wie die Nächstenliebe dort zu Hause ist, der lacht über einen solchen Vorwurf." . , . „Ja, das mag schon sei», Robert, aber der da — und seine Stimme wurde leiser — glaubt überhaupt an keinen Herrgott; und seine Frau und seine Kinder hat er mißhandelt, sodaß sie nicht mehr bei ihm ausbalten konnten, und Gott weiß, wo sie jetzt in Hunger und Elend leben, während er's nicht vornehm genug treiben kann. Und dabei ist er von einer Gehässigkeit gegen alle, die nur ein Wort tschechisch reden, so daß ein anständiger Mensch überhaupt nicht mehr mit ihm verkehrt. Gib ihm seinen Auftrag zurück, denn wenn es bekannt wird, daß Du für ihn arbeitest, verlierst Du die ganze Kundschaft ans der Fabrik und bet allen Patrioten." „Das geht nicht, Traugott —" ' „Heiße mich nicht immer Traugott, Du weißt ja —" „Also Sander, das geht nicht; was ich einmal übernommen habe, führe ich auch aus — das ist sür mich Ehrensache; für mich ist der Doktor der Besteller einer Arbeit, und seine Privatverhält- niffe kümmern mich nichts. Dabet bletbt'S — und nimm's nicht übel, Traug — — Sander I" Der Pleister setzte den Hobel an, und mit lustigem Kreischen fuhr er über das Holz, Bohuver aber entfernte sich mit unwilligem Wrummen. Rodea» mußte wegen des Doktors noch manches hören, von vr sowohl, die sich namentlich aus die Autorität des Kaplan berief, der ihr unter dem Siegel der Verschwiegen- dasselbe mitgettilt, was Sander erzählt hatte, als auch von «fidmila, die über den Besuch des Doktors in der Werkstatt lioberts in eine mächtige Auslegung geriet; aber der junge Meister llieb fest und erklärte, um jeden Preis seine Zusage erfüllen zu sollen. III. Der junge Meister blieb an diesem Tage seltsam verstimmt, nd kein Ton kam au« feiner Kehle, so hell auch die Stimme Ludmilas mit den frischesten Liedern lockte. Am Nachmittag legte er endlich das Handwerkszeug beiseite, wusch sich Hände und Gesicht und zog einen besseren Rock an, um nach der Fabrik zu gehen, wo er geschäftlich zu tun hatte. Als er an der Kirche vorüberkam, drängte eS ihn, wieder ein mal daS Grab seine« Vaters zu besuchen, und so trat er in den stillen, menschenleeren Friedhof. Sein Fuß raschelte im welken Laube, sonst war kein Laut zu hören. Am Grabhügel des teuern Toten stand gebückt ein alter, grauhaariger Mann, der den Kopf hob, als er den Schritt des Herankommendeu vernahm. Es war der alte Nachtwächter Gregor. Robert reichte ihm freundlich die Hand. „Das ist schön von Euch, daß Ihr meinem Vater auch einmal einen Besuch macht!" „Das tu ich gar manchmal, Herr Robert", erwiderte ihm der Alte und sah mit seinen Hellen, ehrlichen Augen den jungen Meister an; „wir haben in vergangenen Tagen uns Manches erzählt und uns wohl auch unser Leid geklagt, und ich halt's noch immer so, wenn mir auch der Amon nicht mehr Rede stehen kann. Es stört mich nur eins, sodaß mir manchmal der Gedanke kommt, als könnt' mich der Selige nicht mehr verstehen" — der alte Mann wieS auf die tschechische Inschrift des Grabsteins — „aber ich denke, davon weiß er zuletzt selber nichts, daß sie ihm die Fjima auf sein letztes Haus geschrieben haben, denn er war bei Lebzeiten immer ein guter Deuticher und das tradlar aus seiner Geschäftstasel braucht er nicht zu verantworten, das hat Ihre Mutter nun ein mal so gewollt und er war eben viel zu gutherzig — Gott hab' ihn selig! Nun, wie gefällts denn Ihnen in der alten Heimat?" „Soweit ganz gut, Gregor, und ich hab' Euch auch noch zu danken, denn erst als ich Euer gutes altes Wächterlied hörte am ersten Abend, da fühlte ich mich wirklich zu Haufe." Ueber das runzlige Gesicht des Alten ging ein Heller Strahl. „Das gefreut mich aufrichtig, Herr Robert; sehen Sie, da haben sie mir gesagt, ich ollte den alten Gesang einmal lassen, der paßte nicht mehr für uns, oder Wenns schon sein müßte, sollte ich tsche chisch singen, aber ich habe entgegnet, daS alte Lwd paßte jetzt gerade so gut wie früher und vielleicht noch besser, denn es wäre am Platze, zu singen „daß der Stadt kein Schade geschicht" — und tschechisch singen! Nein, so lange ich hier Nachtwächter bin, wird deutsch gesungen. Nichts sür ungut, Herr Robert, und Gott besohlen!" Der Alte ging langsam durch die Hügelreihen hin, und der funge Meister betete sein stilles Vaterunser, aber seine Gedanken waren nicht recht bei der Sache, und die Worte des Nachtwächters hatten ihn seltsam erregt. Er verließ Nachdenklich den Friedhof und wendete sich die Gasse abwärts nach dem Flusse zu, der in seinem Laufe nach der Fabrik hinausführte. Dabei kam er an eineni Hause vorüber, an welchem das Schild hing: Franz Hammer, Gertnr. Das Haus stand freundlich hereingerückt in einen kleinen Gar ten und hatte weiße Wände, au deren einer sich et» Weinstock emporrankle, der freilich jetzt nahezu entblättert war, und hinter den spiegelblanken Scheiben zeigten sich schneeige Gardinen. Hier wohnte sein alter, wackerer Pate, auch ein guter Freund seine« feststen Vaters, und er schämte sich, daß er sich noch gar nicht um ihn gekümmert und ihm noch keinen Besuch gemacht. Jetzt wars freilich auch nicht an der Zeit, und beinahe scheu und wie gehetzt eilte er an dem freundlichen Hause vorüber, doch nicht, ohne einen flüchtigen Blick nach den Fenstern geworfen zu haben. Dabei hatte er einen lieblichen, blonden Mädchenkops gesehen und frug sich selbst nu« einigermaßen verwundert, ob das wohl die kleine Marcha sein könnte, die vor acht Jahren mit der Tasche am Arme zur Schille wanderte. AuS dem blassen, schmächtigen Kinde wareine ungemein anmutige Jungfrau geworden. Wie er noch daran war, alte Erinnerungen zu wecken, wie sie mit dem weißen Hause zusammenhtngen, begrüßte ihn ein Be kannter aus der Beseda, der sich ihm anschloß. ES war ein Deutscher, besaß einen Kramladen und nannte sich Kaufmann; dabei erfreute er sich einer großen Zungengrläufigkeit und trug darum auch jetzt die Kosten der Unterhaltung. „Sehen Sie, Herr Veit, eS ist hübsch, daß Sie auch zu de» vernünftigen Menschen zählen, die es vorziehen, aus friedlichem und gemütlichem Fuß mit den Tschechen zu leben; deshalb bleibt man doch immer ein Deutscher. Ich weiß nicht, wa« die Heiß sporne wollen, die da immer schreien: Die Deutschen werden unter drückt ! Ich merke nichts davon. Daß die Leute auch ihre 'Schule wollen und, wenn'« geht, alle 14 Tage eine Predigt in ihrer Sprache — mein Gott, daS ist doch gar nichts Ungebührliche«, und wenn neben den deutschen Firmatafeln ein paar tschechische hängen, so kann ich kein Unglück darin finden. Dabei sind die Tschechen gesellschaftlich und freundlich und bieten Einem auch Unterhaltung; den Deutschen fäüt's nicht ein, in dieser Beziehung etwas zu tun, die Böhmischen haben die Bescva eingerichtet, und man amüsiert sich doch ganz ausgezeichnet »nd hat noch den Vor teil, daß man so nach und nach auch etwaS »on der anderen Landessprache lernt. Und was endlich nicht zu unterschätzen ist, das ist die geschäftliche Unterstützung. Seitdem ich in die Beseda komme, geht mein Geschäft noch einmal so gut, und eS ist nur billig, daß man seinen Kunden, wenn's geht, auch eine Gefälligkeit erweist. So hab' ich mlch ganz gern bereit erklärt, bei der nächsten Gemeindewahl meme Stimme dem Hruby und dem Vilimek zu geben, desnngen werden wir noch keine tschechische Stadt. Aber da sind so einge Menschen hier, dte Hetzen und Hetzen und können'« nicht vertragen, wenn alles friedlich mit einander lebt und wenn einmal ein böhmisches Volkslied gesungen wird. Da ist vor alle» der Dr. Werner, vor dem müssen Sie sich hüten! Sein Vorleben ist auch nicht sauber, so daß cs nicht gerade eine Ehre ist, mit ihm umzugehen, und vo" seiner Praxis könnte er wohl kaum leben, wenn er nicht selber Geld hätte — sie sagen, er hätl's tn der sächsischen Lotterte gewonnen; das ist so rin nationaler Hetzer, dem's die Regierung nicht recht machen kann und die Tschechen schon gar nicht, und wenn der die Brunnen vergiften könnte, auS denen sie trinken, er würde es ohne weiteres tun. Er hat nun noch ein paar Leute aus seine Seite gezogen, und dte bilden nun die „deutsch-nationale Partei" — al« ob wir nicht auch deutsch- national wären. Da ist der Gerber Hammer, ein alter Querkopf, der immer unzufrieden war, der Lehrer Ziehirert, der Stadlschrctber Frommel, der Schmied Lorenz und noch eme Handvoll, aber sie finden keinen Anhang. Ihren seligen Vater hätten sie gern herum- bekommen, und der wäre auch gutherzig genug gewesen, berein- zusalleo, aber Ihre Mutter ist eine brave, resolute Frau, die dal « verhindert. — Da wäre» wir ja bei der Fabrik — na, sehen Sie, das ist auch eine tschechische Gründung und ist geradezu ein Segen sür unser Städtchen; durch die Beamten kommt Intelligenz per und es wird Gels unter die Leute gebracht — und darüber muffen Sie den Doktor Werner reden hören. Adieu, und Sonntag auf Wiedersehen in der Beseda!" (Fortsetzung folgt.)