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heilen einiger Kulturpflanzen" verbreiten, während Ober- veterinär Dr. v. Müller . Krankheiten der Hau-tierr- und „Seuchenschutz" behandeln wird. * . * - — Burgstädt. Die letzten Erdschwaukungen, die sich ebenfalls in hiesiger Gegend bemerkbar machten, scheinen auch hier kleinere Bodrnveränduungen verursacht zu haben. In der oberen Silberstraßr sind in ganz kurzer Zeit 2 Gas- und 2 Wasserrohrbrüche vorgekommen, für die, da das Material noch vollständig intakt war, keine anoerr Erklärung, wie die oben angeführte, zu finden ist. Unmittelbar nach der letzten Erderschütterung sind ferner im 2. Obergeschoß unseres Rat- Haufes fingcrstarke Risse entstanden, die offenbar auf die gleiche Ursache zurückzuführen sind. — Dresden. Die Hilfs brücke, die, wie gemeldet, durch das jüngste Hochwasser gelitten hat, soll nun wieder gründlich instand gesetzt werden, da sie in diesem Jahre viel leicht noch einem zweiten Eisgang ausgesetzt sein kann. Die vier Straßenbahnlinien, die sonst über diese Brücke führten, müssen voraussichtlich noch wochenlang über die Marien- bezw. Carolabrücke verkehren. — Beim hiesigen Rute sind zwei besoldete Stadtrat-Posten neu zu besetzen, da, wie gemeldet, Stadtrat Dr. Koch als Oberregierungsrat in das Ministerium des Innern berufen und Stadttat Haupt zum Oberbürgermeister von Freiherg gewählt wurde. — Dresden. Es herrscht, wie bekannt, überall eine sich fühlbar machende Arbeitslosigkeit. So auch in Dresden, wo die Arbeitslosen ja erst kürzlich öffentliche Versammlungen veranstaltet haben, in denen ihre Zahl in Dresden auf 12 000 angegeben wurde. Nur ist es bei dieser Sachlage sehr auf fällig, daß nach einer Mitteilung des „Dresdn. Anz." es am Sonnabend „trotz hoher Entlohnungsangebote" nicht mög lich gewesen ist, genügend« Arbeitskräfte zu be komm:», um die durch das Hochwasser gefährdeten, am Elb- ufer lagernden großen Kohlenvorräte in Sicherheit zu bringen. Nur dem tatkräftigen Eingreifen eines Feldwebels mit einem Zuge Jäger war es zu danken, daß der größte Teil der Kohlen gerettet werden konnte. — Döbel«. Eine recht unangenehme Folge des Hochwassers ist die Störung in den Gasrohrleitungen, die für einen Teil der Stadt noch immer an halten. Die Druckerei des „Döbelner Anzeigers" empfindet dies besonders dadurch, daß seit Donnerstag abend das Gas zum Heizen des Schmelz kessels der Setzmaschine fehlt; es erscheint daher das Amts blatt schon feit acht Tagen in nur beschränkter Weise. Im weiteren wurde der Betrieb dieser Zeitung dadurch erschwert, daß das Grundwasser in d n Heizraum der Zentralheizung eindrang und am Montag alle Arbeit stockte „bis in den Druckereiräumen Oefen gesetzt waren". — Die Störungen sind hauptsächlich auf Eisbildung und Verschlammung in der Rohr leitung zurückzuführen. Deshalb muß an verschiedenen Stellen ausgegraben und die Rohrleitung gereinigt werden, was selbst verständlich viel Arbeit und Zeit erfordert. — Da der durch das Hochwasser angerichtete Schaden sehr groß ist, hat der hiesige Stadttat eine Sammlung eingeleitet. — AunaberH. Zur Beschaffung preiswerter Klein wohnungen hat sich in unserer Stadt eine Baugenossenschaft gegründet und ist unter dem Namen „Bauverein Wettin" bereits als Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht gericht lich eingetragen. — Schneeberg. Am Sonnabend und Sonntag beging die hiesige Freimaurerloge „Archimedes zum sächsischen Bunde", konskuiert von der Altenburger Loge, unter außer ordentlich starker Beteiligung die Feier ihres 100jährigen Bestehens. Hierzu hatten außer der sächsischen Großloge in Dresden fast alle Freimaurerlogen Sachsens Vertreter und eine große Zahl anderer Logen Glückwünsche gesandt. Von den Mitgliedern der Jubiläumsloge sowie deren Frauen wurden zwei Wohltätigkeitsstistungen begründet. Ein von über 200 Festgästen besuchtes Mahl im Kasino beschloß die Feier. — Schwarzeuberg. In Pöhla erlitt die 14 Jahre alte Tochter des Gutsbesitzers Lauckner durch die Ex plosion einer Petroleumlampe so schwere Brand wunden, daß an ihrem Aufkommen gezweifelt wird. Bei den Rettungsversuchen erlitt auch der Vater Verletzungen, während die Mutter ein schon brennendes zweijähriges Kind rettete.' — LtchLeusteinsE. Innerhalb weniger Jahre zum drit ten Male brannte hierdieChemische Fabrik von Nie- huS u. Bittner bis auf die Umfassungsmauern nieder; dabei wurde die wertvolle Einrichtung und viel Material mit vernichtet. Dem Besitzer erwächst dadurch wiederum ein enormer Schaden. Das Kessel- und Maschinenhaus blieben erhalten. DaS Rettungswerk wurde durch Wassermangel er schwert. Andere Gebäude waren nicht gefährdet, da die Fa brik isoliert auf der Höhe am Michelner Wege steht. — Reastadt i. Sa. Einer unserer angesehensten Bürger, Herr Rentier Kaufmann Julius Richter, ist im Alter von 90 Jahren gestorben. Er war der älteste männliche Ein wohner unserer Stadt. An seine frühere Tätigkeit als Rats mitglied knüpft sich eine recht hübsche Episode. Es war Ende der 60er Jahre, als König Johann auf einer Landes reise auch unsere Stadt besuchte. In dem neben dem „SchützenhauS" befindlichen Salon fand Tafel statt. Zn dieser war auch die Stadtverwaltung geladen, und es fügte sich, daß bei der Vorstellung nachstehende Reihenfolge war: die Herren Bürgermeister Adolf Richter, Ratmann Kauf mann Julius Richter, Ralmann Kürschnermeister August Richter, Stadtverordnetenvorstcher Hermann Richter. Da sprach der König: „Wo so viele Richter in der Stadtver tretung sind, da muß es um das Recht der Bürger meiner lieben Stadt Neustadt sehr güt bestellt sein." — Ka«e«j. In der Nacht zum Mittwoch brach in Obersteina m dem Zimmermann Haaseschen Grundstück, Wohnhaus mit eingebauter Scheune, Feuer aus, das die Gebäude in Asche legte. Die im Scheuneneinbau wohnenden betagten Eltern des Besitzers vermochten sich nicht zu retten und fanden den Tod in den Flammen. Wie verlautet, soll der Brand durch Fahrlässigkeit in der Wohnung der alten Leute ausgebrochen sein. — Zitta«. Das Programm für die 200jährige Jubelfeier des 102. Infanterie-Regiments ist nunmehr aufgestellt; es lautet: am 13. Juni abends Kom mers, am 14. Juni 11 Uhr vormittags Feldgottesdienst, Parade, nachmittags Festessen und abends Mannschaftsfeste, am 15. Juni Ausflug nach Oybin. ragesgercdicdte. Deutsche- Reich. — Der Freisinn und die sächsischen Landtags wah le n. Die Gesamtvorstände des Landesvereins der Frei sinnigen Volkspartei im Königreich Sachsen und des Liberalen Landesverbands für das Königreich Sachsen werden am Sonntag in Leipzig zu einer vertraulichen Besprechung zu sammentreten. Die gemeinschaftliche Beratung der Vertreter der beiden freisinngen Gruppen wird sich im wesentlichen mit den kommenden sächsischen Landtagswahlen und den damit zusammenhängenden taktischen Fragen beschäftigen. * * — Bei dem deutsch-französischen Marokko-Ab kommen, das ja am Tage des Berliner Besuchs deS Königs Eduard veröffentlicht wurde, soll England eine bedeutende Vermittlerrolle gespielt haben. — Die Steuerkommision des Reichstags nahm bei der Beratung der Novelle zum Erbschaftssteuergesetz von 1906 einen freisinnigen Antrag, das Steuerprivileg der Landesfürsten aufzuheben, mit 14 gegen 13 Stimmen an. Nur die Konservativen und ein Teil der Zentrums- Mitglieder stimmten gegen den. Antrag. — Die Hauptergebnisse der Berufszählung im Deutschen Reiche vom 12. Juni 1907 werden jetzt im „Reichs anzeiger" bekannt gegeben. Es geht aus der amtlichen Pu blikation hervor, daß die landwirtschaftliche Bevölkerung des Reichs jetzt nur noch ein Drittel der Gesamtbevölkerung be trägt, während zwc: Drittel auf die in der Industrie tätige Bevölkerung entfallen. — Der Präsident der Deutschen Kriegerver bände Nordamerikas, Richard Müller, war, wie erst jetzt bekannt wird, auf dem diesjährigen Hofballe als ganz besonderer Gast zugegen. Er hatte aus direkte Veranlassung deS Kiffers eine Einladung für den Hosball bekommen, und der Kaiser nahm die Gelegenheit wahr, um sich mit Herrn Müller während de» tzosballes über die Führung der deut schen Kriegervereine in Nordamerika zu unterhalten. Der Monarch sprach »ach der „Neuen pol. Corr." sein lebhafte« Interesse für die Deutschlandfahrt der Veteranen- und Krieger verbände von Nordamerika, die bekanntlich nächstes Jahr im Frühjahr stattfinden soll, auS. Die amerikanischen Krieger vereine werden folgende deutschen Städte besuchen: Hamburg, Berlin, Dresden, Karlsruhe, Stuttgart, München, Köln, Frankfurt und Straßburg. — Die Verdeutschung polnischer Ortsnamen. Wie aus Breslau berichtet wird, beabsichtigt die oberschlefische Stadt Zabrze, den deutschen Namen „Hochberg" anzu nehmen. Andere Städte dieses Gebietes mit polnischem Na men sollen beabsichtigen, dem guten Beispiel, mit dem übrigen« die Stadt Hohensalza schon vor längerer Zeit den Anfang gemacht hat, zu folgen. — Die Sozialdemokratie als Arbeitgeberin. Ein Tabakarbeiter führt in dem Organ der anarcho sozialistischen „Lokalisten" bittne Beschwerde über die sozial demokratische Tabakarb eiter-Genossenschaft Ham burg, deren Leiter der sozialdemokratische Reichstagsabgeord nete v. Elm ist. Aus der Fabrikordnung der Genossenschaft erwähnt er mehrere Punkte, um zu zeigen, daß die Genossen schaft ein „rücksichtsloser, kapitalistischer Betrieb wie jeder andere" ist. Insbesondere hebt der Tabakarbeiter hervor, daß die Fabrikordnung die Mitglieder der Genossen schaft zum Schadenersatz für beschädigte Werkzeuge usw. verpflichtet,, während die sozialdemokratische Reichs tagsfraktion bei der Beratung der GewerbeordnungS- novelle von 1891 beantragte, daß Bestimmungen über Scha denersatz durch Arbeiter in die Fabrikordnungen nicht aus genommen werden sollten. Der „Genosse" fordert schließlich v. Elm auf, dem „idealen praktischen Vorbilde eines Robert Owen" nachzueifern, und endet mit der Apostrophe: „Uns kommen Sie aber nicht mehr mit Ihren dummen Phra sen, ein jeder wahre Mensch wird Sie dann nach Gebühr abfertigen." Oesterreich-Ungar«. — Im Land Tirol wird in diesem Jahre, wie bekannt, die Hundertjahrfeier der großen National-Erhebvng von 1809 gegen die französische Zwingherrschaft gefeiert werden. Der Mittelpunkt der Bewegung war bekanntlich Andreas Hofer, der wackere Sandwirt von Passeyer, der später durch Verrat gefangen genommen und auf Befehl Napoleons in Mantua erschossen ward. Die Haupifeier ward am 15. August im Beisein des Kaisers Franz Josef von 25 000 Tiroler Schützen auf dem Berge Isar, an dem Hofer dreimal die Franzosen schlug, bei Innsbruck begangen werden. Hier findet eine große Feldmesse statt. Allerlei Volksfeste und Darstellungen aus den Freiheitskämpfen reihen sich an. Niederlande. — Eine Regentschaft in den Niederlanden. Von Ende März oder Anfang April an wird die Königin mit Rücksicht auf ihren Zustand sich von Regierungsgeschäften fernhalten. Daher wird vorübergehend eine Regentschaft eingesetzt werden. Ob der Prinzgemahl oder di« Königin- Mutter die Regentschaft übernehmen wird, darüber verlautet noch nichts. Gegenwärtig teilen sich beide in die Wahr nehmungen der der Königin obliegenden Verpflichtungen. R « tz l a « d. — Die Abschaffung der Todesstrafe. Die Reichs duma beschloß mit einer aus den Oktobristen, der gemäßigten Rechten, dem polnischen Kolo und der Partei der friedlichen Erneuerung gebildeten Majorität nach heftigen Debatten, den Gesetzentwurf wegen Abschaffung der Todesstrafe einer Justiz kommission zu übergeben. Ein Anttag der Kadetten, diese Kommission zu einem Bericht im Plenum binnen Monats frist zu verpflichten, lehnte die Duma ab. Hervorgerufen ist dieser Beschluß natürlich durch die fast zahllosen Hinrichtungen, die gerade in letzter Zeit stattgefunden haben. Aber irgend welche Aussicht, daß die Todesstrafe in Rußland wirklich ab geschafft wird, besteht selbstverständlich nicht. 2uge äer 1^so1. Roman von C. Dressel. l?ii. FortsetzimgZ —— (Nachdruck verbot«!.) Endlich verfiel er darauf, wenigstens den Zimmer zins aus freien Stücken zu erhöhen. Da wurde er mit einem Lächeln voll Stolz und Ueberlegenheit abgewiesen. Die kranke, darbende Frau sprach gelassen: „Lieber Herr Klüven, als Versorgerin meiner Kinder bin ich eine prak tische Erwerbsfrau und habe von diesem Standpunkt aus Ihre Zimmer angemessen bewertet. Wucher aber treibe ich ebensowenig, als ich mir Almosen schenken lasse. Sie haben meine augenblicklich ein bißchen kritische Lage irgendwie herausgefunden. Sie ist nicht angenehm, ich gebe das zu, aber auf trübe Zeiten muß jeder mal gefaßt sein. Auch sie gehen wieder vorüber. Ich bin ja noch keine Greisin, hoffe auf Herstellung meiner Gesundheit, dank einer von Haus aus kräftigen Konstitution, und werfe darum nicht gleich die Flinte ins Korn vor diesem feind lichen Rheuma. Was sollte wohl aus meinen Kleinen werden, ließe ich den Mut sinken? Daß sie mal trocken Brot essen, ist nicht allzu schlimm. Nähmen sie aber an Mutters unterliegender Schwäche ein Beispiel zu mattherziger Feigheit, das erst wäre traurig. Das könnte ich nie vor dem Herrgott verantworten. Darum, guter Herr Klüven, bedauern Sie weder mich noch die Kinder. Vor allem nicht die. Not schafft Kraft, stählt unsere besseren Eigenschaften, weckt unsere geistigen Fähigkeiten. Aus üppiger Verweich lichung sind noch selten große starke Menschen hervorge gangen. Und wenn's nicht gerade zum Verhungern ko,Mmt oder Zum Verderben in Krankheit und Versuchung, gebe ich meine Kinder der gestrengen Lehrmeisterin ohne Angst einmal in die eiserne Hand. Denn über der wacht ein Stärkerer noch. Allzu harte Griffe läßt der himmlische Vater nicht zu, nur so viel, um uns Menschen aufzurütteln. Zu Ihrem gutgemeinten Anerbieten, lieber HA>r Klüven, lassen Sie mich noch das weise englische Sprich wort anführen „Obarit^ bsgivs -rl, koms". Ich msine, Sst batten letzthin ein bißchen reichlich über den Buchhalter hinaus gewirtschaftet. Aber wir kennen uns nun wohl gut genug, um nicht voreinander Versteck spielen zu müssen. Sparsamkeit frommt uns beiden gleich viel, wie?" Mit ebenso tiefer Beschämung als hoher Bewunde rung ging Vollrad von dannen. Die Frau hatte schließ lich recht von ihrer hohen moralischen Warte aus. Man mußte sie dabei lassen. Nun gut — wenn diese Krankheit nicht ewig dauerte, und die Kinder nur gesund blieben. Legte sich auch nur eines, mußte Barbara herhalten. Entweder ganz einfach mit ihrer willigen persönlichen Hingabe oder mindestens mit ihren kleinen, aber ebenso wiasährigen Spargroschen. Das mußte sich die Doktorin dann volsns volsvs ge fallen lassen, denn Familienhilfe hatte sie nicht. Vollrad wußte von keinen hier lebenden Verwandten der Frau, noch ob sie überhaupt deren besaß. Wenigstens hatte sie ihrer Sippe nie erwähnt und zählte auf niemand. Das wußte er genau. Zum Glück fiel keins der Kinder um. Blaß und küm merlich genug sahen sie nachgerade aus, und viel stiller waren sie geworden, aber sie hielten durch. Da brachte Vollrad endlich seine ohnmächtige Angst zur Ruhe und dachte wieder mehr an die eigene Zu kunft. Aber die warnende Not der andern spornte ihn fast heißer noch, denn die eigene. Oder vielmehr sie taten's gemeinsam, denn auch jetzt noch dachte er allen Ernstes daran, sein Geschick dereinst noch enger mit dieser armen, aber tapferen Familie zu verknüpfen. Mit wahrem Feuereifer warf er sich auf sein Berufs studium. Das Ziel, die feste Anstellung mit auskömm lichem Gehalt, es mußte und mußte erreicht werden in njcht zu ferner Zeit. Gebe ein guter Gott, daß dann Anne- lise d?r Preis seiner selbstverleugnenden Mühen sein dürfe! Gegen den Februar hin machte ihm der Kommer zienrat die Eröffnung, er solle nun mal nach Odessa gehen und versuchen, die dort seit längerem stockenden Ge- schäste, es handelte sich um bedeutende Getreideliefe- rungcn und ebensolche Geldausstände, in Fluß zu bringen. Vollrad mar sich nicht ganz klar, ob diese Mission einer Auszeichnung oder Verbannung ähnlich sah. Nun, er hatte nicht danach zu fragen, sondern zu gehorchen. Und, gehorchte nicht mal ungern, da die Reise willkommene Abwechslung und Bewegungsfreiheit bot. Allerdings auch Gefahren. Der Aufruhr gärte noch immer. Bombensplitter sind nicht wählerisch in ihrem Ziel, und die Kajaken feuern auch auf Gerechte und Ungerechte, das kannte man. Dem nach erforderte der Auftrag außer Landkenntnis und Um- sicht nicht zuletzt persönlichen Mut. Herr Schwarz meinte: „Na ja, Klüven, 'en Pappenstiel ist es ja nicht, aber dafür auch 'ne Prachtgelegenheit zu ungewöhnlicher Auszeichnung. Es ist so gut wie Ihre Mobilmachung, und darum freuen Sie sich. Sind Sie er folgreich, gibt's 'en Avancement außer der Reihe. Also tummeln Sie sich, ich gönne Ihnen die Epauletten, und jede Kugel trifft ja nicht." Die übrigen Herren sahen sich den grünen Neuling, den der Chef mit solcher verzwickten Mission betraute, noch etwas gründlicher an. Es mußte am Ende mehr an ihm sein als das patente Aussehen. Hm, russisch sprach der Hamburger freilich wie Wasser. Alle Achtung. Mit dem verdeubelten Idiom stand keiner von ihnen auf Du, trotzdem sie beinahe alle Grenzler waren. Also denn man tau. Auch sie gönnten ihm die Fahrt ins Land der Knute und Kosaken. Selbst Reichmanns gelbes Neidgesicht steckte zum ersten mal eine verbindlichere Miene auf. Weshalb nicht? War denn jemand zu beneiden, der dem roten Brand in den Rachen lief? Oder gar noch zu fürchten als Rivale, wenn er voraussichtlich nie wiederkehrte, um ihn, hier im Licht zu stehen? So kostete ihn der fromme Wunsch glücklicher Fahrt wirklich nicht viel, denn er sah den Platzmacher mit vergnügten Augen scheiden. Vollrad zögerte nun keine Stunde länger, als nötig war den Koffer zu packen und die letzten Instruktionen vom Chef einzuholen. Er unterließ selbst einen Abschieds besuch in der weißen Villa, wiewohl ihn die junge Frau bei dem gepflogenen freundschaftlichen Verkehr sowohl als in zeremonieller Hinsicht vielleicht hätte erwarten dürfen, aber er stand hiervon ab in einer Anwandlung äußerster Vorsicht und bat den Chef, ihn der gnädigen Frau zu empfehlen. Des Kommerzienrats lebhafte Gewährung bewies ihm, daß er damit recht getan, denn nun schien das frühere fast herzliche Verhältnis plötzlich wiederhergestellt. Ueber- aus huldvoll mit vielen guten Wünschen auf den Weg und der ehrlichen Bitte, sich nicht unnötigen Gefahren auszu setzen, wurde er entlagen.