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IVM Mittwoch, iw» 8. Aetrver Z; Z7 Frankenberger Tageblatt Anzeiger 68, Jahrgang. vegründet 1842. Einzelnummern laufenden Monats S H, früherer Monate 10 H. Gestellungen werden in unserer Geschäftsstelle, von den Boten und Ausgabe stellen sowie von allen Postanstalten Deutschlands und Oesterreichs angenommen. Nach dem Ausland« Versand wöchentlich unter Kreuzband. größere ^n,eraie snöe,N»ns 11 llür mittags des l«m „ - „ Aür Aufnahme von Anzeige« an bestimmter Stelle " Garantie nicht übernommen werden. Hwch-S1. Telegramme: Tageblatt Frankenbergsachsen. Erscheint an jedem Wochentag abends für den folgenden Tag.' Bezugs- e'Äs^ kleinere"^ preis vierteliührlich 1 50 H, monatlich SO H. ^Trägerlohn extra. - Wn/n?i^ des jeweiligenAusaabetages. Anzeigenpreis: Die S-gesp. Petitzeile oder deren Raum 1b H, bei Lokal- . Anzeigen 1L H; im amtlichen Teil pro Zeile 40 H; „Eingesandt" t» Redaktionsteile SS H. 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Allen die Krone anfzusetzen scheinen aber die Enthüllungen, di« die Entlarvung des Polizeispitzels Azew hervorzurufen beginnt, dieses vielseitigen Mannes, der von der Polizei glänzend be zahlt wurde, um die Nihilisten ans Messer zu liefern, der aber, wie es ihm paßte, die einen an die anderen, oder aber alle verriet. Es kann kaum einem Zweifel mehr unterliegen, daß die russische Staatspolizei, oder doch zum mindesten ver schiedene ihr angehörige hohe Beamte, ein geradezu ver hängnisvolles Spiel getricben haben, in dem auch vor offen baren Gewalttätigkeiten nicht zurückgeschreckt wurde. Ja, es will so scheinen, als wären auch hohe Polizeibeamte selbst nihilistischen Bestechungen zugänglich gewesen. Damit wäre manches Attentat erklärt. Diese Klage über die Zerrüttung der russischen Polizei, bei der sich Grausamkeit und Bestechlichkeit der freilich recht schlecht besoldeten Beamten miteinander vereinen, sind nichts Neues. Die geheime Polizei, der die persönlich« Sicherheit des Zaren anvcrtraut tpar, unterstand früher der berüchtigten sögenannten dritten Sektion.' Der Vorsteher dieser Abteilung war in Wahrheit der mächtigste Mann in Rußland, jeder Beamte, jeder Russe war ohne weiteres verpflichtet, den Weisungen der dritten Sektion Folge zu leisten. Und doch hat sie nicht die Ermordung Kaiser Alexanders und sonstige Attentate verhindern können, auch hier hatten die Nihilisten Beziehungen. Der Sicherheitsdienst ward dann neuorganisiert, und man hoffte, Besserung geschaffen zu haben. Gelungen ist es wieder nicht. Russische Eigenheiten sind eben aus dein russischen Leben nicht herauszubringen. Da) zeigen ja auch die Enthüllungen des Artillerie Generals Alexejew, dem in diesen Tagen der Prozeß gemacht worden ist, um den un bequemen Kritiker der Verwaltung zur Ruhe zu zwingen. Und wie die Dinge liegen, wird man schwerlich auch bei dem gegenwärtigen Polizeiskandal volle Wahrheit hören. Wenn es aber nicht groß zweifelhaft ist, daß Polizei beamte selbst Verjchwöcum en und Attentate angezettelt haben, -wenn sie sich gemeiner Mörder, wie dieser Azew und seine Helfershelfer es waren, bedienten, dann fällt auf Rußland ein so tiefer Schatten, daß die Mißwirtschaft, die m berüchtigten Orient und sonstwo lange herrschte, kaum arger erscheint. Damit wird das internationale Vertrauen zur kulturellen Entwicklung in Rußland sicher nicht gestärkt, und noch weniger das zur gedeihlichen Entfaltung seiner Finanzen. Die Petersburger Zeitungen schreien Zeter und Mord über die hohen Provisionsgebühren, die sich tue Pariser und Lon doner Bankiers für Vermittlung der letzten großen Anleihe haben zahlen lassen, aber auch das ist nur eine Folge der herrschenden Zustände. Wo Rußland m Betracht kommt, da fängt sofort das große „Sich die-Hände-Waschen" an. Zweifel- los gibt es auch im Reiche des Zaren tüchtige und tätige Männer, aber gegen die allgemeine Korruption aufzukommen, genügen nicht einzelne Personen, dazu gehört eine ganze Generation. Petersburg. Der Verhaftung des ehemaligen Direktor des russischen Polizeidepartements, Lopuchin, gingen mehrstündige Beratungen hoher Beamter des Justizministeriums und des Ministeriums de» Innern voraus. Vorgestern vormittag begaben sich diese Beamten in Begleitung 'von 35 Polizeibeamten, die kugelsichere Panzer trugen, nach dem Hause Lopuchins und umstellten eS. Die Verhaftung erfolgte völlig überraschend. Lopuchin, der anfangs bestürzt war, beruhigte sich bald und händigte selbst den Gerichtsbcamten ein wichtiges Schriftstück aus, an geblich einen Brief des Revolutionärs Burzew. Bei den Fürsten Urufsow und Dolgorukow und mehreren Rechts- anwälten wurden Haussuchungen vorgenommen; daS Gerücht von ihrer Verhaftung hat sich jedoch nicht bestätigt. Lopuchin stand in engster Verbindung mit dem Anarchisten« führ er Azew, der in den Diensten der Geheimpolizei stand. Settllcber mm ZScdrl«»«, Frankenberg. 2 Februar 1869. Unsere Sammlung für Süd-Jtalte« haben wir mit heutigem Tage geschlossen, nachdem wir in der erfreulichen Loge waren, für dies große Hilfswerk 858 M. 11 Pf. zur Vermittlung entgegenzunehmen. Außer in der., letzten Spezialquittung im Inseratenteil der heutigen Nummer sei auch an dieser Stelle allen denen aus unserer Lesergemeinde in Stadt und Land herzlich gedankt, welche durch ihre Liebes gaben bekundet haben, daß sie gern fremde» Leid lindern Hel- fen. E» weist nun unser Sammelbuch mit den eingezeichne ten 156 Sammlungen, welche das „Tageblatt" einleitete, ein Gesamterträgnis von 33647 M. 78 Pf. auf, ein schöner Beweis, daß in unserm ^Leserkreis die Opferwilligkeit gern gepflegt wird! Die Red. * f Die Vögel kitte« u» Kutter. Für die munteren Gäste unserer Gärten sind jetzt die gefürchtetsten Zeitm de» Winters gekommen. Frost und Ei» überziehen gar bald die spärlichen Körnchen, die der Zufall auf die Straße streut. Das flinke Bölklein der Sperlinge und der anderen Vögel, die im Winter bei uns bleiben, muß sich jetzt gewaltig tum meln, um das bißchen Magen voll Nahrung, da» jede» Wesen braucht, zu finden. Nicht alle Vögel pflegen so gefräßig zu sein wie dir Spätz Heu, sind auch nicht so keck wie diese. Man sieht Sperlinge ihren Bissen selbst gegen so große Vögel wie die Amseln mit Erfolg verteidigen; ja die Amsel besinnt sich oft lange, ob sie in die um ein Brotklümpchrn versammelte, streitsüchtige Schar pickender Spatzen eintreten soll. Sie überlegt alles dreimal, weil sie eben ein ernsthafter Bogel ist. Setzt man die Moralbrille auf, dann bemerkt man unter den Spatzen große Egoisten und Neidhammel. Regelmäßig jagt der Stärkere den Schwächeren. Ueberflüssig zu sagen, daß die Männchen die brutaleren sind und von Galanterie gegen die Weibchen nichts merken lassen. Es scheint auch unter den Spatzen Herren, und Sklavenmenschen zu geben. Der Schwächere hat auch entschieden Furcht; er hält sich in respektvoller Entfernung von dem Alleinsresser und pickt nur die Krümchen auf, die der Schnabel de» Ueberspatzen absplittert. Man soll die niederen „Instinkte" bei den Spatzen nicht hervorhrbrn, indem man ihnen da» Brot in einem Stück gibt, denn dann sammeln sich zehn oder mehr um diese» neue Stück, jede» Vöglein hackt seinen Schnabel ein, da» eine zerrt hin, das andere her und zuletzt geraten alle miteinander in eine Art von ParoxiSmus, der schrecklich anzusehen ist. Alle» was sich bewegt, ist des Vogels Feind. DaS Brotstüch da- sich unter den Schnabelhieben der Sperlinge windet, flößt ihnen sicherlich auch Schrecken ein. Man kann sie ost vor Entsetzen aufschreien hören. Kleine Stückchen gefallen ihnen weit besser. Da essen sie sich gründlich, ohne sich die Nahrung streitig zu machen, satt und sitzen nach der Mahlzeit mit seitwärts ae« neigtem Köpfchen und hängenden Flügeln zufrieden wie artige Kinder da. Ihr anderen Kinder, denkt an die Vögel und streut ihnen alle Morgen ein wenig Futter! * Zur Lsudtag-wahl. Herr Kommerzienrat Schieck, der bisher den 10. städtischen Wahlkreis (Frankenberg. Hai nichen, Mittweida) vertrat, hat leider aus gesundheitlichen Rücksichten die ihm erneut angetragene Kandidatur abgelehnt. Ein hiesiger allgemein beliebter und hochgeachteter Herr, dem Im Tuge cier Roman von E. Dressel. U«. 8-rtse-iNlg.t ——- («aqdruck vrriok».) Aller Augen suchten die Weihnachtslichter. Es mußte schon ein heimatloser Wanderer, oder sonst ein einsamer, familienfremder Mensch sein, der heut den Blick erdenab wärts kehrte und aus fernen Himmelsleuchten Trost und Freude schöpfte. Nun, Vollrad stand mit beiden Füßen auf dem Boden, der versprach, ihm Heimaterde zu werden, und so schaute er über seine nächste Umwelt kaum hinaus. Er freute ich an der lichtbeglänzten Schneehelle der Straßen, dem unkelnden Tannenglanz hinter den Fenstern, und wie er )abei die frischkalte Luft einatmete und den festen Schnee unter seinen raschen Füßen knirschen hörte, wich die seit- same Beklemmung, die sich ihm vorhin aufs Herz gelegt, und ihm ward fast froh zu Sinne. Sich der vornehmen Blücherstraße nähernd, ließ er das Stadtgetriebe völlig (hinter sich und kam nun in eine fast ländliche Einsamkeit, wo die weißen Villen still in ihren weiten verschneiten Gärten standen und hinter herabge lassenen Jalousien nur ein diskreter Schimmer elektrischen Lichtes in die Nacht hinausglitt. Hier kam die bleiche Mondleuchte mehr zu ihrem Recht. Von ungefähr sah Vollrad hinauf, nicht sehnsüchtig oder.unruhvoll, nein, er lachte vergnügt in das bald volle Rund des geheimnisvollen kalten Lichtkreises, denn er dachte: »Das gibt klingenden Frost — prächtige Schlittenfahrt. Ob ich die ganze kleine Bande mal morgen hinausfahre in dies herrliche Winterprangen?" Und er straffte den jungen Körper, dehnte sich, ob er wohl noch die frühere Geschmeidigkeit spüre. „Zwei freie Tage, ha, die will ichnutzen. Einen halben Winter auf dem Kontorstuhl festgesessen. Das Leben hat's nicht gekostet, o nein, aber die Steifheit in den Knochen, die muß wieder raus." - heiter dem stillen Licht zu: „Schaffe nur Frost, du kaltes Vlaßgesicht, starrenden Frost." Wenig spater hatte er diesen Weihnachtsmunsch »öllig vergessen. Da stand er in einem hohen weiten Saal, wo ihn eine blendende Lichtflut, wohlige Wellen von Wärme und köstlichen Blumendüften umschmeichelten, stand vor einer hohen Frauengestalt im weißen schleppenden Gewand, aus dem ein Leuchten und Gleißen brach, das alles Flammen und Glänzen umher beschämte. Er neigte sich tief vor dieser königlichen Fee und staunte bei sich: „Daß es so wunderschöne Frauen nicht nur im Bilde gibt. Solche sah ich nie." An diese schöne junge Frau, die ihn mit freundlicher Ruhe bewillkommnete, drängte sich jetzt mit lebhaftem Ungestüm ein Bübchen in schwarzer Sammetbluse, auf deren breiten Spitzenkragen sich dunkle seidige Locken ringelten. Dies entzückende Kind, der schönen Mutter völliges Ebenbild, glich in seinem kostbaren kleidsamen Anzug einem Edelknaben des Mittelalters. „Als wäre er aus einem Vandykschen Fürstenbild herausgeschuitten," dachte Vollrad. Nun merkte er auch, daß er sich dennoch verspätet hatte, denn der Junge hatte bereits die Arme voller Spielsachen, um derentwillen er eben die Mutter mit irgendwelchem Anliegen bedrängte, und eine hastige Umschau belehrte ihn, daß er inmitten weihnachtlicher Strahlenhelle stand. Er stammelte eine Entschuldigung, doch der Kommerzien» rat, dessen strenge Pünktlichkeit oft gefürchtet wurde, winkte lächelnd ab: „Wir hätten ja gern gewartet; aber heut ist Junge Regent. Seine Ungeduld war nicht länger zu »3ch mochte ihn überdies nicht allzulange aufbleiben lassen, schaltete die weiße Frau ein. „Eine Stunde über gewohnte Bettzeit ist ihm erlaubt, mehr würde schaden. Er braucht viel Schlaf, mein reizbarer Junge. Aber nun müssen Sie unsere Tannen sehen, Herr Klüven, ich habe sie selber geputzt. Wir sind ganz oo tsmills. Möge es Ihnen bei uns gefallen. Es freut mich, Sie nun kennen zu lernen. Sie sagte das im Ton der gelassenen vornehmen Dame. Vollrad hörte dennoch einen Hauch von Wohl wollen aus ihrer klaren kühlen Stimme heraus. „Sie muß von meinem Vorleben unterrichtet sein, legt mir dachte ^er^^ dauert nur unser Mißgeschick," meine schönen Sache« müssen Sie auch besehen, ich hab furchtbar viel bekvmmen," rief Harald. Auch aur den großen dunkelblauen Augen dieses verwöhnten Knaben lachte Kmderlust ihn an. „Ob das Herrn Klüven interessiert 7" Die junge Frau nahm lächelnd ihr schwarzlockigss Bübchen an die Hand und schritt mit leichten Füßen vor ihm her durch den weiten Saal. Das lange Gewand gab ihr etwas Schwebendes, aber den schönen Kopf trug sie hoch auf dem schlanken Hals. „Wie ein weißer Schwan gleitet sie dahin, welch eine stolze ruhige Grazie sie hat," dachte Vollrad. Aber das strahlende süße Knabengesicht entzückte ihn noch stärker. „Alles muß ich sehen," lachte er ihm zu, „ich komme gerade von einer Kinderbescherung her, die mir ebenfalls viel Spaß machte." „Und Sie so lange festhielt? Dann müssen Sie sich bereits recht eingelebt haben." Iella Brügge wandte mit einer schnelleren Bewegung den brünetten Kopf zurück. In ihren mächtigen blau dunklen Augen lag staunendes Fragen. „Ja," sagte er offen, „es ist mir leichter gemacht und wohler geworden, als ich erwarten konnte. Gnädige Frau kennen vielleicht meine Hamburger Vergangenheit?" Sie nickte kurz. Aber es lag Teilnahme in ihrem Ge sicht, der gegenüber durfte er aufrichtig sein. So sprach er ehrlich weiter: „Dann werden Sie auch begreifen, gnädige Frau, daß ich mit großer Unsicherheit, ja fast Furcht in das neue Leben, die fremden Verhältnisse trat. Es ging dann freilich nicht über meine Kraft, dies Fügen in Zwang und Enge, daß ich aber noch heut mit Kämpfen und Zweifeln zu ringen habe " „O, das verstehe ich — ja, nur zu gut," fiel sie rasch und leise ein. „Dennoch, Sie sind Sieger geblieben, das muß Sie freuen." Leuchtend ruhten ihre großen Augen auf seinem Ge- sicht. Er wurde fast verlegen. Für einen Helden hatte er sich wirklich noch nicht gehalten. „Ihres Herrn Gemahls Hochherzigkeit, gnädigste Frau, half mir manche Schwierigkeit überwinden," wehrte er bescheiden, „und auch von anderer Seite kam freund williger Nat. Ich hatte das gute Glück, in einer liebens würdigen Familie Unterkunft zu finden, in der " „Mein Himmel, Klüven, sind Sie's denn leibhaftig? Wie kommen Sie bloß hierher? Keine Ahnung, daß Sie den Meinen b«tan»t find." Foetketzuna folgt.)