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Frankenberger Tageblatt, Bezirks-Anzeiger : 26.01.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-01-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1786999250-190901262
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1786999250-19090126
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1786999250-19090126
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Frankenberger Tageblatt, Bezirks-Anzeiger
-
Jahr
1909
-
Monat
1909-01
- Tag 1909-01-26
-
Monat
1909-01
-
Jahr
1909
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muS zu bedauern sei. Die Stellung der konservativen Partei sei immer schärfer geworden. Das Mißtrauensvotum der ! Nationalliberalen gegen den Kammerpräsidenten war erzwungen > durch dessen Verhalten. Der Kamps soll hestig und scharf, aber ohne jede persönliche Feindseligkeit geführt werden. Wir wollen für die Zukunft trotz aller sachlichen Unterschiede den Ton gegenseitigen Vertrauens und gegenseitiger Hochachtung ins Parlament wieder einsühren. (Lebh. Beifall.) ! Dir Debatte ergab in allen wesentlichen Punkten volle Uebereinstimmung. Nach einem kurzen Schlußwort des Abg. Hettner fand die Versammlung ihr Ende. Born Reichstag. 192- Sitzung am 23, Januar, mittags 1 Uhr. In dritter Lesung wurde die Novelle zum Wechsel- stempelsteuergesed debottelos definitiv genehmigt. Darauf folgte die erste Beratung der Novelle zu dem Gesetz von 1870 wegen Beseitigung der Doppelbesteuerung. Abg. Dr. Brun st ermann (Reichsp.) begrüßte die Vorlage als einen dundessreundlichen Akt gegenüber denjenigen namentlich mitteldeutschen Staaien, in denen zahlreiche Beamte der preußischen Staatsbahuen stationiert sind, ohne daß sie bisher zur Besteuerung in den bet.effenven Staaten herangezogen werden konnten. Abg. v. Beockhausen (kons.) sührte auS: Seine Partei sei auch bereit, die vorgeschlagenen Aenderungen zu genehmigen, aber sie glaubt, daß sie doch zunächst einmal die ganzen finanziellen Verhältnisse, die dabei in Betracht kommen, erfahren müsse. Des halb halte er und seine Freunde eine Kommissionsderatung für an- gezeigt. Abg. Quarck (natl.) trat namens seiner Fraktion für die Vorlage ein und glaubt, daß eine kommissarische Vorberatung un nötig iei. Abg. Binder (wz.) emvfiehlt folgende Fassung: eine Be steuerung in einem Staate solle unterbleiben, wenn der Betreffende nachweist, daß er bereits in einem andern besteuert ist. Aba. EnderS (Hosvitant ireis Vp.) wendet sich gegen den v. Brockhausenschen Standpunkt. Die Vorlage sei durchaus kein besonderer Akt bunde-freundlicher Gesinnung Preußens, sondern es sei einfach Pflicht Preußens, ein Unrecht gut zu machen. Abg. v. Damm (wirtich. Bg.) erblickt in der Vorlage die Erfüllung einer gerechten Forderung. Abg. Neumann-Hofer (ireis. Vg.) erklärt, er und seine Freunde seien dankbar tür daS Entgegenkommen der preußischen Regierung- Aber wenn auch diese Vorlage Gesetz würde, so bleibe immer noch übrig daS große Unrecht der kommunalen Doppelbesteuerung. Abg. v. Stromdeck iZentr.) sagt, auch seine Freunde be grüßen die Vorlage. Die kommunale Doppelbesteuerung verdiene allerdings erwogen zu werden. Er halte eine kleine Kommission für angrzeiat. Abg. v. Gamp (Reichsp.) hält kommissarische Beratung für überstüisig. Generaldirektor der direkten Steuern, Wallach, erklärt eS für unmöglich, genaues Material über die Wirkung der Vorlage zu beschaffen. Dir Verweisung der Vorlage an eine Kommission wird hierauf abgelehnt, die zweite Lesung wird von der Tagesordnung ab- gesetzt. Hierauf wird die Besprechung der Interpellation, betr. Handhabung deS Retchsvereinsrechts, fortgesetzt. Abg. Fürst Radziwill (Pole) führte aus, der Staats sekretär habe den Beweis für die großpolnischen B Gedungen dec polnischen Berufsvcreinigungcn nicht erbracht. Die Forderung deS Verzichts aus ihre Nationalität zwinge die polnische Bevölke rung. sich die Nationalität durch Organisation zu rhalten. Siaal-setietär v. Bethmann-Hollweg: Er habe gezeigt, daß der polnische Zusammenschluß in unmittelbarem Schüren des Haffes gegen da« Deu'schtum leinen Ausdruck luchte. Dieser Hch gegen Deut'chland äußere sich darin, daß man alle Polen hindere, deutschen Vereinen anzuaehören. daß man sie zwang, keinesfalls bei Deutschen zu kauten. Redner fragt, ob daS vom Fürsten ! Radziwill verteidigt werden soll. Abg. Ledebour (soz.) war überrascht, daß der Abg. Junck sich darüder beschwert ha', daß so wenig Verstöße gegen das G- fetz vorgekommen seien. Diesem Manne fehle völlig das Ehrgeiühl deS »reien Mannes Vizepräsident Kaemps ruft den Redner wegen dieler Aeuße- rung zur Ordnung. Abg. Ledebour bespricht sodann besonders die Handhabung deS Geietzes in Sachsen und Preußen und nimmt die polnischen Bermsvereme in Schutz. Als er die ganze nationalliberale Partei beleidigte, verließen die nationalliberalen Abgeordneten den Saal. Präsident Graf Stolberg ruft den Redner abermals zur Ordnung. Sächsischer Bevollmächtigter G»b-Rat Fischer erklärt, Herr Ledebour habe vvn sächsischen Verhältnissen keine Ahnung. Er habe sich einen mäch'ig'N Bären aufdinden lassen. Abg. Sch im er (Zentr.) meint, man solle hie besonderen Eigentümlichkeiten dec Polen schonen und ff« nicht drangsalieren? I ES gäbe in bezug aus Mißgriffe bei der Handhabung deS Ver- i einsrechts die krassesten Fälle. Ministerialdirektor Just teilte mit, in Preußen sei eine An ordnung ergangen, wonach nicht nur amtliche, sondern alle Zei tungen als Pudlikationsorgane -»gelassen seien. Abg. Müller-Meiningen (kreis. Vp.) erklärt, die Sozial demokraten mögen ruhig sein, er und seine Parteifreunde würden nie einem Ausnahmegesetz zustimmen. Redner polemisiert dann noch gegen Ledebour. Abg. Stychel (Pole): Der Staatssekretär habe, indem er mit seinem Material den Beifall der Mehrheit fand, nur gezeigt, wie man selbst einem solchen Hause etwas vormachen kann. Die Polen seien nicht die Angreifer, sondern die Angegriffenen. Abg. v. Liebert (Rv ): Seine Partei wünsche keine Ab änderung des VereinSgesetzeS. Der Staatssekretär habe nach gewiesen, wie notwendig der Sprachenparaaravh gegenüber den Polen sei. Von einer Drangsalierung der Polen sei keine Rede. Hierauf wird ein Bei tagungsantrag angenommen, worauf zahlreiche persönliche Auseinanderst düngen folgen. Montag mittag 1 Uhr: Erste Beratung deS Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb. eine neue krabebenlkriarttspde? Wie wir schon in voriger Nummer meldeten, sind von den deutschen Erdbebenwarten am Sonnabend früh große Fern- deben ausgezeichnet worden. Nähere Nachrichten über den Herd des Erdbebens fehlen noch. Ueber die Aufzeichnungen wird auS Plauen berichtet: Das von der kaiserlichen Haupt station für Erdbebenforschung zu Straßburg in der Schule zu Untrrsachsenberg aufgestellte Seismometer und das im königlichen Lehrerseminar in Plauen aufgestellte Seis mometer verzeichneten am Sonnabend ein gewaltiges lang anhaltendes Fernbeben, und zwar in Untersachsenberg 3 Uhr 43 Minuten. Das Fernbeben dauerte 20 Minuten und war wellenförmig. Der Ausschlag ist größer als bei den jüngsten Erdbeben in Süditalien. Der Plauener Apparat verzeichnet ein gewaltiges Beben um 4 Uhr 33 Minuten bis 4 Uhr 54 Minuten. Der Ausschlag ist sehr heftig und mit Unterbrechung von 1V» Minuten vom Zeichenstist unter sehr starker Schwankung festgehalten. Die Beben müssen sich nach der Art der Aufzeichnung innerhalb Europas ereignet haben. — Auch die Münchener Erd bebenwarte hat am Sonnabend früh ein sehr heftiges Erd beben, das vermutlich in Kleinasien stattgefunden hat, regi striert. Die Erschütterungen waren nicht so heftig wie in Messina, aber immer noch sehr bedeutend. — Die Haupt station für Erdbebenforschung in Hamburg verzeichnete eben falls um-3' Uhr 55 Minuten 14 Sekunden beginnend und gegen 2 Stunden dauernd ein katastrophales Erdbeben, dessen Herd etwa 3700 Kilometer von Hamburg in östlicher Richtung zu suchen ist. — Aus Sofia wird gedrahtet: Der hiesige Seismograph registnerte Sonnabend früh 5 Uhr ein kata strophales Erdbeben, dessen He-.d etwa 2000 Kilometer von Sofia entfernt zu suchen ist. Das Erdbeben ist nach den Aufzeichnungen der Apparate noch weit stärker gewesen als das Erdbeben in Südltalien. Ob die aus Süditalien gemeldeten neuen Erdstöße die Ursache dieser Aufzeichnungen in Deutschland waren, oder ob der Hauptherd des neuen Bebens weiter liegt, m ß ab- gewartet werden. Das neue Erdbeben in Südrtalirn scheint nach den vorliegenden Meldungen ganz erheblich gewesen zu sein: * * * Messt««. Sonnabend abend 7 Uhr 30 Minuten wurde eine feyr starke Erderschütterung wahrgenommen, die > Sekunden archielt und auch an Bord der Schiffe gefühlt wurde. Die Barackeubaulen am Lande gerieten ins Wanken. Die Bevölkerung rst lebhaft beunruhigt. Rtßgi*. Sonnabend nachmittag um 2 Uhr wurde hier eine Erocrschütterung verspürt. Um 4 Uhr 25 Minuten trat eine starke Erderschütterung ein, die mit dumpfem donnerähnlichen Geräuich verbunden war. Um 7 Uhr 20 Min. abends ereignete sich wieder ein leichter Erdstoß, dem 7 Uhr 24 Minuten ein sehr heftiger Stoß von kurzer Dauer folgte, der an Stärke dem vom 28. Dezember gleichkam. Mehrere bereits beschädigte Mauern stürzten ein. Der Bevölkerung hat sich ein großer Schrecken bemächtigt. «sm. «isst«» ist der «Ott«« i« LLti«relt «e trete«. ES findet fortgesetzt starke- unterirdisches Ge. löse statt. SerMder «ml rsrbrircdrr Frankenberg, 25. Januar 190». f Auf dt« Eise. Eistristalle funkeln wie Demant sterne und auf den Gewässern hat der Frost wieder eine herr liche Bahn geschaffen für den gesunden, nervenstärkenden Eis laussport, den Klopstock, der Sänger des „Messias", in einer seiner schönsten Oben verherrlicht hat, sodaß Altmeister Goethe von ihm sagte, er habe das Schlittschuhlaufen durch geistige Anregung zu veredeln und würdig zu verbreiten gewußt. Auch Goethes Freund, Herder, widmet dem Schlittschuhlaufen in seinem „Eistanz" begeisterte Verse: Wir schweben, wir wallen auf hallendem Meer, Auf Silderkrtstallen dahin und daher; Der Stahl ist uns Fittich, der Himmel daS Dach, Die Lüste sind heilig und schweben uns nach. So gleiten wir, Brüder, mit fröhlichem Sinn Auf eherner Tiefe des Lebens dahin. Der Eislauf ist ein altnordischer Brauch und wurde schon von den Psahlbauern geübt. Freilich waren damals die Schlittschuhe noch sehr einfacher Art, sie waren aus Holz gefertigt und glichen den Schlittenkufen, oder es wurden ge glättete Rinder- und Pserdeknochen verwendet, die unter der Schuhsohle befestigt wurden. In neuerer Zeit sind es die Holländer gewesen, die den Eislauf zu neuem, frischem Leben erweckt haben, und Holländer-Schlittschuhe galten noch vor etwa zwanzig Jahren auch bei uns als die besten. Bei unS in Deutschland hat sich gegenwärtig der Eissport zu hoher Blüte entwickelt, und während früher das Schlittschuhlaufen ein einfaches, ruhiges Vorwärtsgleitrn war, wird jetzt darin eine oft erstaunliche Kunstfertigkeit entwickelt: Reigenfahren und „Holländern", Schnellläufen und Eisquadrillen wechseln mit dem einfachen Tourenlaufen ab und schaffen auf der Eisbahn ein buntbewcgtes Bild. Der Hauptwert des Schlitt schuhlaufens liegt aber in seiner gesundheitlichen Bedeutung. Wie röten sich die Wangen der bleichen Kinder in der frischen Winterluft! Wie kreist das Blut in den Adern, wie erhöht sich Lebenslust und Freude, wie bekommen die matten Augen wieder Glanz! Der Eislauf ist sicher ein probates Mittel gegen frühzeitige Nervosität. Und selbst die Alten, deren Glieder schon zu ungelenk und unbeholfen geworden sind, freuen sich über das frisch pulsierende Winterleben. Darum hinaus jetzt, wo des Winters schönste Freude« locken! * s* Theater im „Schützeuhau-". Die beiden Vor stellungen am Sonntag waren gut besucht. Während am Nachmittag das Weihnachtsmärchen der kleinen Welt viel Freude bereitete, übte am Abend das Meier-Förstersche Schau spiel „Alt-Heidelberg" auf die wieder Anziehungskraft und Zauber aus, die sich gern von der Sentimentalität auf der Bühne in den Bann ziehen lassen, der einst die Birch-Pfeiffer ihre Erfolge verdankte und die jetzt wieder mehr in den Vordergrund zu kommen scheint. Mitleid und Rührung erweckte Alt Heidelberg auch gestern wieder. Die Hauptrollen waren gut besetzt, sodvß man auch in künstlerischer Beziehung zufriedengestrllt wurde, soweit in dieser Beziehung an eine Wanderbühne Ansprüche gestellt werden dürfen. f Sitzung des Gesamtmtaistert»ms. Unter dem Vorsitz des Königs und in Gegenwart des Prinzen Johann Georg fand am Sonnabend in Dresden eine Sitzung des Gesaml- minlsteriums statt. Man vermutet, daß es sich um die Zu stimmung der Regierung zum WahlrechtSgesetz handelte. f Kei» Rücktritt de» Gruse» Hohenthal. Neuer dings wurde wieder gemeldet, Graf Hohenthal werde wegen seines leidenden Zustandes im Lause dieses Jahres in den Ruhestand treten. Als sein Nachfolger wurde der sächsische Gesandte in Berlin, Graf Vitzthum v. Eckftädt, genannt. Demgegenüber teilt Graf Hohenthal selbst mit, die Nach richt entspreche nicht den Tatsachen. Er denke nicht daran, sein Amt niederzulegen. f Znm natioualltberale» P«rteisekretSr für Chemnitz Im Luge äer 1^st. Roman von C. Dressel. !«. Forllttzung.1 (»achdriick r-rd°tr^ Begeistert rau der Liebenswürdigkeit seines Chefs, ging Vollrad i.ttl leichten Füßen und hochgetragenem Kopf in sein Hotel. Ein vortreffliches Diner hob die gute Stimmung noch. „Wenn mich ein günstiger Stern nun noch zu einer netten Wohnung führt, womöglich in Annelises Viertel gelegen, daß man hoffen könnte, sie mal zu sehen, wünsche ich mir vorläufig nichts weiter," sagte er sich. „Guter Gott, das Leben ist dennoch schön, ist lebenswert. Vor wenigen Tagen noch hätt' ich den Niederschlagen können, der mir das ins Gesicht hinein behauptet hätte. Und heute? Ja, was ist mir denn Großes geschehen? Süße Mädchenaugen haben mich angelacht, ein gütiger vorurteilsloser Mann hat mir, dem Tunichtgut, dem armen Schlucker, echte Menschenliebe gezeigt. Das wäre nichts Großes? Nichts, was mir, dem Güterverwöhnten, vordem an Gaben und Huldigungen gespendet wurde, reicht da hinan. Nein, schäme dich nicht deines sanguinischen Frohsinns, es ist dir wahrlich Großes geschehen." Mit dieser getrosten Freudigkeit machte er sich dann nach kurzer Rast von neuem an die Wohnungssuche. Nun versuchte er's mit der Neustadt, die sich außerhalb der früheren Festungsgrenze wett ins Land streckte, bis in umliegende Dörfer hinein, die ihr nun als Vororte einverleibt wurden. Hier gefiel es ihm. Da gab es Licht und Luft in breiten Straßen, auf schönen Schmuckplätzen. Waren d e Häuser auch nicht die üblichen himmelhohen Miet kaseruen der Gros stabt, sie hatten sich doch gefällig mit Erieevorbauten, Valkonen oder Loggien geziert. Nun, und eine stilvolle Villa zum Alleinbewohnen konnte er sich ja ui -t lei:en, mu-ste vielmehr seine Ansprüche immer weiter hinnnterschrauben, denn es erwies sich, daß die Mehrzahl der in diesen geschmackvollen Zinspalästen an- gebotenen Zimmer noch seine Mittel überstieg. Er merkte schon, die Annehmlichkeit des häuslichen Badezimmers würde er fai en lassen und sich mit seinem großen Wasser bedürfnis auf die Badeanstalten beschränken müssen. Nachdem er in sechs, acht Häusern ergebnislos trepp- auf, treppab gestiegen war, blieb ihm auf feiner heutigen Liste nur noch eine Adresse. Die wollte er noch begehen. War auch das nichts, hieß es inserieren. Das bedeutete aber verlängerten Hotelaufenthalt. Doch auch die übereilte Wahl würde den Geldbeutel angreifen. Die billigste Wohnung wird durch schnellen Wechsel verteuert und die Gesundheit profitiert erst recht nicht dabei. Auch einem jungen Menschen bekommen Aerger und Unbehagen schlecht. O ja, man war auf dem Wege, ein exemplarisch vor sichtiger und verständiger Mann zu werden. Wenn sich das so weitermachte, erreichte man schließlich noch den weisen Solon. Demnach prüften seine kritischen Blicke das in der Kronprinzenstrnße gelegene Haus vorerst von außen. Es hatte zwar fünf Stockwerke, machte aber einen netten Ein druck mit seinen Erkerausbauten, den breiten, mit grünen Jalousien versehenen Fenstern und dem Hellen tadellosen Oelanstrich. Außerdem besaß es den Vorzug eines Vor gärtchens, der es dem Lärm und Staub der Straße etwas entrückte. So weit gefiel es ihm also. Allerdings befand sich die Wohnung in der dritten Etage. Schließlich aber, er war doch kein Mummelgreis. Wer den Montblanc besteigen konnte, wird sich doch nicht vor einigen bequemen Haustreppen fürchten. Also on avant. Als er sich der Haustür näherte, wurde diese mit einem Ruck, der Eile verriet, von innen geöffnet, und an ihm vorbei hastete ein großes, schlankes Mädchen. Fast hätte er einen Jubelruf ausgestoßen. Ob die junge Dame, die in fabelhafter Eile an ihm vorübersauste, seinen in jäher Uelerraschung beinahe versäumten Gruß bemerkt, wußte er nicht. Nur das wußte er, dies junge Mädchen, deren zarte Gestalt er im Fluge erfaßt, deren schweren kastanien braunen Haarknoten er eben noch im fernen Sonnen strahl aufleuckten und nun schon um eine Straßenbiegung verschwinden sah, war Annelife gewesen. Ganz zweifellos sie. Wohnte sie in dem Haus, hatte sie nur oberflächliche Beziehung zu ihm? Eq war gleich. Sie war durch diese Tür gegangen, und beinah zärtl ch legte er die Hand auf den Griff, den ihre Finger Geben berührt. Mit wahrem Lergnügen erklomm er die Stufen, über die ihr flüchtiger Fuß geschritten. Und wenn in dem Haus nichts zu ha en wäre als ein dunkles Kammergelaß, er nahm's und für jeden Preis. So war der angehende Weltweise mit mächtigem Satz in alte Torheit zurückgefallen und fand sie wunder ¬ bar süß dazu. An dem Türschild der linksseitigen dritten Etagen- Wohnung stand „Doktor Overlach". Das las sich gut. Schneider Müller hätte ihn doch vielleicht ein bißchen enthimmelt. Angenehm berührt, drückte er auf den elektrischen Knopf und sah sich alsbald einer mittelalterlichen Dann gegenüber mit einem sympathischen Gesicht unter schlich e i, ieicht angegrauten Scheitelhaar. Mas war keine Zinn, er - zhäne, deren er manch eine im Verlauf dieses T? sehen, mit beutegierigen Blicken den eleganten Neuling musternd, als ob sie ihn am liebsten mit Haut und Haar verschlungen hätte. Diese Frau Doktor Overlach sah er nun seinerseits prüfend darauf an, ob sie wohl Annelises Mutter sein könnte. Er meinte keine Aehnlichkeit zu finden. Stille ernste Züge sah er, die ruhige Gemessenheit, der gebildeten Dame, aber von der geistigen Beweglichkeit der braun äugigen Reisegefährtin, ihrer temperamentvollen Lieblich keit keine Spur. Dennoch hatte das-feine blonde Gesicht etwas Be kanntes für ihn. Und nun hatte er's heraus. Der blonde Sekundaner, der die ausgelassenen Geschwister gestern auf dem Bahnsteig zurechtgewiesen, er war dieser Frau wie aus dem Gesicht geschnitten. Also doch Annelises Mutter. Sie selber artete vielleicht dem Vater nach, wenn sie überhaupt einem Menschen glich, diese Fee, diese Göttin. War er ein Glücksvogel! Träumerisch sah er die Frau an und hörte gar nicht hin, als sie erklärte, nur ein Zimmer vergeben zu können, in dem bis dahin ein Postsräulein gewohnt. An einen Herrn habe sie ohnehin nicht vermieten wollen, indes — es käme eben darauf an War der junge Mann schwerhörig? Er starrte sie so verständnislos an, daß sie ihren Satz mit lauterer Stimme wiederholte. Da nahm er sich zusammen, wurde sachlich und redete mit der zielruhigen Klarheit des vernünftigen Menschen, der er vor zehn Minuten noch gewesen, von seinen be scheidenen Wünschen, die zwei saubere gemütliche Zimmer bedingten und womöglich tägliche Badegelegenheit. Auch ließ er einfließen, daß er Kontorist der Firma Brügge sei, in der leisen Hoffnung, dieser Umstand möchte die H«rren- scheu der Dame dssisged Fortsetzung folgt.)
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