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42 Die»St«g. dr« 18. Fetnwr 1S07 Zrankenberger Tageblatt I Anzeiger Vegründel 1842. 66. )ahrgang. -MU für die MM MhWimmW MH«, d«; MzW AmkMK md dm Mnl zu Imkmkerg i. Zs. Verantwortlicher Redakteur: Ernst Roßberg in Frankenberg i. Sa. — Druck und Verlag von C G. Roßberg In Frankenberg t. Sa. Erscheint an jedem Wochentag abend» für den folgenden Lag. Bezugs- preis vierteljährlich 1 50 H, monatlich 50 H. Trägerlohn extra. — Einzelnummern lausenden Monats 5 H, früherer Monate 10 Bestellungen werden in unserer Geschäftsstelle, von den Boten und Ausgabe stelle», sowie von allen Postanstalten Deutschlands und Oesterreichs angenommen. Nach dem Auslande Bersand wöchentlich unter Kreuzband. Ankündigungen sind rechtzeitig anszugeben, und zwar größere Inserate bis 9 Uhr vormittags, kleinere bis spätestens 11 Uhr mittags des jeweiligen Ausgabetages. Kür Aufnahme dou Anzeigen an bestimmter Stelle kann eine Garantie nicht übernommen werden. Goch- S1. Telegramme: Tageblatt Frankenbergsachsen. Freitas, den 1. März df». I» , findet vo« Nachmittags Uhr an Svk«ikUl«i>« »«Ltrll»»«»- xrku«»»» im hiesigen Verhandlungssaale statt. Die Tagesordnung hängt an hiesiger Kanzleistelle zur Einsichtnahme aus. Flöha, am 14. Februar 1907. Die KSuigliche Amtshauptmaunschaft. Anzeigenpreis: Die s-gesp. Petitzeile oder deren Raum 15 H, bei Lokal- Anzeigen 18 L; im amtlichen Teil pro Zeile SO „Eingesandt" im Redaktionsteile S5H. Für schwierigen und tabellarischen Satz Aufschlag, für Wiederholungsabdruck Ermäßigung nach feststehendem Taris. Für Nachweis und Offerten-Annahme werden 25 H Extragebühr berechnet- Inseraten-Annahme auch durch alle deutschen Annoncen-Expeditione». Kirchenvorstandsfitzung Dienstag, den 19. Februar 1907, nachmittags V-3 Uhr. (qewShrleistet von der Gemeinde) Verzinst aste Einlage« Mit 3'/» Vo und ist geöffnrt Dienstag» und Freitag» nachm. 2—6 Nhr Telephon: Amt Oberlichtenau Nr. 18. Am Barabend der Reichstagseröffnung. ** Vor einigen Tagen erwähnten wir die Vorlagen, die den morgen vormittag 11 Uhr zusammentretcnden Reichstag in seiner ersten Session zu beschäftigen haben werden. Es sind das der Nachtragsctat für 1906, der Rei hsetat für 1907 und der Gesetzentwurf über die am 12. Juni d. I. vorzu nehmende Brusszählung in Deutschland. Bon einem so radi kalen Wandel der Reichspolitik, wie er in diesen Tagen na mentlich von der sozialistischen Presse als Gespenst an die Wand gemalt wurde, dürfte kaum die Rede sein, wenn auch nicht zu verkennen ist, daß der neue Reichstag seiner Zusam mensetzung nach agrarsreundlichcr gesinnt sein dürste, als der am 13. Dezember v. I. aufgelöste. Die Furcht vor der Re aktion wird wahrscheinlich ebenso unbegründet sein, wie die Angst auf der entgegengesetzten Seite, daß infolge des immer hin bemerkenswerten Einflusses der Liberalen die vorher ein geschlagene Schutzzollpolitik eine verhängnisvolle Abschwächung erfahren könnte. Im allgemeinen kann man wohl sagen, das; durch den Ausfall der Wahlen eine wesentliche Acnderung gar nicht gut möglich ist; denn die deutsche Wählerschaft in ihrer überwiegenden Zahl hat doch durch die Voten vom 25. Januar und 5. Februar ganz unzweideutig die bisherige Rcichspolitik gebilligt. Und nach dieser Abstimmung wird sich nunmehr doch auch die Negierung zu richten haben. Ferner werden die im Reichstag mit der Zeit sich wieder durchringendcn wirtschaftlichen Ansichten und Forderungen der einzelnen Parteien jedenfalls immer ein Gegengewicht fin den in dem Ausgleich, den einmal die Verbündeten Negie rungen in die Wege leiten müssen, zum andern wird den etwa von links kommenden Anforderungen, sobald sie zu weit gehen, ein Gegendruck von rechts folgen, und umgekehrt. Paktieren aber, was nach den bisher aus der Zentrumspresse und aus Herrn Erzbergers Munde vernommenen Drohungen als sicher zu schließen ist, in nationalen Fragen Zentrum und Sozial demokratie mit einander, um jene im Reichsintcresse liegenden Forderungen zu Fall zu bringen, so ist, wie an dieser Stelle schon einige Male nachgcwiesen wurde, eine Abwchrmehrheit vorhanden. Die Lage der Regierung wird demnach gar nicht so schwierig werden, wie man das auf mancher Seite befürchtet. Vorausgesetzt, daß Fürst Bülow cS verstehen wird, sich den von Fall zu Fall wechselnden Majoritäten anzupassen. Der Kanzler muß infolgedessen eine Politik befolgen, welche auf der goldenen Mittellinie sich bewegt. Vor allem wird die Reichsregicrung in allen Fragen über den Parteien stehen müssen, wenn auch manchmal der Fall eintreten kann, daß sie mit der oder jener Partei zu gehen hat, um einer Re gierungsvorlage zur Annahme zu verhelfen. Außer den eingangs erwähnten Regierungsvorlagen sind noch Gesetzesvorlagen sozialpolitischen Charakters zu erwarten. So das BerussvereinSgesctz. Der Reichskanzler hat bereits vor kurzem betont, daß eS unzutreffend sei, wenn befürchtet werde, die BerufsvercinSvorlagc solle mittelbar oder unmittelbar zu einer Beschränkung der nicht rechtsfähigen Berufsvereine führen. Die „Soz. Prax." nahm von dieser Kundgebung des Fürsten Bülow bereits mit einer gewissen Befriedigung Notiz, wenn auch nicht so ganz ohne Hintergedanken. Sie bemerkte näm lich, „sie bezweifle, daß die bisherigen Bahnen der deutschen Sozialpolitik sich stets bewährt hätten, keinesfalls träfe dies aber in bezug auf das Berufsvercinsgesetz zu. Wenn auch die Vorlage keine Beschränkung der Berufsvereine selbst an- strebe, so würde die Wirkung deS Gesetzes doch auf eine Fesselung der eingetragenen und Differenzierung der nichtein- getragcnen Vereine hcränsgekommen sein." In gewisser Hin sicht wird die „Soz. Prar." Recht behalten müssen; die poli zeilichen Bestimmungen, die hin und wider einer Knebelung verzweifelt ähnlich sehen, sind es eben, die bereits im ver flossenen Reichstag Verurteilung fanden, namentlich auf libe raler Seite. Dasselbe Schauspiel dürften wir bei den bevor stehenden Beratungen der Berufsvereinsgesetzvorlage wieder erleben. Der Ausgang wird noch als zweifelhaft zu bezeich nen sein. Jedenfalls ist aber zu erwarten, daß bei Gelegen heit der Beratungen über den erwähnten Gesetzentwurf auch die christlich-nationalen Arbeitervertretcr, die sieben Mann stark im neuen Reichstag sitzen, ihren Einfluß mit in die Wagschale werfen werden. Gerade unter spezieller Bezugnahme auf die Parlaments vertretung der christlich-nationalen Arbeiterschaft ergriff dieser Tage der bekannte Sözialpolitiker Prof. Ur. Francke die Ge legenheit, auf die sozialen Pflichten des Reichstages hinzu weisen. „Ist", so führte er in der „Soz. Prax." aus, „das sozialpolitische Ergebnis der Wahlen erfreulich, so liegen bei der Regierung ebenfalls Bürgschaften für die Fortsetzung einer kräftigen Sozialpolitik vor. Dahin gehören die Kundgebung des Kaisers beim Silberjubiläum der November-Botschaft von 1881, ferner die Erklärungen, die der Reichskanzler nach der Wahl gegenüber dem Zcntralverband deutscher Industriellen und anderen abgegeben habe, endlich die Tätigkeit des er probten Fachministers Grafen Posadowsky und der Fortfall des, Zwanges, mit dem die wachsende Flut der Sozialdemo kratie bisher die Regierung automatisch nach rechts drückte. Alle Faktoren also begünstigen den Ausbau der sozialen Re formen. Dieser große Augenblick darf nicht versäumt werden, um den Versuch zur Wiedergewinnung der 3'/, Millionen sozialdemokratischen Wähler für das Reich zu machen." Be kundet hiermit — mit dem letzten Satze — Prof. vr. Francke auch einen etwas zu weit gehenden Optimismus, so greift er doch gleich darauf zurück zur nüchternen Politik des Mög lichen. Seines Erachtens sind im gegenwärtigen Augenblick als wichtigste sozialpolitische Ausgaben zu betrachten die Sicherung der Koalitionsfreiheit, die Beseitigung der Fesseln des politischen Vereins- und Bcrsammlungsrechts, die Aner kennung der Berufsvereine ohne Polizeiaufsicht, die Errichtung von Arbcitskammern und die Rechtsordnung der Tarifver träge. In zweiter Hinir stünden die Fortführung des Arbeits schutzes, die Vereinheitlichung der Bersicherungsgesetze, hie Er weiterung der Arbeitsnachweise, der NechtSauskunfterteilung, der Wohnungsfürsorge usw. Praktische Arbeit, so schließt Prof. Or. Francke, werde der Reichstag am sichersten leisten, wenn die Parteien darauf verzichteten, wie früher durch Ein bringung von Anträgen sozialpolitisch miteinander zu wett eifern, statt dessen aber über die Durchberatung bestimmter Forderungen sich einigen könnten. Soweit die Wünsche auf sozialpolitischem Gebiet. Nun bleiben noch die kolonialen Forderungen. Da ist, nachdem in der Wahlbewegung gerade diese Frage des langen und breiten erörtert worden lst und die Wählerschaft durch die Abstimmung ihre Ansichten und Wünsche genügend kund gegeben hat, nicht mehr viel zu sagen. Man wünscht den fach- und vernunftgemäßen Ausbau unserer Kolonien und nicht, wie es Bebel empfahl, das Verramschen des überseeischen Besitzes. Man wird gespannt sein dürfen, wie sich gerade zu dieser Angelegenheit der sozialdemokratische Vertreter des 15. sächsischen Reichstagswahlkreises, Herr Daniel Stücklen, stellen wird. Wie unS auS Leserkreisen mitgeteilt wurde, Erkämpftes Glück. Roman von A. Bel w. «»— Machtmur Vertova.» Die Reichsgräfin drückte aus die ihr wohlbekannte Feder in dem Wandgetasel und sofort schob sich dieses bei Seite, worauf sich ein schmaler Gang auftat, der direkt nach dem Turm des Eremiten führte. Ihr verstorbener Gatte hatte diesen Verbindungsweg oft benutzt;, er interessierte sich an scheinend lebhaft für kabbalistische Studien, und Rabbi Halevi war auch gern bereit gewesen, ihn mit allen Einzelheiten dieser jüdischen Geheimtehre vertraut zumachen, bis sich herausstellte, daß der Freiherr v. Bentmck nur aus der Prophetengabe des Kabbalisten sttr seine Gelospekulationen in Amsterdam und Hamburg Nutzen ziehen wollte. Der Rabbi war bei dieser Entdeckung in hochgradige Aufregung geraten, welche ihm dann eine schwere Krankheit zuzog, die er als die Strafe des Himmels für den Mißbrauch aufah, welcher seitens des Frei- Herrn mit seiner heiligen Wlssenjchaft getrieben worden war. Endlich wiederhergestellt, hielt er den Eingang zu seinem Turmgemach durch den geheimen Gang fortan sorgsam ver schlossen, und nichts konnte ihn bewegen, mit dem Schloßherrn wieder in Verkehr zu treten. Damals hatte Sophie Charlotte ihre Hand über den Rabbi gehalten und ihn vor dem Zorn ihres Gemahls bewahrt. Seit Jahrzehnten war die Reichsgräfin, wie gesagt, der Klause des Kabbalisten fern geblieben. Neugierig schaute sie sich daher jetzt in dem Raume um, allein da war »och alles unverändert, wie es früher gewesen, und nichts Absonderliches zu erblicken. In der Mitte ein großer, mit Papieren bedeckter Tisch, ein bequemer Lehnsessel davor, an der einen Seite ein mit kostbaren orientalischen Teppichen belegtes Ruhebett — das bildete in der Hauptsache die Ausstattung des Gemachs. — Als die Schloßherrin eintrat, stand der Rabbi an dem offenen Fenster und blickte gedankenverloren nach dem abend lichen Himmel, der sich mit schwarzen Gewitterwolken zu um ziehen begann. In weiter Ferne blitzte eS bereits und von Znt zu Zeit tönt« ein schwaches Donnern herüber. „Höret, Rabbi Jskasar," begann Sophie Charlotte nach kurzer Begrüßung das Gespräch, „ich habe bisher nicht all zuviel aus Eure kabbalistischen Weissagungen gegeben, aber heute komme ich mit der Bitte: Kündet mir die Zukunft meines Ludivig Günther und die Zukunft meines Hauses, wenn Jhr's vermögt." „Herrin," erwiderte der Alte ernst, „ich begreife Euren Wunsch, so kurz vor dem Abschiede von Eurem Lieblinge, aber glaubt es mir, es ist nicht gut getan, den dunklen Schleier zu lüften, der die kommenden Dinge umhüllt. Ich habe cs ost, gar ost erfahren." „Und doch erhebt Ihr Eure Wissenschaft bei jeder Ge legenheit bis in den Himmel, schwört auf den „Sohar" uni den ganzen anderen kabbalistischen Kram!" „Sprecht nicht in diesem Tone, Herrin," erwiderte der Greis, „Ihr tut mir weh. Fm „Sohar" ist das Urwclt- geheimnis enthalten. Selbst Päpste haben dies zugestandcn." „Das Urweltgeheimnis — wer soll dies kennen außer Gott selber, und der offenbart es keinem Sterblicben!" „Gott, Adonai," rief der jüdische Mystiker und breitete die Arme aus, „wer vermöchte ihn zu begreifen in seiner Unendlichkeit, seiner Allgemeinheit, seiner Glorie? Aber neben Gott stehen die Scfirvt, die zehn obersten Gewalten, in denen der Unfaßbake sich sichtbar macht, und die Sefirot können sich dein Menschen nahen, den sie bevorzugen und ihm alle Ge heimnisse der oberen Sphären offenbaren. So kamen sie zu dem heuigen Einfiedler Simon bcn Jochai in seiner Wüstenei, da er den „Sohar" schreiben sollte, und öffneten ihm die Augen. Simon aber sah den Himmel offen und in den tiefsten Schlund der Hölle drangen seine Blicke. In Verzückung hob der erhabene Greis die Arme empor und rief laut vor allen seinen Jüngern: „„Ich bezeuge beim Namen des Urewigcn, daß ich jetzt schaue, was kein sterblicher Mensch, was kein Engel und Erzengel geschaut hat, seitdem Moses zum zweiten mal« im Angesichte des Herrn aus dem Sinai stand, ja mehr noch als dieser."" Und daS Geschaute hat er niedergelegt im Buche „Sohar," was in Eurer Sprache „Glanz" bedeutet. Wollt ihr noch zweifeln, ReichSgräfin von Varel, daß dieses daS Buch der Bücher ist?" Sophie Charlotte hatte den Erguß des begeisterten Greises ruhig über sich ergehen lassen; jetzt kam sie aus ihren Wunsch zurück. Habe der Alte wirklich teil an den Geheimnissen der unsichtbaren Welt, so möge er ihr die Zukunft ihres Hauses, das Schicksal Ludwig Günthers künden. Der Kabbalist entgegnete mit hohem Ernst: „Wenn Ihr auf Eurem Willen besteht, o Herrin, leicht wohl kann ich den selben erfüllen. Vielfach schon stellte ich die Frage nach Gras Günthers Lcbensschicksal und rechnete es aus; längst beschäf tigte mich die Zukunft Eures edlen Hauses. So nierkt denn aus! Dunkle Schatten liegen auf dem Pfade Eures Lieblings. Dunkel ist seine Herkunft, dunkel sein Ausgang. Als Tunkel- graf werden spätere Geschlechter ihn kennen. Wie Wolken- ichatten auf dem Wege des Wanderers in stürmischer Mond nacht, wird stets das Dunkel des Geheimnisses auf seinen Pfaden ruhen. Und doch, heil ihm! Nicht hast Du nötig, ihm Tein Hab und Gut zuzuwenden und eine neue Quelle des Hasses unter den Deinen zu erschließen, Reichtum wird ihm zuströmen in Fülle, und weise wird er ihn nutzen, so daß Tausende sein Andenken segnen. Nach Not'und Sturm nimmt Verborgenheit ihn ans und an verschwiegener Stätte rrblüht ihm die Blume des Glücks, fern von hier und fern seinen Gesippen. Tenn wie ein Fluch liegt auf seinem Hause die beständige Streitsucht, der ewige Hader der Gcschlcchts- genosscn unter sich. Erbleichen wird der Stern Deiner Enkel, whe Herrin; Wilhelm Gustav Friedrich ist der letzte Deines Blutes, der in Varel gebietet!" Zorncrregt fuhr Sophie Charlotte empor, als der Greis kaum geendet: .Lüge, Lüge, alter Mann! Deine Propheten- zabe trügt. Ich glaube nicht an Deine Weissagung, will nicht glaube». Zu neuen Ehren soll mein Haus emporsteigen, und mein Ludwig Günther wird eS sein, der den, Namen Alden burg frischen.Glanz verleiht. Sage mir doch, Rabbi," fuhr sie fort, „woher stammt denn diese Deine kabbalistische Kunst der Bcrechimng der Zukupft? Ist auch diese dem auS- wwählte» Werkzeug des Himmels, Eurem heiligen Simon, von den zehn SefirotS gelehrt worden?" (Fortsetzung sol»t.)