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Z. Beilage zum Frankenberger Tageblatt nab Btjirksanzeiger BrrantworUicher «rdaktrur: Ernste Robber« tn Frankenberg i. Sa. — Druck und «erlag van t. V. Robberg in Arantrnberg^i. Sa. ISO« 101 Sonntag, den 6. Mai erfaßt hat; die Revolution ' Aufschwung in Westeurop Mgr ttiL lke 8. Kr»m»nalroman von Maximilian Brytt. t». Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) n o >. »r an. l kni. iberz M. pisilk vn6 V80S L w ier ^fg. dt, w-, »l- k«, !00 «or >d- 0. Bom Reichstag. 94. Sitzung am 4. Mai 1906. Auf der Tagesordnung fleht die zweite Lesung de» Gesetz entwürfe« betr. Besteuerung der Zigaretten. Di« Kommission hat tue Papirrsttu« einstimmig adgelrhnt und die Einführung einer Banderolesteuer beschlossen mit nach dem Werte abgestuften Sätzen. Zur Ditkussion stehen zunächst die HZ 2 und S. Von Smgrr (Soz) ist ein Antrag auf namentliche Abstimmung über 8 2 eingegangen. Jäger (Zentr.) begründet den Antrag der Kommission. Der Vorschlag, da« Papier zu besteuern, hätte da» Publikum sehr stark belästigt und hätte auch «ine Abstufung der Steuer nach dem Werte der Zigaretten unmöglich gemacht. Auch der Vor schlag, den für Zigaretten bestimmten Tabak neben dem allgemei nen Tabakzoü mit einem besonderen Tabakzoll von 2«—SOO Mark zu belegen, erwie» sich al» schwer durchführbar. Staatssekretär Frhr. v. Stengel: Di« Kommission habe diese Vorlage beifällig ausgenommen. Jedenfall» sei anerkannt worden, dah di« Zigarette sehr wohl ein« höher« Bestruerung ver trage. Der Widerstreit der Meinungen hab« sich nur um die Form der Besteuerung gedreht. Die Kommission habe dem Sy stem der Banderolesteuer den Vorzug gegeben. Diese» System fei auch geeignet, den Bedürfnissen der Zigarettenstruer angepaßt zu werden. In letzter Zeit sei di« Zuschtagstrurr auf d«n Roh- labak rmpfohltn worden. Au» sozralpolüischrn Rücksicht«« aus drr Steuerträger Halle er dies« Steuerart nicht für geeignet. Er wünsche jedenfalls, daß möglichst bald ein Beschluß de» Hause» erzielt werde, damit sich die Industrie aus die neuen Verhältnisse einrichten könne nach Wochen und Monaten drr Unsicherheit. v. Elm (Sozdm.): Es sei gesagt worden, da» System der Banderoltsteuer habe sich bewährt in verschiedenen Ländern. Da» sei nicht richtig. Amerika habe sie ein Jahr lang eingrsührt ge habt und sie dann wieder abgeschofft, weil sie sich al» undurch führbar erwusen hätte. Die progressive Staffelung aber sei der Ktuch der ganzen Vorlage. Den Bedürfnissen drr Industrie sri dieses System so sehr „angrpaßt", daß die Urinrn und mittleren Betriebe ruiniert würden. Die Wirkung der Steuer würde die sein, für die Arbeiter, daß die Handarbeiter überflüssig würden, weil die Fabrikanten gezwungen seien, billiger als biShrr, d. h. mit Maschinen, zu arbeiten. 7000 bi» 8000 Arbriter würden brotlos werden. Besonder» schwer würden die in der Zigaretten- industrie beschäftigten Mädchen betroffen, die nicht al» Dienstmäd chen oder Handarbeiterinnen Arbeit nehmen könnten und drr Prostitution in die Arme getrieben (??) würden. Er bitte die Vorlage adzulehnen. Held (nat.-lib.) ist davon überzeugt, daß sich diese Steuer ebenso gut «insühren werde, wie viele» andere, da» auch heftig bekämpft worden sei. Gegen die Papierbestruerung habe sich die ke. brrad- grati». St >«o»od. ner rfg.. Echo aus dem Blätterwalds. „Frankreich hat seine alten Spartugenden glänzend er halten", jubelt der „Gaulois" bei der Ueberzeichnung der russischen Anleihe: Bester« ist die russische Anleihe zehnmal, zwanzigmal, dreißig- mal gedeckt worden: wievielmal weiß man nicht recht, wenn die Milliarden so heroeigeflogen kommen. Inmitten der heutigen Betrübnisse und all der Gründe zu Befürchtungen ist es eine Freude, einen glänzenden Steg des französischen Kredits zu kon statieren. Dieser Kredit muß äußerst solide sein, sonst könnte er den Schlägen, die gegen ihn geführt werden, nicht widerstehen. Ja, wir haben furchtbare Fehler, aber wir haben auch eine gute Eigenschaft: wir verstehen es noch immer, den Wollstrumpf zu füllen, den unsere Vorfahren uns mit der Kunst, ihn nicht zu durchlöchern, hinterlassen haben. Wir halten noch an dieser einen Ueberlieferung, der Sparsamkeit, fest. Ein Glück, daß wir ihr treu geblieben sind. Sie macht unsere beste Kraft aus. Denn weil unser Sparsinn allen Aetzmitkeln getrotzt hat, konnte der Reichtum Frankreichs sich auch so siegreich bekunden. Und zugleich hat Frankreich seinen russischen Freunden gezeigt, welches Vertrauen es ihnen schenkt. Inmitten all der Wirren der heutigen Stunde ist es tröstlich, zu wissen, daß wir ein unerschütterliches Heer und einen wunderbaren Kredit besitzen, zwei Kräfte, die Frankreich gestatten werden, sich bald wieder zu sammeln und mutig neuen Gefahren entgegenzu schreiten. Die nationalliberalen „Hamburg. Nachr." machen dazu die Bemerkung: Das soll wohl heißen, die 1200 Millionen, die unter der Re publik wieder nach Rußland wandern, werden der vom „Gaulois" herbeigesehnten Monarchie die Pfade ebnen? „Wann wird Frankreich müde werden, Ersparnisse für Rußland zu machen?" fragen nun aber die nationalliberalen j „Münchn. N. Nachr.": Wann wird die französische Diplomatie endlich begreifen, daß sie im Grunde genommen doch nichts weiter als ein Spielball in der Hand derjenigen beiden Mächte ist, mit denen sie am liebsten einen Dreibund gegen Deutschland schließen möchte? Wann wird Frankreich begreifen, daß es für England die Bedeutung eines Hetzobjektes gegen Deutschland, für Rußland die Bedeutung eines finanziellen Objektes besitzt? Wann wird es verstehen, daß nur I ein Zustand wie der gegenwärtige, durch den sich beide Länder in Schach halten, den Interessen Englands und Rußlands entspricht, daß diesen ein übermächtiges Frankreich ebensowenig paßt, wie ein I übermächtiges Deutschland? Der Tag wird kommen, an dem sich das Geldbedürfnis Rußlands doch stärker erweist, als die Fähig keit Frankreichs, dieses Bedürfnis zu befriedigen, und dann wird mit mathematischer Gewißheit in Frankreich von neuem die Frage I nach dem ziffernmäßigen Werte der russischen Freundschaft gestellt werden. Mit ganz entschieden angebrachtem Mißtrauen verfolgt man in vielen Zeitungen die in letzter Zelt sich auffallend mehrenden Reisen König Eduards von England, der ja erst jetzt wieder seinen Freund Fallieres in Paris aufsuchte und einen Trinkspruch mit ihm austauschte. So meint das nationalliberale „Leipz. Tgbl.": Noch vor wenigen Wochen, ehe König Eduard mit dem Prin zen Albrecht zusammentraf, wurde die Kaiserreise nach Madrid für die nächste Zeit als todsicher ausposaunt. Plötzlich ist alles davon still geworden, merkwürdigerweise erst, nachdem König I Eduard, unser alter Freund und Gönner, den jungen Alfons ge- I sprachen hatte. Natürlich hat das mit dem Kaiserbesuche nichts zu tun, denn der gute Eduard ist ja die reine Friedenstaube aus allen seinen Wegen, und er hetzt beileibe nicht gegen seinen kaiserlichen Neffen, diesen Verdacht wird er weit von sich weisen. Wenn er wirklich einmal Herrn Delcasss, trotzdem dieser der deutschen Po litik zum Opfer fiel, besonders ausgezeichnet, wenn er artigerweise seinen Besuch in Berlin immer wieder ansagen und dann Hertig dementieren läßt, wenn er in Paris, Madrid und Rom guten Tag sagt, so haben wir Deutsche uns dabei nichts Böses zu den ken ; im Gegenteil, König Eduard ist und bleibt unser guter Freund, der uns das Aberbeste gönnt und alles zum Guten wen det. Selbst in Griechenland war er, um der Eröffnung der olym pischen Spiele beizuwohnen, und wenn man den letzten Depeschen Glauben schenken will, so trachtet er gar nach einer Zusammen kunft mit dem Zaren.... Es wird mit der so ost gemeldeten Zu sammenkunft Eduards mit dem Zaren auch wohl für diesmal >ein Bewenden haben; es müßte denn sein, daß der gefällige Viktor Emanuel beiden eine Einladung schickt. Aber hin und wieder ist dieser auch eigensinnig und besteht auf seinem Kopf, wie Herr Loubet neulich tn der „N. Fr. Pr." ausplaudern ließ. Wenn Herr Loubet nicht ausgeschnitten hat, so wollte er auf italienischen« Boden mit Kaiser Wilhelni zusammentreffen, und uns wäre somit der Besuch in Tanger und damit die ganze Maroklokvnserenz er spart geblieben. Aber Viktor Emanuel setzte seinen Kops auf, er weigerte sich, den beiden Oberhäuptern der Nachbarreiche Ein ladungen zu ichicken. Wenn Herr Loubet die Wahrheit spricht, so würde das auf die Aufrichtigkeit des Dreibundteilhabers am Tiber ein ganz eigenartiges Licht werfen. Das Herannahen des 1. Mai, des „Weltfeiertages", bot der Sozialistenpresse wieder einmal die erwünschte Gelegen heit, die „bürgerliche Preßmeute", welch geschmackvolle Be zeichnung man in den roten Redaktionen den auf Ordnung und gute Sitte haltenden Zeitungen zu geben beliebt, mit einer lustigen Ouvertüre zu erfreuen, mit einer Ouvertüre allerdings, deren hervorstechendster Zug Zukunftsmusik war. Der obergewaltige „Vorwärts" schrieb da z. B.: Wir sehen die Frucht jahrhundertelanger Arbeit reifen Der Mensch zwingt die Kräfte der Natur unter sem Machtaebot und schafft Werke und Werte, die ans Riesenhafte grenzen. Wäh rend so heute noch die Arbeit Sorge und Not zum nächsten Nach bar hat, sind schon die Bedingungen sür eine neue Ordnung des wirtschaftlichen Lebens vorhanden. Wir brauchen nur die gewal tigen Produktionskräfte, die das letzte Jahrhundert entstehen sah, I I in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen, um die Grundlage für I eine gesunde materielle Kultur zu gewinnen, auf der ein ebenso I reiches Geistesleben, von dem keiner ausgeschlossen zu sein braucht, erblühen kann. Drum sehen wir, wo der Philister in sattem Be hagen den Höhepunkt der Entwickelung wähnt, den Anfang einer neuen Epoche in der Menschheitsgeschichte. Freilich dämmert auch in manchem Vertreter des Bürgertums die Erkenntnis auf, daß I iin Grunde die ganze bisherige Leidensgeschichte der Völker un säglich traurig und sinnlos wäre, wenn auf das blutgetränkte Zeitalter der Erfindungen und Entdeckungen nicht eine Epoche des Friedens folgte, die ihre Aufgabe darin erblickt, diese Kräfte und Schätze im Dienste der Gesamtheit zu organisieren und zu nützen und allein, was Menschenantlitz trägt, die Möglichkeit freier Ent wickelung zu gewähren. Und auch unser Philister würde so gern an diesem Gedanken sich erwärmen, wenn er nur über ein Be- denken hinwegzukommen vermöchte, das der Verwirklichung all dieser schönen Träume im Wege steht: Soll er denn, bevor er an sein Tagewerk geht oder der Einladung zu Geheimrats folgt, sich eigenhändig seine Stiefel wichsen?! Und der sächsische „Vorwärts", die Leipz. Volksztg." meinte: Die modernen Arbeiter rechnen allein mit dem inneren Me chanismus der kapitalistischen Produktionsweise. Dieser Mechanis mus arbeitet mit einer Sicherheit, die den völligen Zusammen bruch der kapitalistischen Gesellschaft, wenn auch nicht zur Sache eines bestimmten Tages oder einer bestimmten Stunde, so doch zur Sache einer sehr absehbaren Zeit macht. Für diese Zeit ge rüstet zu sein, de«« Bankerott der herrschenden Klassen zu liqui dieren, die kapitalistische Gesellschaft überzuleiten, das ist die wich tigste Aufgabe der Arbeiterklasse. Die bürgerlichen Blätter führen bei solchem Rausch eine verschiedene Sprache. So spottet die nationalliberale „Na tion al-Ztg." über die Maifeier: Wie war doch der Weltfeiertag des 1. Mai ursprünglich ge dacht? Als geharnischter Protest des Proletariats gegen die be stehende Gesellichaslsordnung und „das kapitalistische Ausbeuter- tum", das sich uuter dem ehernen Tritte der Arbeiterbataillone dem Willen der Masse zu beugen gezwungen werden sollte. Und was ist er heute geworden? Ein harmloses Frühlingsfest, dessen Gelingen, wie alle anderen, in erster Linie vom Wetter abhängt. Die nationalliberalen „Hamb. Nachr." dagegen gewinnen der Sache eine weit ernstere Seite ab: Zwar wäre cs Sache des Staates, aus dieser zweifellosen Beschaffenheit der Maifeier die nötigen Konsequenzen zu ziehen, aber da dies unter dein heute herrschenden Regime der Furcht und der Schlappheit leider nicht zu erwarten ist, bleibt den Arbeit gebern, wenn sie nicht ebenfalls die Flinte ins Korn werfen »vollen, eben nichts anderes übrig, als ihrerseits den Kampf zu führen, bei dem der Staat versagt, soweit es sich nicht um Unter drückung von Ruhestörungen, sondern um Abwehr der Heraus forderungen der Sozialdemokratie und Verhüten der Schäden handelt, welche diese dem Erwerbsleben zusügen. Das christlich-soziale „Reich" prophezeit schlimme Zeiten: Wir reden nicht vom 1. Mal als solchem. Ob die sozialisti schen Arbeiter, ausgestachelt von ihren Treibern, gerade am 1. Akai irgend einen besonderen Skandal Hervorrufen — das ist nicht die Gefahr der Lage. Diese Gesahr liegt vielmehr in dem ganzen Geiste, der neuerdings lvie eine große Krankheit den Sozialismus Da- ernste Gespräch erhielt hier eine Störung durch den Ein tritt de- Kastellans, der von der Signora Bonziani die Anfrage brachte, ob sie die Herrschaften droben bei sich empfangen dürfe. Arnold kündigte, sich rasch fassend, ihr Kommen an. Als sie wieder allein waren, sagte er: „Die Signora vermutet, daß Franz Kalwoda mit hierher gekommen sei. Ich habe ihr viel von Dir erzählen müssen. Du wirst bald mit ihr befreundet sein. Sie ist mir wie eine Mutter! „Nein, Arnold, laß mich jetzt, nicht mit Fremden zusammen- kommen; ,ch will Dir sagen — ich bin recht krank gewesen und bedaH noch der Schonung!" Er betrachtete sie voll Rührung. „Wie matt Dein Blick ist, wie schmal Deine Wangen sind! Aber habe keine Angst, Du sollst von jeder weiteren Aufregung fern gehalten werden. Hier bei BonzianiS findest Du völlige Ruhe. Mein Gönner ist verreist, ich leite die Geschäfte der Levantina während seiner Abwesenheit. Die Signora wird Dir hier in ihrem Palazzo ein kleines Para dies schaffen. Hier wirst Du bald genesen . . ." „Das ist nicht möglich, Arnold," wehrte Stefanie ab. „Ben jamin hat mich begleitet, ich will wieder zurück nach Berlin ..." „O, mein Liebling, das dulde ich nicht! Du mußt die Qual der letzten trüben Wochen erst wieder überwunden haben. Hätte eS sonst die Anstrengungen der weiten Reise gelohnt?" Sie sah ihm fest ins Auge. „Ich bin einzig und allein her gekommen, Arnold, u»n mit Dir diese Unterredung zu führen, um aus Deinem Munde »i erfahren, wie sich die letzte Lebensstunde meine- unglücklichen Bräutigams gestaltet haben mag!" Er schüttelte verwundert den Kopf. „Franz starb — ohne eine Botschaft an Dich hinterlassen zu haben? Nicht einmal ein Brief, eine Zeile erklärte Dir seinen furchtbaren Schritt?" "Nichts? „ „Woher wußte man dann überhaupt, daß eS sich um einen Selbstmord handelte? Du ahntest es?" „ES war mir ein Rätsel wie allen anderen." „Aber man muß doch nach irgend einer Erklärung gesucht haben?" „Das tat man." „Nun, und da» Ergebnis'? Du bist so seltsam, Etefani«, DO«,» stockst »N?" tiefaufatmend fort: „Und nun zur Erfüllung meiner Pflicht! — Du hast Dich darin nicht getäuscht, daß ich keine Sekunde zögen, werde, den im Licht der Welt getrübten Schild meiner Ehre von jedem Flecken eines Verdachts zu reinigen. Noch am heutigen Tage reise ich von hier fort, nach Berlin, um den Verdacht, der auf mir lastet, von mir zu schleudern I" Sie breitete die Arme aus. „Ich wußte eS ja, ich — baute ja aus Deinen Stolz!" 8. Kapitel. Nachdem sich Stefanie einigermaßen beruhigt hatte, willigte sie auch darein, vor seine mütterliche Freundin, Signora Bon ziani, geführt zu werden. Neu belebend wirkte die fröhliche Pracht des mittelalrerltchen Palazzo mit dem blühenden Garten in dem marmornen Lichthof auf ihr Gemüt ein. Wie ein Märchen erschien ihr der Aufenthalt in dein Wunderbar» hier an der Riviera, durch dessen farbenfrohe Hallen sie am Arm des Geliebten dahinschritt. , , ,, Die Italienerin bot mit ihren fünfzig Jahren das bei ihren Landsmänninnen so seltene Bild einer schönen Matrone. Die Glut ihrer großen Augen war erloschen, das Haar war schnee weiß, der dunkle Teint schon ziemlich welk — dennoch wirkte die HerzcnSgüte, die ans ihrem freundlichen Antlitz sprach, wie ein Sonnenstrahl. Nachdem sie von dem Drama, das sich oben »m Norden ab gespielt, erfahren und voll aufrichtiger Teilnahme der jungfräu lichen Witwe ihr Beileid ausgesprochen hatte, drang sie darauf, daß Stefanie in der bevorstehenden Abwesenheit des Ingenieur- bei ibr bleiben solle. Stefanie schüttelte aber ablehnend das Haupt, mit so großer Dankbarkeit sie auch die herzliche Aufnahme erfüllte. „Was ich brauche, ist Ruhe und Einsamkeit. Ich werde mir nun, da meine Pflicht getan ist, in Nervi ein stilles Plätzchen auSsuchen, um dort neue Lebenskräfte zu sammeln." „Aber Sie bedürfen der Pflege, mein liebes Kind!" wandte die Signora besorgt ein. „Mein Bruder ist bei mir. Er hat ja Zett genug sür mich. Auch ihn hat der Tod Kalwodas, der sein Wohltäter war, in tiefster Seele erschüttert. Er bedarf gleichfalls der Ruhe, der Sammlung. Wir werden uns sür ein paar Wochen ein stiüeS Heim schaffen. Seelenfrieden will ich finden, und den gibt eS nur in der Einsamkeit!" (Fortsetzung folgt.) l in Rußland und ein starker industrieller Aufschwung in Westeuropa haben zusammengewtrkt, auch in der deutschen Sozialdemokratie einen Geist des UebermutS großzu- ziehen, der sich zunächst in großen Worten und in aufreizender Sprache der Presse kund tut — speziell der „Vorwärts" ist frecher, als je — dann aber auch in einem wahren Streikfieber. Die übermütige Gleichgültigkeit sowohl gegen den eigenen Verdienst, wie gegen das Interesse der Volkswirtschaft tritt besonders in den Vorbereitungen zum 1. Mai zutage. Ob man ausgrsperrt wird, oder nicht, verschlägt nichts. Nur drauf! Die Sozi sind die Herren, die sich alles gestalten dürfen. . . . Für jeden verständigen Menschen liegt auf der Hand, daß es so nicht weiter gehen kann und wird. Gewiß werden die Unternehmer geschädigt und viel leicht sogar ruiniert werden. Aber sür dle deutschen Arbeiter kann darun« das Ende kein anderes sein, als welches die russischen sich selbst bereitet haben. Nicht der Himmel aus Erden ist für diese Unglücklichen angebrochen, sondern Not und Unheil. Hunaernd und bettelnd durchziehen sie zu Tausenden das verheerte Land, um sich notdürftig vor dem Schlimmsten zu schützen. Hunger und Bettel wird auch das Ende unserer Maihelden sein, wenn sie nicht Einkehr halten und Umkehr. Sie atmete tief auf. „Man hielt Dich für den Mörder meines Bräutigams, Arnold!" Er verzog zuerst keine Miene, dann drängte sich ein: „Barm herziger Himmel!" auf seine Lippen, und er wich einen Schritt vor Stefanie zurück. Längst war es Stefanie im Laufe dieser Unterredung klar geworden, wie grundlos der Verdacht gegen Arnold gewesen war. Jetzt drängte sie es mit einem Male in seine Arme. Laut auf- schluchzend warf sie sich an seine Brust und gestand ihm unter heißen Tränen, daß sie selbst an seiner Unschuld hatte zweifeln müssen! Er küßte sie auf die Stirn und sagte in tiefer Bewegung: „Wie leid es mir tut, daß Du Ursache hattest, an mir zu zweifeln!" Plötzlich hob er den Kopf. „Ja, gestehe, Stefanie, und hatte man den Verdacht schon offen ausgesprochen?" „Ja, Arnold!" „Warum hat man mich dann nicht vorgefordert — mich zur Verantwortung gezogen?" „Man wollte Deiner noch in derselben Nacht habhaft werden, suchte Dich tn Hamburg, überall fahndete man nach Dir . . ." „Man hat — einen Steckbrief hinter mir erlassen?" „Es wird schon seit Wochen nach Dir gefahndet." „Aber Du, Stefanie, Du kanntest doch meinen Aufenthalt — auch Benjamin kannte ihn. Warum schriebt Ihr mir nichts über die tragischen Vorfälle — oder warum nanntet Ihr der Behörde nicht mein Reiseziel?" Da sein Antlitz immer düsterer ward, umschlang sie ihn von neuem und schluchzte: „Ach, ich wußte mir ja keine Rettung mehr aus dem Wirrsal! Verzeihe mir, Arnold, verzeihe mir! . . . Verraten durfte ich Dich nicht; nein, hättest Du auch das Ver brechen begangen, ich hätte dann doch Barmherzigkeit üben müssen, Dich auf den Weg zur Buße führen, Dich mit Gott versöhnen. Aber von Deinem Siolz erhoffte ich, daß Du auch ohne Zwang reuig vor Deinen Richter hintreten würdest . . ." Ein Schluchzen erstickte ihre Stimme, und sie sank in seinen Armen nieder. „Arme, törichte, liebe Freundin!" sagte er im Tone zärtlichen Vorwurfs. „Welch ein Rätsel ist solch ein Fraucnherz!" Er ging, Stirn und Augen mit den Händen bedeckend, mit erregten Schritten durchs Zimmer. Plötzlich blieb er stehen und iah sich nach ihr um. „Und jetzt, Stefanie, bist Du davon überzeugt, daß ich die Untat nicht begangen habe?" Ihr stummer Blick antwortete ihm. „Ich danke Dir, Stefanie!" sagt« er einfach. Dann führ er