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Frankenberger Tageblatt, Bezirks-Anzeiger : 24.05.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-05-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1786999250-190605249
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1786999250-19060524
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1786999250-19060524
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Frankenberger Tageblatt, Bezirks-Anzeiger
-
Jahr
1906
-
Monat
1906-05
- Tag 1906-05-24
-
Monat
1906-05
-
Jahr
1906
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Beilage W FraakenbergerTageblatt «ai> BeMaazeiger. 8rrantwi»lttich<r„r<rdaNrur: (trnst Voßberg in Frankenberg i. Sa. — Druck und Verlag »UN t. s. Voßberg in Frankenberg t. Sa. US D»»»«St«g, de« S4. Mai 1W6 Bam Reichstag. 109. Sitzung am 22. Mai 1906. Das HauS ehrt daS Andenken des am Montag im Wiesbadener Krankenhaus verstorbenen Abg. Grasen Reventlow in üblicher Weise. Daraus wird die zweite Beratung der Uebersicht der Reichsausaaben und -einnahmen für daS Rechnungsjahr 1904 fortgesetzt. Das Haus genehmigt eine Reihe von Rechnungssachcn ohne Debatte. Auf Antrag Erzberger (Zentr.) tritt das Haus in die zweite Beratung des MannschaftsversorgungSgesetzeS ein. Südelum (Soz.): Wir können das Gesetz als endgültige Regelung der Materie nicht ansehen. Leider ist es uns nicht ge lungen, in das Gesetz eine Bestimmung hineinzubringen, daß be straften Soldatenschmdern der Zivilversorgungsschein und der Ge nuß der Rente versagt wird. Wir glauben aber, daß das Gesetz an sich schon solchen Bestien in Menschengestalt Versorgung ver sagt. Wenn das Gesetz so bleibt, werden wir in dritter Lesung dafür stimmen. Kriegsminister v. Einem: Leute, die wegen schwerer Miß handlung bestraft werden, kommen gar nicht in die Lage, den Zivil versorgungsschein zu erhalten, da mit solchen die Kapilulat'on nach Ablauf nicht erneuert wird. Graf Oriola (natl.): Auch bei diesem Gesetz stehen wir prinzipiell auf dem Standpunkt, daß neben den Zivileinnahmen stets die Militärpension unverkürzt bleiben muß. Erzberger (Zentr.) bemerkt gegenüber Südekum, daß die Mannschaften durch dieses Gesetz bei den Vollrenten besser gestellt sind, als etwa ein 22jähriger Arbeiter im Landwirtschasts- und Gewerbebetriebe nach dem Durchschnittslohn. In diesen, Gesetz sei gerade zu begrüßen, daß die Heeresverwaltung in ihrer sozialen Fürsorge weit hinausgegangen sei über die Arbettersürsorge. Jedenfalls bringe das Gesetz ziemlich große Fortschritte. Eine vplle Gewährung der Militärpension neben dem Zioileinkommen würde eine große Benachteiligung der Zivilanwärter bedeuten. Werner (Res.) bedauert, daß es nicht möglich gewesen ist, dem Gesetz eine wcitergehende rückwirkende Kraft zu geben. Der Resolution betr. Anrechnung der Dienstzeit werden wir nicht zu stimmen. Jtschert (Zentr.) bemängelt, daß die im Osfizierpensionsgesetz getroffene Bestimmung, daß Verletzungen im Zweikampf nicht als Dienstverletzungen anzusehen sind, nicht auch in das Mannschafts gesetz ausgenommen ist. Singer (Soz.): Die Erörterung der Frage, ob eine Bevor zugung der Militäranwärter berechtigt ist, gehört jetzt nicht hier her. Wir erklären eine solche Bevorzugung selbstverständlich für nicht berechtigt. Kriegsminister v. Einem: Es ist noch kein Fall bekannt ge worden, daß Mannschaften sich duellierten. Deshalb ist eine be zügliche Bestimmung nicht in das Mannschaftsgesetz ausgenommen worden. Jedenfalls ist eine Dnellbeschädignng keine Dienstbe schädigung. Die einzelnen Paragraphen werden darauf einstimmig an genommen. Es folgt die Beratung der Ergänzungsetats zum Reichst,aushaltsetat und zum Etat der Schutzgebiete für Erbprinz zu Hohenlohe-Langenburg: Die Vermehrung der Schutztruppe ist notwendig geworden durch Ablehnung der weißen Kompanie. Was die Beihilfen für Ansiedler betrifft, so haben wir großes Interesse daran, die alten Ansiedler, welche große Erfahrungen haben, zu halten. Auch sind diese Mittel not wendig, Um gegenüber den Konzessionen der großen Gesellschaften den deutschen Ansiedlern den Landerwerb zu ermöglichen. Was die Forderung für die Eisenbahn Kubub—Keetmaushoop betrifft, so ist dieselbe durch Fertigstellung der Bahn Lüderitz-Bucht—Kubub bedingt. Kubub wird im Oktober erreicht sein. Oberst Deimling bat den Auftrag erhalten, das Kommando über die Schutztruppen m Südwestafrika zu übernehmen. (Bravo rechts.) Obern Deim ling hat ferner den Auftrag, auf eine mögliche Reduktion der Kosten und Truppen bedacht zu sein. Bei der schweren Verant wortung, die ich übernommen habe, bitte ich dringend, die Vor lage einer wohlwollenden Prüfung zu unterziehen. Gröber (Zentr.) bespricht die einzelnen Forderungen. Wenn wir die Farmer sogar für entgangene Gewinne entschädigen, so belasten wir die Kolonialpolitik derart, daß sie zusammenbrechen muß. (Sehr richtig I) Wir werden versuchen, die notwendigen Forderungen dem Hauptetat einzuverlcibcn. (Bravo! im Zen trum).' Graf Arttim (Reichsp.): Wir werden die Vorlage in der Kommission wohlwollend prüfen. Paasche (nat.-lib.) beantragt Verweisung an die Budgetkom mission. Das Haus beschließt demgemäß. Mittwoch 1 Uhr: Dutte Lesung der PcnsionSgesetze, zweite Beratung des Schntztruppcngesetzes und dritte Etatberatung. Wie katholische Orden ihr Schäflein scheren! Die „Köln. Ztg." veröffentlicht au« Brüssel eine sehr interessante Darstellung, di« ein Bild davon gibt, wie di« katholischen Orden «S verstehen, sich durch Hintermänner den Anforderungen de« Smate« b«i der Anlegung ihrer Gelder in Landbesitz zu entziehen. Da« Blatt schreibt: Die Orden waren und find bestrebt, ihr Vermögen in liegend«« Gut anzulrgrn, »eil dirse« nicht von Rost und Rotten grsreffen wird; vielleicht bringt di« im Laus« der Zeiten in anderen Ländern i ohende Gefahr einer Enteignung nach französischem Muster die Wirkung hervor, daß die Anlage in beweglichem Gut bevorzugt wird, da« man im Falle der Not über die Grenze mitnrhmen kann. Liegende« Gut ist aber sichtbar und muß im Kataster ein getragen «erden, ist also der Steuer nicht leicht zu entzieh«». Wa« tun dir Ordrn? Sie richten e« so rin» daß der Staat im Fall« rine« Brfitzwechstl« nur den Mindestsatz der Steuer erheben kann, und da tritt der Strohmann in Tätigkeit. W'nn «in Grundstück vom Bat«r auf den Dohn übergrht, zahlt e« nur 1,40 v. H. Steuer; findet der Befitzwechsel unter Fremden statt, so beträgt der Satz 13,80 v. H. Gesetzt, ein Kloster wünscht ein Grundstück im Werte von 200000 Frank« zu erwerben. Der Orden ist nicht rechtsfähig und mag auch keine« seiner Mitglieder al« Käufer vorschirben, denn er will nicht, daß diese Erwrrbung brkannt wird. Der Strohmann, der da» Geschäft abschließt, ist ein mit Kindern gesegneter „braver" Katholik. Stirbt er, so hat der Sohn, auf dessen Namen der Besitz übergeht, 1,40 v. H. von 200000 Frank» oder 2800 Frank« an den Registratur» einnehmer abzuführen, während der Klosterbruder, der von anderen erben würde, 27600 Frank« zu entricht«» hält«. Der Staat kommt auf dies« W«is« um 24800 Frank«. Wie viel« hundert Millionen mögen ihm so seit 1830 entgangen sein? Den Orden bleibt bei solchen Geschäften nur noch übrig, sich der Trrue de« Strohmanne« zu versichern. Man läßt ihn «ine Erklärung unter zeichnen, wosür e« eine bestimmte Formel gibt. Al« der Domherr Bernard mit den Millionen der ebenso wie die Klöster nicht recht«- sähigen bischöflichen Mense von Tournai geflüchtet war, hatte er auch ein Aktenstück mitgenommen, da» später nach seiner Aus lieferung bei der gerichtlichen Verhandlung der Oeffentlichkeit zu gänglich wurde. DaS Schriftstück bezog sich auf rin Grundstück und lautet«: „Herr Eugen Bivort «rkrnnt durch grgenwärtige» Schreiben an, daß der oben erwähnte Kauf und daß da» aus dem gekauften Grundstück« «rbaut« Hau» wrder auf frin« eigrn« Rech nung, noch zu seinem persönlichen Nutzen erfolgt und errichtet worden find, sondern zum tatsächlichen Rutzen d«S Herrn Du Rousseau (de» Bischof«), dem er, um die Ausführung eines guten Werke« zu ermöglichen, als gefälliger Zwischenhändler gedient hat. Andererseits verpflichtet sich Herr Du Rousseau in seinem und seiner Nachfolger Ramen, dem fingierten Eigentümer dieses Gute» all« Kosten abzunehmen, mit denen «S belastet werden kann, so lang« «r, seine Erben oder Vertreter in dessen nominellem Besitz sein werden." ES ließe sich eine ganz« Reihe von Grundgütern ansührrn, die offenkundig von Hintermännern sür OrdenSgemrin» schäften gekauft worden find. Die zwischengeschobenen Personen entrichten zwar d«S Scheines wegen die jährliche Grundsteuer, aber die Orden besitzen die Gegrnurkundrn und find die tatsächlichen Eigentümer. Die Erfindung eines anderen Kniffe», um dem Staate die Gebühren zu hinterziehen, wird den Jesuiten zugeschrieben. Da nach bilden 10 bi» 30 Orden»mitglieder eine offene Gesellschaft aus unbeschränkte Dauer. Di« Anteile eine» jeden Mitglied«» find durch Aktien dargestellt, dir durch schriftliche Verfügung oder häu» fi zrr durch Indossament übertragen find. Diese Aktien tragen eine UibritragungSsormel, die nur auSgesüllt zu «erden braucht. Selbst verständlich wird nicht unteilaffen, sich in Hinsicht auf unerwartet« Todesfälle von ayen Inhabern durch ihre vorherige Unterfertig»»- der Atrien ein Blankogiro geben zu lassen. Kommt nach dem Tode eine» Mitgliedes «in Verwandter deS Verstorbenen und be hauptet, dieser sei Inhaber einer Anzahl Aktien gewesen, so ant- ! wo: el MIN ihm, er habe nicht« sein eigen genannt; er habe alle jein« Ältun verkauft, und wa« er mit dem Erlö« gemacht habe, wisse man nicht. Solche Dinge kommen selbstredend nur im Au«- lande vor; in Deutschland gibt «« so etwa« nicht. Vermischtes * Einem ganz gemeine« Berbeechr« gegen die eigene Matter ist man in Leimbach bei Salzungen auf die Spur ge ¬ kommen. Der Stellmacher Funck hatte die 60 Jahre alt« Mutter bei sich, die vor ung«sähr einem Jahre oerschwand, und nach Angabe de« Sohne« verreist sein sollte. Jetzt erfolgt« auf rin« Anzeig« b«i der Dalzunger Polizei «ine Hau«suchung in der Funck- schen Wohnung. Man sand in ein«m abgelegenen, fast dunklen Raum die fast zu einrm Gerippe abgemagerte alte Frau!! Ein Hausen versault«« Stroh dient« ihr al« Lag«r. * Kälte i« Spaaiea. Ganz auß«rg«wöhnliche Witterung«. vtrhSltniffe herrschen gegenwärtig in Spanien. In verschiedenen Provinzen fiel da» Thermometer unter de« Gefrierpunkt. Ja Segodia und Avila, in den Pyrenäen und im Guadarama-Gebirg« hat «S stark geschneit. Auch da« Schloß La-ranja, wo König Also»« seine Flitterwochen zu verbringen gedenkt, liegt unter Schnee. * A«Shebm»g eiaeS Schwindler»«-»«. Roch find di« B«r» sehlungen d«r Pommnnbank-Direktoren Schulz und Rom«ick und ihr Rirs«nproz«ß unvergessen, und schon wieder kommt der Nam« Romeick in Verbindung mit einer gesährlichen Schwindlerband« an die Oeffentlichkeit. Dieömal ist e« die Frau de« zu 3*/, Jahren Gesängni« verurteilten Bankbirektor« Romeick, die wegen Teil nahme an Darl«hn«schwindeltien in Nizza verhaftet worden ist. Wie au« Nizza kürzlich gemeldet ward, wurden dort die „Ban kier«" Karl Koschoreck, Otto Marschall und Han« o. Drage au« Berlin wegen zahlreicher Betrügereien verhastet. Ihr Schicksal teilt auch die Frau Lankdirektor Romeick au« Berlin, di« zulrtzt dir Geliebt« dt« Marschall (!) war. In Nizza firmiert« di« sauber« Gesrllschast „Koschoreck u. Ko.", obwohl Marschall an d«r Spitze de« Unternehmen« stand. Er war der Berliner Kriminal polizei seit Jahren al« gefährlicher DarlehnSschwindler bekannt und dort auch mehrfach bestraft worden. Im allgemeinen „arbeitete" er nach berühmten Mustern, indem er fich von den Darlehn«- suchern, die auf seine glänzenden Anpreisungen hineinfielen, zu nächst eine hohe Prosiston und Zinsen für rin Jahr zahlen ließ. Dann schrieb er nach einiger Zeit, daß die ringezogenen Autkünfte über den Darlehn«sucher nicht günstig genug lauteten. Damit war dann da» Geschäft beendet. Al« Romeick noch an der Spitze der Pommernbank stand und in der Kaiserallee eine prächtige Billa besaß, ging Marschall eine« Tage« vorüber, sah einen prächtigen Bernhardinerhund neben Frau Romeick im Garten und sragte, ob da« Tier verkäuslich sei. Dir» war die erste Anknüpfung zu einem Verhältnis zwischen Marschall und Frau Romeick, daS zu erst geheim gehalten wurde, nach der Verhaftung RomeickS ccker ganz öffentlich war. Di« Frau «rnanntr Marschall zu ihr«« Generalvrrtreter, d«r di« G«ldrr, wrlche Romeick seiner Gattin ge schenkt hatte, so geschickt „verwattete", daß fi« in nicht zu lang« Zeit verschwunden waren. Auch aus dem Romrickschen Gut« in Ostpreußen trieb Marschall sein Unwesen, sodaß, als rS von der RechtSnachsolgerin drr Pommernbank übernommen wurde, Schulden zu zahlen waren. Marschall richtete dann in Berlin ein Dar» lehnSgeschäft rin, «ährend Frau Romeick in einem Teile d« Woh» nung ein Blusengeschäst betrüb. Als sie eines Tage« gerichtlich vernommen werden sollte, war sie angeblich verschwunden. Erst eine Hau-suchung bei Marschall fördert« fi« zulag«. AI» beidrn hier der Boden zu heiß wurde, verschwanden sie und vereinigten sich später mit Koschorrck und v. Drage zu grmeinsamen Be trügereien. Wie man au» Nizza meldete, hat die Schwindelgesell- schäft dort in den letzten zwei Monaten, bevor auf Veranlassung mehrerer deutscher Staatsanwaltschaften ihre Verhaftung rrfolgte, deutsche Darl«hn»such«r um m«hr al« 100000 M. betrogen, wo bei immer noch d« alte Trick befolgt wurde. Wieviel Leute, di« fich ohnrhin in Rot besandrn, auf di« glänzenden Prospekte hinein- gefallen find, geht darau« hervor, daß in dem Geschäft in Nizza vi«r Buchhalter täglich bi« in die Nacht mit drr Erledigung der großen Korrespondenz beschäftigt waren und daß noch am Tage ihrer Verhaftung gegen 10000 Frank« eingingen und die Ab sendung weiterer 20000 Frank« angrkündigt wurde. Marschall hat mit seiner Geliebten in Nizza aus sehr großem Fuß« gelebt, fich eine Eqripage gehalten und solchen Luxu« entsaftet, daß «S selbst dort allgemein ausfiel. Ob eine Au«lief«ung der Schwindel» gesellschast nach Deutschland oder die Bestrafung in Nizza ersolgen wird, steht noch nicht fest. Dir Mag« der- Gerechtigkeit/ Kriminalroman von Maximilian Brhtt. (Echlxk) (Nachdruck verboten.) Weder beim Ueberschreiten der österreichischen Grenze, noch beim Betreten deutschen Gebiets erfuhr Arnold Struck irgend eine Belästigung. Arnold wunderte sich daher über die steigende, schließlich fast krankhafte Aufregung seines Begleiters. „Was ist Dir nur, Vater Bonziani?" sragte er oftmals in wirklich ernster Sorge. Er hatte den alten Mann im Halbschlaf häufig verworren reden hören. Je weiter der durch die Nacht eilende Zug, der am Abend des folgenden Tages die Reichshaupt stadt erreicht haben sollte, nach Norden gelangte, desto beängsti gender ward das scheue, ängstliche Wesen Bonzianis. Der Italiener setzte ein paarmal an, um die ihn quälende Nachricht über die Lippen zu bringen, um Arnold in das große Leid einzuweihen, das Stefanie in der Zwischenzeit erfahren hatte. Aber er fand den Mut der Rede nicht. Von Stunde zn Stunde schob er'S hinaus. Er duldete insgeheim Qualen unter dem Druck der traurigen Pflicht, die ihm zu erfüllen noch oblag, bvvor sie Berlin erreicht hatten. So verging die Nacht, ohne daß er dem jungen Freund, Rede gestanden hätte; auch am Morgen kam er zu keinem Entschluß. Auf die besorgten Fragen Arnolds fand er hundert wirre Ausflüchte. Der zweite Reisetag näherte sich seinem Ende. Arnold war ernst gestimmt; aber doch lag eine gewisse Seligkeit in seinem Ausdruck, so ost er den Namen der Geliebten in den Mund nahm. Feucht schimmerte es in seinen Augen, als er dem Freund gestand, daß er mit Stefanie damals in Pegli auch schon über die weitere Zukunft gesprochen hatte: daß sie, noch ehe dieses neue Jahr schied, ein glückliches Paar werden wollten. „Dann trüben die Schatten des Todes unser Glück nicht mehr, längst decken dann die Hügel den armen Kalwvda und den bedauernswerten, verirrten Ben jamin. hier oben in dem märkischen Sand und dort unten jenseits der Palmengrenze am Rande Arabiens." Bonziani erduldete alle Qualen der Spannung. Man hatte nun auch schon die preußische Grenze überschritten, ringsum be deckte eine weiße Schneehülle das flache nordische Land, und der verzweifelnde Italiener, der furchtsam in die Ferne schaute, war noch immer unfähig, dem Freunde den grausamen Schmerz anzutun. Die stille Seligkeit in Arnolds Blicken wich nun aber doch wieder ängstlicher Erregung, als er die bleiche, verstörte Miene seines väterlichen Freundes genauer musterte. Während am Horizont schon die Riesenkomplexe auftauchten, die als Vorstädte, Fabrikanlagen und Mietskasernen die Annähe rung an die Reichshauptstadt verrieten, fragte Arnold plötzlich, seinen Blick fest in den seines Gegenübers versenkend: „Vater Bonziani, seit Stunden schon fällt cs mir auf: Du erwiderst nichts, wenn ich Stefanies Namen über die Lippen bringe? — Du verheimlichst mir etwas. Ich vergehe vor Sehnsucht, vor Aufregung. Ach, sag' mir doch, auf Ehre und Seligkeit: sie lebt — sie ist gesund — ich werde sie in dieser Minute noch in den Armen halten?" . . . Der Zug rollt in die Bahnhofshalle. Der Perron steht voller Menschen, Reisender, Gepäckträger. Ein Beamter eilt, eilte Handglocke schwingend, vorn neben der Lokomotive her, um das Publikum von den Geleisen zurückznschenchen. „In dieser Minute noch?" stammelt Bonziani fassungslos- „Arnold, mein Liebling, sei vernünftig, laß Dir sagen . . ." „Bonziani!" schrie Arnold auf. Er weinte fast, indem er sich an die Brust des Alten warf. „Hast Du mir nicht versprochen, ich werde sie sehen — ?!" Blendendes Licht ergießt sich aus den großen Bogenlampen über die ganze Halle und dringt auch durch die Wagenfenster in die Coupss. Arnold stürzt zum Fenster und reißt eS -auf. „Stefanie! Ste fanie!" ruft er mit gepreßter Stimme. Ein Aufschrei aus Jrauenmund. Bonziani, der, daS Taschen tuch vor die feucht gewordenen Augen pressend, in die Ecke der Polsterbank gesunken ist, horcht auf, daS Herz droht ihm plötzlich I^^Ä-Eehen. Er erhebt sich; taumelnd folgt er, rücksichtslos sich den Weg durch die Menge der übrigen Reisenden bahnend, dem jugendlichen Freunde nach. An der geöffneten Tür bleibt er stehen. Er muß sich fest- halten, um nicht umzusinlen. Draußen — dicht vor dem Wagen, mitten auf dem Perron — erkennt er Stefanie, in Arnolds Armen liegend. Daneben steht Georgi, noch immer mit abgezogenem Hut, zur Begrüßung der Ankömmlinge. Im Nu ist Bonziani draußen, die Gruppe aus den« Gewühl der Menge nach der Nische eines der großen .Hallenfenster ziehend. „Stefanie — Sie sind frei?!" Arnold muß die schlanke, jungfräuliche Gestalt mit dem blei chen, zarten, aber jetzt von unnennbarem Zauber verschönten Antlitz freigeben. „Mein gutes Kind," bringt Bonziani bewegt hervor, mährend er das junge Weib auf Stirn und Augen küßt „was haben Sic erduldet!" Ein Zittern überläuft ihre Gestalt, und sic bedeckt tür cincn Moment das Gesicht. „Nichts mehr davon! Gestein abend kam der Bericht vom Konsul — noch in der Nacht ward ich nri Nun sei's vergessen, vergessen für immer!" Mit hastigen Worten gestand der Italiener drr rungcn Frau, daß Arnold bis zu dieser Minute noch nichts von idrcr Verhaf tung erfahren hatte. „Wenn ich's ihm ersparen könnte er sollte nie. nie davon etwas zu wissen bekommen!" kam cs mit einem matten Seufzer über ihre müde und traurig lächelnden Lippen. Wieder umschlang Arnold die Geliebte: ihre Tränen des Glücks, des Kummers und der Ergriffenheit mischten sich in einander. Verwundert über die seltsame Gruppe, blieben ein paar Neu gierige aus der Schar der nach den Ausgängen strömenden Rei senden stehen. Aber sie wagten über den von der Tropensonne gebräunten, großen, ernsten Mann und die bleiche, schwarzgeklei dete, schone junge Fran, die sich da in der BahnhofSecke aus weinten, nicht zu spotten. Es lag eine stille Weihe über dem Schmerz und dem Glück der seltsamen Leute, eine Weihe, die ver riet, daß in diesem Augenblick zwei Menschen sich nach langen, schweren Prüfungen und ergreifenden Leiden zum untrennbaren Bund für» Leben gesunden haben.
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