Unbekannter — heute ist er der umjubeltste, verehrteste Dirigent, der sich in der kurzen Zeit seines Hierseins alle Herzen erobert hat und der nach dem letzten Konzert im Festsaal der Liederhalle mit einem Beifall immer und immer wieder überschüttet wurde, wie man ihn in Stuttgart wohl selten erlebt hat. Er hat nicht nur gewagt, an einem glühend heißen Sonntagnachmittag die Matthäuspassion ungekürzt aufzuführen, sondern, rein aus künstlerischen Rücksichten, die Mitwirkung eines Vereins, der die Ansprüche Prof. Richters etwas unterschätzt hatte, abgelehnt, ein Vorgehen, das Wellen des Aufruhrs gebar, aber wieder einmal par exemple zeigt, daß ein Verein es sich nie gestatten sollte, auf seinen schon etwas ver dorrten Lorbeeren gar zu lange auszuruhen . . . Und es ward eine Auf führung, die nicht den leisesten Wunsch offen ließ. Welche Vollendung, welche Größe der Auffassung, welche „Hingabe an das Werk", um einen eigenen Ausspruch Richters zu gebrauchen I Die Zuhörer des überfüllten Liederhallensaales folgten bis zum allerletzten Ton mit Aufmerksamkeit und Ergriffenheit. Man weiß jetzt: nur so, und in dieser ungekürzten Form kann das Werk in seiner ganzen Größe zu uns sprechen — das Werk rächt sich an dem, der es zu verstümmeln wagt! — Unter Prof. Richters Leitung stand auch das zweite Chorkonzert (Magnifikat usw.). Jedes der Werke erfuhr die bis ins Feinste durchgearbeitete Aufführung voll musikalischer Größe, wie man sie bei Otto Richter kennt. Im a cappella-Gesang lernte man den Kreuzchor in all seiner Vollendung in der Stiftskirche kennen ... F. „Berliner Börsenzeitung“, den 23. Juli 1924. . . . Am Nachmittag hörte ich den Dresdner Kreuzchor (vergleich bar höchstens mit dem Berliner Domchor) unter Leitung seines Dirigenten Prof. O. Richter. Die Motetten „Komm, Jesu" und „Der Geist hilft" wurden mit einer Präzision, einer Sorgfalt in der dynamischen Abstufung, einer kräftigen Bestimmtheit in der Art der Deklamation vorgetragen, die man nicht genug hervorheben kann . . . Ein Wagnis war's, am Sonntag, wenn auch in zwei Teile getrennt, die vollständig ungekürzte Matthäus passion zur Aufführung zu bringen. Bei aller Bewunderung, die man Otto Richter, dem Dirigenten zollen muß, für den starken Führerwillen, die tiefe Versenkung, mit der er Bachs Monumentalwerk erlebte und leitete — es muß doch gesagt werden: zu viel wird Ausführenden und Zuhörern zugemutet, unmöglich ist’s, so lange zu genießen, konzentriert, zu hören. Man mag einwenden, ein gewaltiges Werk brauche eine ge waltige Form, Kürzungen würden dem inneren Wesen des Werks Abbruch tun usw. . . . Das Finale des Bachfestes bildete endlich ein Chorkonzert unter Otto Richters Leitung. Drei Schöpfungen des Altmeisters zeigten noch einmal dessen ureigenen, gewaltigen Genius, von dem einst Richard Wagner sagte, daß er die Geschichte des innerlichsten Lebens deutschen Geistes gewesen sei während der gänzlichen Erloschenheit des deutschen Volkes. Walter von Cuen. „Leipziger Neueste Nachrichten", den 17. Juli 1924. . . . sowie ein Kurrendesingen des Dresdner Kreuzchors vor dem Schillerdenkmal legten Zeugnis ab von der Arbeit und dem künstlerischen