handelt. Dem hohen künstlerischen Wert dieser Aufführung der Matthäus- passion rauben sie kein Jota! . . . Das Chorkonzert am dritten Tage wurde durch Bachs Magni- fikat, eine der herrlichsten Schöpfungen des Meisters, die leider viel zu wenig aufgeführt wird, eröffnet. Die Wiedergabe fußte auf Karl Straubes Einrichtung. Die beiden Kantaten „Schauet doch und sehet“ und „Nun ist das Heil“ schlossen sich an, das Fest in würdigster Weise mit gewal tigem Ausklange beschließend. Auch die Leitung dieses Konzertes lag in Richters Händen . . . Der Chor aber stand auf einer schlechthin nicht zu überbietenden Höhe: ihn zeichnete wundervolle Klarheit, Größe und Schönheit der Diktion aus. Die Arbeit unter dem „rücksichtslosen" Diri genten O. Richter hat ihre Früchte getragen! . . . „Schwäbischer Merkur“ (Stuttgart), den 15. und 16. Juli 1924. ... In Otto Richter lernten wir einen Chordirigenten kennen, der auch technisch die Aufgabe beherrscht und mit seinen ungemein plastischen, eigenartigen, energischen Bewegungen den Chor wirklich führt ... Im Ganzen muß man dem Vorgehen Richters zustimmen, womit die Matthäus- passion automatisch in die Sphäre der Festaufführungen im Sinne Bay reuths erhoben wird, wohin sie auch gehört. Warum müssen in Stuttgart aber erst die Leute von auswärts kommen, ehe was Rechtes zu Stande gebracht wird? . . . ... In der „Motette" hörten wir den berühmten Dresdner Kreuz dior unter Leitung von Otto Richter. . . . Der Kreuzchor ist ersten Ranges und darf sich mit den besten seiner Art in eine Reihe stellen. Die Rein heit und Schönheit der Stimmen, die Ausgeglichenheit im Klange wie im musikalischen Vortrag waren von erhebender Wirkung. Einen glanzvollen Abschluß fand das herrliche Bachfest mit dem 2. Chor-Konzert: Vom 5stimmigen Magnifikat ging es über die Kantate „Schauet doch und sehet“ zur krönenden Schlußnummer, der berühmten 8 stimmigen Chorkantate „Nun ist das Heil und die Kraft“ . . . Die Chöre, Verein für klassische Kirchenmusik, Oratorienverein Eßlingen, Lutherkirchen chor Cannstatt, Kreuzdior Dresden, Chorklasse der Württembergischen Hochschule für Musik klangen wunderbar. Das ist aber auch ein Bach- dirigent, Otto Richter aus Dresden! Was hat er aus unseren Chören in der kurzen Zeit der Vorbereitung herausgeholt! Die Vorarbeit der Diri genten im einzelnen foll sicher nicht unterschätzt werden; aber die Truppen zum entscheidenden Siege zu führen, dazu bedarf es der besonderen Be gabung, der unmittelbaren Einwirkung der Persönlichkeit auf die Massen. Herr Richter wollte am Schluß dem Beifall wehren. In diesem Punkte stimmen wir nicht mit ihm überein. So richtig das Publikum empfand, als es nach der Matthäuspassion still war, so richtig empfand es wiederum, als es nach dem glänzenden Schluß seiner Begeisterung lauten Ausdruck verleihen wollte (auch Wagner hatte in Bayreuth diesem Willen schließlich nachgegeben). Und die gesunde Ansicht brach auch diesmal durch: Otto Richter wurde mit langanhaltendem, brausenden Beifall überschüttet . . . Oswald Kühn.