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ÄMiKilW W WW« ZtMilmz Nk. 48. zu Nr. 29 des Hauptblattes. 1931. - Beauftragt mit der Herausgabe RegierungSrat Brautze in Dresden. LandtagstzerhaMimge«. 27. Sitzung. Dienstag, de« 2. Februar 1S31. Präsident Weckel eröffnet die Sitzung 13 Uhr k Minuten. Am Regierungstisch die Staatsminister Richter und vr. Mannsfeld mit weiteren Regierungsvertretern. Bor Eintritt in die Tagesordnung gibt Abg. Siegel (Komm.) zu den Einsprüchen der nationalsoziali stischen Abgeordneten für die Kommunistische Fraktion folgende Erklärung ab: In der Tagespresse, insbesondere der Presse der SPD wurde die Zustimmung der Kommunistischen Landtagsfraktion zu dem Einspruch des Abgeordneten Dönicke ausgenützt, um in demagogischer Art die Kommunisten als Bundesgenossen der Nationalsozia listen hinzustellen. (Sehr richtig! b. d. Soz.) Die Politik der KPD gegenüber dem Faschismus ist der breitesten Öffentlichkeit bekannt. Jeder Arbeiter weiß, daß die KPD allein einen wirtlichen Kampf gegen den Faschismus führt (Gelächter b. d. Soz.) und die wehrhafte Massenpolitik gegen den Faschismus organisiert. lZuruf b. d. Soz.: So seht Ihr aus I) Die KPD weist die demagogischen Bemerkungen der Presse zurück. Sie stimmte für den Protest Dönickes aus ihrer Stellung zum Parlamentarismus und ihrer Einstellung gegen die Geschäftsordnung des Landtages. Aus diesem Grunde wird sie auch heute dem Ein spruch des Abg. Lasch zustimmen. (Hört, hört! b. d. Soz.) Abg. vr. Wilhelm (Wirtschp.): Im Namen der Frak tionen der Reichspartei des deutschen Mittelstandes, der Deutschen Volkspartei, des Sächsischen Landvolkes, der Deutschnationalen Volkspartei, der Deutschen Staats partei, der Volksrechtpartei, des Christlich-sozialen Volks dienstes, der Volksnationalen Vereinigung und der Konservativen Bolkspartei habe ich folgende Erklärung abzugeben: In der Landtagssitzung vom 29. Januar d. I. wurde über einen Einspruch des nationalsozialistischen Abg. Dönicke gegen seinen Ausschluß aus der Sitzung vom 27. Januar entschieden. Der Einspruch wurde verworfen. Auch die bürgerlichen Parteien stimmten für die Verwerfung, weil die Maßnahme des Präsi denten durch das geschäftsordnungswidrige Verhalten des Abg. Dönicke gerechtfertigt war Diese Haltung der Bürgerlichen nahm der nationalsozialistische Abg. Lasch zum Anlaß für den Ausruf: „Bürgerliches Lumpengesindel!" (Hört, hört! b. d. Soz.) Daß dieser Ausdruck tatsächlich gebraucht ist, steht nach dem Zeugnis mehrerer Abgeordneten einwandfrei fest. (Hört, hört! b. d. Soz.) Hierfür wurde der Abg. Lasch vom Landtagspräsidium des Saales verwiesen. Sämtliche bürgerliche Frak tionen des Landtags weisen die unerhörte Beleidi gung des Bürgertums durch einen nationalsoziali stischen Abgeordneten mit aller Schärfe zurück. Punkt 1 der Tagesordnung wird folgendermaßen nominiert: 1». Einspruch des Abg. Lasch gegen seinen Ausschluß 1b. Wahl des 2. stellvertretenden Präsidenten. 1o Anfrage des Abg. Arndt u. Gen. wegen der nationalsozialistischen Ausschreitungen in Großen hain, Bautzen und anderen Orten. (Drucksache Nr. 265.) Die übrigen Tagesordnungspunkte bleiben. Punkt 1»: Einspruch de» Abg. Lasch gegen feinen Ausschluß i« der letzten Sitzung. Der Einspruch des Herrn Abg. Lasch (Natsoz.) lautet folgendermaßen: Gegen den Ausschluß aus der Sitzung vom 29. Januar durch den Präsidenten Weckel erhebe ich hiermit Ein spruch. Begründung: 1. Meine Äußerung war nicht, wie vom Präsidenten mitgeteilt, „Ihr bürgerliches Lumpengesindel", sondern: „Ihr Lumpengesindel" (Lachen b. d. Soz.) Ich kann nur annehmen, daß meine Äußerung mit denen meiner Parteifreunde, wie „Also auch die Bürgerlichen", „Seht euch einmal die Bürgerlichen an" usw. m Verbindung gebracht worden ist; 2. Mit meiner Äußerung „Ihr Lumpengesindel" habe ich kein Mitglied dieses Hauses beleidigen wollen (Gelächter u. Zuruf b d. Soz.: Er zeichnet sich selber!), sondern nur meine Empörung über die Einstellung gewisser Parteien bei Ablehnung des Einspruches Dönicke kundgeben wollen: S. habe ich die Äußerung erst in der Tür, also nach dem Verlassen des Sitzungssaales getan. Bon meinem Ausschluß erfuhr ich erst durch meinen Patteifreund Kunz, der als Vizepräsident noch im Saale anwesend war. Der Eiuspruch wirb gegen die Stimme« der Ra- tionalfozialiste« «nd Komnnmiste« abgelehut. Punkt 1b: Wahl eine» zweite« stellvertretende« Präsidenten. Abg. Kaiser (Wirtschp.) schlägt den Abg. Hentschel (Wirtschp.) und Abg. Renner (Komm.) den Abg. Herr mann (Leipzig) (Komm.) zum zweiten stellvertretenden Präsidenten vor. Bon 76 abgegebenen Stimmen entfallen auf Hentschel 31, auf Bretschneider (D. StP.) 34 und auf Herrmann 11 Stimmen. In der sich notwendig machenden Stichwahl werden 75 Stimmzettel abgegeben: Davon entfallen auf den Abg. Bretschneider (D. StP.) 35 Stimmen, auf den Abg. Hentschel (Wirtschp.) 30 Stimmen, auf den Abg. Herrmann (Leipzig) (Komm.) 10 Stimmen. Damit ist Herr Abg. Bretschneider al» zweiter Vizepräsident gewählt und nimmt die Wahl an. (Abg. Mack (D. Bp.): Das ist das demokratische Mehr- heitsprinzip! — Abg. Siegel: Jetzt wird es gut, der Landtag unter dem Schutze von Pastoren und Schul meistern !) Punkt 2 der Tagesordnung: Anfrage de» Abg. Arndt «. Gen. wegen der nationalsozialistischen Ausschrei tungen in Großenhain, Bantzen «nd anderen Orten. (Drucksache Str. 265.) Die Anfrage Nr. 265 lautet: Am Sonntag, den 18. Januar 1931, haben die Nationalsozialisten anläßlich ihres Brigadetreffens in Bautzen das Gewerkschaftshaus angegriffen. Dabei sind Türen eingeschlagen und verschiedene Zuschauer sowie Polizeibeamte geschlagen und verletzt worden. Der Pächter der Wirtschaft des Gewerkschaftshauses hatte auf Grund von Vorkommnissen in anderen Städten lange vor dem Überfall pie Polizei um Sicherungsmaßnahmen gebeten. Dieser Schutz ist nicht geleistet worden. Erst nach dem Überfall durch die Nationalsozialisten sind Polizeibeamte zur Sicherung des Gewerkschaftshauses abgeordnet worden. Am Montag, den 19 Januar 1931, ist es in Großen hain zu schweren Ausschreitungen der National sozialisten gekommen. Der Führer des Großenhainer Reichsbanners, Zöllner, wurde von etwa 15 bis 20 Nationalsozialisten überfallen und mit gefährlichen Instrumenten derart geschlagen, daß er mit blutüber- trömtem Kopf und Oberkörper in eine Hausflur lüchten mußte, wo er zusammenbrach. Später über- ielen die Nationalsozialisten das Gewerkschaftsheim. Ihre von auswärts nach Großenhain dirigierten Stoß trupps benützten Stichwaffen und zertrümmerten ein in der Nähe befindliches eisernes Geländer, um Schlagwaffen zu erhalten. Etwa zehn Reichsbanner leute wurden verletzt, darunter vier schwer. Sie haben lebensgefährliche Stichwunden in Leib, Rücken und Hals erhalten. Von den Nationalsozialisten wurde scharf geschossen. Die Fensterscheiben des Gewerk- schastsheims im Erdgeschoß wurden durch Steinwürfe völlig zertrümmert. Erst nach dem Überfall griff die Polizei ein, obwohl bereits nach den ersten Aus schreitungen der Nationalsozialisten Schutzpolizei aus Riesa in Großenhain eingetroffen war. Ebenfalls am 19. Januar 1931 konnte, obwohl gleichfalls ein Überfallkommando der Bautzner Schutz polizei anwesend war, nach einer Versammlung in Kirschau ein Angriff bewaffneter Bautzner National sozialisten auf friedliche Versammlungsteilnehmer und auf unbeteiligte Passanten erfolgen. Bier Versamm lungsteilnehmer und unbeteiligte Personen — darunter ein 65 jähriger Einwohner, der mit seiner Frau nach Hause gehen wollte — wurden schwer verletzt. Schwere Ausschreitungen verschuldeten die National sozialisten am 20. Januar 1931 in Brockwitz. Ihre von auswärts beorderten Stoßtrupps überfielen die in eine Versammlung Einlaß begehrende Masse mit ge fährlichen Mordinstrumenten Zahlreiche Ber»vundete — darunter Schwerverletzte — blieben als Opfer des nationalsozialistischen Überfalls Wir fragen die Regierung: ») Was gedenkt sie zu tun, um die Bevölkerung vor diesem gemeingefährlichen Treiben zu schützen? b) Wird sie die Polizei anweisen, den Schutz der - friedlichen Bevölkerung mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln durchzuiühren? Abg. Edel (Soz. — zur Begründung. — Die National- sozialisten verlassen geschlossen den Saal, ebenso ein großer Teil der bürgerlichen Abeordneten.) Wir erlebten vorhin durch die Erklärung der Nationalsozialisten ein Beispiel von mangelndem Mut, das sich nunmehr in dem Auszug der Nationalsozialisten auS dielem Raume fortsetzt. Was wir kritisieren, ist, daß ein Überfall der Nationalsozialisten nach dem anderen aus dem Hinter halt auf Arbeiter erfolgt ist: mit Mistgabeln, Beilen und heißen, Wasser sind — nach einem Bericht des „Berliner Tageblatt" vom 2. Februar — Nationalsozialisten auf einen Propagandezug des Reichsbanner» losgegangen. (Hört, hört! b. d. Soz.) Seit der Silvesternacht, seit dem feigen Mord an dem Reichsbannermann Schneider, der den Massenprotest in ganz Deutschland ausgelöst hat, vergeht kein Tag, von dem nicht Mord- und Raubüber fälle der Nationalsozialisten auf Arbeiter gemeldet werden müßten. Wir stehen mitten im Bürgerkrieg, so kann man ohne Übertreibung sagen, und unsere Anfrage ist auS diesem großen Kampf nur ein Ausschnitt, zeitlich und örtlich begrenzt. Wir haben im wesentlichen Vor gänge unter die kntische Lupe zu nehmen, die in einigen Tagen aufeinander gefolgt sind und die in Sachsen im Bezirk Ostsachsen spielen. Die Nationalsozialisten pochen ja fortgesetzt, seit Hitler sich vor dem Reichstag legal geschworen hat, auf ihre Legalität. Aber jeder Tag bringt neue blutrünstige Reden der Führer der National sozialisten, z. B. des Herrn Göbbels, und die Ausführung der Pläne durch die Mordkolonnen, die geworben sind und die dann auf die Arbeiter losgelassen werden. Daß die Arbeiterklasse zunächst diesen feigen Über fällen gegenüber nicht genügend gerüstet gewesen ist, so daß viele Opfer gefallen sind, gereicht wahrhaftig den Arbeiten, nicht zur Unehre, denn sie konnten ja nicht damit rechnen, daß eine solche Unsicherheit des öffentlichen Lebens eintreten würde. (Sehr wahr! b. d. Soz.) Wir haben ja bisher nicht annehmen können, daß wir Zustände wie auf dem Balkan haben. Wir jammern gewiß nicht. Wenn wir diese Anfrage stellen, so nicht aus Schwäche. Aber weil wir es nötig haben, anzuklagen, benützen wir die Tribüne des Land tags, um auch die Gemeinheiten, die systematische Kette von Brutal,täten hier dem Lande zu unterbreiten, denen die Arbeiterschaft ausgesetzt ist. Die Kampfmethoden — das möchte ich im allgemeinen meiner speziellen Bettachtung noch voranstellen — haben im Laufe der Jahre ge wechselt, mit denen die Arbeit gegen die republikanische Entwicklung und die sozialistische Arbeiterschaft geleistet worden ist Was wir jetzt sehen und wogegen wir uns wehren müssen, das ist die Tatsache, daß es sich nicht mehr um einen politischen Kampf mit politischen Mit teln handelt, sondern daß Banditen nach Landsknechts methoden bezahlt werden (Sehr wahr! b. d. Soz.), aus gerüstet werden (Lebhaftes Sehr richtig! b. d. Soz.) und losgelassen werden gegen die zivilisierte Bevölkerung, gegen die Arbeiterklasse im besonderen. (Sehr richtig! b. d. Soz.) Die Tatsache, daß die Hefe des Volkes, daß gewisse Arbeitslose, die nicht organisiert waren, käuflich sind tür die Nationalsozialisten, die ist es, die das ganze öffentliche Leben vergiften muß. Und wie kläglich und jämmerlich für die bürgerlichen Parteien ist es, die sie sich von einem Lasch sagen lassen müssen: „Ihr bürger liches Lumpengesindel", dieselben Parteien, die es nicht als unter ihrer Würde angesehen haben, wegen eines solchen Mannes, wie des Abg. Kunz und dessen Wahl zum stellv. Präsidenten, den Führer der Vollspartei, vr. Blüher, in die Wüste zu schicken! Zwei Seelen wohnen immer noch in der Brust mancher Parteien, und sie können sich nicht aufraffen zum Kampf gegen ein offensichtliches Rowdytum, weil das spezifisch sächsisch orientierte Unternehmertum es so haben will, es so für besser hält, weil gewisse Schichten des sächsischen Bürgertums selbst halb faschistisch sind, und weil sie, wie auch der Reichskanzler vr. Brüning ihren Spiegel vorhalten mußte, der faschistischen Ideo logie nachhängen, daß es nur darauf ankomme, Deutsch land von den Tributlasten und das deutsche Unter nehmertum von den sozialen Lasten zu befreien, dann werde es besser werden. Weil das sächsische Unter nehmertum ganz besonders krauterhaft ist und nicht die großen Zusammenhänge der Weltwirtschaft und der deutschen Wirtschaft erkennen kann, deswegen diese jäm merliche Einstellung, die es den Nationalsozialisten erst möglich gemacht hat, sich unverschämt und frech und zum Schrecken des ganzen Landes aufzuführen! Daraus leiten wir die drei Notwendigkeiten ab, mit denen wir den Kampf gegen diese Verrohung des politischen Lebens führen müssen. Wir sagen, es ist zum ersten nötig, daß, wenn wir die gegenwärtige politische Kttse überwinden wollen, der Kampf gegen die soziale und wirtschaftliche Unnatur des Kapitalismus geführt wird. (Sehr wahr! b. d. Soz.) Zum zweiten ist es nötig, daß wir die Staatsgewalt nicht den Händen der Fa schisten ausliefern (Sehr richtig! b. d. Soz), wie die Kommunisten meinen, daß es besonders klug wäre. Wir sind im Gegenteil der Auffassung, daß die Staats gewalt mobilisiert werden muß zum Kampf gegen Ge meinheit und Rowdytum. (Sehr wahr! b. d. Soz.) Wir sind nicht Gegner der Polizei schlechthin. Wir sind aber Gegner der Faschisierung der Polizei, sind dann Gegner der Polizei, wenn sie ihre Pflicht nicht tut im Kampfe für die Republik und zum Schutze der zivilisierten Bevölkerung. (Sehr richtig! b. d. Soz.) Wenn ein Lehrer bei der Polizei in Zwickau zugleich Standarten- und Sturmführer der Nazis ist (Lebhaftes Hört, hört! b. d. Soz.), dann ist das ein typischer Fall von den vielen, wie es nicht sein sollte, denn ein solcher Standartenführer der Nazis kann doch nicht der rechte Erzieher der jugendlichen Polizeimannschaften sein. (Sehr wahr! b. d. Soz.) Darum sind wir zum dritten der Meinung, daß wir über diese Pflicht der Staatsgewalt hinaus die Pflicht der Arbeiterschaft selbst zur Abwehr und zur Mobilisierung der Kräfte betonen müssen. Nicht, daß wir damit zum politischen Kampfe provozieren wollen, sich in großen DeNamationen und in sinn osen Angriffen zu ergehen, aber, wenn die Arbeitern« se angegriffen wird, ist es nötig, daß sie alle Abwehrkräfte zusammen- rafft. Und diese Notwendigkeiten werden durch die Erschei nungen bedingt, die wir im engsten Wirkungskreise sew«