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WqckilU M WUn AmtDitmg Nr. 18. zu Nr. 266 des Hauptblattes. 1930. Beauftragt mit der Herausgabe RegierungSrat Brauße in Dresden. Landtagsverhandlungen. 12 Sitzung. Donnerstag, den 18. November 1SS». Präsident Weckel eröffnet die Sitzung 13 Uhr 32 Minuten. Am Regierungstisch Regierungsvertreter. Präsident Weckel begrüßt zunächst im Namen des Landtages den Abg. Scheffler (Komm.), der an Stelle der Frau Reichstagsabgeordneten Körner (Komm.) in den Landtag wieder einzieht. Weiter beglückwünscht er das älteste Mitglied des Landtages, den Abgeordneten Ernst Schulze (Soz.), der während der Kammervertagung seinen 75. Geburtstag gefeiert hat. Tann wird beschlossen, als Punkt 3 der Tages ordnung die Drucksache Nr. 147, die Stillegung des Gußstahlwerkes Döhlen betr., zu behandeln. Hierauf wird in die Tagesordnung eingetretcn. Punkt 1: Wahl des Landtagsvorstandes (88 4 bis 6 der Geschäftsordnung). Es sind der Reihe nach zu wählen der Präsident, der erste Vizepräsident und der zweite Vizepräsident in getrennten Wahlgängen und dann die sechs Schriftführer in einem gemeinsamen Wahlgange. Abg. Büchel (Soz) schlägt für den Präsidentenposten den bisherigen Präsidenten, Abg. Weckel, vor. Es war bisher immer Übung in diesem Landtage, daß die stärkste Fraktion den Landtagspräsidenten stellte. Abg. vr. Fritsch (Natsoz): Wir Nationalsozialisten stehen auf dem Standpunkte, den wir auch bei der Wahl des Ministerpräsidenten, die einige Male ergebnislos ver laufen ist, vertreten haben, daß dem Ergebnis der Wahlen jetzt auch in diesem Hause Rechnung getragen werden muß bei der Bildung des Präsidiums. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß das sächsische Volt antimarxi stisch entschieden hat (Lachen links), und daß infolge dessen auch der stäiksten antimarxistischen Fraktion das Präsidium gebührt. Ich schlage deshalb als 1. Präsiden ten den Abg. Kunz vor. (Lebhafte Heiterkeit links. — Zuruf b. d. Soz.: Ausgerechnet den Dümmsten!) Abg. vr. Blüher (D. Vp ): Meine politischen Freunde sind der Ansicht, daß der gegenwärtige Winter außer ordentliche Schwierigkeiten für alle Teile bringt und daß die Führung des Präsidiums im Landtag außergewöhn liche Schwierigkeiten machen wird. Daß der von der Nationalsozialistischen Partei vorgelchlagene Herr Kollege stunz dazu allenthalben die erforderlichen Garantien haben wird, bezweifeln meine politischen Freunde (Zuruf b. d. Soz.: Das ganze Haus bezweifelt das!), und ebenso, wie wir aus den Verhandlungen des interfraktionellen Ausschusses wissen, die Mitglieder der übrigen an diesen Verhandlungen beteiligten bürgerlichen Parteien. (Hört, hort! b. d. So^.) Wir können daher dem Vorschläge Kunz nicht zustimmen und schlagen unserseits den Herrn Abg. v. Hickmann vor. Abg. Renner (Komm ): Die Kommunistische Land tagsfraktion hat schon mehrfach bei der Wahl des Land tagspräsidenten darauf hingewiesen, daß für sie die Wahl eines Landtagspräsidenten eine politische Aktion ist. (Sehr richtig! b. d. Komm.) Bei der vorigen Wahl haben die bürgerlichen Parteien dem sozialdemokra tischen Präsidenten Weckel ihre Stimmen gegeben, weil sie die Voraussetzungen für einen offenen Vorstoß des Faschismus noch nicht für gekommen erachteten. Tie allgemeine Zuspitzung der gegenwärtigen politischen Lage, die Verbreiterung und Vertiefung der Wirtschafts krise, die ihre Wirkungen in Sachsen besonders stark zeigt, veranlassen heute die Bourgeoisie, ihren Terror gegen das Proletariat noch zu verstärken, brutaler als bisher Rationalisierungsmaßnahmen durchzuführen, die Monopolisierung weiter zu betreiben, die Ausplünde rung der werktätigen Massen zu verstärken und eine weitere Niederknttppelung der Arbeiterschaft durchzu- sührcn. Nach den Pressemeldungen waren die bürgerlichen Parteien bereit, sich auf die Wahl eines Nationalso zialisten als Landtagspräsidenten zu einigen. Nach unserer Auffassung bedeutete eine solche Wahl und Stellungnahme keineswegs, daß die Bourgeoisie die sozialdemokratischen Führer als Feinde und Gegner des Kapitalismus betrachtet, sondern sie weist diesen sozial demokratischen Führern jetzt die Rolle der Opposition zu mit dem Zweck, daß diese Führer durch oppositio nelles Auftreten die Radikalisierung der Arbeiter auf halten (Zuruf b. d. Soz.: So ein Unsinn!) und sie von dein Ziel des Proletariats, Einleitung und Durchführung des Kampfes zum Sturze der kapitalistischen Gesell schaft, abhalten sollen. Die Wahl eine- Nationalsozia listen zum Landtagspräsidenten verfolgte den Zweck, ins besondere die Massen der kunnbürgerlichen Anhänger schaft der Nationalsozialisten mit neuen Illusionen zu erfüllen und die schwankenden WSHlersch,chten an die faschistischen Parteien zu binden. So würde die Wahl eines Nationalsozialisten zum Präsidenten oder Vize präsidenten wie auch der Vorschlag, den Abg. I). Hick mann zum Landtagspräsidenten zu wählen, die Auf- zeigung der allgemeinen Zuspitzung der Klassengegen sätze bedeuten. (Sehr wahr! b. den Komm.) Wenn jetzt auf Grund taktischer Bedenken eines Teiles der Bolksparteiler die Bolkspartei noch nicht einen Nationalsozialisten zum Landtagspräsidenten wählt, son dern einen Zwischenvorschlag macht, so kennzeichnet das nur, daß die führende Partei der Bourgeoisie in Sachfen ein Übergangsstadium zur weiteren Verschärfung des Kurses sucht. (Sehr richtig! b. d. Komm ) Wenn dann nach den Zeitungsmeldungen die Nationalsozialisten sich bereit erklärten, auch mit einem sozialdemokratischen Präsidenten gemeinsam in ein Landtagspräsidium zu gehen und damit ihre bei der vorigen Wahl bezogene Stellung aufgeben, fo kennzeichnet das auch jetzt nichts anderes als die offene Schwenkung der Nationalsozia listischen Arbeiterpartei auf den Boden der kapitalistischen Republik, zeigt deutlicher als bisher die Rolle der Fa schisten als Hilsstruvpe der Unternehmer und das schnelle Jneinanderfließen der Handlungen der SPD-Führer und der Faschisten im Auftrage des Finanzkapitals und als Vertreter der kapitalistischen Hungerordnung. Tie Kommunistische Landtagsfraktion erklärt deshalb den arbeitenden Massen: Ganz gleich, wie die Zusammen setzung des Präsidiums erfolgt, diese Wahl kündigt den verschärften Terrorkurs gegen die arbeitenden Massen an. Die Kommunistische Fraktion wird deshalb ihren Kampf gegen die faschistische Gefahr entscheidend und bedeutend verschärfen. Dieser Kampf wird von den SPD-Führern nicht nur nicht gefördert, son- dern geradezu sabotiert. Tie SPD.-Reichstagsfraktion rettete die Hungerrcgierung Brüning, die SPD- Gewerkschaften würgten den Metallarbeiterstreik ab Der Sozialdemokrat Sinzheimer stimmte mit für den 8prozentigen Lohnabbau. In Sachsen verhindert die SPD-Führung die Ausnahme des Kampfes gegen die Metallindustriellen und hilft damit auch hier den Lohn abbau vorbereiten. Die SPD.-Führer verhindern mit einer Flut von Lügen und Verleumdungen gegen die revolutionäre Partei, die KPD., die Einheitsfront des Proletariats. (Lachen b. d. Soz.) Die entscheidende Frage ist nicht, welche Person auf diesen oder jenen Posten kommt, sondern entscheidend ist die Organisierung, die Einleitung und der Beginn des Kampfes gegen das bestehende kapitalistische System. (Sehr richtig! b. d. Komm.) Die Arbeiterschaft darf sich jetzt keineswegs durch demagogische Redensarten und parlamentarische Manöver täuschen lassen. Sie muß alle Maßnahmen zur wirklichen Niederringung des Faschismus ergreifen. (Der Präsident ruft den Redner zur Sache.) Die Kommunistische Partei fordert deshalb die Arbeiterschaft auf, den Zusammenschluß gegen ihre Feinde zu vollziehen, sich m den Kartellen des Äamps- bundes gegen den Faschismus, den Kampflomitees in den Betrieben Führungen für diesen Kampf zu fchaffen und unter dem Banner der Kommunistischen Partei den Kampf zum Sturz der kapitalistischen Gesellschaft für ein Sowjetdeutschland aufzunehmen. Nur ein Sowjet deutschland gibt die Garantie für die Niederringung und die Beseitigung der faschistischen Gefahr für den freien und ungehemmten Aufstieg der Massen der arbeitenden Bevölkerung. (Bravo! b. d. Komm.) Wir schlagen den Abg. Herrmann (Leipzig) zum Präsidenten vor. Abg. Claus (Dem): Es ist bisher in diesem Hause Grundsatz gewesen, daß immer der Vertreter der stärksten Partei zum Landtagspräsidenten gewählt worden ist. Demzufolge haben ja auch die Sozialdemokraten seit Kriegsende ununterbrochen diesen Posten besetzt gehabt. Wir sind mit dieser Praxis immer sehr gut gefahren. Die Sozialdemokratie erhebt also mit vollem Recht An spruch auf diesen Sitz, denn sie ist auch heute noch bei weitem die stärkste Fraktion in diesem Hause und mehr als doppelt so stark wie die nächststärkste Fraktion der Nationalsozialisten. Tie Sozialdemokratie schlägt Herrn Weckel wieder vor, gegen den in der letzten Landtagssession nicht das geringste einzuwenden gewesen ist. Herr Weckel hat die Gescbäfte, behaupte ich, unparteiisch geführt und ist gewissenhaft bemüht gewesen, jedermann gerecht zu werden und die Geschäfte hier im Haufe vorwärts zu bringen und die Ordnung unter allen Umständen auf- rechtzuerhalten. Wenn man heute nach politischen Gesichtspunkten wählt, so wirft man das einfach alles über den Haufen. Die Kandidaten, die von der rechten Seite genannt worden sind, sind dann ganz entschieden politisch ein gestellt, und damit fällt schon die Voraussetzung für ruhige und sachliche Verhandlungen in diesem Hause. (Zuruf b. d. Natsoz.: Ein Linker ist unparteiisch, ein Rechter soll parteiisch eingestellt sein!) Nein, Sie sind gar nicht eingestellt! (Zuruf b. d. Natsoz.: Aber du wirst ausgestellt! — Heiterkeit b. o. Natsoz.) Wir werden deshalb an dem alten Brauch festhaltcn und dem Vertreter der Sozialdemokratie unsere Stimme geben. Hierauf wird in die Wahl eingetreten. Das Ergebnis ist folgende-: Essind 95 Stimmzettel abgegeben worden. Davon sind entfallen auf Weckel 35 Stimmen, auf Kunz 34, auf v. Hickmann 14, auf Herrmann-Leipzig 12 Stimmen. Nach diesem Ergebnis macht sich eine Stichwahl zwischen den Herren Kunz und Weckel notwendig. Das Ergebnis der Stichwahl ist folgendes: Es sind wiederum 95 Stimmen abgegeben worden. Davon entfallen auf den Abg. Weckel 35 Stimmen, auf Kunz 34, auf Herrmann 12 Stimmen und 14 Zettel sind weiß. Damit ist der Abg. Weckel zum Präsidenten gewählt. (Lebhaftes Bravo! b. d. Soz.) Abg. Büchel (Soz. — zur Geschäftsordnung): Tie Stellung meiner Fraktion zu den ferneren Wahlen hängt davon ab, wie sich die einzelnen Fraktionen zu unserem Vorschläge eingestellt haben. Wir werden also die Par teien, die die parlamentarischen Grundsätze verlassen haben, bei den ferneren Wahlen nicht unterstützen. Wir bitten deshalb um eine halbstündige Vertagung, damit wir zu den weiteren Vorschlägen Stellung nehmen können. Unter Widerspruch b. d. Natsoz. wird in eine Pause eingetreten. Nach Wiederaufnahme der Sitzung wird in die Wahl des ersten Vizepräsidenten eingetreten. Abg. vr. Fritsch (Natsoz.) schlägt den Abg. Kunz vor. (Zuruf b. d. Soz.: Bravo! Ihr wollt doch nicht mit uns Marxisten zusamengehen!) Abg. Vr. Blüher (T.Vp.) schlägt den Abg. v. Hick mann vor. Abg. Renner (Komm.) schägt den Abg. Herrman- Leipzig vor. Tas Ergebnis der Wahl ist: Es sind 95 Stimmzettel abgegeben worden. Tavon entfallen 46 auf Hickmann, 37 auf Kunz und 12 Stimmen auf Herrmann. In der sich wieder notwendig machenden Stichwahl wird Abg. V. Hickmann mit 48 Stimmen zum ersten Vizepräsidenten gewählt. Für den Abg. Kunz werden 35, für den Abg Herrmann 12 Stiminen abgegeben Präsident: Ter bisherige erste Vizepräsident, Herr vr. Eckardt, scheidet damit aus dem Präsidium aus. Ich darf ihm wohl im Namen des Landtags für seine seit 1922 geleistete Arbeit im Präsidium den Tank aus sprechen. Hierauf wird zur Wahl des zweiten Vize präsidenten verschritten. Abg. vr. Fritsch (Natsoz.) schlägt den Abg Kunz vor. (Heiterkeit b. d. Komm, und Soz.) Abg. Clans (Tcm.) schlägt den Abg.Bre tsch neider vor. Von den Kommunisten wird wieder der Abg. Herrmann vorgeschlagen. Abg.Kaiser (Wirtschp.) schlägt den Abg.Hentschel vor. Bon 94 abgegebenen Stimmen erhalten Bretschneider 38, Kunz 33, Hentschel 10 und Herrmann 12. Tazu 1 weißer Zettel. In der Stichwahl zwischen den Abgg. Bretschneider und Kunz wird Abg. Kun; mit 43 Stimmen zum 2. Vizepräsidenten gewählt. Abg. Bretschneider erhält 39, Herrmann 12 Stimmen. Tamit ist das Präsidium ge wählt. Zur Wahl der sechs Schriftführer, die ge meinsam in einem Wahlgange gewählt werden, erklärt Abg. Büchel (Soz.): Tie Kommunisusche Partei hat durch ihr heutiges Verhalten gezeigt, daß sie Arm in Arm mit den Nationalsozialisten (Gelächter und Lärm b. d. Komm.) versucht hat, den sozialdemokratischen Präsidenten zu beseitigen (Sehr wahr! b. d. Soz.), selbst auf die Gefahr hin, daß an die Stelle des Präsidenten Weckel ein Faschist gewählt worden wäre. Tie Tatsache, daß an die Stelle des zweiten Vizepräsidenten ein Nationalsozialist gesetzt worden ist, ist restlos auf das Konto der Kommunistischen Partei zu schreiben. (Sehr wahr! b. d. Soz. — Widerspruch und Lärm b. d. Komm.) Es ist deshalb ausgeschloffen, daß wir für einen Ver treter der Kommunistischen Partei bei der Schriftführer wahl stimmen können. Wir schlagen die bisherigen Schrift führer Abgg. Mucker und Kautzsch, dazu ferner den Abg. Hartsch vor. Abg. Renner (Komm.— zur Geschäftsordnung): Man muß den Mut bewundern, mit dem der Herr Abg. Böchel hierher tritt. (Lebhafte Zurufe b. d. Soz. — Lebhafte Gegcnrufe b. d. Komin.) Seine Ausführungen werden aber auf die Massen draußen wenig Wirkung haben, denn die Taten der Sozialdemokraten vorher sind so deutlich gewesen, daß wir es vor der gesamten deutschen Arbeiterschaft verantworten können, daß wir die Leute, die auf den Schultern und auf dem Wohlwollen der Bolks partei in das Präsidium gehoben wurden, nicht zu wählen brauchen (Sehr richtig! b. d Komm. — Lachen b. d. Soz.) Die Sozialdemokraten haben für den Vizepräsidenten der Deutschen Bolkspartei und damit für den Vertreter der