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ÄckqMU M AWni A«atzeilW Nr. 63. zu Nr. 73 des .Hauptblatte«. 1930. Beauftragt mit der Herausgabe RegierungSrat Brauße in Dresden. Abg. Vpitz (Komm.) schlägt den Abg. Renner vor. türmische Heiterkeit.) (Stürmische Lan-taWerhandlMM. (Fortsetzung der 33. Sitzung von Dienstag, den 28. März L»3S.) Abg Renner (Komm. — Fortsetzung): Die Kommunistische Partei hat schon bei der Prä sidentenwahl im Juli ihre Stellung zu einer Regierung im kapitalistischen Staat, wie ihre Stellung zum kapi talistischen Staat überhaupt deutlich zum Ausdruck gebracht. Die Kommunistische Partei zeigt den Massen der Arbeiter, daß sie aus Elend und Not nur durch den Kampf um die proletarische Revolution, durch den Sieg des Proletariats und die Diktatur des Proletariats sich erretten können. Die Kommnnistische Partei Deutschlands organisiert mit den breiten Massen (Zuruf b. d. Soz.: Mir den schmalen Massen!) der revolutionären Arbeiterschaft, der zugrundegehenden arbeitenden Bauern, der werktätigen Schichten in Stadt und Land diesen proletarischen Befreiungskampf. Die Kommunistische Partei läßt den Arbeitem keine Illu sionen über bürgerliche Regierung und bürgerliches Staatswesen. Die Kommunistische Landtagsfraktron lehnt es deswegen ab, für einen der vorgeschlagenen Ministerpräsidentschafts-Kandidaten, auch für den Kandidaten der Sozialdemokratischen Partei zu stimmen. (Hört, hört! b. d. Soz.) Der Kandidat der Sozialdemokratischen Partei ist der Sammelkandidat der reaktionären Kräfte in Sachsen (Lachen b. d. Soz ), der Kandidat zur Sammlung von sozialdemokratischen Führern und Kapitalisten zu einem Regierungsblock gegen das revolutionäre Proletariat. (Sehr wahr! b. d. Komm. — Zuruf b. d. Soz.: Wo hast du bloß das Zeug her, Kerl!) Die Kommunistische Partei kämpft als einzige Partei gegen den kapltalistischen Staat und die den kapita listischen Staat stützenden und die Interessen des Unter nehmertums vertretenden Organisationen. (Zuruf b. d. Soz.: Jetzt kommt das mit den weißen Stimmzetteln!) Die Kommunistische Landtagsfraktion bringt das auch bei ihrer Abstimmung zur Wahl des Ministerpräsidenten zum Ausdruck. Die Kommunistische Landtagsfraktion schlägt ihren eigenen Kandidaten vor. (Lachen und Zuruf b. d. Soz.: In der kapitalistischen Republik!) Die willkürliche Auslegung des Art. 26 der Verfassung durch die Mehrheit des Landtages bei der letzten Ministerpräsidentenwahl hindert die Kommunistische Fraktion daran, durch die Abgabe weißer Stimmzettel auf ihr Desinteresse an einer Regierungsbildung im kapitalistischen Staat klar und deutlich aufmerksam zu machen. (Sehr wahr! b. d. Komm.) Der Vorschlag eines eigenen Kandidaten bedeutet keineswegs eine Konzession an die sozialfaschistische Staatsauffassnng. Er ist die Demonstration gegen die Vorschläge der auf dem Boden der kapitalistischen Ge sellschaft stehenden Ministerpräsidentschafts-Kandidaten. (Aha! b. d. Soz.) Der eigene Vorschlag der Kommunistischen Fraktion wird die erneute demagogische Ausnutzung der Haltung der Kommunistischen Fraktion durch die bürgerlichen und sozialdemokratischen Parteien verhindern. (Aha! b. d. Soz.) Die Kommunistische Partei sagt den Arbeitern, keine — ganz gleich, wie geartete — Regierung inner halb der kapitalistischen Gesellschaft wird auch nur das geringste für die Interessen der Arbeiter tun. Jede Regierung wird mit den sich verschärfenden Zeichen des Verfalls der kapitalistischen Gesellschaft mit ge steigerter Brutalität die Rettungsaktion für diese kapita listische Gesellschaft führen. (Sehr wahr! b. d. Komm.) Die Kommunistische Partei Deutschlands fordert die Arbeiter auf, ihren außerparlamentarischen Kampf in gesteigertem Maße fortzufetzen. Sie fordert ins besondere die kommunistischen Wähler, die Wähler massen der roten Betriebsräte in den Betrieben, die Anhänger der revolutionären Gewerkschaftsopposition auf, mit aller Energie die begonnene Arbeit fortzu fetzen, den Kampf um ihre Interessen zu verstärken. Die Kommunistische Partei macht ihre Anhänger darauf aufmerksam, daß es jetzt gilt, die Mehrheit der Arbeiter in den Betrieben zu erobern (Abg.vr. Kastner: Das machen Sie ja schon seit 10 Jahren!), die Parteilosen, die sozialdemokratischen Arbeiter, die der Sozialdemokratischen Partei noch folgenden Ar beiter von der verräterischen Führerschaft zu lösen und die revolutionäre Einheitsfront zum Kampf gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung herzustellen. (Zuruf b. d. Soz.: Wird öffentlich angeschlagen!) Abg. Kaiser (Wirtsch.) schlägt für den Minister- präsidentenposten den Präsidenten des Staatsrechnungs- hofeS, Herrn vr. Schieck, vor. Abg Vöchel (Soz.) schlägt sür die Sozialdemokratische Landtagsfraktion den Herrn Reichstagsabgeordneten Fleißner vor. Abg. Stau» (Dem) schlägt für den Ministerpräsidenten posten Herrn vr. Külz vor Es wird zur Wahl geschritten. Es sind auf den Namen Schieck 44 Stimmen, für Fleißner 32 Stimmen, für Renner 12 Stimmen, für Külz 5 Stimmen abgegeben worden, 1 Zettel ist unbeschrieben. Die verfassungsmäßig erforderliche Mehrheit hat damit keiner erreicht. Die heutige Wahl des Minister präsidenten ist damit ergebnislos verlaufe«. Die Punkte 4 bis 7 werden in der Aussprache ver bunden. Punkt 4: Beratung über den Antrag des Abg. Renner u. Gen. auf Vorlegung eines Gesetzentwurfes über eine Amnestie für Vergehen gegen die 88 218/2LS in Verbindung mit 8 54 des Strafgesetzbuches u. a. (Drucksache Str. 4« ) Der Antrag Nr. 46 lautet: Der Landtag wolle beschließen: die Regierung zu ersuchen, 1. dem Landtage baldigst ein Gesetz über die Amnestie aller Vergehen gegen die 88 218/219 in Verbin dung mit ß 4b des Strafgesetzbuches vorzulegen; 2. bei der Reichsregierung dahin zu wirken, daß in: neuen Strafgesetzbuch die 88 218/219 beseitigt werden; 3. den Vertreter im Reichsrat zu beauftragen, die Beseitigung dieser Bestimmung zu fordern und dafür zu stimmen. Abg. Frau Nischwitz (Komm. — zur Begründung): Die Kommunistische Fraktion fordert in ihrem Anträge Amnestie für die Opfer, die den berüchtigten Abtreibungs paragraphen 218 und 219 zum Opfer gefallen sind. Diese Schandparagraphen fordern jährlich Tausende von Opfern und werden in Zukunft noch Tausende von Opfern forden. Täglich werden Arbeiterfrauen durch die Klassenjustiz zu jahrelangen Zuchthaus- und Gefängnis strafen verurteilt. In einer Kundgebung der Liga für Menschenrechte stellt der Berliner Stadtarzt Vr. Hodann fest, daß nach den zugestandenen Ziffern des preußischen Ministeriums eine Zahl von einer Million Abtreibungen im Jahre errechnet worden ist, daß im Durchschnitt auf eine Geburt eine Abtreibung zu rechnen ist. (Hört, hört! b. d. Komin.) Die Ärzteschaft, die in erster Linie dazu berufen wäre, diese Eingriffe zur Unterbrechung der Schwanger schaft durchzuführen, untersteht genau diesen Zuchthaus paragraphen. Die Folge davon ist, daß die werktätigen Frauen, die ledigen Mütter vor allem, Mittel und Wege fmden, um das Kind los zu werden, und die letzte Zu flucht ist bei Weigerung des Arztes der Kurpfuscher, die weise Frau, und auf diese Weise wird der Lohn abtreibung mit ihren ungünstigen Auswirkungen und Voraussetzungen amtlich Begünstigung erwiesen. (Sehr wahr! b. d. Komm.) Das Kurpfuschertum fordert Tausende von Opfern. Nach der Statistik des Herrn vr. Hodann werden im Jahre 20000 Todesfälle ver zeichnet infolge künstlicher Abtreibung. (Hört, hört! b. d. Komm.) Daneben stellt vr. Hodann fest, daß 70— 80000 Frauen in Deutschland jährlich unter schweren Nach erkrankungen dem Siechtum anheimfallen. (Hört, hört ! b. d. Komm.) Es ist imstreitbar, daß die meisten Opfer dieser Ab treibungen aus den Reihen der Arbeiterinnen, der prole tarischen Mütter stammen (Sehr wahr! b. d. Komm ). Auch in diesem Falle stellt sich die bürgerliche Wissen schaft in den Dienst der Besitzenden. Wenn eine Frau zum Arzt kommt, wird ein Unterschied gemacht zwischen einer Frau und einer „gnädigen Frau" (Sehr wahr!b. d. Komm ), und es gibt eine ganze Reihe gewisser Arzte, die eine Risikoprämie in Höhe von 350 M. und mehr einstreichen. Die Ablehnung der Arzte im Falle der proletarischen Mutter hat zur Folge, daß die proletarische Frau in ihrer Verzweiflung zur Selbsthilfe greift. Und wenn solche Frauen dann glücklich dem Rande des Grabes entronnen sind, dann kommt der Staatsanwalt, dann kommt die Klassenjustiz (Sehr wahr! b. d. Komm.) und schwingt die Paragraphengeißel. Rach der Kriminal statistik steht fest, daß in jedem Jahre durchschnittlich 5000 Bestrafungen durchgeführt werden. (Hört, hört! b. d Komm.) Nach der sozialen Zusammensetzung ist es sehr interessant, festzustellen, daß nur 0,1 Proz. den so genannten besseren Schichten angehören, während 99,9 Proz. den sogenannten minderbemittelten Schichten an gehören. (Hört, hört! b. d. Komm.) Stellt sman diese unerhörte Zahl von einer Million Abtreibungen in Gegensatz zu den 5000 Fällen, die man strafrechtlich verfolgt und ersaßt, so ist die Schlußfolgerung vorhanden, daß das Gesetz in keiner Weise diese Ab treibungen verhindern kann, weil eben die soziale Not stärker ist als alle Gesetze. (Sehr richtig! b. d. Komm.) Deshalb fordern wir die Beseitigung dieser rückständigen Straf bestimmungen. Als rm Jahre 1926 sich der Reichstag mit den In itiativanträgen der Kommunistischen Fraktion zur Neu gestaltung dieser Strafbestimmungen beschäftigte, da zeigte sich, daß sich die Kommunistische Fraktion grundsätzlich auf den Standpunkt stellte: volle Straffreiheit, und sie ist auch rückhaltlos immer für diese grundsätzliche Forde rung eingetreten, während sich im Gegensatz dazu die Sozialdemokratie auch hier nicht überwinden konnte, diesen Anträgen zuzustimmen und sich für die grund sätzliche Straffreiheit zu erklären, sondern in ihrer Kom- promibstimmung diese Anträge der Kommunistischen Fraktion ablehnte. (Hört, hört! b. d. Komm.) Dasselbe Beispiel wiederholte sich, als im vorigen Jahre im preußischen Landtage derselbe Antrag auf Beseitigung dieser Paragraphen zur Abstimmung stand; auch da wurde mit Hilfe der Sozialdemokratie dieser Antrag abgelehnt mit der Begründung, daß durch die Beseitigung dieser Paragraphen die sittliche Verwahrlosung überhandnehmen würde. Das ist eine sehr lendenlahme Begründung sür eine sogenannte Arbeiterpartei! Rund 50 Proz. aller erwerbstätigen Frauen sind verheiratete Frauen. Die Erwerbsarbeit ist eine der wichtigsten Ursachen dieser hohen Abtreibungsziffern. Es steht fest, daß die Arbeiterinnen in den Betrieben durch die Geburten in den meisten Fällen die Arbeitsstelle und damit die Existenz verlieren. Bon diesem Gesichts punkte aus hatte auch die Kommunistische Reichstags- sraktion den Antrag auf Entlafsungsschutz für die Frauen gestellt, der forderte, daß die chwangere Arbeiterin vor und nach der Geburt auf gesetzlicher Grundlage vor der Entlassung geschützt wird. Das war der Antrag, den die Frau Abg. Thümmel nicht verstehen konnte. Die Begründung, die Frau Thümmel dafür gab, war keine Begründung. (Frau Abg. Thümmel: Aber ihr Schwindel ist eine Begründung! — Frau Abg. Thümmel (Soz.) wird zur Ordnung gerufen.) Für die erwerbstätige Frau bedeutet jedes Kind mehr eine Mehrbelastung, eine Steigerung der ohnedies großen Arbeitsbelastung ihrer unerträglichen Erwerbsarbeit. Hauswirtschaft und Kinderaufzucht lassen sich auf die Dauer unmöglich von den schwachen Schultern der er werbslosen Frauen gleichzeitig trägem Deshalb die Angst vor dem Kinde, deshalb die häufigen Abtreibungen, nicht etwa, weil die proletarische Mutter eine schlechtere Mutter tväre. Dazu kommt noch die unerträgliche Woh nungsnot, daß es Tausenden von jungen Menschenpaaren unmöglich ist, einen Hausstand und eine Famme zu gründen. Die Folgen find gesteigerte Zahlen der unehe lichen Geburten. Ich erinnere nur an die geradezu feindliche Haltung gegenüber den weiblichen Angestell ten, Beamtinnen und Lehrerinnen, denen es durch die konservative Haltung der bürgerlichen Klasse unmöglich ist, das Recht auf Mutterschaft auszuüben. Abgesehen von den menschlichen Achtungen, denen die unehelichen Mütter täglich anheimfallen, teilt die bürgerliche Gesell schaft alle geborenen Kinder in zwei rechtlich ver schieden gestellte Klassen ein. Um diese Differenz zwischen ehelichen und unehelichen Kindern auszu gleichen, wurde ebenfalls von der Kommunistischen Partei schon um die rechtliche Gleichstellung der Unehelichen ein scharfer Kampf geführt. Im Reichstag ist zwar über diese Frage viel und schön geredet worden, aber eben durch die Haltung des gesamten Bürgerblocks einschließlich der Sozialdemokratie rst von diesen Gruppen leider nichts herausgekommen. Resultat gleich Null! Die verhältnismäßig hohen Sterbeziffern der Säug linge aus den Reihen der unehelichen Kinder, die große Zahl der Kindesmorde und Aussetzungen rekrutieren sich aus den Reihen der ledigen Mütter, und wenn die Ver treter der bürgerlichen Gesellschaft in ihren Zeitungen schreiben über entmenschte Mütter, so scheinen sie mcht zu wissen, daß eine Kindesaussetzung mit dem größten Kamps einer solchen unglücklichen Mutter verbunden ist. Alle Auswüchse gesellschaftlicher und moralischer Natur kommen auf das Konto des kapitalistischen Ausbeutungs staates, und es wird so recht die ganze Scheinheiligkeit und Verlogenheit der herrschenden Klasse gekennzeichnet, wenn man in einer Zeit der verschärften Massennot Klagelieder anstimmt über Geburtenrückgang und Ab treibungsseuche und wenn man gleichzeitig einen Raub zug auf die werktätigen Massen vollzieht. Auf der einen Seite sehen wir einen rigorosen Lohnabbau, auf der anderen Seite sehen wir die Aufbürdung von Massen steuern und Wucherzöllen, die die notwendigsten Lebens mittel, die die Arbeiter jeden Tag brauchen, verteuern; gleichzeitig vollzieht sich der Vormarsch der Sozialreaktion m Reich, Ländern und Gemeinden auf der ganzen Linie. Der kapitalistische Staat verhängt Zuchthausstrafen über werdende Mütter und kürzt gleichzeitig die Reichswochen hilfe von 29 Millionen auf 15 Mill M. im Reichsetat. (Hört, hört! b. d. Komm.) In Sachsen kürzt die reak tionäre Regierung die staatliche Wochenhilfe um 50 Proz., um in Kürze die ganzen 100 Proz. zu beseitigen. (Hört, hört! b. d. Komm.) Der neue sächsische ausbalancierte Etat, der dem Landtag vorliegt, zeigt mit aller Deutlich keit den Klassencharakter der heutigen und jetzigen Re gierung (Sehr wahr! b. d. Komm.) dadurch, daß in diesem Etat Mittel gestrichen sind, die im Vorjahre nach Beschluß des Landtags eingestellt wurden, die bestimmt waren für Erweiterungs- und Neubauten der Frauen kliniken in Chemnitz und Plauen, und daß durch die Streichung der Mittel dieser Umbau völlig zurückgestellt werden muß trotz der skandalösen Mißstände, die der sächsischen Regierung bekannt sind. Diese wenigen Beispiele, herausgegriffen aus der ganzen Fülle, kennzeichnen den Klassencharakter des kapitalistischen Staates, und es ist unmöglich, daß man den Kampf gegen die Abtreibung mit Gesetzespara graphen und Strafbestimmungen führen kann. Man kann und darf diese Auswüchse der Gesellschaft nur bekämpfen mit sozialen Maßnahmen. Wir brauchen keine Abtreibungsparagraphen, wenn man den Arbeite rinnen, wenn man der Arbeiterschaft ausreichende Löhne zahlt, wenn man den Arbeiterinnen gleiche Löhne für gleiche Leistungen »aktt. m-»» mnn für die