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LMKilU W AW« NMWR Nk. 18. Lu Nr. 249 des Hauptblattes. 1929. Beauftragt mit der Herausgabe RegierungSrat Brauße in Dresden. Landtagsverhandlungen. 11. Hitzung. Mittwoch, den 23. Oktober 1S2-. Präsident Weckel eröffnet die Sitzung 13 Uhr 13 Min. Am Regierungstifche Ministerpräsident vr. Bünger, die Minister Elsner, vr. Krug v. Nidda, vr. Manns feld, Richter und Weber, sowie Regierungsvertreter. Abg. vr. Wilhelm (W irisch.) zeigt zunächst die Kon stituierung des Untersuchungsausschusses für die Gefangenenanstalten an: Vorsitzender ist vr. Wil helm (Wirtsch), stellv. Vorsitzender Abg. Ulbrich (D. Vp ), 1., 2., 3. Schriftführer die Abgg. Ebert (Soz), Meyer (Natsoz.) und Lange (Komm ). Die Punkte 1 bis 7 der Tagesordnung werden in der Aussprache verbunden. Punkt 1: Beratung über den Antrag des Abg. Arndt u. Gen.» die baldige Ratifizierung des Young» Planes betr. (Drucksache Nr. 196.) Der Antrag Nr. 196 lautet: Der von den deutschen Wirtschaftssachverständigen in Paris in den Grundzügen ausgestellte und im Haag von den deutschen Ministern Stresemann, Wirth, Curtius und Hilferding endgültig formulierte neue Reparationsplan, der dem deutschen Volk gegenüber dem Dawes-Plan eine durchschnittliche jährliche Er sparnis von einer halben Milliarde Goldmark bringt, soll vom Reich baldigst ratifiziert werden. Angesichts des Volksbegehrens der Rechtsparteien gegen den Young-Plan hat die Reichsregierung die Länderregierungen ersucht, für weitgehende Aufklärung des Volkes Sorge zu tragen. Wir beantragen deshalb, der Landtag wolle beschließen: die Regierung zu ersuchen: 1. ihre Vertreter im Reichsrat anzuweiien, für bal dige Ratifizierung des Young-Planes einzutreten; 2. mit allen Mitteln der lügnerischen Hetze der Rechts parteien gegen den Young-Plan in gleicher Form, wie dies die Reichsregierung tut, entgegenzutreten. Abg. Böchel (Soz. — zur Begründung): Wenn wir in der Einleitung zu dem Anträge fagen, daß dieser Reparationsplan von den Sachverständigen der deutschen Wirtschaft in Paris in den Grundzügen ausgestellt worden ist und daß die politischen Vertreter des deutschen Volkes, die 4 Minister vr. Stresemann, Wirth, Curtius und vr. Hilferding im Haag den Reparationsplan dann in seinen endgültigen Satzungen formuliert haben, so wollen wir damit von vornherein dokumentieren, daß es sich hier nicht um eine sozialistische Angelegenheit handelt, sondern daß es ein Plan ist, der von den bürgerlichen Parteien getragen ist und der von Staat zu Staat ratifi ziert werden muß, wo eben gerade die Bourgeoisie heute noch die Herrschaft hat. Wir haben aber gar keine Ver anlassung, von der Verantwortung für diesen Plan ab zurücken, denn dieser Reparationsplan erfolgt mit Unter stützung der Sozialdemokratischen Partei deshalb, weil wir wissen, daß, wenn der Young-Plan nicht ratifiziert wird, dann unsägliches Elend über die deutsche Wirtschaft und über das deutsche Volk Hereinbrechen wird. Und wenn ich von einem unsäglichen Elend für Deutschland spreche, so bedeutet das für Sachfen mit seiner Fertig industrie eine Katastrophe (Lebhaftes Sehr richtig! b. d. Soz ), deren Umfang gar nicht abzufehen ist. Das sind die Gründe, die uns veranlassen, aus sachlichen Erwägungen an die Seite derjenigen bürgerlichen Kreise zu treten, die für die Erfüllung der Reparationen und für den Young-Plan eintreten. (Zuruf b. d. Natsoz.) Es ist ganz gleichgültig, in welcher Art und Weise das nationalistische Volksbegehren beerdigt wird, einen Erfolg hat es bereits gehabt: es hat uns mit einem Schlage die völlige Sinnlosigkeit der nationalistischen Phrasen ausgezeichnet (Lebhaftes Sehr richtia! b. d. Soz!), denn wenn irgend ein großes politisches Problem nicht mit verantwortungslosen Schlagworten gelöst werden kann, dann ist es die Frage der Reparationsschulden. Dieses Problem mit den alten Methoden des Natio nalismus in einer völlig verwandelten Umwelt lösen zu wollen, das mußte notwendig zu einem vollkommenen Zusammenbruch der nationalistischen Ideologie führen (Lachen rechts), und dieser ideologische Zusammenbruch entspricht vollkommen der völligen Zersetzung und Zerrissenheit im bürgerlichen Lager. Ich habe hier ein Flugblatt von einer sehr bedeutenden Gruppe der nationalistischen Bewegung, nämlich von dem Jungdeutschen Orden. (Lachen b. d. Natsoz. und Dnat.) Dieses Flugblatt des Jungdeutschen Ordens sagt folgendes: Die Art der Propaganda, die für das Volksbegehren entfesselt wird, ist geeignet, weite nationale Bolkskreise mit Empörung zu erfüllen und damit den Riß in der nationalen Front zu vergrößern. Die Verantwortungs losigkeit der Kreise um den Reichsausichuß geht so weit, daß sie alle diejenigen, die das Volksbegehren aus nationalen oder sachlichen Gründen ablehnen, „Landes verräter und Feiglinge- nennen. (Aba. vr. Eberle: Die smd auch mit den Franzosen ver bunden wie Siel) Dadurch wird die nationale Front wiederum zerrissen. Eine solche erlogene Behauptung und Verleumdung schafft neuen Haß und neue Feindschaft und verhindert das Werk der Einigung aller volksbewußten und staatsbejahenden Volkskreise. Man braucht nur die Situation im bürgerlichen Lager zu betrachten: Die Deutsche Volkspartei als die größte Partei des Industriekapitals (Abg. vr. Eberle: Ist mit Ihnen einig!) in schärfster Front gegen die Deutsch nationale Volkspartei, die doch ebenfalls Vertreterin der deutschen Wirtschaft sein will. Wir stellen fest, daß das bürgerliche Lager sich in einer vollkommenen Desorgani sation befindet. Die Hakenkreuzbewegung, die für sich allein den Nationalismus reklamiert hat, in schärfstem Kampfe gegen den Jungdeutschen Orden, Hugenberg, der große Jnflationsgewinnler (Abg. vr. Kretzschmar: Unerhört! — Lachen links.) steigt auf das Hermanns denkmal, läßt sich dort als Retter des Vaterlandes küren (Lachen links) und schreit nach dem deutschen Schwert und Hindenburg, der Feldmarschall, dessen Bild in jeder deutschen Spießerstube hängt, der Sieger von Tannen berg, ist jetzt der Landesverräter, der mit Zuchthaus zu bestrafen ist, wenn er seine Unterschrift unter den Young-Plan setzt. Es gibt demokratische Minister, die an der Seite der Nationalisten gegen den Young-Plan stehen, und es gibt deutschnationale Industrielle, die für den Young-Plan sind. (Abg. vr. Eberle: Zeigen Sie mir ein mal einen!) Nun, vor kurzer Zeit konnte man in sämt lichen deutschen Blättern das Bild des neuen Helden vr. Eckener sehen, der die Welt für Deutschland erobert hat. Herr vr. Eckener ist heute Landesverräter und reif für das Zuchthaus, weil er für den Young-Plan eintritt. Ter Herr Reichsminister a. D. Hans Luther, einstmals — es ist noch gar nicht so lange her — der kommende Mann, der Diktator, den Sie auf den Schild heben wollten, um eines Tages die ganze deutsche Demokratie hinwegzufegen, ist ebenfalls ein Landesverräter, der für den Young-Plan ist und der, wenn er ihn unterschreiben würde, ins Zuchthaus kommen müßte. Wenn das nicht eine vollkommene Desorganisation ist, ein vollkommenes Chaos im bürgerlichen Lager, bei dem sich eine Um schichtung vollzieht, dann gibt es überhaupt kein Chaos und keine Desorganisation mehr. Die Frage der Reparation«':: ist mcht zu trennen von der Frage des Krieges. Daß ein solcher Punkt kommen würde, das hätten sich die Herren überlegen sotten während des Krieges (Sehr richtig! links), als sie in einer geradezu maßlosen Form Anektionsziele aufstellten, gegen die die heutigen Reparationen ein Kinderspiel sind. (Sehr wahr! links — W'derspruch rechts.) Wenn es irgend eine Gruppe gibt, die das Recht hat, sich gegen diese Reparationen zu wenden, so sind cs eben nur die Sozialdemokraten, die während des Krieges einen Frieden verlangt haben ohne Annek tionen und ohne Kriegsentschädigungen. Es gibt nur eine Regierung, die im Haag dafür eingetreten ist, daß die Kriegsentschädigungen aller Staaten, der Entente gegenüber Amerika und der Mittelmaächte gegenüber der Entente, gestrichen werden sollen, das ist die so zialistische Regierung der Labour-Party in England ge wesen. Atte anderen Staaten stehen unter der Herr schaft oder teilweise unter der Herrschaft der Bour geoisie und haben sich dementsprechend eingestellt. (Zuruf b. d. Komm.: Jetzt hast Du Dich ein bißchen verrannt!) Nun wird in einer Art und Weise gegen den Young- Plan eine Hetze entfaltet, die nicht nur ein Verbrechen ist, sondern die auch von einer katastrophalen Dummheit zeugt, denn gibt es wirklich noch solche Idioten, auch im deutschnationalen Lager, die da glauben, daß tat sächlich eine Geheimklausel im Young-Vertrag enthalten sei, wonach deutsche Männer und Frauen in die Sklaverei geschafft werden könnten. Ein deutschnationales Blatt in Chemnitz bringt einen Leitartikel mit der Überschrift: ,Zede Sekunde 66 Goldmark". (Abg. Neu: Das ist ein amtliches Blatt!) Sagen Sie doch Ihren Leuten auch, daß das deutsche Reich in der Vorkriegszeit für den Militarismus in jeder Sekunde 100 Goldmark ausge geben hat! Das Unerhörteste aber ist, daß in einen: Flugblatt des Fichtevereins der amerikanische Abgeordnete Viktor Berger, der vor kurzem gestorben ist, ins Feld geführt wird gegen den Young-Plan und gegen die Berstän digung der europäischen Völker untereinander. Der Abg. Viktor Berger, uns allen ein sehr bekannter So zialist, hat allerdings im amerikanischen Repräsentan tenhause eine Rechnung, aber nicht solcher Art, auf gemacht, die das Interesse der ganzen Welt erregen muß, eine Rechnung, wieviel der Krieg gekostet hat und was man mit den Geldern, die Sie (nach rechts) besonders in dem Wahnsinn des Krieges verschleudert und vernichtet haben, machen konnte. Diese Rechnung empfehle ich ebenfalls in den Flug blättern den nationalistischen Verhetzen: gebührend zur Kenntnis zu bringen. Aber davon machen Sie (zu den Dnat.) keinen Gebrauch, das verschweigen Sie Ihren Anhängern, weil Sie sonst Ihre nationalistischen Ge schäfte nicht machen können. Und nun, wer sind denn die Leute, die heute zur Katastrophe rufen, die heute sagen, man müsse den Mut zur Gcsundungskrise haben? Der Herr Reichskanzler Müller hat ein sehr richtiges Wort geprägt, er sagte: Ja, zur Gesundunaskrtse, wo Sie (zu den Dnat.) sich aesundmachen wollen. (Lebhafte Zustimmung links.) Das sind die Leute, die auch während des Krieges sich gesund gemacht haben. (Zuruf b. d. Natsoz.: Ihr mit Barmat und Kutisker!) Das sind die Leute, die im Jahre 1916 10 Monate lang jeden Monat 250000 Tonnen Stahl an das Ausland geliefert haben (Hört, hört! b. d. Soz ), während man an der Front wegen Munitions- mangel fast verzweifelte. (Hört, hört! b. d. Soz.) Das sind jene Leute wie Thyssen, der während des Krieges Jnfanterieschutzschilde für die Armee zu einen: Preis von 117 M. lieferte und der dieselben Jnfanterieschutzschilde an das Ausland während des Krieges zu einem Preise von 68 M. lieferte. (Lebhaftes lHört, hört! links.) Anstatt daß der Mann, als das herauskam, er schossen wurde, ist ihm eine Buße von einigen 100000 M. auferlegt worden, die er längst ver dient hatte. (Lebhafte Zurufe.) Die amtlichen Dokumente der englischen Admiralität haben vor einiger Zeit festgestellt, daß in der Schlacht bei Skagerak außer ordentlich feine Meßinstrumente verwendet wurden, mit denen es möglich war, die deutschen Schiffe unter ganz zielsicheres Feuer zu nehmen. Diese Meßinstrumente sind drei Monate vorher in Deutschland hergestellt wor den. (Lebhaftes Hört, hört! b. d. Soz. — Zuruf b. d. Natsoz.: Das ist uicht wahr!) In der Schlacht bei Douaumont ist der Angriff der deutschen Soldaten ins Stocken gekommen, weil die ganze feindliche Front mit einem stacken Stacheldrahtverhau umgeben war. Dieser Skacheldraht ist sechs Monate vorher bei den Draht- und Kabelwerken in Magdeburg hergestellt worden. (Leb haftes Hört, hört! links.) Und so geht es fort. Das sind die Landesverräter (Lebhaftes Sehr richtig! links), das sind diejenigen, die das deutsche Volk um schnöden Mammons willen, des Profites willen verkauften und sich nicht scheuten, in der schwersten Zeit des Krieges noch Riemen zu schneiden aus der Haut des Volkes. Für uns also ist die nüchterne Frage: was ist in Haag geschaffen »vorbei: nach den Gesetzen der wirschaftlichen Logik? Denn gerade die Wirtschaftskreise stehen ja heute hinter dem Young-Plan. Und da haben wir uns zu beschäftigen mit der Frage, was zwischen dem Dawes- uud dem Young-Plan für Unterschiede bestehen, weil ja immer von den Nationalisten behauptet wird, daß der Dawes-Plan uns größere Möglichkeiten geben würde zur Abschüttelung der Reparationslasten als der Young-Plan. Im Dames-Plan haben wir bezahlen müssen jährlich 2500 Mill. M., das ist 2^ Milliarde, auf unbegrenzte Zeiten, während auf der anderen Seite die ersten 37 Jahre nach dem Young-Plan rund 2050 Mill. M. bezahlt werden, also ein Unterschied von Jahr un: Jahr von rund Milliarde Mark, und es ist Stresemann gewesen, der einmal sagte: „Und wenn ich tausend Jahre lang jedes Jahr eine Milliarde zu bezahlen habe, so werde ich lieber heute als morgen einen solchen Vertrag ab schließen, weil niemand sagen kann, was über 100, über 200, über 1000 Jahre sein wird." Und wenn heute die Nationalisten behaupten, daß wir auf 59 Jahre in die Sklaverei geschleppt werden, so erwidern wir: Wir vertrauen auf die Zeit und hoffen, daß die Nationalisten doch nicht ewig leben; was an uns liegt, werden wir tun, damit sie möglichst bald aus sterben, daß eine neue Zeit kommt, wo wir erneut zu diesen Fragen Stellung nehmen können. Es ist eine bewußte Lüge, wenn gesagt wird, daß es unter dem Young-Plan keine Möglichkeit gebe, die Reparations verpflichtungen herabzusetzen. Herr Prof. Friedrich Raab von der Dresdner Hochschule hat ein in ganz Deutsch land sehr bekanntes Buch herausgegeben, worin außer ordentlich sachlich ohne jede politische Stellungnahme die Vorteile und Nachteile des Young-Planes und die Vorteile und Nachteile des Dawes-Planes einander gegenübergestellt und abgewogen »verden; und er sagt in bezug auf die Frage der Herabsetzungsmöglichkeit der ReparationsverpflichUmgen: „Der Gesamtbetrag der interalliierte,: Kriegs schulden der Reparationsgläubiger an die Bereinigten Staaten beträgt zurzeit rund 86 Milliarden Gold mark. Jeder Nachlaß, der in den ersten 37 Jahren der Ausführung des Young Planes erfolgt (und nur dieser Zeitraum ist von erheblicher praktischer Be deutung), kommt Deutschland zu zwei Dritteln in der Form einer Herabsetzung seiner künftigen Jahresver pflichtungen zugute." Dann behaupten die Gegner des Young-Planes weiter, daß der Wohlstandsindex, der dem Dawes-Plan eingearbeitet war, unter den neuen Reparationsverhält nissen wegfallen würde, und daß das eine Gefahr be deute. Dabei ist es gerade Prof. Raab, der sagt, daß gerade dieser Wohlstandsindex eine der größten Gefahren des Dawes-Planes gewesen ist, und daß der Wegfall des Wohlstandsindexes einen der wesentlichsten Vorteile des Young-Planes gegenüber dem Dawes-Plan aus macht, wenn auch das Ausmaß dieses Vorteils zahlenmäßig nicht genau vorausgesehen werden kann. Und er stellt fest, daß die 2500 Mill. RM. des Dawes- Planes nicht eine begrenzte Summe sind, sondern je nach dem Wohlstandsindex um Hunderte von Millionen jährlich gesteigert werden konnten, und daß ausgerechnet die Kreise, die Deutschlands Freiheit immer im Munde führen, die Tatsache mit dem Fuß hinwegschieben, daß das Rheinland, ein Gebiet von der Größe und Ein wohnerzahl Sachsens, 5 Jahre früher geräumt wird. Weiter sagen die Gegner des Young-Plans, daß der Vertrag nicht zu erfüllen sei. Sie sagen: Was sind da für Leute, die etwas unterschreiben, von dem sie genau wissen, daß sie niemals imstande sind, es durchzuführen; das sind Bankrotteure und Betrüger, die da- molchv» .