Volltext Seite (XML)
6S gegeben werden, dann müssen ihm die städtischen oder onstige Fttrsorgestellen wieder Geldmittel zur Ver fügung stellen. Endlich müßte der neue Herr Justizminister sein Augenmerk darauf richten, daß schon äußerlich im Straf vollzug gewisse Mängel beseitigt werden. Ich denke in dieses Richtung an die veralteten Anstalten, die wir haben, die abgebrochen oder anderweit verwendet werden könnten, die auch, wie z. B. die Strafanstalt Leipzig, überhaupt nicht mehr in daS Zentrum einer modernen Großstadt gehören. Diese Anstalten müßten unbedingt beseitigt werden, sie sind veraltet und genügen den Ansprüchen, die man heute an eine Anstalt stellt, in keiner Weise mehr. Ebenso müßte das Kübelsystem restlos aus den Anstalten beseitigt werden. Man müßte da zum Wasserspülsystem übergehen und müßte über haupt ein größeres Augenmerk auf die Gefängnis- Hygiene haben. Wenn man an all diese Dinge denkt, so kommt man ohne weiteres dazu, daß auf diesem Gebiet ungeheuer viel bisher nicht getan worden ist, aber in Zukunft, und zwar möglichst bald, geschehen müßte. Denn es muß immer das Ziel eines vernünftigen Strafvollzugs, ohne den die kapitalistische Gesellschaft nun einmal nicht auskommen kann, sein, den Gefangenen wieder in die Gesellschaft cinzugliedern. Man müßte also den Erziehungsgedanken voranstelle». Natürlich wird die Wiedereingliederung in die Gesellschaft nicht in allen Fällen möglich sein; bei den asozialen Naturen ist das sicherlich nicht möglich. Diese müßte man über haupt absondcrn und aus dem Strafvollzug heraus nehmen. Ich erwähne diese Mängel deshalb, um auch zu zeigen, wieviel Arbeit der neue Ausschuß hat, den der Landtag neulich beschlossen hat nnd der sich heute kon stituiert hat. Ta war es gerade der vorige Herr Justizminister, der trotz eines im Landtag feierlich ge- gegebenen Versprechens, allen Ausschußmitgliedern einen Erlaubnisschein zum Besuche der Strafanstalten zu er teilen, diesen Erlaubnisschein nicht gegeben hat. Tarin zeigt sich eine Einschätzung des Parlaments und der Zuverlässigkeit der Abgeordneten, die für mich geradezu unfaßbar ist; denn nach denr heutigen Verfassungsrecht ist doch der Landtag, wenn ich mich so ausdrücken darf, der Souverän. Ein Abgeordneter stellt ein V»« der Souveränität dar, die wir — »venu man das Wort „Freistaat" überhaupt noch anwenden darf — im Frei staate Sachsen noch haben. Und diesen Inhabern der obersten Staatsgewalt traut man nicht einmal zu, daß sie sich in den Gefängnissen angemessen benehmen, daß sie nicht irgendeinen Gefangenen zu einem Flucht- versuch veranlassen usw. Man müßte doch wissen, daß die Gefängnisse jo fest gegründet sind und daß der Verkehr dort so gut überwacht wird, daß das über- Haupt gar nicht möglich ist, wenn schon ein Ab geordneter einen derartigen Plan haben wollte. Ich richte an den neuen Herrn Justizminister den Appell, daß er diese kleinliche Haltung, die der vorige Herr Justizminister in dieser Frage eingenommen hat, nicht ebenfalls einnehmen möge, sondern großzügig vielleicht schon morgen sämtlichen Mitgliedern des Ausschusses die Erlaubnisscheine zusenden möge. Passieren kann wirklich gar nichts, und wenn ja Unfug damit getrieben wird von einem Abgeordneten, so kann ihm der Schein entzogen werden. Ich müßte meinen, einer modern eingestellten Justizverwaltung kann es nur angenehm sein, wenn eine Kontrolle durch das Parlament statt- sindet. Und wenn, wie der Herr Justizminister sicher hoffen wird, die Abgeordneten im Gefängnis nichts zu beanstanden haben, so ist das das beste Zeugnis für eine Justizverwaltung. Wenn aber eine Justiz verwaltung sich so verhält, wie es früher geschehen ist, muß man ohne weiteres auf den Gedanken kommen, daß etwas zu verbergen, etwas zu vertuschen ist. Ich habe ein besseres Vertrauen zu der sächsischen Justiz, ich glaube, cs ist gar nicht viel zu verbergen oder über haupt nichts zu vertnschen. Dann müßte die Justizverwaltung sich die Für sorge für die Strafentlassenen außerordentlich angelegen sein lassen, denn was nützt ein Verhalten der Gesellschaft gegenüber den Gefangenen, wenn nicht eine Betreuung auch nach der Entlassung cintritt. Wenn diese Fürsorge nicht eintritt, so sind die Ge fahren des Rückfalls, die durch unsere wirtschaftlichen Verhältnisse sowieso ohne weiteres gegeben sind, erst recht und in verstärktem Maße gegeben, und eine Justiz verwaltung, die etwas Voraussicht hat und etwas sozial eingestellt ist, müßte sich der Fürsorge für die Straf gefangenen außerordentlich warm annehmen. In der letzten Zeit ist man auch in Sachsen dazu übecgcgangen, Pressestellen einzurichten, also eine enge Verbindung der Justiz nnd der Presse zu schaffen, und ich glaube, das kann man nur begrüßen, denn die ständige Kritik der Presse hat sehr viel dazu bei- getragen, daß die Erscheinungen, die man mit dem Wort „Vertrauenskrise" bezeichnet, zurückgegangen sind. (Abg. Dobbert: Manche Richter sind nur mimosenhaft empfindlich gegenüber der Kritik der Presse!) Es ist selbstverständlich zu wünschen, daß die Justiz nicht mimosenhaft empfindlich ist. Wenn die Pressestellen, die das Justizministerium unterhält, ihre Aufgabe recht verstehen, so ist es ganz selbstverständlich, daß sie mit der Presse vertrauensvoll zusammenarbeiten. Aller dings muß man eine Einschränkung machen: Die Justizpressestellen dürfen nicht den Versuch unter- nehmen, bei einem beginnenden größeren und kleineren Prozeß die Presse in einem gewissen Sinne beeinflussen zu wollen; das muß auf jeden Fall unterbleiben, denn eS würde sich sehr nachteilig im Laufe der Zeit für die Justiz auSwirken. Wenn nun auch die Erscheinungen der Vertrauens krise etwas zurückgegangen sind, so ist doch die Klassen justiz geblieben, und die Klassenjustiz kann, soweit wir eine klassenmäßig geschichtete Gesellschaft haben, über haupt nicht beseitigt werden. ES ist ein großes Miß verständnis, wenn das Justizministerium oder Richler draußen im Lande den Vorwurf dahin ausfassen, als ob damit den Richtern der Vorwurf der Rechtsbeugung ge macht werde. DaS ist absolut falsch. Jeder, der von Klassen- justiz spricht, weiß,daß dasUrteil,formal gesehen, durchaus I richtig ist und mit dem Gesetz in Übereinklang zu bringen ist. sozialen Gericht-Hilfe zu bedienen. ES ist durch aus kein Widerspruch in meiner Partei vorhanden, auf den hinzuweifen Herr Kollege Fritzsche sich verpflichtet geglaubt hat. Es ist richtig, daß ich voriges Jahr diesen Antrag gestellt habe, und ich glaube auch, die soziale Gerichtshilfe wäre bei der Justiz geblieben, wenn nicht das Justizministerium in den letzten Jahren, insbesondere im entscheidenden letzten Jahre, eine gewisse Stagnation gezeigt hätte. Initiative hat man überhaupt kaum ent wickelt, und obwohl der Landtag mir damals beigestimmt hat, hat sich die Justizverwaltung dieses Gebiet gewisser maßen aus der Hand nehmen lassen. Ich bin in keiner Weise umgefallen, und auch meine Partei ist auf diesem Gebiete nicht umgefallen; «ns kam es nur darauf an, daß überhaupt etwas geschieht. Wenn ein anderes Mini sterium, das Arbeits- und Wohlfahrtsministerium, eine größere Energie auf diesem Gebiete entwickelt und die Sache bei sich einrichtet, so wird eine Partei wie die unsere, nur etwa aus formalen Streitigkeiten heraus, nicht nein sagen. Irgendwo muß etwas geschehen, ob das beim Arbeits- und Wohlfahrtsministerium geschieht oder bei der Justiz, ist natürlich gleichgültig. Man könnte sogar den Standpunkt einnehmen, beim Arbeits und Wohlfahrtsministerium ist die Angelegenheit viel besser aufgehoben als bei der Justiz, da gerade in der Strafrechtspflege, worauf ich vorhin schon hingewiesen habe, noch ein gut Teil überalteter Richter sitzen, die sich in die Neuzeit nicht recht schicken können Allerdings hat der vorige Herr Justizminister, den ich bei seinem Antritt in gewissem Sinne als Außenseiter begrüßt habe, weil Außenseiter vielfach den Ehrgeiz haben, wenn sie in irgendeine hervorragende Stellung kommen, Spuren ihrer Tätigkeit zu hinterlassen und der Mitwelt zu zeigen, daß sie, obwohl nicht vom Bau, auch etwas zu leisten vermögen, auf diesem Gebiete, nachdem er einen kleinen Anlauf genommen hatte, nichts getan, obwohl der Strafvollzug abgesehen von der Personalpolitik für die Justizverwaltung das haupt sächlichste Gebiet ist. Der neue Herr Justizminister sollte seine Aufmerk samkeit dem Gebiete des Strafvollzugs ganz ener- gisch zuwenden. Ich glaube nämlich, daß der sächsische Strafvollzug außerordentlich veraltet ist, während in den übrigen Ländern in den letzten Jahren ganz augenscheinlich ein Wandel der Anschauungen auf diesem Gebiet eingetreten ist. Ich glaube, daß es vor allen Dingen veraltet ist, bei dem Stufenstrafvollzug vom sogenannten Besserungswillen der Gefangenen das Aufrücken aus einer Stufe in die andere abhängig zu machen. Damit wird nur die Heuchelei in die Ge fängnisse getragen, damit werden nur Heuchler in den Anstalten gezüchtet, und außerdem wird eine außer ordentliche Unzufriedenheit erzeugt, denn die anderen, die nicht ausrücken, fühlen sich stets benachteiligt. Es kann von vielen Gefangenen überhaupt nicht verlangt werden — nian denke an die politischen Gefangenen —, daß sie den sogenannten Besserungswillen zeigen. Wer auf einen solchen Gedanken kommt, der muß geradezu als weltfremd, als vom Monde bezeichnet werden. Also ich glaube, das Grundprinzip unserer jetzigen Strafvollzugsordnung war vielleicht früher richtig, als man diese Auffassung auch sonst vertreten hat, aber mittlerweile haben sich andere Anschauungen durch- gesetzt; und ich glaube, dieses Grundprinzip müßte geändert werden. Aber auch sonst kann meiner Ansicht nach außer ordentlich viel im Strafvollzüge geändert werden. Ich begreife nicht,wie immer noch imStrafvollzug dieses blöde Jm-Kreise-Herumlaufen der Gefangenen angeordnet und durchgesetzt werden kann. Ich weiß nicht, wer dieses System erfunden hat, das doch wirklich in die moderne Zeit nicht mehr paßt. Ich weiß nicht, warum das Sprech verbot aufrechterhalteu wird, denn es ist ganz klar, daß Menschen, die eingesperrt sind, dieses Verbot, ob sie wollen oder nicht, übertreten müssen; der Mensch ist ein gesellschaftliches Wesen und strebt darnach, sich mitzuteilen, und ohne Mitteilung kommt er in der Hauptsache nicht aus, es wird nur ganz wenige Indi viduen geben, die ständig rind auf längere Zeit schweigen können und kein Redebedürfnis haben. Weiter sollte man die Strafen in den Gefäng nissen möglichst einschränken. Man sollte überhaupt im Strafvollzug ganz ohne Strafen auskommen. Der Strafvollzugsbeamte, der die vielen Machtmittel zur Verfügung hat, sollte schon auf Grund seiner Autorität mit der großen Mehrzahl der Gefangenen auskommen müssen. Insbesondere sollte für die Regel die Strafe der Fesselung aus den Gefängnissen verbannt sein, und noch mehr sollte verbannt sein, einen Gefangenen unter Wasserdruck zu setzen. Das ist eine Grausamkeit, die überhaupt nicht mehr in unsere heutige Zeit hinein- paßt. Ich sinde zur Kritik an dieser Maßnahme gar kein geeignetes Wort, denn ich will gegenüber dem neuen Justizminister, der für alle diese Mängel nichts kann, ein höflicher Mann bleiben. Weiter sollte man im Strafvollzug daran denken, eine zentrale Arbeitsbeschaffung im Ministerium vorzunehmen. Ich glaube, jetzt liegt die Arbeits beschaffung außerordentlich im argen. Man sollte über- Haupt keine Unternehmerarbeit mehr in den Gefangenen anstalten leisten lassen, sondern sollte die Gefangenen für die Werke und Betriebe des Staates arbeiten lassen. Dann würden auch die ganzen Streitigkeiten mit den Gewerkschaften nnd mit den Unternehmerverbänden wegfallen, und ich begreife nicht, daß dieser naheliegende Gedanke sich bis jetzt nicht durchgesctzt hat. Selbstverständlich ist es auch, daß die Arbeits entlohnung, die jetzt dem Gefangenen gegeben wird, ganz ungenügend ist. Wenn ich daran denke, daß in der Denkschrift, die das Ministerium dem Untersuchungs ausschuß nach langem Zögern voriges Jahr gegeben hat, vermerkt ist, daß ein Gefangener durchschnittlich täglich bei vielstündiger Arbeitszeit den Betrag von 20 Pfennigen als Arbeitsbelohnung erhält, so finde ich das ganz außerordentlich rückständig, und zwar schon aus dem Grunde, weil die Justizverwaltung wünschen muß, daß ein Gefangener, wenn er aus der Straf anstalt herauskommt, mit möglichst viel Geld versehen ist, damit er nicht gleich am Tage der Entlassung oder kurze Zeit darauf schon wieder zu neuen Verbrechen gedrängt wird. Oder wenn ihm nicht genügend Mittel Mit dem Wort „Klassenjustiz" wird eine ganz ander« Erscheinung ins Auge gefaßt, und das ist die, daß die Rechtsprechung einseitig von den Interessen und Ideologien der herrschenden Klasse beeinflußt wird, so >aß trotz formaler Anwendung der Gesetze die unter drückte Klasse durch die Handhabung der Justiz be einträchtigt wird. Und ich habe mich deshalb sehr ae- freut, daß im Ausschuß gerade auch von der rechten Seite Kritik an der Rechtsprechung geübt worden ist. Vor allen Dingen ist am 1. Strafsenat des OberlandeS- gerichteS Beschwerde geübt worden, und zwar auf dem Gebiete der Rechtsprechung, die durch Autounfälle her vorgerufen worden ist. Da hat es mich im höchsten Grade befremdet, daß der Herr Justizminister im AuS- chuß erklärt hat, im Präsidium des Oberlandesgerichtes väre man der Frage nähergetreten, ob nicht eine andere GeschäftSverteilung geboten wäre. Dieser Ver merk kann doch bloß besagen, daß man daran gedacht hat, die Richter, die den getadelten Strafsenat bilden, auseinanderzubringen und, wenn man der Meinung ist, der eine beeinflusse die Rechtsprechung dieses Senates zu sehr, ihn einflußlos zu machen, kaltzustellen, indem man ihn in einen Zivilsenat versetzt. Ich muß sagen, daß mich diese Tatsache, daß diese Aussprache im Präsidium des Oberlandesgerichies stattgefunden hat, ob eine neue Geschäftsverteilung stattsinden soll, gerade zu erschüttert hat. Ich muß weiter sagen, wenn eine Kritik am Oberlandesgericht geboten ist, so kann nur der andere Strafsenat die Kritik verdienen, nicht der erste Strafsenat. Der andere Strafsenat ist ja gewisser maßen als Gegengewicht gegründet worden. Man hat a genug legale Mittelchen in der Hand, eine Recht sprechung in eine bestimmte Richtung zu lenken, und da hat man den zweiten Strafsenat gegründet, und, wie gesagt, dieser zweite Strafsenat hat es auch verstanden, das Vertrauen, das man in ihn setzte, zu rechtfertigen. Ich erinnere nur daran, daß der zweite Strafsenat das sogenannte Hinkemann-Urteil erlassen hat, das Urteil, wodurch er sich über Sachsens Grenzen hinaus berühmt und berüchtigt gemacht hat. Und auch jetzt bin ich in der Lage, gerade von diesem Senat wieder ein Urteil aufzuzeigen, das meiner Meinung nach ziemlich un glaublich ist, es betrifft die Aufführung des Stückes „Einer neuen Welt entgegen" in Medingen bei Rade burg durch die freien Turner, wobei Kinder mit auftreten sollten, denen das Bezirksschulamt die Mitwirkung aus pädagogischen Gründen versagte. Da hat dieser zweite Strafsenat beim OberlandeS- gericht in seinem Urteil zum Ausdruck gebracht, daß nachgeprüft werden müsse, ob nicht die Gewerbeord nung durch das Verhalten des Vereins verletzt sei — er hatte nämlich von seinen Mitgliedern einen Kosten beitrag erhoben —, und ob nicht das Kinderschutzgesetz verletzt sei. ES ist doch ein Hohn an sich, wenn einem Arbeiterverein, Arbeitern, die scch um den Kinderschuh besonders bemühen und dafür von jeher ins Zeug ge legt haben, vorgeworfen wird, sie hätten das Kinder- schutzgesetz verletzt. Aber selbstverständlich sollte der unerlaubten Zensur des Bezirksschulamtes Nachdruck verliehen werden. Wenn ich dann darauf Hinweise, daß gerade die Rechtsprechung des Strafsenats in Automobil sachen kritisiert worden ist, so möchte ich nur zeigen, wie die Sache bei den Untergerichten aussieht. Gerade auf diesem Gebiete verdient die Rechtsprechung außer ordentlich scharfe Kritik. Was muß ein Autofahrer schon für ein Unglück angerichtet haben, wenn er ein mal eine Gefängnisstrafe bekommen soll, nicht nur eine Geldstrafe. Für die üblichen Unfälle, wie sie sich jeden Tag auf der Straße der Großstadt ereignen, ist immer ein Strafbefehl von 30, 50, 80 M. die übliche Taxe. In Leipzig hat sich nun da ein eigenartiger Fall ereignet. Ein Rittergutsbesitzer ist im Alkohol dusel die Nacht durch die Straßen gefahren und hat da einen Menschen zu Tode gefahren. Die erste Instanz hat mit Recht angenommen, daß das schon eine Fahr lässigkeit sei, wenn jemand im Alkoholdusel im Auto in übermäßiger Geschwindigkeit durch die Straßen fährt, und hat 10 Monate Gefängnis ausgeworfen. Die Sache kam in die Berufungs instanz. Die Berufungsinstanz hat unter Vorsitz eines Herrn, der Herrn Kollegen Fritzsche politisch besonders nahesteht, gesprochen, und siehe da, der hatte Verständnis für die Belange eines Autofahrers aus seinen Gesellschaftsschichten: der Rittergutsbesitzer wurde freigejprochen. (Lebhaftes Hört, hört! links.) Die Sache ging weiter. Die Revisionsinstanz hat das Urteil aufgehoben und Leipzig gezeigt, was es von einer derartigen Rechtsprechung hält. Es hat nämlich die Sache zur weiteren Entscheidung nach Freiberg ver wiesen, und die Freiberger Kammer ist dann auf sechs Monate Gefängnis gekommen. Das ist also in Leipzig ein ganz echter Fall der Klassenjustiz gewesen, nicht zuungunsten einer unterdrückten Schicht, sondern zu gunsten desjenigen, den der betreffende Vorsitzende als Angehörigen seiner Schicht empfunden hat. Aber die Leipziger Richter und einige Leipziger Kammern sind auch sonst noch dafür bekannt, daß sie eine eigene Rechtsprechung üben, wenn Arbeiterbelange, die Arbeitszeitordnung usw. in Frage kommen. Redner führt auch dafür ein Beispiel aus Leipzig an. Aber die Fälle sind natürlich nicht nur gegeben auf dem Gebiete der Strafjustiz, sondern auch aus der Ziviljustiz. Da ist ein Fall der freiwilligen Gerichts barkeit im Amtsgericht Reichenbach. Eine schuldlos ge schiedene Frau will ihr Kind haben, das der Mann bei sich hat. Sie ist aber aus der Kirche ausgeschieden, und das Kind wird ihr nicht zugesprochen, obwohl nach Feststellung des Jugendamtes Netzschkau, wo die Familie wohnt, der Mann ein Trinker ist. Die Gründe, die für den Richter ausschlaggebend waren für diese von der Regel des Gesetzes abweichende Entscheidung, gehen dahin, daß er eben die religiöse Erziehung eines KindeS — der Vater ist religiös und nicht aus der Kirche aus getreten, während die Frau sich zu den Freidenkern hält —, für die Regelerziehung hält und der freidenken den Frau das Kind nicht überantworten Iwill. DaS ist ein Fall, der wohl nicht unter die Klassenjustiz fällt, aber unter die sogenannte Vertrauenskrise der Justiz, (Fortsetzung m der nächsten Beilage.) ' Druck von B. G. Leubner in Dresden.