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LMtzMqe M 8iWe« NMBmg Nr. 13. ru Nr. 162 des Hauptblattes. 1929. Beauftragt mit der Herausgabe ReglerungSrat Brauße in Dresden. Landtagsverhandlungen. (Fortsetzung der 7. Sitzung von Mittwoch, den 10. Juli 1929.) Abg. Hartsch (Soz. — Fortsetzung): Dann ein Wort zur Frage der Kirchschullehen! Der Mehrheitsantrag hierzu ist als eine Selbstverständ lichkeit angesehen worden. Ich will mich freuen, wenn es wirklich eine Selbstverständlichkeit ist, wenn der Zu stand so ist, daß man bei den Auseinandersetzungen über die Kirchschullehen tatsächlich so stark die Interessen des Staates in den Vordergrund rückt. Denn in Wirk- lichkeit liegt es doch so, daß die Schulgemeinden mit unter an diesen Kirchschullehen ein außerordentliches Interesse haben. Ich kenne kleine Gemeinden, die kaum über 2000 Einwohner haben, bei denen das Kirchschul lehen einen Wert von 60—70 000 M. darstellt, und man kann sich natürlich vorstellen, daß an einer für die Ge meinde günstigen Regelung dieser ganzen Angelegenheit die Gemeinde ein außerordentliches Interesse hat. Leider ist es aber doch so, daß, wenigstens nach dem ersten An- reichen — ich erinnere an das bekannte Oschatzer Urteil —, der Verdacht bei uns aufkommen kann und keineswegs als unbegründet bezeichnet werden darf, daß diese Aus einandersetzung etwa in der Richtung liegt, wie ich sie vorhin zu charakterisieren mir bei der Kirchendebatte erlaubt habe. Deshalb würde die Annahme dieses An trages auch tm Plenum nach meinem Ermessen nicht nur eine wirkungsvolle, sondern vor allen Dingen auch eine notwendige Unterstreichung dieses Gedankens dar- stellen. Nun noch ein kurzes Wort zu dem Ausbau unseres Schulwesens nach der pädagogischen Seite hin! Mit dieser Angelegenheit befaßt sich ja die erste Hälfte des Antrages 11,8, der in den beiden ersten Schuljahren weder Unterricht in Religion noch in Lebenskunde zu er- teilen verlangt. Wir rühren hiermit an eins der heißesten Eisen, das es überhaupt in der Frage der Schulpolitik nach dem Kriege gibt (Sehr richtig! b. d. Soz.),das ist der Kampf um den Religionsunterricht. Gewiß ist in der Reichs- Verfassung eine Bestimmung, daß Religionsunterricht ordentlicher Lehrgegenstand der Schule ist. Ich möchte aber in diesem Zusammenhang bemerken, daß es doch zum mindesten strittig ist, daraus zu lesen, daß dieser ordentliche Lehrgegenstand auf allen Klassenstufen erteilt werden muß. Ich wenigstens vertrete die Meinung, daß es sehr wohl möglich ist, aus einzelnen Klassenstufen diesen Uuterrichtszweig herauszunehmen. Ich stelle fest, selbst auf die Gefahr hin, daß Herr Renner mir eine sogenannte Todsünde gegen den sozialistischen Geist vorwirft, daß die Forderung, daß inan in den ersten beiden Schuljahren keinen Religionsunterricht und keinen Unterricht in sittlicher Lebenskunde erteilen sott, von uns hier in diesem Augenblick nicht aus Kampf und Abneigung gegen irgendwelche religiöse Überzeugung gestellt wird — bis zur Stunde ist Toleranz nach meinem Wissen auch ein sozialistischer Standpunkt (Sehr gut! b. d. Soz.), wenn er auch in kommunistisch gefärbten Meinungen anderer Leute keinen Platz mehr hat —, es ist vielmehr eine rein pädagogische Forderung, zunächst einmal aus diesen ersten beiden Schuljahren diese um strittenen Gegenstände herauszunehmen (Sehr richtig! b. d. Soz ), und zwar deswegen, weil es einfach nicht möglich ist, auch auf höheren Klassenstusen stehe ich zu dieser Anschauung, daß man durch einen besonderen Unterrichtszweig überhaupt eine sittlich besonders fundierte Charakterveraulagung erzielen könnte. Man kann einfach die Sittlichkeit nicht nach der Weise der Mathematik oder des kleinen Einmaleins in be sonderen Wochenstunden in irgendeinem Menschen befestigen, geschweige denn in einem Kinde, das in dem zarten Alter von 6—7 Jahren über haupt nicht in der Lage ist, ein sittliches Problem intellektuell zu erfassen (Sehr wahr! b. d. Soz.), und eine rein gefühlsmäßige Beeinflussung, eine Beein flussung der Kinder vom rein gefühlsmäßigen Stand punkt aus ist im gesamten Unterricht nicht nur mög lich, sondern überhaupt notwendig. Ich stehe eben auf dem ketzerischen pädagogischen Standpunkte, daß der gesamte Unterricht letzten Endes eine Erziehung zur Sittlichkeit darstellt, und daß es dazu unter allen Umständen in diesen beiden ersten Schuljahren absolut eines besonderen Unterrichtes nicht bedarf. Daß sich diese Forderung selbstverständlich auch auf das Pendant zum Religionsunterricht erstreckt, auf den lebenskundlichen Unterricht, von dem ich, das ist meine eigene Überzeugung, selbst gar nicht etwa so riesig be geistert bin, ist ganz klar. Ich lehne überhaupt derart normierte Uuterrichtszweige ab. Ich bitte deswegen ganz dringend, vor allen Dingen nicht nur aus meiner Welt- anschaulichen Einstellung heraus, sondern aus meiner Einstellung als Berufspädagoge, in diesen ersten beiden Schuljahren auf diese Unterrichtsart zu verzichten. Nun haben wir eine ganze Reihe Anträge gestellt, die natürlich finanzielle Weiterungen nach sich ziehen. Solche Anträge zu stellen war zu keiner Zeit beson ders angenehm und beliebt. Besonders unbeliebt ist es aber in einer Zeit, wo die entgegengesetzte Tendenz vorhanden ist, Überall zu sparen und zu streichen. Infolge- dessen bin ich auf den Einwand gefaßt: wo das Geld dazu hernehmen l Nun, der Herr Finanzminister hat uns in seinem Wahlhandbuch gezeigt, auf wieviel Geld er ver- -ichtet hat, und heute vormittag haben wir bei den Auseinandersetzungen über die Notverordnungen vom 11. Mai ja gehört, wie leicht man auf Geld innerhalb des sächsischen Finanzministeriums verzichtet. Ich gebe danach allerdings der Meinung Ausdruck, die Möglich, keit, diese unsere Forderungen auch finanziell durch- zuführen, ist durchaus gegeben. Aber eins möchte ich zum Schluß doch noch einmal sagen, was ich eingangs bereits feststellte, daß ein ver armtes Volk sich einfach den Luxus eines schlecht aus gebauten Schulwesens nicht leisten kann, und daß das gesamte Schulwesen immer mehr und mehr vom Stand punkte der Produktion aus orientiert sein muß. Das ist etwas, was nach meinem Empfinden ganz klar und ganz offen gerade beim Etat zum Ausdruck gebracht verden muß. (Sehr wahr! b. d. Soz.) Denn der Etat st nicht nur eine zahlenmäßige Zusammenstellung, der Etat ist vor allen Dingen auch ein Ausdruck des all- gemeinen Willens, der innerhalb einer Regierung, inner- >alb eines Parlamentes liegt. Gewiß werden wir neses Problem mit unserem Etat unter den heutigen Verhältnissen nicht lösen können. Aber wir können zweierlei unter allen Umständen tun. Wir können >urch Annahme der von den Sozialdemokraten gestellten Minderheitsanträge erstens einmal den Willen doku mentieren, daß man in der von mir ausgezeichneten Linie das gesamte Erziehungs- und Schulwesen aus gestalten will. Und man kann zweitens auf diese Weise >en Etat so dadurch gestalten, daß die bescheidenen Möglichkeiten, diese Wege wirksam zu beschreiten, unter den gegenwärtigen schwierigen Verhältnissen auch aus» genutzt werde«. (Bravo! b. d. Soz.) Abg. Renner (Komm.): Ich habe nicht die Absicht, den auf Ferienstimmung eingestellten Landtag allzu- lange aufzuhalten. Ich möchte mich nur zu ein paar Fragen äußern. Ich habe auch nicht die Absicht, jetzt n eine neue Diskussion über Neligion'mit dem Herrn Abg. Hartsch einzutreten. Ich möchte nur eins sagen. Die Frage des Religionsunterrichts in der Schule ist keine Frage der Toleranz, sondern eine Frage des Kampfes, eine Frage der Weltanschauung, eine Frage des Kampfes um die Erziehung der Jugend in dem einen oder anderen Sinne überhaupt. Unser Kampf geht keineswegs darauf hin, nur in den ersten Jahren keinen Religionsunter richt in der Schule zu haben. Wir trennen uns auch ein klein wenig von den Sozialdemokraten in der Frage der Weltlichkeit der Schule, indem wir die allgemeine Weltlichkeit der Schule verlangen und die Auffassung vertreten, daß Religionsunterricht in der Schule über- Haupt nichts zu suchen hat. Eins möchte ich unterstreichen, daß uns besonders daran liegt, daß die Darlehen an finanzschwache Schulbezirke bewilligt werden, um hier einen Ausbau zu gewährleisten, der sowohl die Raumnot in den Sa-ulen etwas beseitigt, als auch die Möglichkeit der Heranziehung von Lehrkräften und Httfslehrkräften garantiert. Jin Zusammenhang damit steht die Frage der Überlassung der Schulrüume an politische Organisationen. Wir haben diesen Antrag schon im vorigen Jahre gestellt und haben darauf hingewieseu, daß diese Verordnung absolut keine gleichmäßige Be handlung erfährt und daß man den Rechtsorganisationen die Möglichkeit zur Benutzung der Schulräume gibt. Ich will aber speziell noch zu einer anderen Frage ein paar Worte sagen und habe deshalb folgenden Entschließungsantrag cingebracht: die Verordnung des Volksbildungsministeriums über die Verfassungsfeiern indenSchulenaufzuheben. Wir haben noch im vorigen Jahre besonders über die Frage der politischer: Jugendorganisationen gesprochen und der Jugendorganisationen überhaupt und haben dabei die Haltung des Voltsbildungsministe- riums zur Organisation der revolutionären Arbeiterschaft, zum Jungspartakusbund, herangezogen und verlangt, dem Jungspartakusbund Schulräume zur Verfügung zu stellen. Ta wurde uns von der Regierung ständig ge antwortet: Politik darf in die Schule nicht hinein- getragen werden. (Lebhaftes Sehr richtig! b. d. Dem. u. rechts.) Sehr richtig, dann gehört aber auch über- Haupt keine Politik in die Schule. (Sehr richtig! b. d. Dem.) Dann gehört auch uicht die Politik in die Schule, die die schwarz-rot-goldene Republik verteidigt, denn die Verteidigung der schwarz-rot-goldenen Republik oder wenigstens die Absicht ihrer Verankerung in den Schul kindern bedeutet Politik in die Schule hineintrageu. Die Verordnung im Verordnungsblatt des sächsischen Bolksbildungsministeriums, das am 27. Juni heraus- gekommen ist, bedeutet also ein ganz offensichtliches Hineintragen von Politik in die Schule, denn m diesem Verordnungsblatt wird verlangt, daß in allen Schulen innerhalb Sachsens zum VerfassungStage Verfassung?« feiern veranstaltet werden; da der VerfassungStag aber in die Schulferien fällt, soll die Feier am ersten Montag nach Schulbeginn veranstaltet werden. Was wird denn in diesen Verfassungsfeiern geschehen? Es sott dort Ihre glorreiche Republik verherrlicht werden, und es sollen Ihre Farben Schwarz-Rot-Gold und die Schön- heilen der Republik von Ebert, Hindenburg und was weiß ich glorifiziert werden. Das bedeutet eine poli tische Handlung vollziehen, die Politik in die Schule hineintragen. Dabei soll diese politische Handlung noch dadurch verstärkt werden, daß am VerfassungStage die Reichsslagge und die Landesflagge gehißt werden. Wir haben gar kein Interesse daran, daß die schwarz-rot-gol- denen Farben am 1. August an den Schulgebäuden aufgezogen werden, und wir haben auch gar kein Inter esse daran, daß die glorreiche schwarz-rot-goldene Re publik durch besondere Berfassungsfeiern in der Schule verherrlicht wird. Aber in der Verordnung gibt cs auch noch einen kleinen Unterschied, und man merkt, daß der Regie rung an der Verfassungsfeier nicht soviel liegt, sobald die Interessen der Besitzenden in Frage kommen. Nach Ziff. 3 sind nur die Schüler der Berufsschulen zur Verfassungsfeier heranzuziehen, die zur Zeit der Feier Unterricht haben. Das heißt also, daß diejenigen Schüler, die zur Zeit der Versassungsfeier in den Be trieben sind, die dort für die Unternehmer arbeiten müssen, weil sie eine Arbeitsleistung zu vollbringen haben, von der Verfassungsfeier befreit sind. Also über der Verfassungsfeier steht ohne Zweifel noch der Profit und der Gewinn der Unternehmer, steht das Recht der Lehrlingsausbeutung und das, was man aus der Ausbeutung der Lehrlinge verdient. Aber nun sind nicht alle Eltern gewillt, eine solche Verfassungsfeier stillschweigend hinzunehmen und ihre Kinder auf diese Verfassung drillen zu lassen. Was werden Sie tun, nachdem Sie die Politik in die Schule hineingetragen haben, wenn die Kin der an jenem Schultage mit dem Sowjetstern zur Schule kommen? (Abg. vr. Dehne: Abneh men!) Was werden Sie tun, wenn an diesem Schultage die Kinder Flugblätter gegen diese Feier und gegen die Republik verteilen? Was werden Sie tun, wenn an diesem Tage eine Denkschrift vor den Schulen verteilt wird, die die Stellung des Proletariats zu diesem Tage klarstellt? (Abg. vr. Dehne: Die Kinder ausklären k — Abg. vr. Kastner: Ten Kindern erzählen, wie es in Moskau zugeht!) Tann werden Sie wahrscheinlich das machen, was Sie immer gemacht haben. Sie werden zur Polizei gehen und sie gegen die flugblätterver teilenden oder abzeichentragenden Kinder mobil machen: (Abg. vr. Dehne: Tas ist ja entsetzlich! Tas wäre ja russisch!) Das haben Sie schon einige Male getan. DaS wäre keineswegs russisch. Also entweder Sie wollen keine Politik in den Schulen haben, wie Sie das sagen, dann müssen Sie diese Verordnung aufheben, oder aber Sie haben die Absicht, Politik in der Schule zu haben, aber eine be stimmte Politik, lind darauf beruht ja überhaupt das gesamte Schulwesen. (Abg.vr. Dehne: Wie in Rußland!) Es gibt ja faktisch kein unpolitisches Schulwesen, es gibt an keiner Stelle ein unpolitisches Schulwesen. Früher war in den Schulen Trumpf die Erziehung zum Mon archismus, jetzt ist in den Schulen Trumpf eine Erziehung zur Republik. Aber so wenig die Erziehung zum Mon archismus den Umsturz verhindern konnte, so wenig wird die Erziehung zur Republik das Fundament zur repu blikanischen Verfassung legen. (Zuruf i. d. Mitte: Das überlassen Sie uns!) Ich bin überzeugt, daß Sie diese Verordnung nicht aufheben werden (Abg. Dehne: Ta haben Sie vielleicht recht!), aber wir werden mit den proletarischen Eltern die gemeinsame Gegendemonstration durchführen. Wir werden dann sehen, welche Maßnahmen Sie gegen diese Demonstration ergreifen. Bolksbildungsministcr vr. Bünger: Meine Damen und Herren! Ich werde mich sehr kurz fassen. Sie können glauben, daß die Streichungen gerade bei Tit. 16» und d uns ganz besonders schmerzlich gewesen sind. Wir siird durchaus der Ansicht des Herrn Kollegen Hartsch, daß die Ausgaben für die Schule die allerproduktivsten sind, die man sich denken kann. Aber die finanzielle Deckung reicht diesmal nicht weiter. Man muß darauf hoffen, daß in Zukunft d e Verhältn'sse sich bessern werden. Was die auswärtigen Schulamtskandidaten an geht, so kann die Regierung erklären, daß sie zurzeit solche nicht braucht. Es muß meiner Ansicht nach mindestens erst das Ergebnis der Erhebung abgewartet werden, die, wie Sie wissen, zurzeit im Gange ist auf Grund der Verordnung Nr. 68, die ja auch bekannt ist. Tie Heran ziehung auswärtiger Lehrkräfte für vorübergehende Zeit hat, wie Sie selbst wissen, ihre große Mißlichkeit, ganz besonders für diese Lehrkräfte selbst. Was die Schulraumüberlassung betrifft, so will ich auf die Ausführungen des Herrn Abg. Nenner nicht näher eingehen. Nur möchte ich bemerken, daß er sich durch aus irrt, wenn er annimmt, Politik solle nach Auffassung der Negierung in der Schule überhaupt nicht gelehrt werden. (Abg. Renner: Ich habe das Gegenteil gesagt!) Politik soll in der Schule sehr wohl gelehrt werden, denn sie ist ein Teil des Staatsbürgertums, der Staatsbürger kunde, und die Staatsbürgerkunde ist cs auch, die dem Schüler z. B. die Folgen und die Bedeutung des Versailler Vertrages näher bringen soll. Das habe ich übrigens schon in meinen Ausführungen vor ein paar Jahren hier des näheren ausgeführt. Ich empfehle Ihnen, Herr Abg. Renner, das dort einmal nachzulesen. Sie werden sich vielleicht überzeugen lassen. Übrigens sind im Punkte Schulraumüberlassung ver hältnismäßig wenig Beschwerden über unsere Verord nung eingegangen, und ich möchte daraus entnehmen, daß sich die Verordnung leidlich bewährt hat. Daß eine Verordnung restlos befriedigt, wird man in den seltensten Fällen erleben, überdies entspricht das auch den Berichten der Bezirksschulämter. Sre haben mitgeteilt, im allgemeinen wäre man mit der Verordnung zufrieden«