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8MMW znr AWei ANtztikq 9. zu Nr. 158 des Hauptblattes. 1929. Beauftragt mit der Herausgabe Regierungsrat Brauße in Dresden. Lan-tagsverhandtungtn. 6. Sitzung. Dienstag, den 9. Inti 1929. Präsident Weckel eröffnet die Sitzung 11 Uhr 6 Min. Am Regierungstifch Ministerpräsident vr. Bünger, sämtliche Minister sowie andere Regierungsvertreter. Als krank ist für heute entschuldigt Herr Abg. Lieb mann (Soz.). Punkt 1 und 2 der Tagesordnung werden ver bunden. Punkt 1: Aussprache über die Regierungserklärung. Punkt 2: Beratung über den Antrag des Abg. Renner u. Gen. auf Herbeiführung eines Beschlusses gemäß Art. 27, Abs. 2 der Verfassung gegen die Re- giernng vr. Bünger. (Drucksache Rr. 114.) Der Antrag lautet: Der Landtag wolle beschließen: Die Regierung besitzt nicht das Vertrauen des Landtages. Abg. Büchel (Soz.): Tas Kabinett Bünger ist unter sehr eigenartigen Umstünden ins Leben getreten worden. (Heiterkeit.) Ich sage mit Absicht, „ins Leben getreten worden", weil es einen, schwer fällt, bei dieser Affäre einigen Ernst zu bewahren. Wir haben einige Tage lang zwei Ministerpräsidenten gehabt. (Abg. vr. Blüher: Nein!) Wir hatten sogar zwei Justizminister und, um das Spiel des Grotesken voll zu machen, rollte sich in Meißen beim Königsschützenfest ein kleiner Neben- regierungssilm ab. Das neue Kabiuett hat sich nun vorgestellt als ein Kabinett der Fachminister. Diese Formulierung kommt immer dann, wenn man vor politischen Schwierigkeiten nicht ein und aus weiß, wenn man irgend etwas vor täuschen will. Die Demokratie ist doch keine Innungs- angelegenheit, kein Bierkommers von Korpsstudenten. (Zuruf b. d- Natsoz.: Weiter ist sie nichts!) Wenn irgend ein Kabinett kein Kabinett der Fachminister ist, so das Kabinett Bünger. Herr Ministerpräsident vr. Bünger als Fachminister für die Kulturaufgaben, Herr Bünger, der in der Affäre Jakubowski ciu Gutachten abgegeben hat, daß die ganze Knlturwelt Kopf gestanden hat, heißt wirklich den Bock zum Gärtner machen; jedenfalls kann von Fach- Minister da nicht Rede sein. Noch interessanter wird es, wenn wir unsHerrnWeber alsAachminister sü» dieFinanzen betrachten. (Abg.Neu: Fachminister für die Hausbesitzer!) Herr Fachminister Weber versteht cs sehr gut, aus den Mitteln des ganzen Staates, des Volkes den Säckel seiner eigenen Partei zu füllen, Stnndnngsverold- nungeu herauszugeben, die der Landtag nicht be schlossen hat, Stenerdrückeberger zn Tausenden zu schützen und so die Gelder des Staates zu verschleu dern (Sehr richtig! links) und die notleidenden Ge meinden und Städte mit ihren Mitteln zu strangu lieren. Wenn hier noch von einem Fachministerium geredet werden soll, so ist das doch nichts anderes als ein Deckungsmanöver für die politischen Schwierig keiten, unter denen das Kabinett Bünger ins Leben getreten ist; und es war ein rechtsbürgerliches Blatt, das vor einigen Tagen sagte: Das ganze Spiel, das bei dieser Regierungsbildung stattgefunden hat, ist ge- trieben worden von persönlichstem Ehrgeiz und nack tester Jnteressenpolitik. Das Peinlichste bei der ganzen Angelegenheit war die letzte Sitzung, bei der die Negiernng beim ersten Schuß schleunigst davongelausen ist, indem sic sich auf den Nat des Kollegen Blüher hinter dem Schutzgitter eines Geschäftsordnungsparagraphen ver schanzte, um nur ja dem Mißtrauensvotum zu ent gehen, das gegen sie gestellt worden war. Wir wer- den ja hente bei dem Mißtrauensvotum scheu, ob sich eine Mehrheit für diese Negierung ergibt. Wenn die Regierung nicht 49 Stimmen für sich bekommt als Vertrauensvotum, so glaube ich, daß es nach allen Begriffen der parlamentarifchen Moral richtig ist, wenn sie zurücktritt und das Feld freimacht für eine an dere Regierung. (Abg. vr. Blüher: Haben Sie denn einen Ministerpräsidenten mit 49 Stimmen?) Das werden wir ja nachher sehen, Herr Blüher, das über lassen Sie uns dann. Jedenfalls haben Sie Präzedenz fälle geschaffen, die wir uns für später sehr genau merken werden. Nun ist die Frage, wie ist cs überhaupt möglich gewesen, daß in einem Lande, das in seiner großen Mehrheit aus proletarischen Wählern besteht, sich eine bürgerliche Mehrheit ergeben hat, daß unter diesen Umständen ein Ministerium Bünger in den Sattel gehoben werden konnte? — Das ist die schwere Schuld der Kommunisten, ihre subjektive lind objektive Schuld an diesen Dingen. (Zuruf b. d. Komm.: Ach, du lieber Himmel!) Subjektiv insofern, als auf den Rat des Herrn Kollegen Renner die Kommunistische Fraktion bei der Wahl des Herrn Ministerpräsidenten vr. Bünger weiße Stimmzettel abgegeben hat. (Zuruf b. d. Komm.: Das ist doch gar kein Schaden!) Nun, den Schaden sehen Sie ja hier sitzen, und wir sind ja dabei, ihn zu reparieren. (Heiterkeit.) Sie machen ja selbst die stärksten Anstrengungen, um diesen Schaden wieder zu beseitigen. Das ist doch wohl ein Beweis dafür, daß Sie den Schaden anerkennen, den Sie angerichtet haben. (Sehr richtig! b. d. Soz.) Diese weißen Stimmzettel symbolisieren die ganze Haltung der Kommunistischen- Partei, die sie in der letzten Zeit eingenommen hat. Sie lehnt es ab, auf dem Wege der politischen Demo kratie irgendwie noch in der früheren Linie weiter zugehen. Aber auch objektiv sind die Kommunisten schuld daran, daß es zu einer bürgerlichen Mehrheit gekommen ist, und zwar dadurch, »veil sie im Land den Wahlkampf mit einer einzigen Tendenz geführt haben, mit der Tendenz gegen die Sozialdemokratie. (Sehr wahr! b. d. Soz.) Den Kampf gegen das Bürgertum haben die Kommunisten einzig und allein uns überlassen. (Sehr richtig! b. d. Soz. — Zuruf b. d. Komm.: Das werden wir bei der nächsten Regierungsbildung beweisen!) Ihre Arbeit bestand darin, die Gewerkschaften und all die sozialdemokratischen Einrichtungen draußen Herunter zureißen. (Sehr richtig! b. d. Soz.) Das haben Sie in einem solchen Maß getan, daß Ihre Zenlrale Ihnen sogar einen Rüffel gegeben hat, weil Sie übenden Kamps gegen ihre Klassengenossen vergessen haben, den Kampf gegen die Nationalsozialisten zu führe». (Sehr gut! b. d. Soz.) Die bürgerlichen Parteien haben den Wahlkampf geführt »nit der Parole: Nie wieder Sowjetfachsen! Das war erst eine vollkommene Pleite. Aber dann kain der 1. Mai und damit jener blutige Hintergrund, der für diese Parole „Nie wieder Sowjetsachsen" geschaffen worden ist, und so sind auf diese Art und Weife die letzten bürgerlichen Reserven herausgeholt worden. (Zu rufe b. d. Komm.) Durch diese Tatsache hat sich ergeben, daß die bürgerlichen Parteien mehr Wähler anfgebracht haben als die Arbeiterschaft. (Abg. v. Killinger: Ihr seid viel schlimmer als die Bürger!) Herr v. Killinger sagt, »vir seien viel schlimmer als die Bürger, und ich habe einen Brief des Kapitänleulnants v. Mücke hier, nicht nnr den schon bekannten, sondern einen, den wir heute bekommen haben (Lebhaftes Hört, hört! b. d. Soz ), worin er den Sozialdemokraten, den verruchten Marxisten noch einmal anbietet, mit ihnen zusammen ein politisches Geschäft zu machen (Hört, hört! b. d. Soz.) und, wenn hente Herr Bünger gestürzt wird, mit den National sozialisten zusammen eine Regierung zu errichten. (Lebhaftes Hört, hört! b. d. Soz. — Zurufe b. d. Natsoz., Unruhe im ganzen Hanse.) Herr v. Mücke sagt im Auftrage der Neichsparteileitung: Wir sind keine kapitalistische Partei, keine bürgerliche Partei, sondern »vir vertreten sozialistische Standpunkte von der Volksgemeinschaft ans, und deswegen bieten wir Ihnen eine Koalition an, eine Verbi,»düng »nit Ihnen und den Kommunisten. Trotzdem so von beiden Seiten, von rechts wie von links gegen die Sozialdemokratie in der schärfsten Weise im Wahlkampfe gekämpft worden ist, ist es unbestrcit- bar, daß die Sozialdemokratie aus diesem Wahlkampf als Sieger hervorgegangen ist, den», sie hat gegenüber der letzten Landtagswahl 164000 Stimmen gewonnen und 2 Mandate mehr geholt. Tie Kommunistische Partei, die ihre Aussichten auf 17 Mandate geschätzt hatte, wie aus einen: vertranlichen Rundschreiben hcr- vorgegangen war, Hal nicht nur keine 17 Mandate be kommen, sondern hat Stimmen verloren und ist von 14 auf 12 Mandate hernntergesunkeu. Selbst in ihren» Gcneralhauptquartier Ehemnitz ist es zu einem Zu- sammenbrnch der kommunistischen Stellung gekommen. Und der sinnlosen Stellung der Kommunisten im Wahlkampfe entsprach dann anch ihre Wahlparole: nnter keinen Umständen eine sozialdemokratische Regie rung zu dulden. Das also ist ihre politische Linie: Nieder mit der Demokratie und nieder »nit den» Par lamentarismus ! Wir haben in Sachsen, politisch gesehen, ungefähr dieselbe Situation, wie sie in» englischen Parlament ist, einer starken Minderheit von Proletarier»» gegen über steht eine ganze schwache Mehrheit der Bürger lichen. Die Labour Party, die Arbeiterpartei in Eng land, hat einen nngeheueren Siegeszug durchgemacht und ist innerhalb 29 Jahre»» von 60000 Stimme»» auf 8345000 Stimmen gestiegen, sie hat einen Weg ge macht voi» 2 Abgeordneten vor 29 Jahre»» bis auf 288 Abgeordnete. Sie hat znrzeit die Regierung des stärkste»» kapitalistische»» Staates Europas in der Hand, »ind das ist doch wohl eine sehr wichtige revolutionäre Tatsache (Lachen b. d. Komm.), daß in einen» solchen Lande eine Albeiterregierung ans Ander gelangt »st. Karl Marx sagt, daß jede Revolution in Enropa ohne England eii» Sturm im Wasserglas bleiben muß, und da die Kommunisten auf jedes Wort von Karl Marx schwören, müßten ja nun aus der Situation in England — und auch bei uns — die Konsequenz dieses Satzes ziehen und eine Regierung dieser Arbeiterpartei unterstützen. Sie müßten also den Sozialdemokraten helfen, den ver einigten Bügerblock zn besiegen, »vie das auch Lenin in seiner Schrift, „Der Radikalismus", die Kinderkrankheit des Kommunismus, sagt. Aber die Kommunistische Partei übt in all diesen Dingen vollkommene Abstinenz, ja sie läßt sich direkt gebrauchen zum Vortrupp des Kampfes gegen die Sozialdemokratie und hat es auch verhindert, daß eine sozialdemokratische Regierung hier aufgestellt worden ist. Was soll sich aus dieser Situation ergeben? Die Taktik der Kommunisten ist einfach die bauern- schlaue Taktik, die Sozialdemokratie in die große Koalition hineinzuprügeln. Aber die Sozialdemokratie denkt nicht daran, sich von den Kommunisten zu irgend einem politischen Schritt zwingen zu lassen. Die Sozial demokratische Partei und die Sozialdemokratische Fraktion wählen die Schritte, die sie in dieser Frage tun, voll kommen selbständig und unabhängig von irgendwelcher Rücksicht auf die Kommunistische Partei. Aber ehe ich die Frage der großen Koalition anfasse, will ich eine Feststellung treffen. Wir verbitten es uns unter allen Uniständen, daß ein Teil unserer Partei freunde, die eine andere Meinung haben als wir, die wir in der gegenwärtigen Situation die große Koalition als nicht gegeben betrachten, von den Kommunisten in jeder mögliche»» Art und Weise diffamiert wird. Wir verwahre»» uns dagegen, daß der Herr Kollege Renner von de,» 17 Parteifreunden von mir, die in der Sitzung der Landesinstanz und der Landtagssraktion für die große Koalition gestimmt haben, sagt, daß die eine neue Bewegung der 23 inszenieren wollen. Das ist eine un erhörte Beleidigung, die wir zurückweisen müssen. ES denkt niemand dieser 17 meiner Parteifreunde daran, den Willen der Partei zu mißachten oder einen neuen Disziplinbruch zu begehen. Unsere Stellung zur großen Koalition ist klar. (Zu ruf b. Rat. Soz.: Noch nicht ganz!) Wir lehne»» die große Koalition nicht grundsätzlich ab (Aha-Rufe rechts.) und haben sie nie grundsätzlich abgelehnt, aber für uns »st jede Koalition, gleichgültig mit welcher Partei, ledig lich das Mittel znm Zweck, die Interessen des Prole tariats und der Arbeiterschaft »vahrzunehmen und uns den Anteil an der Staatsmacht zu erkämpfcn, der der Arbeiterklasse nach ihrer zahlenmäßiger» Bedeutung und sozialen Schichtung und ihrer Stellung in» Produktions prozeß zukommt. Wir kämpfen nicht um Minister posten oder Amtssesscl. (Lachen rechts.) Tas kommt für uns nur immer wieder in Frage, wenn wir unsere Position verankern wollen, wenn wir Forderungen der Arbeiter schaft durchsetzen wollen. Aber das Primäre bei dieser Angelegenheit sind die Forderungen der Arbeiterschaft, die wir znsammengefaßt und konzentriert haben in un seren» Arbcitsprogramm, welches dem Lande vorgclegt worden ist. (Abg. Or. Eberle: Nicht der Staat ist das Prirnäre für Sie, sonder»» Ihr Programm!) Für unS ist das schaffende Volk das Primäre (Sehr gut! b. d. Soz ), und das schaffende Volk ist der Staat. Wenn die Kommunisten uns sagen, das ist eine Politik des Lavierens und eine Philosophie des Pak tierens, so antworten wir ihnen wieder »nit den Worten ihres größten Führers Lenin, der es nie abgelehnt hat, mit irgendwelche»» Gegnern zu paktieren nnd zu lavieren und der cs »nit ätzender Schärfe verhöhnt hat, wenn die kommunistischen Kinder in ihre ersten Krankheiten zurückgefallen sind nnd diese Tinge abgelehnt haben. (Zurufe b. d. Komm.) Tie Sozialdemokratische Fraktion ist ii» dieser Frage der großen Koalition vollkommen geschloffen. Da gibt es durchaus keine erhebliche»» Meinungsverschiedenheiten. Es ist höchstens eine Meinungsverschiedenheit darüber vorhanden, ob ii» der jetzigen Situation es möglich ist, die Forderu, gen, die wir aufgestellt habeu, unser Minimalprogramm durchzusetzen oder nicht. Solange die bürgerliche»» Mittclparteicn nicht die Bereitschaft zeigen, auf dei» Bode»» unse/cs bekannten Mindest- programms zu trete»» und diese Forderungen zu bewilligen, solange denkt dis Sozialdemokratische Fraktion nicht daran, ihrer» scharf ablehnender» Standpunkt gegenüber der Koalition irgendwie zu ändern. Tas sind unsere Grundsätze, an denen »vir nicht rütteln lassen. Nnn komme ich zu einer anderen Frage. Die Nationalsozialisten haben in» Landtag einen Antrag gestellt, der sich gegen den Vonng-Plan richtete. Die Regierungserklärung ist mit keinem Wort auf dieser» Punkt eingegangen. (Abg. vr. Blüher: Nicht notwendig! Tas versteht sich von selbst!) Daß inan in» Reichsrat gegen den Boung-Plan stimmt? (Abg. Vr. Blüher: Rein, das Gegenteil!) Ich stelle fest, daß Herr Kollege vc. Blüher die Regierungserklärung etwas ergänzt hat, nämlich insofern, daß einer der Hauptpunkte der National sozialisten für die Wahl Büngers, daß er Front machen soll gegen die Neparationsverpflichtungcn des Deutschen Reiches, gegen Dawes-Plan und Poung-Plan, bereits fallen gelassen »vorbei» ist. (Zuruf b.d. Natsoz.: Von Forderung ist keine Rede!) Im Reichstag erklärte arrr 24. Juni Graf Reventlow: Ich sage, die Nationalsozialistische deutsche Arbeiter partei wird, sobald sie in der Lage ist, sobald das von ihr gelenkte Reich da ist, alle diejenigen Minister und Abgeordneten, welche es jetzt wagen, für den Aoung-Plan zu stimmen, vor dei» gesetzmäßigen Staatsgerichtshof stellen und ihre Bestrafung mit dem Tode fordern. Die Todesart können sie sich selbst aussuchen. Das sind die Unterstützungstruppen des Kabinetts Banger, dem nicht weniger als 4 Minister der Deutschen Volkspartei nahestehen. Diese selbe Unterstützungstruppe Büugers hat in demselben Atemzug, wo sie diese Forderungen gestellt hat, der Sozialdemokratischen Partei ein Angebot gemacht, mit ihr zusammen eine Regierung zu errichten. (Zuruf b. d. Natsoz.: Richt wahr!) Die Neichsparteileitung hat meines Wissens bis jetzt Herrn v. Mücke noch nicht desavouiert. (Zuruf b. d. Natsoz.: Da müssen sie den Völkischen Beobachter lesen! — Heiterkeit.) Das tut mir leid, der steht zurzeit unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Nun ist die Frage, die wir allerdings von der säch sischen Regierung beantwortet haben wollen, die, wie sie