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«4 LMBtÜM zn AWa NmiUiiiW Nr. 15. z« Nr. 164 des Hauptblattes. 1929. Beauftragt mit der Herausgabe Reglerung-rat Brauße in Dresden. Landtagsverhandlungen. (Fortsetzung der 8. Sitzung von Donnerstag, den 11. Juli 1S2S.) Abg. Reu (Soz. — Fortsetzung): Die Richter können sich mit den modernen Be wegungen nicht absinden, lassen sich von ihrer Ein stellung zu sehr beeinflußen und kommen dann zu Urteilen, die heftiger Kritik unterliegen müssen. In bezug auf die Arbeitszeitverordnung könnte übrigens nicht bloß das Landgericht Leipzig angeführt werden, da ist es insbesondere auch das Landgericht Bautzen, das immer an einem Standpunkte festhält. Auch die Ziviljufliz ist sehr oft so eingestellt, daß man es nicht begreifen kann. Man kann es nicht be greifen, daß sich oie Richter von ihrer persönlichen Ein stellung bei Urteilsfällung nicht loslösen können. Gerade die sozialdemokratischen Richter sind sich in dieser Be ziehung viel klarer über die Zusammenhänge, wie ein Urteil zustande kommt und wie die willensmäßige Ein stellung da entscheidet, so daß ich glaube, ein solcher Richter ist vielmehr dazu befähigt, sein subjektives Empfinden auszuschalten. (Sehr richtig! b. d. Soz.) In Zwickau hat der Konsumverein gegen einige Ladeninhaber geklagt, weil er Geschäftsstellen für Fletsch verteilung einrichten wollte. Das hat dem betreffen den Amtsrichter, der wahrscheinlich der Wirtschaftspartei angehört (Abg. Enterlein: Sie verstehen, die Richter ausgezeichnet zu klassifizieren, wie es Ihnen paßt!), nicht gefallen, und er hat in dem Urteile ausdrücklich festgestellt, daß ein Interesse daran nicht besteht, daß der Konsumverein eine Fleischverteilungsstelle einrichtet, da es überall genügend Handelsfleischstellen gibt und die volkswirtschaftliche Aufgabe des Klägers auch durch Einzelunternehmen erledigt werde. (Abg. Fritzsche: Sehr richtig! ES gibt noch vernünftige Richter! — Abg. Ferkel: Das geht den Richter gar nichts an!) Der Richter ist also absolut konsumveremSfeindlich ein gestellt und geniert sich nicht, diese Einstellung ganz deutlich in der Urteilsbegründung zum Ausdruck zu bringen. Tas muß natürlich zurückgewiesen werden, und ich glaube, die Justizverwaltung hat es in der Hand, der artigen Auswüchsen durch eme gesunde Personalpolitik vorzubeugen. Gerade auf diesem Gebiete kann in Sachsen noch außerordentlich viel gebessert werden. In dieser Richtung, also im Sinne der Besserung der sächsischen Rechtspflege, bewegen sich einige von mir gestellte Anträge. Mit der Annahme der Anträge allein ist aber natürlich nichts getan. Es kommt auf den Geist an» von dem die Verwaltung der Rechts pflege eines Landes beseelt ist, insbesondere auf den Geist, der von der Spitze ausstrahlt. Nun hat der neue Herr Justizminister im Ausschuß die Tatsache zugegeben, daß Sachsen früher in der Justizverwaltung fortschrittlich eingestellt war, und daß diese Einstellung im Laufe der letzten Jahre verloren gegangen ist. (Hört! Hört! b. d. Soz ) Er hat das allerdings in bezug auf den Strafvollzug gesagt, aber ich glaube, seine Worte können auch über den Straf- Vollzug ausgedehnt werden. (Abg. vr. Wilhelm: Ich glaube es nicht, Herr Neu!) Er hat gesagt und wört lich versprochen, wir werden uns alle Mühe geben, das verlorene Prestige wieder herzustellen. (Hört! Hört! b. d. Soz.) Da ich gern anerkenne, daß der neue Justizminister zweifellos ein Mann guten Willens ist, bin ich für meine Person bereit, ihm für die Wieder gewinnung des verlorenen Prestige eine Bewährungs frist zu bewilligen. (Lachen rechts) Abg. Renner (Komm): Ich habe zu dem Kapitel nur einige wenige Bemerkungen zu machen. Wir werden uns Vorbehalten, nach dem Zusammentritt des Landtags nach den Ferien Initiativanträge zum Straf vollzug und zu einigen Justizfragen zu stellen, und zwar wählen wir diesen Weg deshalb, weil wir nicht wünschen, daß die Anträge bei der allgemeinen Aussprache über das Justizkapitel einfach untergehen. Wir sind auch davon überzeugt, daß wirkliche Verbesserungsanträge von der Mehrheit dieses Hauses nicht angenommen werden. Der Herr Vorredner hat dem Herrn Justizminister Bewährungsfrist für die Wiedergewinnung des Ver trauens zur Justiz erteilt. Wenn man dieses offene Bekenntnis des sozialdemokratischen Redners gehört hat, weiß man nur nicht recht, was man mit seinen Be schuldigungen über Klassenjustiz anfangen soll. Entweder er müßte erklären, daß auch die Sozialdemokraten glauben, daß eine soziologische Umstellung der Justiz möglich ist, oder aber Herr Abg. Neu ist nicht der Auf fassung, daß eine Möglichkeit der Umstellung der Justiz aus ihrem reinen Klassencharakter gegeben ist, was soll dann eine solche Erklärung von Bewährungsfrist be deuten? Dann ist das nur ein Wortgefecht und charak terisiert das, was wir schon gestern einmal festgestellt haben bei der Stellung der Sozialdemokratie zur Religion, daß sie nämlich weder Fisch noch Fleisch will, daß sie weder für den Kampf gegen die kapitalistische Klassenjustiz eintritt, noch sich für die andere Seite einjetzen möchte. Die Wirklichkeit zeigt aber doch, daß der Pendelschlag bei den Soz. viel mehr nach rechts yeht als nach der anderen Seite. Die elementarste, die primärste Bedeutung ihrer Aus führungen ist sicherlich die Erklärung über die Bewährungs frist, d. h., einige Möglichkeiten zu schaffen, um eine Ber- befserung nach außen zu kennzeichnen; und wir werden solche Verbesserungen begrüßen; aber den Grund- charakter der Justiz werden sie nicht ändern. Es ist notwendig, daß die Arbeiter das erkennen: und lebe Verschleierung und jede falsch« Darstellung der Dinge, zum mindesten für die Arbeiter, die Interesse an der Durchführung eines solchen Kampfes haben, fuhrt sie von diesem Wege ab. Es steht nicht m Frage die Rechtsbeugung durch den einzelnen, sondern es steht zur Frage, daß auch der Richter wie der Beamte »m Justizapparat ein Produkt der Gesellschaft »st, aus der er hervorgeht. Das muß aber ganz selbstverständlich dazu führen, daß der Einzelne sich besonders gebunden fühlt an seine Gesellschaft, besonders eingenommen ist von einer gesellschaftlichen, d.h. von einer klassenmäßigen Auffassung und daß darnach eine ganz besondere Note in die Urteilssprechung und in das Verhalten einzelner Richter hineingelegt wird. Ich will ganz kurz auf einige Fälle Hinweisen, in denen sich die absolute Klassen einstellung, der bürgerlichen Gerichte zeigt. So auf den Fall der Verurteilung eines Arbeiters Hornin Dresden, der bei einem kommunistischen Jugend tage in Dresden an einem Zwischenfall beteiligt gewesen sein soll, wo eine schwarz-weiß-rote Fahne abgerissen wurde. Soweit ich mich und andere sich erinnern, stand dieser Arbeiter damals in der Kette derjenigen Leute, die das Anwachsen der Zwischenfälle vermeiden wollte. Trotzdem mehrere Leute und sogar die Polizeibeamten vor Gericht erklärten, sie könnten nicht mit Bestimmt heit behaupten, daß Horn dabei gewesen und mit geschlagen habe, wurde Horn auf die Aussage eines Stahl helmers hin, der sich gemeldet hatte und der auch Denun ziant war, zu einer sehr hohen Freiheitsstrafe verurteilt. Hier zeigt sich ohne Zweifel, daß das Gericht in solchen Fällen den Angehörigen einer bestimmten Klasse oder einer bestimmten politischen Parteirichtung von vornherein mehr Glauben schenkt als anderen. Ich könnte aus der Praxis meiner eigenen Fälle vor Gericht eine ganze Menge Beispiele anführen, wo die Dinge praktisch immer so lagen, daß den Polizeibeamten ausschließlich Glauben geschenkt wird, selbst wenn ihre Aussagen außerordentlich zweifelhaft sind. JchhabezweiFälleimAusschußangeführt,diebesonders charakteristisch waren. Der erste war ein Urteil in Dresden gegen den Arbeiter Friedrich, der Flug blätter verteilt hatte, in denen aufgefordert wird, daß die Arbeiter die „rote Front schließen" sollen, was als ein Verstoß gegen das Republikschutzgesetz angesehen wurde. Darauf verurteilte man diesen Mann zu 3 Mo naten 1 Woche Gefängnis. (Hört, hört! b. d. Komm ) Also 3 Monate 1 Woche Gefängnis wegen Flugblatt verteilung! (Zuruf b. d. Komm.: Unerhört!) Vor demselben Gericht, aber mit einer anderer» Schöffen zusammensetzung, findet an demselben Tag ein paar Stunden später ein Prozeß gegen zwei andere Arbeiter statt, und zwar gegen die Arbeiter Kelch und Schröder, die beschuldigt wurden, mit Schablonen auf die Straßen gemalt zu haben: Die Rote Front lebt!, was aber vom Gericht keineswegs als ein Verstoß gegen das Republikschutzgesetz, sondern als grober Unfug angesehen wurde. Tas Urteil lautete nur auf 4 Wochen Gefängnis für Schröder, während Kelch frei gesprochen wurde. Das bedeutet doch, daß im erste»» Falle eine klassenmäßige Einstellung des Gerichts ge geben war. Der Fall des frühere»» Bürgermeisters Hermann und der beiden Großbauer»» Stöckel und Geißler aus Neuendorf zeigt, daß nicht nur bei politische»» Fragen eme absolut klassenmäßige Betrachtung der Dinge durch das Gericht erfolgt. In der Gemeinde Neuendorf erhielten einige ältere Rentner Renten; die Zusatzrente muß bekanntlich zu einem Drittel von der Gemeinde gezahlt werden. In diesem Falle handelt es sich um die Unterschlagung der gemeindlichen Zu satzrenten an arme Invaliden und Altersrentner. Das Schöffengericht in Bernstadt verurteilte den Bürger meister Herman»» wegen Betrugs zu 90 M. und die Großbauern Stöcker und Geißler zu je 30 M. (Abg. vr. Kastner: Billig!) Wenn das Arbeiter gewesen wären, so hätte man den Bürgermeister wegen Ver brechens im Amte belangt und ganz sicherlich nicht zu einer so niedrigen Geldstrafe verurteilt, sondern zu einer längeren Gefängnisstrafe, wen»» nicht sogar zu Zuchthaus. Hier zeigt sich schon bei dem Schöffen gericht die absolute Klasfeneinstellung. Das wird aber noch viel besser bei der Berufungsinstanz. Das Be- rufungsgericht in Bautzen sprach diese drei Leute näm- lich frei. (Hört, hört! b. d. Komm.) Glauben Sie, daß das passiert wäre, wenn das Arbeiter waren, die einen solchen Schwindel gemacht hätten? Glauben Sie, daß das mit einem kommunistischen oder sozialdemokratischen Bürgermeister passiert wäre? Auf keinen Fall! Hier charakterisiert sich also auch die absolute Klassenjustiz der bürgerlichen Gerichte. Ich habe in der Frage des Strafvollzugs dann noch Forderungen. Spezielle Anträge zu stellen, haben wir uns aber auch hier für später Vorbehalten. Einigen der vorliegenden Anträge werden wir zu stimmen, aber nicht zustimmen solchen Anträgen, die eine Vergrößerung oder Verstärkung des Justizapparates nach sick ziehen, wie zum Beispiel der Minderheits- antrag des Herrn Abg. Ne»» bei Tit. 5 unter a. Wir werden dort zustimmen, wo es sich um eine Entlastung der unteren Kanzleibeamten handelt, bei Tit. 5 unter b und o. Wir werden aber nicht zustimmen den übngen Anträgen, soweit e» sich wieder um eine be sondere Erleichterung für den Justizapparat handelt. Zum Beispiel haben wir nicht die Absicht, der Zurver fügungstellung von Autos an Richter, Staatsanwälte usw. zuzustimmen In der Frage der Bezahlung der Ge fängnisinsassen nach Tariflöhnen werden wir bei dem Anträge des Berichterstatters Fritzsche getrennte Ab stimmungverlangen. Wir werden dafür stimmen, soweit der Antrag Bezahlung nach Tariflöhnen vorsieht. Wir werden es aber ablehnen, daß der Ertrag der Staats kasse zufließt. (Abg. Neu: Sehr richtig!) Auf die ein zelnen Anträge weiter einzugehen, erspare ich mir. Wir behalten uns vor, in späterer Zeit darauf zurückzu kommen. (Beifall b. d. Komm.) Abg. Dieckmann (D. Vp.): Ich möchte bei Gelegen heit der Aussprache über die Justizkapitel ganz kurz eine Frage anschneidei», die allerdings in ihrer Be- deulung über den Rahme»» dieses Kapitels hinaus- geht und eine Frage von allgemeiner Bedeutung ist. Wenn ich sie trotzdem hier zur Sprache bringe, dann deswegen, weil die Klagen, um die es sich hier handelt, in erster Linie aus den Kreisen der Rechtsanwälte kommen. Es handelt sich darum, daß der früher be stehende Zustand, herrührend aus der Novelle zum sächsischen Staatsdienergesetz von 1876, wonach Be amten, insbesondere Richtern, Verwaltungsbeamten usw., die nach ihrer Pensionierung wieder in das freie Er- werbsleben eintreten, ein Teil ihrer Pensionsbezüge gekürzt wird, heute nicht mehr besteht, und daß unter den Nachwirkungen der Aufhebung dieses Schutzes die freien und ihnen verwandten Berufe heute außer ordentlich stark zu leiden haben. Wir möchten bei dieser Gelegenheit die Aufmerksamkeit der Regierung auf diese Dinge lenken und sie bitten, das Ihre zu tun, damit dieser frühere Schutz wieder hergestellt wird. Wir bitten die Regierung, in diesem Sinne zu wirke»». (Bravo! b. d. D Vp.) Abg. vr. Kastner (Dem.): Ich wollte nur auf einen Punkt Hinweisen, der mir zur Entlastung der Gerichte und Angeklagten sehr wesentlich erscheint. Ich habe aus meiner Erfahrung heraus die Beobachtung machen müssen, daß gerade in letzter Zeit Strafbefehle von den Gerichten erlassen worden sind, ohne daß man auch nur hinreichend die Grundlagen, die für den Erlaß der Strafbefehle Vorlagen, geprüft hat. Es hat sich dann herattsgestellt, daß entweder in der Hauptverhandlung eine mühselige Aufklärung erfolgen mußte, die immer zur Freisprechung führte, oder aber die Verhandlung mußte abgebrochen werden, weil Ermittlungen weiter gepflogen werden mußten. Da ist zu bedenken, daß man eine Fülle von Strafbefehlen durch eine bessere Ermitt lung vorher vermeide»» kann, daß durch Herausgabe voi» Strafbefehlen, die nicht genügend geprüft sind, allen Beteiligten eine Fülle Scherereien erwachsen und daß der Staatskasse durch die Freisprüche erhebliche Kosten entstehen. Dein könnte vielleicht durch Anweisung an die Staatsanwaltschaft abgeholfen werden. Abg. Ulbrich (Dtsch. Vp.): Zum Anträge Nr. 149 habe ich im Auftrage meiner Fraktion folgendes auk- zuführen. Wir haben zunächst mit Interesse Kenntnis genommen, daß die Geldstrafen sich um Mill. M. erhöht haben. Bedauerlich ist es nur, daß man bei dieser Betrachtung sich vor Auyen halte»» muß, daß es sich un» Strafen handelt. Es »st das vielleicht in Ein klang zu bringen mit der verminderten Zahl der Gefangenen. Zu de»» Minderheitsaltlägen des Herr,» Kollegen Neu unter I 2», b und o möchte ich folgendes sagen. Die Annahme dieser Anträge würde eine nicht un wesentliche Höherziehung des Etats bedeuten. Sie befassen sich mit reinen Beamtenfragen, mit der Höher ziehung, Höherstufung und Umwandlung von Stellen. Sie sind daher vom Ausschuß dem Sonderausschuß für Beamten- und Besoldungsfragen überwiese»» worden, sind aber als Minderheitsanträge aufrechterhalten worden. Ich habe ebenfalls im Ausschuß Anträge ein gebracht, die verlangten, daß bei Tit. 5 von 1104 Ex peditionsbeamten, Rechtspflegern zumeist, die nach Gruppe 11o besoldet werden, 30 Stellen in solche der Gruppe 11» umgewandelt werden. Ich habe dann noch beantragt, einen» handwerksmäßig gebildeten Beamte»» eine Stellenzulage zuteil werden zu lassen. Nun sind die Anträge Ne»» sowie meine Anträge dem Besolvungsausschuß überwiese»» worden. Man muß sich bescheiden. Hoffen wir, daß dort nicht diesen Anträgen ein Begräbnis 1. Klasse zuteil wird. Bei dieser Gelegenheit darf ich noch folgenden Entschließungsantrag einbringen: Der Landtag wolle beschließen: die Regierung zu ersuchen, Vorsorge zu treffen, daß die Stellen der Landgerichts- und Amtsgerichts direktoren nach Maßgabe des durch die Arbeits häufung sich ergebenden Bedarfs vermehrt werden. Dem Anträge der Minderheit, bei Tit. 14 de»» Auf wand für die Gefangenen um 70000 M. zu kürzen, stimmen wir zu, denn die Regierung hat versichert, daß den Gefangenen nichts, aber auch gar nichts gekürzt werden soll. Wir sind auch der Meinung, daß den Gefangenen Fürsorge in weitgehendem Maße zuteil werden muß. Wir halten das bisher Getane aber für genügend und geben uns mit der Regierungserklärung zufrieden. Daraus folgt, daß wir gegen den Antrag