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8MMv M AWe» ZlachkitW Nr. 7. zu Nr. 154 des Hauptblattes. 1929. Beauftragt mlt der Herausgabe ReglerungSrat Brauste in Dresden. Landtagsverhandlungen. s. Sitzung. Donnerstag, den 4. Juli 1S2S. Präsident Weckel erössnet die Sitzung 13 Uhr 9 Min. Am Regierungstisch Ministerpräsident vr. Bünger, die Minister vr. Krug v. Nidda, vr. Manns selb, vr. Richter und Weber sowie zahlreiche Regierungs vertreter. Abg. Renner: (Komm. — zur Geschäftsordnung): Wir haben einen Misttrauensantrag gegen das Kabinett eingebracht (Abg. vr. Blüher: Vorzeitig!), der als Drucksache Nr. 114 dem Landtage frühzeitig genug vorgelegen hat. Richt vorzeitg! Nach Art. 27 der Verfassung sind Anträge, die auf ein Mißtrauensvotum gegen das Ministerium gerichtet sind, auf die Tages ordnung der nächsten Sitzung zu setzen. Die nächste Sitzung nach Einbringung dieses Antrages war die heutige Sitzung. (Sehr richtig! b. d. Komm.) ES ist sehr sonderbar, daß wir immer wieder von der linken Seite sogar die Verfassung in den elementarsten Fragen verteidigen müssen gegen die Willkürakte der bürgerlichen Parteien. (Lachen rechts. — Abg. vr. Blüher: Wenn es Ihnen paßt!) Wir stellen das deshalb vor der breitesten Öffentlichkeit fest, damit man draußen in noch weiterem Umfange wie bisher be greift, daß auch die Verfassungen nur ein Stück Papier sind, die man auf die Seite schiebt und zerreißt, wenn es dem Machtinteresse der herrschenden Klasse ent spricht. (Sehr richtig! b. d. Komm) Wir beantragen aber trotzdem, daß darüber abgestimmt wird, daß als zweiter Punkt auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung unser Mißtrauensantrag gegen die Negierung gestellt wird. Präsident: Die Sachlage ist geschäftsordnungsmäßig so, daß dieser Antrag nach Art. 27 Abs. 2 erst auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung gesetzt werden kann. Diese Meinung vertritt der Vorstand mit überwiegender Mehrheit. Infolgedessen würde ein Widerspruch, den Antrag des Abg. Renner abzusetzen, genügen, um diesen Mißtrauensantrag heute nicht auf die Tagesordnung zu setzen. Abg. Renner (Komm.): Ich glaube, daß die Auf- fassung des Herrn Präsidenten nicht dem Wortlaut der Geschäftsordnung entspricht. Wir haben in der letzten Zeit wiederholt feststellen müssen, daß nicht nur ein Paragraph der Geschäftsordnung dem Wortlaut der Verfassung widerspricht, sondern viele. Der Abs. 1 des fraglichen Geschäftsordnungsparagraphen sagt, daß die Anträge auf die nächste Tagesordnung zu setzen sind. Das bedeutet, daß die nächste Tagesordnung diejenige ist, die nach der Bekanntgabe und Einbringung des Antrags am nächsten zur Behandlung steht. Nm diese Möglichkeit zu schassen, ist auf die geschäftsordnungs- mäßigen Fristen, das heißt, daß der Antrag zwei Tage oder jetzt wohl nur noch einen Tag vorher den Ab geordneten gedruckt zugehen muß, verzichtet worden, so daß sowohl nach der Geschäftsordnung wie nach der Ver fassung die Möglichkeit, ja sogar die Notwendigkeit be stünde, daß ein Antrag, selbst wenn er erst heute früh ein gereicht worden wäre, auf die heutige Tagesordnung ge setzt werden müßte. Das braucht man nicht erst zu beschließen, sondern das ist in den Bestimmungen der Geschäftsordnung und der Verfassung festgelegt. Es genügt nicht der Widerspruch eines einzelnen, es besteht auch weder die Notwendigkeit noch das Recht des Landtages zur Abstimmung, sondern wenn die Be stimmungen der Geschäftsordnung und der Verfassung Geltung haben, muß der Antrag heute behandelt werden. Ich kann wohl verstehen, daß die bürgerlichen Parteien aus politischen Schwierigkeiten heraus dagegen sind, weil das neue Kabinett vielleicht dadurch ins Wanken gerät. (Beifall b. d. Komm.) Präsident: Ich verweise auch auf den Brauch (Sehr richtig! rechts.); in früheren Zeiten ist es immer so gewesen, daß der Mißtrauensantrag auf die Tagesord nung der nächsten Sitzung, die vom Landtag als nächste Sitzung beschlossen wird, gesetzt worden ist. Ich lasse aber, da kein Widerspruch erfolgt (Abg. Schmidt ist auf gestanden.), über den Antrag Renner abstimmen, daß der Landtag entscheidet, ob der Antrag heute auf die Tagesordnung gesetzt wird. — Ich stelle als Präsident fest, daß der Antrag angenommen ist. Abg vr. Eckardt (Dnat. — zur Geschäftsordnung): Wir haben diesen Fall vielleicht schon ein dutzendmal erlebt, daß ein Mißtrauensantrag eingebracht worden ist vor einer Sitzung und daß er dann stets in voll ständiger Übereinstimmung des Hauses auf die nächste Tagesordnung, d. h. auf die nächste Tagesordnung, die verkündet wurde, gesetzt worden ist. (Großer Lärm links.) Präsident: Ich bitte, etwas Ruhe zu bewahren. Die Abstimmung ist über diesen Punkt erledigt. Ich erkläre, daß der Antrag des Herrn Abg. Renner mit 49 gegen 46 Stimmen angenommen ist. Abg. vr. Eckardt (Dnat. — zur Geschäftsordnung): Wenn die Tagesordnung einer Sitzung einmal ver kündet ist, so »st eS nach der Geschäftsordnung nicht rnäglich, andere Gegenstände aufzunehmen. ES hat sonst die Negierung dann das Recht, der Änderung der Tagesordnung zu widersprechen, und es genügt eine Stimme im Plenum dagegen, um die Aufnahme eines weiteren Punktes unmöglich zu machen. (Zurufe b. d. SPD.: Hat sich ja erledigt, hätten Sie doch vor der Ab stimmunggesprochen!—Abg. vr. Blüher: Ist ja geschehen!) Ich habe schon oft gefragt: Will das Haus entsprechend beschließen — wenn dann zehn Mann aufgestanden sind, dann war die Sache abgelehnt. So ist es auch in diesem Fall; dadurch, daß mindestens einer auf gestanden ist, ist der Antrag abgelehnt. Präsident: Ich verweise darauf, daß im § 49 der Geschäftsordnung steht: Außerhalb der Tagesordnung können 1. Anträge über die geschäftliche Behandlung von Vorlagen, Anträgen und Berichten, sowie 2. Anträge gegen die vom Präsidenten festgesetzte Tagesordnung zur sofortigen Beratung und Abstimmung gebracht werden. (Sehr richtig! links.) Ich glaube in dieser Nr. 2 des 8 49 ist diese Abstimmung enthalten, die wir jetzt eben vorgenommen haben. (Lebhafte Rufe b. d. Soz.: Sehr wahr!) Abg. Schmidt (D. Vp. — zur Geschäftsordnung): Es ist von mir Einspruch dagegen erhoben worden, daß dieser Antrag auf die Tagesordnung kommt. Ich bin der Meinung, die Abstimmnng, die erfolgte, hat meinen Einspruch übersehen. (Sehr richtig! rechts.) Es hätte gar keine Abstimmung erfolgen dürfen, weil ich Ein spruch erhoben habe. (Zustimmung rechts — Lebhafter Widerspruch links.) Präsident: Ich muß auch auf § 48 Abs. 2 verweisen, der sagt: Der Präsident bestimmt Zeit und Tagesordnung der nächsten Sitzung. Erhebt sich gegen die Tages ordnung Widerspruch, so entscheidet der Landtag (Sehr richtig! links.) Abg.Dieckmann (D.Vp.—zur Geschäftsordnung): Der Herr Landtagspräsident hat ausdrücklich in seinen ersten Ausführungen dem Herrn Abg. Renner gegenüber fest- gestellt, daß die Behandlung des Mißtrauensvotums ein Abweichen von der Tagesordnung und damit ein Abweichen von der Geschäftsordnung sei. Nach § 77 der Geschäftsordnung ist das unzulässig. Es ist nur zulässig, wenn kein Abgeordneter widerspricht. (Wider- spruch links.) In dem Augenblick, wo der Herr Land tagspräsident die Abstimmung zulasscn wollte, stand der Herr Abg. Schmidt. Damit ist der Widerspruch erfolgt, und die Abstimmung über den Antrag war überhaupt nach der Geschäftsordnung unzulässig. (Zu rufe links.) Präsident: In Zweifelsfragen entscheidet doch der Landtag. (Lebhafte Zustimmung links.) Abg. Renner (Komm.—zur Geschäftsordnung): Wir haben immer Musterbeispiele. Bei der Abstimmung deS Landtags über die Wahl des Ministerpräsidenten be stand dieselbe Zweifelsfrage (Sehr richtig! b. d. Komm ), und dort entschied die Mehrheit, daß die Wahl angeblich gültig sei. Heute soll auf einmal das, was in der vorigen Woche recht und billig, geschüftsordnungsmäßig und verfassungsmäßig war, falsch sein. (Sehr gut! b. d. Komm.) Bei Zweifclsfällen entscheidet eben die Mehr heit des Landtags. Der Antrag muß infolgedessen be handelt werden. (Lebhafte Zustimmung links.) Ich kann sehr wohl verstehen, daß die jetzt zustande ge kommene Mehrheit, die faktisch schon ein Mißtrauens- Votum gegen dieses Kabinett ist (Lebhaftes Sehr richtig! links.), der Rechten unbequem ist. Man möchte natürlich gern noch einige Tage Zeit zum Handeln, zu.n Schieben, zum Restaurieren haben. Aber die Mehrheit des Land tags, die sicherlich auch von der Ungesetzmäßigkeit dieser Wahl überzeugt ist, will das nicht, die Mehrheit hat entschieden, und der Präsident hat gar keinen anderen Ausweg mehr, als den Mißtrauensantrag als zweiten Punkt der Tagesordnung zu behandeln. (Lebhaftes Sehr richtig! links.) Es bleibt nichts weiter übrig, als daß der Herr Präsident jetzt den Herrn Ministerpräsidenten seine Erklärung abgeben läßt und daß dann hoffentlich der Landtag diesen Ministerpräsidenten nach Hause schickt. (Lebhaftes Sehr richtig! links.) Abg. vr. Eckardt (Dnat. — zur Geschäftsordnung): Mit dieser Auslegung können Sie zu jeder Zeit auf jede Tagesordnung noch irgendeinen Punkt setzen, der nicht vorgesehen ist (Sehr richtig! links ), wenn ein ein facher Landtagsbeschluß genügt, um das zu tun. Das ist durch § 48,3 vollständig ausgeschlossen, es dürfen nur Gegenstände verhandelt werden, die geschäftsordnungs- mäßia auf die Tagesordnung gesetzt sind. (Zurufe links.) Die Tagesordnung wird verkündet in der vorhergehen den Sitzung, und damit ist die Tagesordnung festgesetzt und kann nicht mehr geändert werden, und der Punkt der Verfassung sagt nur, daß in dem Augenblick, wo eine neue Tagesordnung verkündet wird, und es liegt ein Mißtrauensantrag vor, dieser dann auch auf diese Tagesordnung gesetzt werden muß. Aber für die jetzige Abstimmung war überhaupt kein Raum, e- genügte em Widerspruch. Abg. Schmidt (D. Bp. — zur Geschäftsordnung): Ich glaube, die Schwierigkeiten sind so groß, daß sie hier nicht überbrückt werden können. (Widerspruch links.) Ich beantrage deshalb Vertagung um eine halbe Stunde und Einberufung des Ältestenausschusses. (Lachen lmkS.) Präsident: Der Herr Abg. Schmidt beantragt, die Sitzung zu unterbrechen. (Widerspruch links.) Der An trag ist gestellt. Aber ich glaube, daß wir diesem An trag gar nicht erst stattgeben können, nach zeugung wird die Aussprache im Altestenausschuß auch nichts anderes ergeben. Ich würde doch bitten, in die Tagesordnung einzutreten und die Verhandlungen zu beginnen. (Widerspruch rechts.) Ich lasse abstimmen über den Antrag, die Sitzung eine halbe Stunde zu unterbrechen. — Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung, Regierungserklärung. Ministerpräsidentvr. Bünger (mit lebhaften Zurufen b. d. Soz. u. Komm, empfangen. — Präsident Weckel : Ich bitte um Ruhe für den Herrn Ministerpräsidenten!): Auf Grund des Art. 26 der Sächsischen Verfassung habe ich folgende Herren zu Ministern ernannt oder wiederernannt: . „ zum Wirtschaftsminister und zu meinem Stellvertreter Herrn Minister vr. Krug v. Nidda und v. Falkenstein (Lebhafte Zurufe b. d. Soz. u. Komm.), zum Finanzminister Herrn Minister Weber, zum Justizminister Herrn Oberlandesgerichtspräsidenten vr. Mannsfeld, zum Minister des Innern Herrn KreishauptmannRrchter. Das Volksbildungsministerium werde ich selbst weiter führen. . Die Entschließung über die Besetzung des Arbeits und Wohlfahrtsmimsteriums muß ich mir noch Vor behalten, da die nach dieser Richtung von mir gepflogenen Verhandlungen schließlich nicht zu einem Erfolg geführt haben. Sämtliche Minister haben der Reichs- und Landesverfassung Treue gelobt. , , Tis Nechtsgültigkeit meiner Wahl ist von einigen Seilen angefochten, worden (Zuruf b. d. Soz.: Mit Recht!), nach meiner Auffassung mit Unrecht. Ich muß es denen, die die Wahl nicht für rechtsgültig halten, überlassen, die Entscheidung des Staatsgerichts- hofS auf Grund des Art. 19 der Reichsverfassung an- zurufen. (Zuruf b. d. Soz.: Derselbe Unsinn, den er vor her verzapft hat!) Bei der Kabinettsbildung habe ich dadurch, daß ich die Wetterführung des Polksbildungsministeriums über nahm, die Zahl der amtierenden Minister um einen verringert. Selbst das wäre mir nicht gelungen, wenn ich die Ministerien nach rein parteipolitischen Gesichts punkten, nach der Parteilonstellation, hätte besetzen wollen. Tie Schwierigkeiten, die in dieser Beziehung bei der Vielgestaltigkeit der Parteien schon an sich vor handen waren, wurden durch auseinanderstrebende Personalwünsche besonderer Art noch vermehrt. Schon das allein führte mich zu dem Entschluß, die Einigung der Parteien auf der Grundlage eines Kabinetts zu versuchen, das eine geringere parteipolitische Gebundenheit aufweist und die fachliche Eignung als einzigen Maßstab für die Auswahl seiner Mitglieder mehr in die Erscheinung treten läßt als die früheren Kabinette. (Zuruf b. d. Soz.: Was bedeutet daS: „mehr"?) Wenn hierbei eine Reihe von Parteien einen Sitz im Gesamtministerium nicht erhielten, so nahm ich an, daß sie die Unmöglichkeit, auf rein parteipolitischer Grund lage zu einer alle befriedigenden Lösung zu kommen, erkennen und mit mir der Ausfassung sein würden, daß auch ohne ihre unmittelbare Beteiligung an der Re gierung ein Kabinett von Männern, die sür die Belange aller Parteien Verständnis haben (Lachen b. d. Soz. u. Komm.), die Regierung auch zu ihrer Zufriedenheit führen könne. (Zurufe b. d. Soz. u. Komm.) Meine Damen und Herren! Sie können glauben, daß das unsere Absicht ist. Auf Grund solcher Erwägungen habe ich das poli tisch am meisten umstrittene Ministerium, nämlich das Ministerium des Innern, mit einem außerhalb der Parteivorschläge stehenden Fachmann besetzt, der all gemein als ein besonders hervorragender Verwaltungs beamter gilt. Was das Jnstizministerium angeht, so schien cs mir geboten, gerade dieses aus der Parteipolitik und dem Streit der Meinungen völlig herauszuheben. (Lachen and Zurufe b. d. Komm.) Ich habe daher geglaubt, auch dieses Ministerium einem vom Parteipolitischen völlig losgetrennten Fachmann übertragen zu sollen. (Bravo! rechts.) Als solchen ist cs mir gelungen, den höchsten Richter des Landes Sachsen zu gewinnen (Bravo! b. d. D. Vp ), der insbesondere durch seine her vorragende Mitarbeit im Neichsrat und im Strafrechts- ausschuß des Reichstages weit über die Grenzen de- Landes hinaus einen Namen hat. Die umfassende Kenntnis dieser beiden neuen Fach minister auf ihren künftigen Tätigkeitsgebieten gewähr- leistet eine sofortige Wiederaufnahme und eine un gestörte Weiterführung der Arbeit in ihren Ressorts. Derselbe Gedanke möglichster Aufrechterhaltung einer ruhigen und stetigen Weiterarbeit war für mich mit- bestimmend, die übrigen Minister in ihren Sintern zu belassen. Wenn hiernach die neugebildete Regierung, äußerlich gesehen, von der früheren auch abweicht, so werden die Richtlinien ihrer Politik in der Hauptsache doch dieselbe«