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1929. Fortsetzung zur Landtagsbeilage Nr. 6. Abg. Fritzsche lDnat.): In der Drucksache Nr. 85 liegen dem Hause zwei Anträge vor, die den Woh nungsbau betreffen, ein ursprünglich kommunistischer, der nach der Ablehnung im Au-schusse hier als Minder- heit-antrag wieder auftaucht, der 50 Mill. RM., und ein MehrheitSantrag, sozialdemokratischen Ursprungs, der 30 Mill. RM. für Wohnungsbauzwecke bereit- gestellt wissen will. Dio Deutschnationale Fraktion wird beide Anträge ablehnen, aber aus Gründen sehr verschiedener Art. Der kommunistische Antrag, der 50 Mill. RM. zum Bau von Arbeiterwohnungen bereit gestellt wissen will, ist nichts anderes al» ein Agitations antrag. (Widerspruch b. d. Komm.) über ihn ist nicht lange zu reden. Anders liegt eS bei dem sozialdemokratischen An trag, der 30 Mill. RM. fordert, aber diese Forde rung auch so formuliert, daß er die Art der Ber- Wendung und die Bedingungen, unter denen die Gelder zur Verfügung gestellt werden sollen, genau umretßt. Wenn wir dem Antrag nich zustimmen können, so ge- schieht es nicht deshalb, we l wir uns der Notwendig keit. der Wohnungsnot nach allen Kräften zu steuern, verschließen, sondern die Gründe für unsere Ablehnung sind im wesentlichen darin zu suchen, daß der Zeitpunkt für diese Forderung ein ganz unmöglicher ist. (Abg. Renner: Wann ist denn oer Zeitpunkt gekommen?) Wenn es möglich wäre, wirklich 30 Mill. RM. vom Staate zu borgen, um sie als Baudarlehen hinzugeben, so würde das immerhin bedeuten, daß zu den Bedingungen unter II b der Drucksache Nr. 25 eine dauernde Ausgabe des Staates von etwa 2 Mill. RM. entstehen müßte, denn wenn der Staat heute überhaupt Geld geborgt bekäme, so bekommt er es nicht unter 10 bis 11 Proz., und der Staat, d. h. die Allgemeinheit müßte die Differenz tragen zwischen dem geringen Zinsertrag der Bau- dariehen aus der Aufwertungssteuer und dem hohen Zinssätze, den er für dieses Darlehen geben muß. Wir sind der Meinung, daß in einer Zeit, wo im Etat Abstriche gemacht werden müssen, die uns noch sehr lebhaft beschäftigen werden, eS unmöglich ist, gleichzeitig den Etat aufs neue mit 2 Mill. RM. dauernden Aus gaben zu belasten. Wir sind auch der Meinung, daß die 30 Mill. RM. heute überhaupt nicht aufgebracht werden können. Ich für meinen Teil weiß heute noch nicht, woher der Herr Finanzminister das Defizit des ordentlichen Etats decken will. Ich weiß heute noch nicht, wo der Herr Finanzminister die Anleihe für den außerordentlichen Etat hernehmen will. Wenn wir hier die Kleinigkeit von 30 Mill. NM. noch auf den Markt werfen wollten, kein Mensch würde heute bereit und in der Lage sein, dem sächsischen Staate diese 30 Mill. NM. zu borgen, denn wir haben auf dem Kreditmärkte einen sehr großen Konkurrenten, der uns gegenüber bevorzugt ist, einen Konkurrenten mit außerordentlich großen Löchern in den Taschen, und der heißt Deutsches Reich, und so würde ich es verstehen können, wenn dieser Antrag eingebracht wäre zu einer Zeit, wo der Geldmarkt flüssig und die Finanzlage des Staates so ist, daß wir an eine solche Anleihe zu WohnungS- banzwecken denken könnten. Wir müssen den Antrag ablehnen, weil wir die Überzeugung haben, daß er nicht durchgeführt werden kann: die Regierung würde dem Landtag in ein paar Monaten erklären müssen: wir haben eS versucht und haben das Geld nicht bekommen. Ich darf aber eins hinzufügen. Wenn man von Wohnungsnot bei uns in Sachsen spricht und der Meinung ist, daß das ein schwarzes Kapitel in unserem heutigen Zusammenleben darstellt, so darf man doch nicht vergessen, daß Sachsen im Wohnungsbau Vorbild- lich für alle übrigen Staaten gewesen ist und das Wohnungsbauprogramm von jährlich 25000 Wohnungen im letzten Jahre fast restlos bis auf eine Kleinigkeit erfüllt hat. Ich glaube nicht, daß man dem Ansehen des Landtages dient, wenn man hier Anträge stellt, die zur leeren Agitation werden sollen, wie der kommu nistische, und zur leeren Agitation werden müssen wie der sozialdemokratische. Trotz unserer Ablehnung liegt uns die Beseitigung der Wohnungsnot ebenso am Herzen wie jeder anderen Fraktion. Abg. Huhn (D.Bp.): Wenn man das Problem der Arbeitslosenversicherung so behandelt, wie es hier ge schieht, dann wird diese Arbeitslosenversicherung nicht leben können, dann wird sie ihr Geburtsjahr nicht über leben. Ich habe mich gefreut, mit welchem Ernst und mit welchem Wissen Herr Kollege Arndt an die Sache herangegangen ist; so muß man solche Sachen an fangen. W e es aber die Herren Kommunisten machen und wie leider auch Herr Abg. Geiser ausgeglitten ist, so läßt sich die Frage nicht regeln. Ich bin einer vom Bau, ich habe die deutsche Sozialgesetzgebung mit auf gebaut aus der ersten Stunde heraus, erst als Arbeit nehmer und dann als Arbeitgeber. Ich bin mit in den Vorständen der großen Krankenkassenverbände, die ich zum Teil mit gegründet habe; ich habe selbst viele Ein richtungen mit geschaffen, ich verstehe die Sache besser, wie Sie von der jungen Generation (Lachen b.d. Komm.), die keine Ahnung haben, wie Sozialversicherungen auf gebaut werden. Wenn hier so gegen die Arbeitgeber schaft gewettert wird, glauben Sie denn, daß die deutsche Sozialgesetzgebung ohne die deutsche Nrbeitgeberschaft je hätte aufgebaut werden können und sich einen Ruf hätte erwerben können, der mustergiltig rn der ganzen Welt dasteht? Das wäre unmöglich gewesen, und bis heute, auch bei diesen finsteren politischen Zeiten, ar beiten z. B. in meiner Krankenversicherung Arbeitgeber und Arbeitnehmer treu und brav zusammen, für politische Auseinandersetzungen haben wir keine Zeit gehabt, weil wir immer den festen Willen gehabt haben, ziemlich 40 Jahre lang, der deutschen Arbeiter schaft zu helfen; wenn man das tun will, dann gibt es keine Zeit zu politischen Auseinandersetzungen. Die deutsche Arbeitgeberschaft weiß ganz genau, daß wir in diesen Zeiten ohne eine Erwerbslosenversicherung nicht auskommen können, und Ihr Geschrei gegen die deutsche Arbeitgeberschast und das sogenannte kapitali stische System, von dem Sie selbst nicht wissen, was Sie damit meinen (Lachen und Zurufe b. d. Komm.), ist Unsinn; arbeiten Sie lieber einmal mit am Aufbau der Arbeitslosenversicherung. ES wird hier gesagt, Preußen hätte 80000 Polizeibeamte zu unterhalten. Sorgen Sie dafür, daß Ihre Leute in Preußen recht artig sind (Lachen b. d. Komm ), dann kommen Sie mit 10000 Mann aus, dann ist das Problem wunderschön zu lösen. Die Sache ist sehr ernst. Die Arbeitslosenversicherung st tatsächlich pleite, eS muß einem ei-kalt den Buckel herunterlaufen, wenn man denkt, wa» nächsten Winter werden soll. Denken Sie einmal ernstlich daran; die Summen, die das Reich hingegeben hat, können einmal gegeben werden, ein zweites Mal nicht wieder, und dann ist die Erwerbslosenversicherung nicht nur pleite, sondern tot; und deswegen ist es höchste Zeit, daß mit allem Ernste daran gegangen wird, diese Arbeitslosen versicherung zu retten. Noch ist es Zeit. Das geschieht aber nicht damit, daß man unsinnige Anträge stellt, daß man glaubt, immer mehr verlangen zu können, sondern damit, daß man Anträge stellen muß, wo unsere Leute im Reich sich danach richten können, Anträge, die Inhalt haben, nämlich Inhalt zur Besserung der ErwerbSlosenunterstützung. Wir wollen uns nichts vormachen: die Ansprüche, die an diese Erwerbslosenversicherung gestellt worden sind, sind eben zum Teil von Leuten gestellt worden, die garnicht das Recht dazu hatten, Erwerbslosenversicherung zu beziehen. Und wenn vorhin die Saisonarbeiter er wähnt wurden, so stehe ich auf dem Standpunkt, daß die Saisonarbeiter auch eine Erwerbslosenversicherung haben müssen, aber eine, die sich selbst trägt. Wie kommt denn der Bergarbeiter dazu, der tief unter der Erde für wenig Lohn, für den halben Lohn wie ein Saisonarbeiter schuften muß, Beiträge für solche zu leisten, die doppelt soviel als er verdienen und auch noch recht gut leben können! Dazu müßte Ihnen die deutsche Arbeiterschaft zu gut sein. Genau so, wie man in den anderen Versicherungen geschieden hat und verschiedene Klassen hat, genau so muß eS bei der Er werbslosenversicherung auch eingeteilt werden in Gruppen, sonst können wir nicht vorwärtskommen. Damit ist die Aussprache geschlossen. Nach den Schlußworten der Abgg. Mildenstrey (Komm.) und Arndt (Soz.) wird in die Abstimmung eingetreten. Es werden sämtliche Minderheitsanträge gegen die Stimmen der Kommunisten und der Mehr heitsanirag Drucksache Rr. 22, lld, 2 mit 46:46 Stimmen abgelehnt. Die übrigen Mehrheitsanträge werden angenommen; damit ist der Antrag vr. Eckardt zu Drucksache Rr. 23, III abgelehnt. Die nächste Sitzung findet Donnerstag, den 4. Juli, statt. Abg. Renner (Komm.) hält die Verschiebung der Landtagstagung bis -um 4. Juli nicht für angebracht und beantragt, die nächste Sitzung am 27. Juni, dH. am kommenden Donnerstag stattsinden zu lassen. Dieser Antrag wird jedoch abgelehnt. (Schluß der Sitzung 17 Uhr 8 Min.)