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LMKilW M AWm ÄNtzeitW Nr. 6. zu Nr. 146 des Hauptblattes. 1929. Beauftragt mit der Herausgabe RegierungSrat vrauße in Dresden. Landtagsverhandlungen. 4. Sitzung. Dienstag, den 25. Juni 1V2S. Präsident Weckel eröffnet die Sitzung 13 Uhr 7 Min. Am Regierungstisch Regierungsvertreter. Schriftführer Abg. Günther bringt zunächst ein Schreiben des Ministerpräsidenten über den Erlaß einer Verordnung zur Änderung des Gesetzes über die Zwangsvollstreckung wegen Geldleistungen in Ver waltungssachen zur Verlesung. Abg. Renner (Komm.) ersucht, auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung noch einen von der Kommu- nistischen Fraktion eingebrachten Antrag zu nehmen, der die Verhaftung des Geigers Soermus in Hohen- stein-Ernstthal betrifft. Soermus ist in der breitesten Öffentlichkeit als ein Künstler von sehr hohem Können bekannt, der keineswegs mit feiner Kunst politischen Mißbrauch treibt, sondern gerade für die notleidenden Kinder außerordentlich viel getan hat. (Lebhaftes Sehr richtig! b. d. Komm.) Der Antrag Renner wird von der Rechten abgelehnt. Hierauf wird in die Tagesordnung eingetreten. Punkt 1: Wahl des Ministerpräsidenten (Art. 5 und 26 der Verfassung). Abg.vr. Blüher (D. Vp): Wir schlagen als Minister präsidenten Herrn Abg. vr. Bünger vor. Abg. Renner (Komm.): Ich habe heute zu Punkt 1 keine besonderen Erklärungen abzugeben. Wir ver bleiben bei unserer Haltung. Ich möchte nur die sehr interessante Feststellung machen, daß die Gewerkschaften unler Führung des Herrn Abg. Arndt noch immer in heißem Bemühen das Rennen um den Ministersitz mitmachen, um in die Koalition hineinzukommen. Unterstreichen muß man weiter die andere Tatsache, daß die Sozialdemokraten schon wieder einmal sehr schnell noch weiter auf die Seite der rechten Neak- tionäre hinübergefallen sind (Lachen b. d. Soz), als es ihren großen Tönen noch vor ein paar Tagen ent sprochen hat. Dann muß man die dritte Feststellung machen, daß die Herren Nationalsozialisten sich eben falls aus heulenden Wölfen gegen den Kapitalismus schon zu sehr zahmen Schoßhündchen des Kapitalismus hier entwickelt haben. Hierauf wird gewählt. Präsident: Es sind 96 Stimmzettel abgegeben worden. Die Wahl ist also gültig. (Verlesung der Stimmzettel.) Das Ergebnis der Wahl ist folgendes: Es haben Stimmen erhalten: Abg. Minister vr. Bünger 44, Neichstagsabgeordneter Fleißner 33, Minister Vr. Apelt 5 und Abg. Ministerpräsident Heldt 2. Ferner sind 12 weiße Stimmzettel abgegeben worden. Das Präsidium ist sich im unklaren, wer nun ge wählt ist. (Zurufe links: Niemand!) Ich bitte, die Sitzung bis z uhr zu unterbrechen, damit der Altestenausschuß und der Vorstand die Sachlage be raten kann. (Pause.) Nach Wiederaufnahme der Sitzung läßt der Präsi dent darüber abstimmen, wer von den Mitgliedern des Landtags der Meinung ist, daß Herr Minister und Abg. vr. Bünger, der bei Abgabe von 96 Stimmzetteln 44 Stimmen erhalten hat — bei 12 weißen von 96 Stimmzetteln —, gewählt ist und die Mehrheit der Stimmen erhalten hat. Das Ergebnis dieser Abstimmung ist, daß 49 Stimmen dafür, 47, und zwar die der SPD., KPD. und der Abgg. Heldt (ASP.) und vr. v. Fumetti (BrP.), da. gegen sind. Abg. vr. Bünger ist somit als Minister präsident gewählt. (Bravo! rechts.) Punkt 1 der Tagesordnung ist damit erledigt. In Erledigung von Punkt 2 der Tagesordnung er folgt die Vereidigung des Ministerpräsidenten gemäß Art. 29 der Verfassung, nachdem Abg. vr. Bünger die Wahl angenommen und denen, die ihn gewählt haben, für das bewiesene Vertrauen gedankt hat. (Abg. Edel: Da müssen Sie sich bei den Kommunisten bedanken, Herr vr. Bünger!) Punkt 3 der Tagesordnung: Wahlprüfungen. (Mündlicher Bericht des PrüfungsauSschnsseS, Druck sache Nr. 34). Berichterstatter Abg. Schleinitz (Soz.) legt dar, daß in iedem der 3 Wahlkreise je ein Einspruch erhoben worden sei, die aber für die Ergebnisse der Wahlen in allen 3 Wahlkreisen belanglos seien, und beantragt: 1. die Wahlen im 1. Wahlkreis für gültig zu er klären; 2. die Eingabe des Ernst Voigt in Meißen auf sich beruhen zu lassen; 3. die Wahlen im 2. Wahlkreis für gültig zu er klären: 4. die Wahlen im 3. Wahlkreis für gültig zu er klären; 5. die Befchwerde des Polizeibeamten a. D. Paul Guido Noack in Hohenstein-Ernstthal auf sich be ruhen zu lassen. Mitberichterstatter Mbrich (DVp) schließt sich diesen Anträgen an. Der Antrag wird einstimmig angenommen. Die Punkte 4, 5, 6 und 7: 4. Beratung über den Antrag des Abg. Arudt u. Gen. auf Einsetzung eines 15gliedrigen Unter- suchungsausschusses zur Untersuchung der Ber- hättnisse in den sächsischen Gefängnissen und Für- sorgeerziehungsanstalten. (Drucksache Nr. 14.) 5. Beratung über den Antrag des Abg. Arndt u. Gen. auf Einsetzung eines außerordentlichen Aus schusses von 15 Mitgliedern für die Behandlung der BesoldungS- und Beamtenfragen. (Druck- fache Nr. 15.) 6. Wahl deS BüchereiausschusseS. 7. Wahlen und Vorschläge von Ausschuß-, Beirats-, Aufsichtsrats- usw. Mitgliedern werden von der Tagesordnung abgesetzt, da die Vor schläge für diese Wahlen mangelhaft eingegangen sind. Die Wahlen sollen in der nächsten Sitzung endgültig vorgenommen werden. Die Punkte 8, 9 und 10 werden in der Beratung verbunden: 8. Beratung über die Anträge des Abg. Renuer u. Gen.: u) Drucksache Nr. 6 — gegeu ungerechtfertigte In- anspruchnahme der Arbeitslosenversichernng, b) Drucksache Nr. 7 — gegen das von der NcichS- rcgierung angckündigte Sosort-Programm zur Reform der Arbeitslosenversicherung. (Münd licher Bericht des Haushaltausschusses v, Druck sache Nr. 22). 9. Beratung über deu Antrag des Abg. Renner u. Gen —Drucksache Nr. 8 — auf ««befristeteVerlängerung der Kriscnfürsorge. (Mündlicher Bericht des HauS- haltansschusses L, Drucksache Nr. 21). 1«. Beratung über den Antrag des Abg. Renner u. Gen. — Drucksache Nr. 9 —, Maßnahmen znr Be- Hebung der Arbeitslosigkeit betreffend. (Mündliche Berichte der Haushaltausschüsse und It, Drucksache Nr. 25 «nd 23). Der Antrag Nr. 6 lautet: Der Landtag wolle deshalb beschließen: Die Regierung wird beauftragt, bei der Reichs- regierung gegen die vom Präsidenten der Reichs anstalt für Erwerbslosenversicherung und Arbeits- Vermittlung an die Landesarbeitsämter und Arbeits- ämter erlassenen Verordnung über Maßnahmen gegen (sogenannte) ungerechtfertigte Inanspruchnahme der Arbeitslosenversicherung (Beilage zum Reichsarbeits markt-Anzeiger Nr. 19 vom 7. Mai 1929) Protest zu erheben und die Zurückziehung dieser Verordnung zu fordern. Der Antrag Nr. 7 lautet: Laut Pressemeldungen ist ein sogenanntes Sofort- Programm durch das Reichsarbeitsministerium ange kündigt, in dem weitere große Verschlechterungen in der Erwerbslosenvesicherrung geplant sind. Der Landtag wolle deshalb beschließen: die Regierung zu beauftragen, beim Reiche gegen das von der Reichsregierung angekündigte Sofort- Programm zur „Reform" der Arbeitslosenver- sicherung Protest zu erheben und die Vertreter Sachsens im Reichsrat anzuweisen, gegen die Gesamtheit der geplanten Verschlechterungen der Arbeitslosenversorgung Stellung zu nehmen. Der Antrag Nr. 22 zu 6 und 7 lautet: (Die Minderheitsanträge sind durch > besonder» bezeichnet.) Der Landtag wolle beschließen: I. a) » den Antrag Drucksache Nr. 6 anzunehmen; Mildenstrey. b) den Antrag Drucksache Nr. 6 abzulehnen; II. a) » den Antrag Drucksache Nr. 7 anzunehmen; Mildenstrey. b) den Antrag Drucksache Nr. 7 in folgender Fassung anzunebmen: „die Negierung zu ersuchen: 1. bei der Reichsregierung und im ReichSrat darauf hinzuwirken, daß der Versichertenkreis und die Unterstützungsleistungeu in der Arbeits losenversicherung nicht eingeschränkt, jedoch alle zur Sanierung der Reichsanstalt für Arbeits vermittlung und Arbeitslosenversicherung sonst notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen un verzüglich beschlossen werden; 2. bei der Reichsregierung vorstellig zu werden, daß im Rahmen der Reformmaßnahmen deS Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversiche rung für geeignete Berufe (Landwirtfchaft, An gestellte) berufliche Erfatzkassen zugelassen werden." Der Antrag Nr. 8 lautet: Die schlechte Arbeitsmarktlage hat es mit sich gebracht, daß ein großer Teil erwerbsloser Arbeiter bereits seit Monaten keine Arbeit bekommt und immer größere Massen Arbeiter von der Erwerbslosenver sicherung ausgesteuert und der Krisenfürsorge zugeführt werden. Ein Teil der Arbeitslosen ist von vornherein von der Krisenfürsorge ausgeschlossen und die jetzige Krisenfürsorge läuft Ende Juni ab. Dies bedeutet für alle Arbeiter bitterste Not und größtes Elend. Der Landtag wolle beschließen: die Regierung zu beauftragen, bei der Reichsregierung die unbefristete Verlängerung der Krifenfürsorge unterEinbeziehung aller Berufsgruppen undZahlung der Unterstützungsfätze in Höhe der Erwerbslosen unterstützung zu fordern. Ter Antrag Nr. 21 zu 8 lautet: (Die MinderhettSantrügc sind durch » besonders bezeichnet.) Der Landtag wolle beschließen: I. » den Antrag Drucksache Nr. 8 anzunehmen; Mildenstrey. II. den Antrag Drucksache Nr. 8 in folgender Fassung anzunehmen: „die Regierung zu ersuchen, bei der Reichs regierung die unbefristete Verlängerung der Krisensürsorge unter Einbeziehung aller Be rufsgruppen mit ungünstigem Arbeitsmarkt und Erleichterung der Bedürftigkeitsprüfung zu fordern." Der Antrag Nr. 9 lautet: In Anbetracht der noch immer sehr großen Er werbslosigkeit und der steigenden Zahl der aus gesteuerten Erwerbslosen ist dringend erforderlich, i« großzügiger Weife Arbeit zu beschaffen. Der Landtag wolle deshalb beschließen: die Regierung zu beauftragen, 1. alle von der Regierung geplanten Bauten sofort in Angriff zu nehmen, 2. mit dem Bau der geplanten Talsperre im Gott leuba- und Müglitztal sofort zu beginnen, 3. 50000000 RM. zum Bau von Arbeiterwohnungen bereitzustellen, 4. in den arbeitenden Industrien usw. Überstunden infolge der Erwerbslosigkeit zu verbieten. Gegen Überschreitungen des Achtstundentages von seilen der Unternehmer ist mit Freiheitsstrafevorzugehen. Zu Antrag Nr. 9 liegt der Antrag Nr. 23 des Haus haltausschusses L über die Ziff. 2 und 4 des Antrages Nr. 9 vor: (Die Minderheitsanträge sind durch > besonders bezeichnet.) Der Landtag wolle beschließen: I. ») » Zisf. 2 des Antrags Drucksache Nr. 9 anzu nehmen; Mildenstrey. b) Zisf. 2 des Antrags Drucksache Nr. 9 in folgender Fassung anzunehmen: „die Regierung zu er suchen, die Vorbereitungen zum Bau von Tal sperren im Gottleuba- und Müglitztal weiter zuführen"; II. ») » Zisf. 4 des Antrags Drucksache Nr. 9 anzu nehmen; Mildenstrey. b) Ziff. 4 des Antrags Drucksache Nr. 9 in folgender Fassung anzunehmen: „die Negierung zu er suchen, auf die Vermeidung von Überstunden hinzuwirken und Überschreitungen der gesetzlich zugelassenen Arbeitszeit mit allem Nachdruck zu bekämpfen"; III. die Eingabe Nr. 2 (Prüfungsausschuß) des Stadt rats zu Glashütte der Regierung zur Berücksichtigung zu überweisen. Ferner der Antrag Nr. 25 des Haushaltausschusses über die Ziff. 1 und 3 (Teilbericht): Der Landtag wolle beschließen: I. den Antrag Drucksache Nr. 9 a) unter Zisf. 1 als erledigt abzulehnen; b) unter Ziss. 3 abzulehnen; II. die Regierung zu ersuchen, ») zur weiteren Finanzierung des Wohnungs baues ein Wohnungsbaudarlehn in Höhe von 30 Mill. RM. zu beschasfen: b) den Gemeinden und Bezirksverbänden ist dieses Darlehn im vollen Umfang nach den Bedin gungen der Abgabe der Mietzinssteuermittel zur Verfügung zu stellen, die sie entsprechend den Richtlinien des Arbeits- und Wohlfahrts- Ministeriums über Baudarlehen aus der Auß- wertunassteuer zu verwenden haben.