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........ ) LMBnlU W AWm NMilW Nr. 237. zu Nr. 70 des Hauptblattes. 1929. Beauftragt mit der Herausgabe Regierungsrat Brauße in Dresden. Lan-tagsderhandluugen. (Fortsetzung der 113. Sitzung von Donnerstag, den 21. März 1929.) Punkt 4: vrste Beratung über den Antrag des Uhg. Kaiser u. Gen. betr. den Erwerb von Grund ,nd Boden durch die Gemeinden. (Drucksache Nr. 1131.) Ter Antrag Nr. 1131 lautet: Im Laufe der letzten Jahre hat der Erwerb von Grund und Boden durch die Gemeinden ständig zu- genommen. Die steuerliche Bevorzuguug dieses Grundbesitzes must sich mit dessen zunehmender Ver gröberung nicht allein auf die öffentlichen Finanzen, sondern auch auf die Besteuerung des privaten Haus- und Grundbesitzes sehr nachteilig auswirken. Wir beantragen daher: Der Landtag wolle beschließen: die Regierung zu ersuchen, eine Statistik vorzulegen, auS der ersichtlich ist: ») die Größe, b) der Wehrbeitragswert, v) die Erwerbsart (Ankauf oder Euteignung), 6) die Verwendung (Zweckbestimmung) des von den Gemeinden in den letzten zehn Jahren erworbenen Grundbesitzes. Abg. Hentschel (Wirtfch. — zur Begründung): Der von uuS eingebrachte Antrag Nr. 1131 beschäftigt sich mit einer wirtschaftspolitischen Erscheinung der Gegen wart, mit Erscheinungen besonders aus dem kommunal- politischen Leben. Diese Erscheinungen sind in den früheren Jahrzehnten nicht im entferntesten in dem Umfange vorhanden gewesen. Es ist ganz klar, daß der heute herrschende Zeitgeist ganz besonders stark auch in der Kommunalpolitik zum Ausdruck kommen muß, uud wenn wir die Gesetzgebung ansehen, die in den letzten 10 Jahren bezüglich der Bodenpolitik im Reiche und auch in unserem Lande Sachsen gemacht worden ist, so finden wir hier die beste Begründung für das ungeheure Anwachsen der Ankäufe von Grund und Boden durch die Gemeinden, und das ist letzten Endes die Urfache gewesen, wesheU) wir den Antrag angebracht haben. Einige Statistiken sind darüber vor handen, aber ich muß diese Statistiken als ungenügend bezeichnen. Jedenfalls geben die Verhältnisse, wie sie sich seit 1907 bis 1924 gestaltet haben und wie sie be sonders in dem Buche von dem Stadtbaurat Guth: »Der Wohnungsbau in Deutschland nach dem Welt kriege" gegenübergestellt worden sind, allerlei zu be denken. Ich will nur einmal eine Zahl aus Deutsch land herausgreifen, die geradezu frappierend ist. Berlin besaß im Jahre 1907 17900 b«. und besitzt jetzt über 55000 b». Ähnlich sind die Dinge in Sachsen ge laufen.- Aber die unmittelbaren Verglcichszahlen be sitzen wir leider nicht. Es tut sich hier nämlich wirtschaftspolitisch ein großer Gegensatz auf. Sie wissen, daß die ganze Zeit erfüllt ist mit großen Klagen, daß die Gemeinden kein Geld haben. Diesen Dingen muß man auch einmal näher auf den Grund kommen, und aus dieser Veranlassung heraus haben wir den Antrag auch mit gestellt, denn es zeigt sich, daß gerade die Bodenpolitik der Gemeinden finanztechnisch ein überaus teures Experiment darstellt. (Sehr richtig! b. d. Wirtsch.) Die Gemeinden sind durch das Bodensperrgesetz in Sachsen vom Jahre 1920 geradezu darauf hingewieseu worden, daß sie doch vom Vorkaufsrechte recht viel Gebrauch machen sollen. Wir haben vor einigen Wochen hier ja auch zu diesem Bodensperrgesetz einmal Stellung genommen, wenn auch nicht durch einen Antrag, und da habe ich auch vou dieser Stelle dargetan, daß seinerzeit diesem Gesetze eine ganz besondere politische Tendenz zu- gründe lag, daß man nämlich das Gesetz in Sachsen begründet hat damit, daß es erscheinen mußte, bevor noch im Reich die Sozialisierung des Grund und Bodens durchgeführt worden ist. Es wird also für den Politiker die Frage mit zu erörtern sein: Liegt vielleicht auch eine besondere Wirtschaftstendenz dieser großen Vermehrung des Grund und Bodens der Ge meinden zugrunde? Da brauchen wir uns weder mit den Sozialdemokraten noch mit den Kommunisten noch mit den Bodenreformern grundsätzlich auseinander- zusetzen, denn darüber sind wir uns voll und ganz klar. Das beweist ja jedes einzelne politische Pro- gramm, auch das kommunalpolitische Programm dieser Parteien, daß sie eben auf denr Standpunkte stehen, daß der Grund und Boden in die Hand der Allgemein heit hinübergeleitet werden muß. (Sehr wahr! b. d. Soz) Sie geben es ja ohne weiteres zu, selbstverständlich, das ist auch eine Notwendigkeit. Eines dieser Mittel ist eben, daß die Gemeinden die Grundstücke aufkaufen. (Abg. Lieberasch: Sie haben eine Ahnung!) Nun, soweit sind wir ja nicht gekommen, wie Sie eS wollten, daß Sie eS entschädigungslos enteigneten, wie in Rußland. Nun haben die Gemeinden natürlich einen außer- ordentlichen Geldbedarf für diese Dinge. Dann heißt es, da müssen wir die Steuern erhöhen. Da hat gerade die Bereinigung der sozialdemokratischen Amtshaupt leute und Bürgermeister sich in der letzten Zeit ganz besonder- hervorgetan. Sie hat sich offen dazu bereit erklärt, den Punkt einmal zn besprechen, der sie in ihrem Programm immer schon bewegt, nämlich, daß für die Grund- und Gewerbesteuer jegliche Zuschlaa-- höhe wegfällt und es ganz »ck libitum dem Parlament überlassen wird, vor allen Dingen denr linkseingestellten Parlament, den Mittelstand noch viel mehr auSzusaugcn. (Abg. Müller (Mittweida): Sie sehen aus, wie aussaugen I) Nun tut sich folgendes auf. Die Stadt Dresden z. B. hat den dritten Teil des Grund und Bodens aufgekauft. Dieser Teil zahlt für die Stadt keine Grundsteuer. Infolgedessen müssen die anderen den Bedarf an Grund steuern decken. Die Stadt Dresden hat durch ihre Bodenpolitik einen Ausfall von vielen Millionen an Grundsteuern, und da läßt es sich wohl begreifen, wenn Herr Bürgermeister vr. Bührer sagt, wir brauchen keine Grenze für die Grundsteuern, sondern diese Grenze muß weg. Sie müsse» immer mehr Geld aus denr noch in der Privatwirtschaft befindlichen Besitz heraussaugen, damit Sie eben Ihr Programm, immer urehr Grund stücke zu erwerben, durchführen können. Bei den anderen Steuern aber sieht es nicht viel besser aus. Bei dem Erwerb eines Gruudstückes ist eine Grunderwerbsteuer zu zahle«, uud zur Grunderwerb steuer ist daun ein Zuschlag von 2 bis 4 Proz. zu er hebe«. Wett« ma« aber de« Zuschlag erheben soll von einem Kauf, wo Sie selbst Käufer sind, werden Sie es eben nicht bezahlen. Auch hier haben wir wieder einen Steucrausfall. Noch viel schlimmer sieht es bei der Wertzuwachssteuer aus. Bei der Wertzuwachösteuer liegen die Dinge so. Die Wertzuwachssteuer, die ur sprünglich erhoben worden ist, um die Grundstücke billiger zu machen, hat dazu geführt, die Grundstücke außerordentlich zu verteueru. (Sehr richtig! rechts.) Heute wird jeder Haudel so getätigt, daß den Zuschlag zur Wertzuwachssteuer der Käufer zu zahlen hat, uud das Reich hat diesen Zuschlag den Gemeinden in liebenswürdiger Weise zur Verfüguug gestellt. Wir wissen auch, daß die Gemeinden an dieser Steuer außerordentlich stark interessiert sind, nämlich dann, wenn sie selbst Käufer siud. WaS macheu sie dann? Tann erklären sie sich sofort bereit, diese Wert zuwachssteuer, die eigentlich der Verkäufer zahle« müßte, z« übernehme«, sie brauche« sie ja selbst nicht zu bezahle». Sie trete» durchaus in unlauteren Wett bewerb zur Privatwirtschaft, da sie Steuergesetze dadurch »n,gehen, daß sie den Teil, der ihnen zufällt, ohne weiteres auf sich übernehmen und sich dainit im Kaufe besser stelle» als der Private. Auch der Gemeindekammer darf mau bei dieser Gelegenheit sage», daß sie, wenn sie i» ihre» Ent- scheidlmgc» regelmäßig 150 Proz. als Zuschlag diktiert, sich danu auch einmal die Ausgabeuwirtschaft der Ge- meindeu etwas genauer anseheu müßte. Danu möchte ich »och einen anderen Mangel dieser Wirtschaft keunzeichncn. Ich habe eine ganze Anzahl von Beispielen, aus denen hervorgeht, daß dadurch, daß die Gemeinden den Grund und Boden zum größten Teil besitzen, der Verkauf des Grund und Bodens an den Käufer nach politischen Gesichtspunkten vor sich geht, und daß man bestimmten Kreise» über- Haupt keme Grundstücke gewährt. (Zuruf: Aue!) In Alle haben wir ein Beispiel aus der Poststraße. Dort wollte der Erzgebirgische Volkssreund ein Grundstück für 80000 M. kaufen, er wollte cs bar bezahlen; unsere Linksmehrheit hat aber gesagt: das »lachen wir auf keinen Fall, wir lassen das Grundstück weiter liegen, wenn die Einnahmen der Gemeinde nicht langen, haben wir ja Gelegenheit, die Steuern anders wo zu erheben. Ich möchte »och ganz kurz auf den Inhalt unseres Antrages eingeheu. Ich glaube nicht, daß irgendeine Partei in diesem Hause sein wird, die dem Anträge nicht zustimmen könnte, denn Sie haben ja auch cm großes Interesse daran, wie weit sich Ihre Theorien bis jetzt praktisch durchgesetzt habeu. (Zurufe b.d.Komm.) Sie haben ein Interesse daran, aus diese» Erfahrungen bestimmte Schlüsse zu ziehen, und wir haben das auch. Jedenfalls glaube ich, daß die^Regierung da allen Par- teien gut diene» kann. Wir wollen den Wchrbeitrag kennen lernen, die Erwerbsart und auch die Zweckbe stimmung der Grundstücke. Es stellt sich doch heraus, daß viele Grundstücke, die von den Gemeinden erworben worden sind, öde daliegen und der Wirtschaftlichkeit nicht mehr zugeführt werden. Wir haben Beispiele davon, daß Großstädte Rittergüter erworben haben, die jetzt zu ungeheuren Zuschußbetrieben geworden sind. Das sind Dinge, über die jedes Kind Aufschluß erteilen kann. Wir würden, um die Erhebung auf einen bestimmten Umfang zu beschränken, Vorschlägen, daß etwa bis zu einer Einwohnerzahl von 3000 heruntergegangen wird. Ich bitte, diesen Antrag dem Rechtsausschuß zu überweisen. (Beifall b. d. Wirtsch.) Es wird in die Aussprache eingetreten. Abg. Wilde (Soz): Der Antrag Nr. 1131 hat ja bereits seine Vorgänger gehabt. Man sieht, daß plan mäßig vorgegangen wird, um deu Grundsatz, den die bürgerlichen Parteien von jeher vertreten haben und auch in Zukunft vertreten werden, durchzuführen: Hände weg vom Privatbesitz, Hände weg von dem Monopol, seine lieben Mitmenschen auSnützen zu dürfen, dieses Monopol muß gesichert werden! Der Begründer des Antrags sagt: es ist eigentümlich, daß die Gemeinden angeblich kein Geld haben und doch so viel Grundstücke kaufen. Ja, durch das Ankäufen der Grundstücke treibt man eben eine Sparsamkeitspolitik, denn die Gemeinden, die sich eben nicht rechtzeitig m,t Grund und Boden versorgt haben, sind dem Grundstücks wucher ausgeliefert (Sehr richtig! links); und deshalb komme» sie weit teurer weg, wenu sie die Grundstücke dann erst kaufen müssen. (Abg. Enterlein: Dazu muß man aber erst das Geld haben!) Aber man spart Geld, wenn man die Grundstücke eher kauft. Gerade die Ge meinden wie Zittau und Annabcrg, die über außer ordentlich großen Grundstückbesitz verfügen, sind weit besser über die Finanzkrise hinweggekommen als die Gemeinden, die es früher versäumt haben, eine gesunde Bodenvorratswirtschaft zu treiben. Ich muß daun sagen, daß wenigstens Herr Kollege Hentschel heute »och etwas ehrlicher war als damals Herr Kollege Voigt, als er die damalige Anfrage be gründete. Herr Abg. Voigt hat damals ausdrücklich er klärt: Wir bekämpfe» den Gruttdstückswucher, wir wollen nicht, daß die Gemeinden dem Grundstückswucher aus geliefert sind. Herr Abg. Hentschel hat aber heute ganz osfeu und ehrlich gesagt: Wir wünschen, daß die Ge meinden nicht so viel Grund und Boden erwerben, um denr privaten Grundbesitzer das Grundstück als Speku lationsobjekt zu überlasse». Da»» wird darüber geklagt, daß die Gemeinden für ihre Grundstücke keine Grundsteuer zahle«. Ja, wenn Grundsteuer gezahlt würde, dann würde damit eine weitere Lücke im Haushalt entstehe». Die Gemeinden wären damit verpflrchtet, durch andere Mittel diese Lücke auszufüven; und da kommen dieselben Herren und sagen: Ja, wir werden aber erdrückt von den Steuer lasten, es geht nicht, daß neue Steuern eingeführt werde». (Zuruf rechts: Die Lücke ist aber da!) Be- zcichttend ist außerdem, daß sich der Herr Vorredner noch über die Wertzuwachssteuer kritisch ausgesprochen hat. ES gibt keine gerechtere Steuer als die Wertzuwachs steuer, weil nur der unverdiente Wertzuwachs besteuert wird. Derjenige, der ein Grundstück mit großem Gewinn verkauft, hat die Pflicht, eine» Teil dieses Raubes an die öffentliche Hand zu geben. Es wird ja nur der un verdiente Wertzuwachs besteuert. Herr Abg. Hentschel meint aber, diese Wertzuwachssteuer zahlt ja nicht der Verkäufer, der den Gewinn hat, sondern der Käufer zahlt ihu, schlägt ihn also gewissermaßen auf den Ver kaufspreis drauf. Tas ist sehr bezeichnend. Wir sind mit dem Anträge einverstanden. Ich glaube, wen» die Gemeinde« diese ungeheure Arbeit, die damit verbunden ist, geliefert haben werden, werden wir zeigen können, welche Gemeinden eine gesunde Vodenvorratswirtschaft getrieben haben, und welche diese Pflicht versäumt habe». Auch wir sind interessiert a» diesem Material. Wir werden natürlich in den Gemeinden, wo diese Pflicht versäumt worden ist, ttttsere Vertreter aufforderu, dafür zu sorgen, daß das Versäumte »och nachgeholt wird. Insoweit wird dieses Material auch uns von großem Nutzen sein. Sollte im Ausschuß die Beratung den Erfolg haben, daß die Negierung eine Gesetzesvorlage einbringt, die im Sinn dieser Antragsteller wirkt, dann können Sie versichert sein, daß Sie an uns die schärfsten Gegner gegen eine solche Vorlage haben werden. Abg. Lieberasch (Oppos. Komm): Herr Hentschel hat hier als Vertreter einer Partei gesprochen, die an geblich die Interessen des Mittelstandes vertreten will. Aber wenn man die Tendenz und den Inhalt des An trages sieht, dann muß man schon sagen, das ist eine Interessenvertretung für die Grundstücksspekulanten, nichts anderes. Der Mittelstand wird doch nicht durch die sogenannten Sozialisicrnngsbestrebungeu vernichtet, wie Sie cs darzustellen belieben, sondern der Mittel stand wird durch die Konzentration zum Großkapital vernichtet. (Sehr richtig! b. d. Oppos. Komm.) Gegenüber dieser Entwicklung des Privatkapitals, gegenüber dieser ungeheuren Zusammenballung der Herrschaft weniger gegen die gesamten Massen der Werktätigen verlangen wir die Herrschaft derjenigen, die wirklich produktive Arbeit leiste». Das liegt auch im Interesse des Mittelstandes. Eine Politik aber, wie sie hier der Kollege Hentschel vertritt, gibt den Grund stücksspekulanten die Möglichkeit, die Notlage dieser Mittelstandsexistenzen, wenn sie ihren Zahlungs- verpslichtungen nicht niehr Nachkommen können, aus zunutzen, und zu eiuem Schundpreis das Letzte noch abzunehmen, während die Gemeinden immerhin noch den Wert zahlen, der als Marktwert angesproche» werden kann. (Sehr richtig! b. d. Oppos. Komm.) Sie arbeiten nicht nur auf der einen Seite durch eine gute Bodenvorratspolitik den Grundstücksspekulanten bei dem Hinauftreiben der Grund- und Bodenpreise und der damit verbundenen Mietpreissteigerung überhaupt ent gegen, sondern sie aibeiten auch auf der anderen Seite dem weiteren Streben der Grundstückspekulanten, die jenigen, die ihren Besitz verkaufen müssen, zu be» trügen, entgegen. Die Frage, die Herr Abg. Hentschel aufrollt: die Gemeinde» zahlen keine Steuern usw.,daS ist doch immer ein Versteckspiel. Das sind doch die Herrschaften hier im Hause, die dauernd ihren Finanzminister belagern: wann bekommen wir ein neues Steuergeschenk (Sehr richtig! b. d. Oppos. Komm ) aus der Tasche der andern, die die Steuern zahlen, sie selber zahlen ja keine. (Lachen b. d. Wirtsch.) Wenn die hier sagen: die Gemeinden zahlen keine Steuern, so ist das lediglich Spiegelfechterei, um ihre eigene Steuerdrückebergerer damit zu ver decken. (Abg. vr. Wilhelm: Reden Sie doch nicht fo kolossalen Unsinn!)