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«SS ÄckWlÄU W AWa ANiUitiiiz Nr. 224» zu Nr. 46 des Hauptblattes. 1929. Beauftragt mit der Herausgabe Regierung-rat Brauße in Dresden. Landtagsverhandlungen. (Aortfe-ung der 107. Sitzung von Donnerstag, den 21. Februar 1S2S.) Abg. Lippe (D. BP. — Fortsetzung): Wenn weiter über die Preise gesprochen worden ist, so hat schon der Herr Wirtschaftsminister darauf hin- gewiesen, daß die Landabsatzpreise etwas höher liegen al- die Preise des Bahnversandes, eine durchaus berechtigte Forderung, weil eine ganze Menge anderer Bedingungen vorliegen, die diese Erhöhung der Preise als berechtigt erscheinen lassen. Es sind heute zu einem hohen Prozent satz die Brennstoffmengen, die den Städten Chemnitz, Dresden und Leipzig zugeführt werden, solche, die auf dem Landwege über kilometerlange Wege herangeführt werden, die also zunächst einmal, was das Brennstoff material selbst anlangt, etwas teurer sind, als wenn sie im Eisenbahuverjand vom Werke abgerollt würden, und weiter ist zu bedenken, daß die Transporkosten wesentlich höher sind, als wenn die Brennstoffe auf der Eisenbahn- achie anrollten. Daß dann natürlich die Preise in der Großstadt für den Verbraucher anziehen müssen und daß diese Mehrkosten irgendwie im Preise Ausdruck finden müssen, ist doch ein Naturgesetz, das Sie nicht umfloßen können und das immer in Geltung bleiben wird. Eine ganz andere Frage ist es, ob in dem oder jenem einzelnen Fall die Preise übersteigert worden sind, so daß man von Wucher reden kann. (Sehr richtig! rechts.) Niemals werden wir und haben wir dem Wucher das Wort geredet, und wir sind gern bereit, mit Ihne»» gegen solche Fälle in aller Öffentlichkeit und mit allen Kräften Stellung zu nehmen. (Sehr richtig! rechts.) Wenn hier ausgeführt worden ist, es sei eine selbst verständliche soziale Pflicht der Arzte, die Kälte oder das Wetter möge sein, wie sie wolle, ihrem Berufe nach zugehen, so müssen wir auf der änderet! Seite auch verlangen, daß jeder, der körperlich dazu in der Lage ist, dieser Kohlennot zu steuern, an seinem Teile bereit ist, wenn er erwerbslos ist, dieser Not steuern zu helfen, indem er seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt. Ein Fall ist mir bekannt, daß Erwerbslose sich bereitgefunden hatten, ein ganz geringer Prozent- fatz von den zugewiesenen Arbeitskräften, die Arbeit zu übernehmen, sie wußten, daß sie nach den Tarif verträgen an der Arbeitsstätte zu arbeiten haben, stellten aber eine Lohnforderung von 1,15 M. je Stunde und erklärten sich unter dieser Bedingung bereit, die Ber- ladearbeit zu übernehmen. Sie machten es also durch ihre Lohnforderung, die nicht erfüllt werden konnte, von vornherein unmöglich, sie zu beschäftigen. Es wird gesagt werden, diese Lohnforderung könne ohne weiteres bewilligt werden. Wenn wir rein privatwirtschaftlich heute in der Braunkohlenproduktion eingestellt wären, dann müßten wir erklären: wir denken gar nicht daran, diese Produktion aufrechtzuerhalten, denn die Kohlen- mengen, die heute gefördert werden, die Briketts, die zu stande kommen, kosten weientlich mehr, als was wir er lösen können, denn die ungeheuren Schwierigkeiten, die be dingt sind zum größten Teile durch die starke Maschini sierung unserer Betriebe, sind gar nicht aufzuwiegen durch den Erlös, den wir erzielen können. Das geschieht nicht, weil wir uns eben bewußt sind, daß wir auch soziale Pflichten zu erfüllen haben und uns der Allgemeinheit gegenüber nicht auf den Standpunkt stellen können: Solange ich nicht den entsprechenden Gewinn aus meiner Arbeit ziehe, arbeite ich nicht. Das tun wir nicht, und ich richte an Sie die Bitte und die Forde rung: Wirken Sie auf Ihre erwerbslosen Kameraden ein, daß sie, soweit sie körperlich in der Lage sind, diese Not lindern helfen, indem sie uns für die Ver ladung unserer Stapel die entsprechenden Arbeits kräfte liefern. Abg. Siewert (Oppos. Komm.): Was Herr Abg. Fritzsche hier behauptet hat, ist die übliche Einstellung in den rechtesten Kreisen der Bourgeoisie: Die Arbeiter sind nur zu faul zum arbeiten! Er hat das zwar nicht in dieser brutalen Form ausgesprochen, aber er sagte doch, die Arbeitslosen könnten doch Arbeit sinken. Warum melden sie sich nicht? Warum stellen ste ihre Arbeitskräfte nicht zur Verfügung? Nun, die Sache ist ganz einfach. Die Arbeitslosen sind bereit, jeden Tag in Arbeit zu treten. Sie verzichten auf die Bettel pfennige der Unterstützung, aber sie wollen Arbeit an dem Orte, wo sie leben, oder sie wollen Arbeit, wenn sie von dem Orte, wo sie leben, weggehen, unter Be- dingungen, die eS ihnen ermöglichen, ihre Familie zu ernähren. Da diese Bedingungen nicht gewährt werden, sehen sich viele Arbeitslose außerstande, Arbeits angebote nach auswärts anzunehmen. Herr Abg. Lippe hat mir gesagt, man müsse auf die Arbeitslosen einwirken, daß sie die Arbeit in den Kohlen gruben annehmen, soweit sie körperlich dazu in der Lage sind. Sehr richtig! Nehmen wir aber einmal einen Arbeitslosen, der 20 oder mehr Wochen arbeitslos war, der schon die Krisenfürsorge bezieht, der ein bis zwei Jahre arbeitslos ist. Ist dieser Arbeitslose körperlich noch in der Lage, die schwere Arbeit eines Kohlen- arbeiterS bei 30 Grad Kälte zu verrichten? Ich sage Nein! DaS ist er nicht, noch dazu, wenn man in Be tracht zieht, daß ihm die notwendige Kleidung, das not wendige Schuhzeug fehlt. Hinzu kommt, daß diesen Arbeitslosen 80 Pf, 85 Pf. für die Stunde angeboten werden. (Hört, Hört! b. d. Oppos. Komm.) Er hat hier seine Familie und bekommt dafür zwar eine kleine Zu- satzunterstützung, aber bei weitem ist doch der Lohn nicht so, daß er den Arbeitslosen anspornt, diese Arbeit wirk lich anzunehmen. Wenn der Arbeiter dadurch, daß er nach auswärts gehen muß, um Arbeit zu bekommen, in die Lage versetzt wird, höhere Ausgaben zu machen, muß man diese höheren Ausgaben durch einen höheren Lohn ausgleichen. Nur unter diesen Umständen ist es möglich, die Arbeitslosen zu bewegen, daß sie Arbeit annehmen. Das ist eine ganz verständliche und vernünftige Tatsache, die jeder Mensch, der die Arbeiterschaft und die Lage der Arbeitslosen kennt, ohne weiteres unter schreiben muß. Aber das Entscheidende ist ja nicht, daß wir eine Kohlenknappheit haben, und der Streit dreht sich nicht um die Frage, was an dieser Kohlenknappheit schuld ist. Das Entscheidende ist vielmehr, daß diese Knapp heit auf dem Kohlenmarkte von gewissen Schichten sofort ausgenutzt wird, um Überprofite zu machen. (Sehr richtig! b. d. Oppos. Komm.) Das ist doch eine Tatsache, die man nicht bestreiten kann, und wir sagen, in dieser Notlage muß jeder Versuch, die Notlage aus zunutzen, mit drakonischen Strafen belegt werden. (Sehr richtig! b. d. Oppos. Komm ) Wir sind der Meinung, daß die Vorschläge, die von den Sozialdemokraten gemacht worden sind, ein Palliativmittel sind. Man kann dadurch etwas er reichen, unter der Voraussetzung, daß in den Kohlen lagern wirklich Kohlen vorhanden sind. Wir glauben auch, daß die Vorschläge, die Kollege Siegel gemacht hat, geeignet sind, die Not etwas abzustellen. Aber ich bin der Meinung, hier zeigt sich, wie not wendig es ist, daß bei einem solchen Produkt wie der Kohle die Verfügung über dieses Produkt dem Privat kapital entzogen wird. (Sehr wahr! b. d. Oppos. Komm.) Hier zeigt sich, daß die Forderung, die wir im Anfang der Revolution als Spartakisten aufgestellt haben, Ent eignung der Kohlengruben, eine unbedingte Notwendig keit ist, wenn wir in der Lage sein wollen, die Ver sorgung des Marktes mit Kohle sicherzustellen. Man muß gerade bei dieser Gelegenheit darauf Hinweisen, wie dringend notwendig es ist, daß wir dazu über- gehen, die Arbeiter mobil zu machen für die Enteignung der Rohstofflager, der Kohlengruben, die eine gewisse Voraussetzung sind für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft. Herr Lippe hat den Mut gehabt, hier festzuklellen, daß es sich um ein Naturgesetz handelt, wenn die Preis kurve mit jeder Auslage, die der Kapitalist hat, in die Höhe geht. Das stimmt nicht. Es ist kein Naturgesetz, so wenig die kapitalistische Gesellschaft von Natur ent standen ist. Wir wissen, daß sie einmal nicht war, und wir sind überzeugt, das; sie einmal nicht mehr sein wird. (Sehr richtig! b. d. Oppos. Komm.) Auf diese Über zeugung stützt sich gerade unsere Arbeit und die Arbeit in den Massen, die darauf hinausläust, eine Gesellschaft zu schaffen, in der wir uns nicht mehr als Klassen gcgen- überstehen und nicht mehr als Feinde bekämpfen (Zuruf rechts: Sondern lauter Engel sind!), sondern als eine Gesellschaft mit vereinten Kräften dafür sorgen, daß alle Not und alles Elend von allen Volkskreisen abgehalten wird. (Bravo! b. d. Oppos. Komm.) Abg. Wirth (Altsoz.): Was den Wucher anlangt, so hat es keinen Zweck, darüber noch ein Wort zu verlieren. Ich nehme nicht an, daß jemand hier im Hause ist, der den Wucher begünstigen wollte. Wenn wir aber heute über die Kohlenverhältnisse hier reden, so spielen doch eine ganze Reihe Faktoren mit. Ich denke in erster Linie daran, daß doch der größte Teil der Arbeiter in der Stadt, und nicht nur Arbeiter, sondern auch andere Leute, gar nicht in der Lage find, selbst wenn sie die Mittel dazu hätten, sich im Sommer so viel Kohlen an zuschaffen, wie sie im Winter benötigen, weil sie einfach den Raum dazu nicht haben. (Sehr richtig!) Für alle diese ist der Kohlenhändler derjenige, der ihnen die Kohlen für den Winter hinlegen muß. Wer aber die Dinge hier scharf beobachtet hat, wird wissen, daß wir heute einen großen Teil von Kohlenhändlern haben, die leider nicht über das Betriebskapital ver fügen, sich genügend viel Kohlen hinzulegeu, die sie eventuell im Winter verkaujen könnten. Wir dürfen doch nicht vergessen, daß durch die Kälte, die wir in diesem Jahre haben, mindestens ein Mehrverbrauch von 100 Proz. entstanden ist, daß also noch einmal so viel Kohlen verbraucht worden sind, wie tm vergangenen Winter und unter normalen Verhältnissen. Wenn wir das in Betracht ziehen, so ist natürlich eine derartige Katastrophe unangenehm. In welcher Weise ist nun eine Abhilfe möglich? Hier muß meines Erachtens die Frage geprüft werden, ob vielleicht die Gemeinden oder der Staat in der Lage sind, Kohlenvorräte in die Nähe der Großstädte zu legen, um sie dann an den Handel oder an die Verbraucher direkt auszuliefern, oder in welcher Weise das sonst geschieht. Vielleicht ist im Ausschuß Gelegenheit, über diese Dinge näher zu reden. Wenn dort ein Weg gesunden würde und wir dort etwas Praktisches heraus brächten, dann wäre schließlich die heutige Aussprache nicht umsonst gewesen. Nach einer persönlichen Bemerkung des Abg. Siegel (Komm), in der er sich gegen die Ausführungen des Abg. Lieberasch (Oppos. Komm) wendet, wird der An trag Rr. 1118 dem HanStzaltanSschnß 8 überwiese«. Punkt 4: Erste veratuug über den Antrag de» Abg. Nenner «. Sten, wegen Änderung von Bestim mungen de» Strafgesetzbuchs, Gleichstellung der un ehelichen Kinder mit den ehelichen, Ausdehnung de» Arbeitsschutzgesetze» auf die Landarbeiterinnen nnd anderes. (Drucksache Rr. 1104.) Der Antrag Nr. 1104 lautet: Der Landtag wolle beschließen: die Negierung zu beauftragen, bei der Neichsregierung dahin vorstellig zu wer den, daß 1. im neuen Strafgesetzbuch die 88 218 und 219 (neu 88 253 bis 256 und 301 bis 303) beseitigt werden; 2. eine Gleichstellung der unehelichen Kinder mit den ehelichen herbeigeführt wird; 3. das Nrbeitsschutzgesetz auf die Landarbeiterinnen und alle kaufmännischen Angestellten aus gedehnt, die Kinderarbeit verboten wird, Schwangere 3 Monate vor und 2 Monate nach der Niederkunft von der Erwcrbsarbeit befreit werden, der Lohn in voller Höhe er- setzt, das Kündigungsverbot von der Fest stellung der Schwangerschaft bis 12 Monate nach der Niederkunft festgesetzt wird; 4. eine Neuregelung der Krankenversicherung herbeigeführt wird, insbesondere auch dahin gehend, daß ärztliche Hilfe und Krankenhaushilfe zur Unterbrechung der Schwangerschaft sowie die Verabfolgung von Mitteln zur Verhütung der Schwangerschaft als Pflichtleistung gewährt, das Wochengeld auf die Höhe des tatsächlichen Arbeitsverdienstes, mindestens auf 3 RM. täglich, erhöht, das Stillgeld auf 1 RM. täglich für die Dauer von 9 Monaten, die einmalige Bei hilfe 'ürEntbindung auf WORM, erhöht werden; 8. 1. für Sachsen sofort ein Gesetz über die Amnestie aller Vergehen oder Verbrechen gegen die 88 218 und 219 sowie in Verbindung damit gegen den 8 45 des Strafgesetzbuches vorzulcgen; 2. bis dahin sofort alle schwebenden Verfahren einzustellen; 3. an die Gemeinden eine Anweisung zu erlassen, daß diese in ausreichendem Maße Beratungs stellen über die Fragen des Geschlechtsleben» einrichten. Die Beratung hat unter der Mit wirkung von Ärzten und Fürsorgerinnen zu er folgen. Durch die Beratungsstellen sind un entgeltlich oder zu ermäßigten Preisen Mittel zur Empfängnisverhütung zur Verfügung zu stellen. Zur Überwachung der Beratungsstellen sind in den Gemeinden Ausschüsse aus den sozial politischen proletarischen Organisationen zu bilden; 4. Bei allen Krankenhäusern sofort Entbindungs heime einzurichten, in denen den Schwangeren ärztliche und sürsorgerische Hilfe gewährt wird. Wo Krankenhäuser nicht bestehen, ist diese Auf gabe den Beratungsstellen zuzuweisen. Weiter ist die Einrichtung von Wohnheimen für Mutter und Kind sofort in Angriff zu nehmen, ebenso die Errichtung von Kinder heimen usw.; 5. kinderreiche Familien von der Mietzinssteuer zu befreien. Bei der Zuweisung von Woh nungen sind diese vorzugsweise zu berücksichtigen. Im Falle der Verweigerung des Einzugs durch den Vermieter hat die Zwangseinquartiernng zu erfolgen; 6. solange die unter ^V4 aufgestellten Forderungen durch Änderung des Reichsgesetzes nicht erfüllt werden, die notwendigen Maßnahmen durch die Gemeinden durchzuführen; 7. aus Landesmitteln die notwendigen Beträge zur Verfügung zu stellen und im Etat einzu- stelleu. Abg. Scheffler (Komm. — zur Begründung): Dem Reichstag sind in letzter Zeit verschiedene Gesetzentwürfe zugegangen, die unseres Erachtens die breite Öffentlich keit stark interessieren, Gesetzentwürfe, wie z. B. der kommunistische über den Schutz, für Mutter und Kinh dann der Gesetzentwurf über das Arbeitsschutzgesetz. Darüber hinaus ist bei verschiedenen proletarischen Organisationen, bei Frauenorganisationen usw. eine leb hafte Kampagne zur Änderung verschiedener Gesetze und zur Besserung verschiedener Gesetzesvorlagen be gonnen worden. Wir wollen durch unseren Antrag die Frauenbewegung unterstützen, die gegenwärtig mit be sonderem Nachdruck für die Aufhebung des § 218 und 8 219 des Strafgesetzbuchs kämpft. Wir wollen damit die außenparlamentarischen Kämpfe der Arbeiterinnen unterstützen, da bei den Verletzungen der 88 218 und des 219 des Strafgesetzbuchs nur Arbeiterfrauen in Frage kommen. (Sehr wahr! links.) Weil das so ist, daß die besitzende Klasse die Abtreibung und die Verhütungs mittel für sich als Privileg in Anspruch nimmt, haben wir als proletarische Klasse alle Ursache, vom bürger lichen Staat zu verlangen, daß die §8 218 und 219 be seitigt werden. Dann fordern wir unter Zif. 2 die Gleichstellung der unehelichen Kinder mit den ehelichen. Im Entwurf über da» Arbeitsschutzgesetz ist natürlich auch von diesem Gebiete kurz die Rede, aber man kann nicht finden, daß