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vor AMMv W AWe» ÄmtzkitW Nr. 228. SU Nr. 55 des Hauptblattes. 1929. Beauftragt mit der Herausgabe RegierungSrat Brauße in Dresden. Landtagsverhandlungen. LV«. Sitzung. Dienstag, den 5. März 1S2». Stellv. Präsident vr. Eckardt eröffnet die Sitzung um 13 Uhr 4 Minuten. Am Regierungstisch die Minister vr. Bünger und vr. v. Fumetti sowie Regierungsvertreter. Vor Eintritt in die Tagesordnung wird auf Ersuchen des Herrn Ministerpräsidenten der Tit. 10 des Kap. 43, Förderung des Luftfahrwesens, dem Haushalt' ausschuß L überwiesen, nicht dem Haushaltausschuß an den er verwiesen worden war. Weiter wird der Antrag Drucksache Nr. 1008, Ar beitszeit bei den Verkehrszählungen auf den Staatsstraßen betr., dem HauShaltausschuß über wiesen. Zur Tagesordnung wird beschlossen, die Punkte S. Zweite Beratung über den Antrag des Abg Siegert u. Gen. — Drucksache Nr. 141 — auf Umgestal tung des TteuerrechtS der öffentlich-rechtlichen Reli- gionSgesellschaften. (Mündlicher Bericht des Rechts- auSschusfes, Drucksache Nr. 864.) 3. Zweite Beratung über den Antrag der Abg. Ara» Bültmann u. Gen. — Drucksache Nr. 140 — wegen Umgestaltung des Kirchenaustrittsgesetzes. (Mündlicher Bericht des RechtSanSschusseS, Drucksache Nr. 865.) ohne weiteres an den Rechtsausschuß zurückzuverweisen, damit sie in Zusammenhang mit der Vorlage Nr. 74 erledigt werden. Hierauf wird in die Tagesordnung eingetrelen. Punkt 1: Kurze Anfrage deS Abg. Börner u. Gen. über die Beschimpfungen der Religionsgcsellschaften durch die kommunistische Presse. (Drucksache Nr. 1050.) Die kurze Anfrage Nr. 1050 lautet: Die Beschimpfungen der Religionsgesellschaften durch die kommunistische Presse nehmen rmmer mehr zu. Die „Sächsische Arbeiterzeitung" zeichnet sich hier bei besonders aus. In dem Aufsatz der Nr. 204 vom 18. Dezember 1928 „Der liebe Gott im Krankenhaus" heißt es unter anderem: „Großer Lärm in den sonst ruhigen Räumen des heiligen Georgs. In den schallgedämpften Gängen schleppen Arbeiter das Harmonium nach den Sälen der Krankenstationen. Betten werden von einem in den anderen Saal gefahren. Schwestern in üblichen Trachten fragen die Kranken, ob sie des Abendmahls bedürftig sind. „Nee," sagt ein älterer Arbeiter, der nicht in der Lage ist, sich zu erheben, „nee, Schwester, aber den Schieber können Sie mir mal geben, ich muß mal austreten"; ein ironisches Lächeln beherrscht sein Gesicht. Er weiß bestimmt, daß ein guter Stuhlgang bedeutend mehr wert ist als die gepriesene Seelenreinigung der Kirche. Von 72 Patienten zweier Säle sinken sich ganze acht, die sich bereit erklären, einen Schluck Wein zu trinken und ein Mohnplättchen zu Pickern. Nachdem ein Choral durch den Blasebalg gejagt worden war, begann die Predigt. Nachdem gab es für die weißen Schäfchen das Abendmahlpicknick usw. usw." Da die Reichsverfassung in ihrem Art. 135 allen Bewohnern volle Glaubens- und Gewissensfreiheit und die ungestörte Religionsübung gewährleistet und unter staatlichen Schutz stellt, fragen wir die Staats regierung, ob sie derartige Verunglimpfungen dulden und welche Maßnahmen sie ergreifen will, um den notwendigen Schutz zu gewähren. Ministerialrat vr. Zimmermann: Meine Damen und Herren! Auf die „Kurze Anfrage" Nr. 1050 ist folgendes zu antworten: Den Rcligionsgesellschasten wird der notwendige Schutz (Zuruf b. d. Komm.: Viel zuviel Schutz!) gegen Verunglimpfungen bereits jetzt durch die Vorschriften des RStGBs., insbesondere durch § 166 gewährt. Der artige Verunglimpfungen müssen daher zunächst zur Kenntnis der Staatsanwaltschaft gebracht werden, die zu prüfen hat, ob Anlaß zu einem strafrechtlichen Vor gehen gegen den Täter gegeben ist. Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgerichte Leipzig hat nach einer vom Ev.-luth. Landeskonsistorium mit- geteilten Auskunft des Generalstaatsanwalts wegen des Aufsatzes der „Sächsischen Arbeiterzeitung" vom 18. De zember 1928 „Der liebe Gott im Krankenhaus" (Lachen b. d. Komm.) bereits ein Ermittlungsverfahren wegen Vergehens nach §166 RStGBs. eingelötet. (Hört, hört! links.) Für die Regierung erübrigen sich bei dieser Sach- undRechtslage imvorliegendenFalleweitereMaßnahmen. Im übrigen wird das Ministerium innerhalb seines Aufgabenbereichs stets bemüht sein, die Glaubensfreiheit und die ungestörte ReligionSübung im Sinne von Art. 135 der ReichSveriassung zu schützen. Die Punkte 4 bis 6 werden in der Aussprache verbunden. Punkt 4: Erste Beratung der Borlage Nr. 73, den Entwurf eines Gesetzes über die vorläufige Ab lösung von Staatsleistungen an die Evangelisch, lutherische Landeskirche im Freistaats Sachsen und an die Römisch-katholische Kirche (Vistnm Meißen) betr. Punkt 6: Erste Beratung der Vorlage Nr. 74, den Entwurf eines Gesetzes über die öffentlich-recht- lichen Religionsgesellschaften betr. Der Inhalt der Vorlagen ist bereits im Hauptblatt der „Staatszeitung" Nr. 16 wiedergegeben, im übrigen geht er aus der folgenden Einführungsrede des Herrn Volksbildungsministers hervor. Bollsbilduugsminister vr. Bünger: Meine Damen und Herren! Einige Worte zur Einführung der beiden Vorlagen Nr. 73 und 74. So verschieden die Vorlagen inhaltlich sind, so haben sie doch, wie Sie gesehen haben, das gleiche Ziel, nämlich das Ziel, die materiellen und immateriellen Belange von Staat und Kirche soweit und so klar, wie das nach dem jetzigen Stande der Reichsgesetzgebung möglich ist, voneinander zu trennen. Ich brauche nicht hervorzuheben, daß das sowohl im Interesse des Staates wie auch im Interesse der Kirche liegt, die hierdurch eine größere Bewegungsfreiheit und eine bessere Mög lichkeit erlangt, eine gesunde Entwicklung zu verfolgen, und daß es auch wesentlich zur Befriedigung und Be ruhigung der Bevölkerung beitragen kann. Das gilt insbesondere von dem Fragenkomplex, der in der Vorlage Nr. 73 niedergelegt worden ist. Tie Verträge mit den beiden großen Kirchen, die in dieser Vorlage vorbereitet werden sollen, oder vielmehr der Genehmigung des Landtags unterbreitet werden sollen, führen insofern eine Änderung des bisherigen Ncchts- zustandeS herbei, als den Staatsleistungen an die Kirche eine neue Form gegeben wird, die Form einer Rente, und als weiterhin die Höhe dieser Staatsleistung nunmehr festgelegt wird. Wird das einmal geschehen sein, so darf man hoffen, daß die vielen Differenzen, die bisher im Landtage über diese Fragen obgeivaltct haben und die sehr häufig zur Anrufung von Gerichten geführt haben, dann ihr Ende erreicht haben werden. Das wäre zu begrüßen, denn diese Streitigkeiten, meine ich, dienen weder dem Ansehen des Staates noch anch der Würde der Kirche. Natürlich erforderte die Herbeiführung dieser Eini gung zwischen Staat und Religionsgesellschaften sehr langwierige Arbeiten. Sie wissen, daß die Verhand lungen ungefähr 4 Jahre gedauert haben. Sie waren besonders schwierig, sie sind aber überall mit größter Gründlichkeit nicht nur, sondern auch mit dem Be streben geführt worden, zu einem Ausgleich zu kommen, und man möchte wünschen lind hoffen, daß der Land tag dieses ernste Bestreben, daß man zu einem Aus gleich kommt, weiter verfolgen möge. Die Verhand lungen waren deshalb besonders schwierig, weil man überall auf weit zurückliegende historische Grundlagen und verwickelte Rechtslagen zurückgehen mußte. Sie waren aber in gewissem Maße dadurch erleichtert, daß seitens berufenster Instanzen über einzelne Fragen schon Urteile, Schiedssprüche und Gutachten heraus gegeben bzw. erlassen worden sind, die wenigstens in den Punkten, über die sie ergingen, eine einigermaßen sichere Grundlage, einen einigermaßen festen Boden geschaffen haben. Und ich glaube, dieser Boden ist immerhin so gesichert, daß man auch für die Zukunft annehmen kann, er werde weiter für die Auseinander setzung zwischen Kirche und Staat als fest zu gelten haben. Da die Verhandlungen nur einen Ersatz darstellen sollten für eine gesetzliche Regelung, die ja bekannt lich zurzeit nicht möglich ist, so konnten sie von vorn herein grundsätzlich nicht darauf abgestellt werden, daß etwa ein Vergleich zustande kam, bei dem jeder etwas nachgibt, sondern sie mußten immer an der gesetzlichen Grundlage festhalten, und der Staat mußte sie so sühren, daß die Kirche dasjenige bekam, und nur dasjenige, was sie nach Recht und Gesetz tatsächlich beanspruchen kann. Wenn Sie die Verträge studieren, so werden Sie zu der Er- kenntnis kommen, daß an dieser Grundlage der Staat über all festgehalten hat, mit einer gewissen Ausnahme, die ich nachher noch erwähnen werde. Es wird nun Haupt aufgabe der Attsschußverhandlungen sein, gerade in diesem Punkte die notwendigen Erläuterungen zu geben. Leider sind in der Öffentlichkeit über das Gesetz bereits unrichtige Meldungen verbreitet worden. So ist sogar einmal behauptet worden, daß die 4 Millionen, die im 8 2 Abs. 3 des Gesetzes verzeichnet sind, eine ganz neue Einstellung und eine Mehrleistung an die Kirche wären. Das ist natürlich ganz falsch. Es handelt sich hier um denselben Betrag, der schon immer eingestellt gewesen ist bei Kap. 16 des Etat-, nur erhöht um Verwaltungsausgaben und um einiges Zwangsläufige. Der betreffende Posten — er beträgt 3900000 M. — wird selbstverständlich im Kap. 16 damit in Wegfall kommen. Weiter hat zu Angriffen geführt die Bestimmung ist 8 15, betreffend die Statuierung der Goldbasis. Es in gesagt worden, es werde nun also in Zukunft so sein, daß jeder Staatsbeamte im Falle einer Inflation oder einer Geldentwertung sein Gehalt nur mit entwertetem Gelds ausgezahlt bekäme, der Geistliche und Kirchen beamte aber in Gold. Diese Antithese ist natürlich auch unrichtig. Die Sache liegt doch so, daß nur ein ver hältnismäßig geringer Teil der Gesamtrente auf Gold basis gestellt ist, nämlich von 6460000 M. nur 1460000. Meine Damen und Herren! Die Entstehungsgeschichte dieses Paragraphen 15 wird auch im Ausschuß näher dargelegt werden. Im großen und ganzen lag es so, daß man darüber im unklaren war, ob man den ganzen Posten von 6 460000 M. beweglich gestalten sollte, d. h. abänderbar durch Erhöhung .der Gehälter der Staatsbeamten, oder ob man ihn auf Goldbasis oder drittens ob man einen Teil beweglich und einen Teil auf Goldbasis stellen sollte. Man ist zu dem letzteren Ergebnis gekommen und hat dabet den Teil, der auf Goldbasis gestellt wurde, wie lich bereits erwähnt habe, verhältnismäßig gering bemessen. Immerhin möchte ich hierbei erwähnen, daß auch in anderen Staatsverträgen, namentlich Staatsverträgen anderer Länder, die Goldbasis cingeführt wurde, so z. B. in Thüringen bei den Staatsverträgen mit gewissen Herrscherhäusern, mit Schwarzburg, bereits vom Land tag angenommen, und mit Altenburg, von der Regierung vorgeschlagen. Auch bei einem Punkt, der ganz besonders inZ Auge fällt — das ist nämlich die wesentliche Erhöhung der Bemessung der Pfarrbesoldungszuschüsse — hat man, glaube ich, in der Öffentlichkeit nicht genügend gewürdigt, daß hier im wesentlichen nur zugrunde liegt der be kannte Schiedsspruch des Reichsgerichts vom 17.Februar 1926, der ausdrücklich ausspricht, daß die Zuschüsse zur Besoldung der Geistlichen insoweit zu gewähren seien, als die Besoldung nicht aus Pfründen oder Gemeinde mitteln, insbesondere Kirchensteuern, beschafft werden können, und dann weiter an anderer Stelle ausführt, daß auch für das Maß der Verpflichtungen, die nach Art. 138 der Rcichsverfassung abzulösen oder vor läufig weiter zu gewähren seien, der Rechtszustand zur Zeit des Inkrafttretens der Neichsversassung maß gebend sei. Nun kann man allerdings zugeben, daß „Maß" für nicht wörtlich zu nehmen ist. Es soll wohl nicht heißen, der zu errechnende Betrag, sondern wahr scheinlich nur die Art, den Modus, wie dieser Betrag zu berechnen ist. Ta man nun nicht annehmen kann, vielmehr das Gegenteil feststeht, daß die Kirchen- gemeinden jetzt leistungsfähiger sind als früher, daß sie vielmehr durch alles mögliche, durch das Steuersystem, durch Kirchenaustritte usw. weniger leistungsfähig sind, als -sie vor dem Kriege waren, so hat man bei der Be rechnung des Betrages, der hier zugrunde gelegt worden ist, die Höhe der Leistungen genommen, wie sie vor dem Kriege und durch den Krieg hindurch gegolten haben. Dadurch ist man zu der eingestellten Summe von 1 184 000 M. gekommen, die dann folgerichtig noch um 20 Proz. erhöht worden ist mit Rücksicht auf die Erhöhung der Bcamtcnbesoldung. Menn in der Polemik um diesen Paragraphen immer wieder darauf Hin geiviesen wird, daß die Kirchgemeinde in der Lage sei, durch Steuern das Loch — um mich einmal so aus- zudrücken — zuzumachen, so möchte ich demgegenüber hervorhebcn einmal, daß die Steuerschraube in den Kirchgemeinden selbstverständlich nicht so angezogen werden darf, daß die ganze Kirche dadurch in ihrer Existenz gefährdet wird, und möchte ferner auch hier auf einen Satz in dem von mir zitierten Gutachten bezugnehmen, der ausdrücklich sagt: Der Staat kann sich seiner Verpflichtung der Kirche gegenüber nicht dadurch entledigen, daß er der Kirche das Steuerrecht zubilligt. Das ist allerdings nur gesagt mit Bezug auf die Landes kirchensteuer, aber cs wird auch analog anzuwenden sein auf die ganze Frage. Und endlich möchte ich noch darauf aufmerksam machen — weitere Ausführungen mir im Ausschuß Vorbehalten —, daß die Summe von 350000 M., die jetzt eingestellt ist, ja immer schon im Landtage angefochten worden ist mit der Begründung, daß diese Summe nicht ausreiche, sondern daß mit Rück sicht auf den von mir bereits zitierten Schiedsspruch des Reichsgerichtes eine wesentliche Erhöhung eintreten müsse. Bei jenen Auseinandersetzungen ist auch schon darauf hingewiesen worden, daß vielleicht Nachzahlungen in Betracht kämen. Dies zu einigen Punkten der Vorlage! Meine Damen und Herren! Wenn ich vorher gesagt habe, daß bei Abschluß der Verträge grundsätzlich der Rechts standpunkt und nicht derVergleichS standpunkt eingenommmen worden ist, so steht dem doch nicht ent gegen, daß in dem einen oder anderen Punkte dem be sonderen Interesse des anderen Teiles entgegengekommen worden ist gegen Zugeständnisse der anderen Seite, in anderen Punkten. (Zuruf d. Abg. Renner.) Was ich meine, werde ich Ihnen gleich sagen und als Beispiel anführcn, die Einstellung unter Pos. 6—8 in § 1, von der das Reichsgericht entschieden hat, daß eine Auf wertung stattsinden müsse, bei der aber doch eine Aus- Wertung in diesem Gesetze, wenigstens nicht eine höhere Aufwertung, als wie sie bis jetzt stattfand, erfolgt ist. (Abg.Renner: Wie doch ist denn die Aufwertung?) 50 Proz. (Abg. Renner: Wie hoch soll sie denn nach dem Urteil sein?) Das steht nicht im Urteil, das habe ich wohl schon gesagt. Jedenfalls ist hier keine höhere Aufwertung