Volltext Seite (XML)
»1« n der Weise mit den Millionen des Staate- zu wirt- chaften, wie eS durch die Vorlage Nr. 73 geschieht. Sehr wahr l b. d. Soz.) Und dazu kommt folgende-, daß man gerade diese Notleidenden doch indirekt mit heranzieht, diese Milli- onen zu bezahlen. Denn man gibt doch das Geschenk der Kirche aus allgemeinen Staatsmitteln, und Staats mittel sind immer Steuermittel, und zu diesen Steuer- mitteln haben die Erwerbslosen, die heute draußen auf >er Straße liegen, haben die Leute, die keine anständige Wohnung haben, mit beitragen müssen durch ihren Steuerbeitrag, den sie irgendwie leisten. Da kennt man auf einmal die Leute, da besinnt man sich auf sie, aber auf der anderen Seite kennt man sie wieder nickt. Der i 22 der Vorlage Nr. 74 bestimmt, daß z. B. em auS »er Kirche Ausgetretener bei irgendwelchen Kosten, die entstehen, z.B.bei Begräbnissen, die Hälfte mehr bezahlen darf. Durch seine Steuermittel darf er mit dazu bei tragen, daß der Staat die Kirche finanziert. Wenn ihm aber das menschliche Geschick zuteil wird, daß er auch einmal stirbt, dann dürfen seine Angehörigen noch 50 Proz. an Kosten mehr bezahlen als die Leute, die sich die Steuerkraft des Verstorbenen, ihre Mittel vom Staate haben bewilligen lassen. Dann möchte ich in diesem Zusammenhänge noch auf zwei Punkte Hinweisen. Gerade die Herren von der Wirtschaftspartei sind die berufenen Gralshüter des Begriffs Sparfamkeit, und vor allen Dingen operieren sie immer mit dem Begriff: Wir dürfen nur Ausgaben tätigen, die sich in irgendeiner Weise wieder produktiv in der Volkswirtschaft auswirkcn. Ich bin begierig darauf, die Antwort zu hören, inwieweit sie die Produktivität dieser Ausgabe begründen. Sie werden die Produktivität dieser Ausgabe lediglich mit einer allgemein gehaltenen Erklärung nachweisen können, die darin besteht, daß eben die ideologische Unterstützung der Kirche für ihr ganzes kapitalistisches Wirtschaftssystem eine außerordentlich not wendige Unterstützung darstellt und infolgedessen für sie natürlich auch produktiv wirkt. Diesem Gedankengang muß ich mich selbstverständlich anschließen, weil er auf Grund meiner historischen Kenntnisse allerdings auch sehr richtig ist. Weiter sind die Re chtsbe stimm« ngen, auf die man sich in der Vorlage Nr. 73 stützt, doch sehr eigen tümlicher Art. Ich habe im Verlaufe der heutigen Dis kussion eigentlich noch nicht allzuviel davon gehört, und ich will nur in aller Kürze darauf Hinweisen. So beruft man sich unter anderem bei den sogenannten rechtlichen Verpflichtungen, die der Staat habe, auf einen General artikel vom Jahre 1580. (Lacken b. d. Soz.) Das liegt also noch nicht allzuweit zurück. (Erneutes Lachen b. d. Soz.) Dann bringt man den Begriff des Gewohnheits- rechts mit herein. Es wäre sehr gut, wenn man diesen Begriff in anderer Hinsicht einmal gebrauchen würde. Das Allerkurioseste aber ist, was auf der Seite 8 ver zeichnet steht. Da heißt es: ES handelt sich hier um eine königliche Zusicherung, die auf Grund von Abs. 5 des Landtagsabschiedes vom 4. September 1831 ebenso verbindlich ist, als ob sie in der Verfassungsurkunde selbst ausgenommen worden wäre. Ein sehr zweifelhaftes Kompliment für die Regierung Helvt, die im Jahre 1929 eine königliche Versicherung aus dem Jahre 1831 als rechtsverbindlich für ihre republikanische Regierung ansieht. Wenn man sieht, auf welche mittelalterliche Rechtsbestimmungen man sich hier beruft, dann kann man sagen, daß damit der Geist dieser Vorlage glänzend charakterisiert ist. Es ist eben der Geist des Mittelalters. Nun muß man allerdings die Frage noch in einen anderen Zusammenhang hineinstellen. Der Papst hat im Jahre 1922 eine berühmte Bulle erlassen. In dieser Bulle stellt der Papst fest: Dazu (zu all den Maßnahmen, um das kirchliche Leben wieder zu heben) gehören insgesamt alle die jenigen Einrichtungen, Beratungen und Unter- , nehmungen, die unter dem Namen der katholischen Bewegung, die uns sehr willkommen ist, zusammen- gefaßt werden. Seit diesem Jahre gibt es den Begriff der sogenannten katholischen Aktion in der Weltgeschichte. Aber es gibt Parteigruppe noch gar nicht auf der politischen Bild fläche als Partei erschienen war. (Sehr richtig! b. d. Soz.) Wer weiß, was Sie gemacht hätten, wenn Sie in der Nationalversammlung mit gesessen hätten. Sie haben Ihre politische Tätigkeit in der damaligen Zeit ! vorerst so erfolgreich aufgefaßt, daß Sie an manchen Orten die Wahlurnen be eitigt haben. (Heiterkeit b. d. Soz.) DaS sind Dinge, mit denen man sich nicht hin- i stellen und in denen man nicht herumkramen kann in dem Glauben, daß man damit eine Partei wie die sozialdemokratische totschlagen kann. Wir stehen jetzt mitten in den Etatberatungen. Etat beratungen sind immer Zeiten, in denen reaktionäre Regierungen Geschenke auSzuteilen belieben, und wir haben auch im diesmaligen Etat zwei große Geschenke, die die Regierung auf den Tisch des Hauses niederlegt. Das eine Geschenk wendet sich an die geliebten Haus- besitzer (Heiterkeit b. d. Soz ), das ist die Legalisierung der Stundungsverordnung, die uns die Kleinigkeit von 7)4 Millionen und dann noch 2)4 Millionen Steuer- Verzicht bringt. Das zweite Geschenk, aus dem heraus ich vielleicht die freundlichen Töne deS Finanzministers Weber bei der Etatberatung verstehe, ist das Geschenk, das man der Kirche mit der Vorlage Nr. 73 machen will, und dieses Geschenk ist ein doppeltes. Das Ge schenk ist zunächst einmal ein finanzielles, das gibt man mit der Vorlage Nr. 73, und das Gefchenk ist mit der Vorlage Nr. 74 auch ein machtpolitisches; da gibt man der Kirche wieder einen gewissen Einfluß auf den Staats apparat und was dergleichen Dinge mehr sind. Ich bin außerordentlich gespannt, ob die Regierung diese Gebefreudigkeit auch anderen Kulturinstitutioneu gegenüber bewahren wird. (Sehr gut! b. d. Soz.) Wir werden in allerkürzester Zeit, wahrscheinlich morgen schon, Gelegenheit haben, ein sehr wichtiges Kapitel der Volksschule zu behandeln, und ich will hoffen, daß die Gebefreudigkeit der Regierung noch 24 Stunden anhält (Sehr richtig! b. d. Soz.) und uns eine Sache gewährt, die nicht erst legalisiert zu werden braucht, sondern schon ein Gesetz ist. Ich habe allerdings bei der Kenntnis von der inneren Verfassung dieser Re gierung und dieser Mehrheit so ganz gelinde Zweifel, vor allen Dingen,wenn ich mir überlege, daß die Regierung sich z. B. weigert, die wenigen Mark für die Pensions- kosten der Handarbeitslehrerinnen, die in Tit. 14 eingesetzt sind, zu zahlen, während sie hier für die RuhegehaltS- bedürfnisse der Geistlichkeit die 4 Millionen mit Leichtig keit auf den Tisch lept rind dann auch noch feststellen läßt: eigentlich sind wir furchtbar anständig gewesen, daß wir bloß 4 Millionen genommen haben. Dabei vergißt die Regierung und auch Herr Hickmann, daß, soweit ich wenigstens unterrichtet bin, es in dem einen Gerichts urteil heißt, daß die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit getroffen werden kann. (Hört, hört! b. d. Soz) Und nun überlegen Sie sich bitte einmal, wie man die finanzielle Leistungs- fähigkeit unseres sächsischen Staates dauernd von Re gierungsseite aus hier einschätzt. Da komme ich auf den allerwichtigsten Punkt. Wenn es schon von unserem Standpunkt aus nicht richtig ist, daß man ln den zurück liegenden Jahren der Kirche soviel gegeben hat, so ist es gegenwärtig einfach unverantwortlich, der Kirche 1MM.M. mehr an laufenden Mitteln im Jahre zu geben und außer dem noch die 2 Millionen einmalige Abfindung. Ich habe das einfach unverantwortlich genannt und muß natürlich auch den Beweis dafür antreten. Wir haben erlebt, daß die 50000 M., die man für die soziale Gerichtshilfe beantragt hatte, abgelehnt hat. (Zuruf b. d. Soz.: Skandal!) Die Million kann man selbstverständlich in Ruhe geben, wenn man die 50000 M. gespart hat. Wir haben erleben müssen, daß man die Winterbeihilfe abgelehnt hat. Wir haben erleben müssen, daß man sich in der Frage der Schulkinderspeisung ab lehnend verhalten hat, und ich will nicht alle die Dinge wieder aufwerfen, die bei der Beratung des Etats in gleicher Weise von unseren Etatrednern bereits charak terisiert worden sind. (Sehr gut! b. d.Soz.) Aber das eine gilt es festzuhalten: In einer Zeit, in der die Er werbslosigkeit noch Hunderttausende in unserem Lande in ihren Bann zieht, in einer Zeit, in der man um die Lösung des Wohnungsproblems in einer geradezu un erhörten Weise ringen muß, ist es eben unverantwortlich, nicht nur eine katholische Aktion, sondern die katholische Aktion hat sich mittlerweile zu einer allgemeinen kirchlichen Aktion ausgewachsen. ES ist sehr leicht nachzuweisen, daß die evangelisch-lutherische Kirche der katholischen auch nicht im geringsten nachsteht. (Lebhafte- Sehr richtig l b.d.Soz.) Ich will nur daran erinnern, daß die Konkordats - bestrebungen heute in der evangelischen Kirche genau so stark vertreten werden wie in der katholischen Kirche. Ich will ferner darauf Hinweisen, daß in Bayern, in dem Lande,in dem bekanntlich heutzutage so beinahe alle- möglich ist, von katholisch-klerikalen Kreisen der Gedanke geäußert worden ist. Ja, so geht das überhaupt nicht weiter, wir müssen Steuern zahlen für die allgemeine StaatSschule und sind doch Anhänger der Kirche l Drehen wir doch einmal den Spieß um, angewendet auf unsere Verhältnisse müßte man da sagen: Ja, so geht doch die Sache nicht weiter, das ist doch ein unerhörter Zustand, wir sind Freidenker, aus der Kirche ausge treten und müssen mit unseren Steuern dazu beitragen, daß man die Kirche unterstützt! Was in dem einen Falle recht ist, muß doch in dem anderen Falle billig sein. Ich könnte in diesem Zusammenhänge auch an ein Ereignis unserer allernächsten Nachbarschaft erinnern. Der Bischof von Meißen hat sich in die Reihe der Hirtenbriefe verschickenden Bischöfe eingegliedert und hat unter anderem einen Hirtenbrief verschickt, in dem er sich gegen die Begriffe des Liberalismus und des Materalismus ganz entschieden wendet. Der Bischof von Meißen bezeichnet den Materialismus in seinem Hirtenbriefe als etwas Häßliches, Gefährliches und über haupt für die Volksseele entsetzlich Verwünschendes. Was ist denn eigentlich Materialismus? Ist das nicht auch Materialismus, wenn man sich mit der Kleinigkeit von 6460000 M. pro Jahr laufender Unterstützung begnügt, und dann kommen noch die 60000 M. für die Katholiken dazu und die 2 Millionen einmalige Abfindung? Das ist doch der nackte Materialismus. DaS ist doch das, was wir bekämpfen. (Sehr gut! und Sehr richtig b. d.Soz.) Da haben Sie die glänzendsten Beweise dafür, daß man sich mit solchen eigenen Mitteln sehr leicht schlagen kann, wenn man so ungeschickt operiert wie der Bischof von Meißen. Es ist in diesem Zusammenhangs auch schon fest gestellt worden, wie die allgemeine politische Verbindung zwischen Kirche und Reaktion in den letzten Erscheinungen Italiens ganz augenfällig zur Tatsache geworden ist. Aber wir brauchen ja nicht so weit zu gehen. Sehen Sie sich unsere Verhältnisse an! Wer flaggt schwarz, weiß-rot, wenn die Hakenkreuzler aufmarschieren? Wer segnet die Hakenkreuzlerfahnen? Wer marschiert unter diesen Fahnen hinter den Atrappen von Maschinen gewehren mit hinaus zu irgendwelchen Felddiensten? Das sind immer unsere Geistlichen, wenn auch nicht alle, aber es sind immer welche dabei. Wenn sie wirk lich so eingestellt wären, wie Herr Kollege Siegert in diesem Falle gesagt hat, daß sie keine absoluten Gegner der Staatsform wären, dann sollten sie endlich einmal den klaren und trennenden Schnitt zu allen solchen Organisationen ziehen und die Dinge lassen, die der Kirche immer und immer wieder das Zeugnis einer Stütze der Reaktion erneuern. So zeigen diese beiden Vorlagen Nr. 73 und 74, eingebracht in der gegenwärtigen Situation, eine große historische Erkenntnis aufs neue: mit dem Erstarken der Reaktion wächst stets der Anspruch der Kirchen! -Sehr gut! b. d. Soz.) 1918 waren sie einmal eine kleine Zeitlang anständig gewesen, aber nachdem die Jahre 1923 und 1924 über uns dahingegangen sind, haben sie mit dem Wiedererwachen der nationalistischen Bewegung auch auf einmal die Renaissance des so genannten christlichen Geistes empfunden. Diesem Geiste stellen wir uns als Sozialdemokraten mit aller Entschiedenheit entgegen. Im Ausschuß werden wir uns bei der Beratung dieser grundsätzlichen Einstellung entsprechend verhalten. (Bravo! und Händeklatschen b. d. Soz.) Damit ist die Aussprache geschloffen. Die Vorlage» Rr. 7S und 74 und die Drucksache Rr. 1089 werden dem Rechisausschuß überwiesen. (Schluß der Sitzung 18 Uhr 52 Minuten.)