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8V4 LMKilW zm AUGm AMitNg 9!^. 225. zu Nr. 47 des Hauptblattes. 1929. Beauftragt mit der Herausgabe Regierungsrat Brauhe in Dresden. LandtagsverhandlMgen. (Fortsetzung der 107. Sitzung von Donnerstag, de« 21. Februar 1929.) Abg. Geiser (Soz. — Fortsetzung): Damals haben die bürgerlichen Parteien ver- sucht, die Ideologie der Angestellten aufrecht, zuerhalten und haben sogar, mn den Angestellten den Gesichtskreis zu verschleiern, die Angestellten- Versicherung geschaffen. Man brachte damals im Reichstag zum Ausdruck, man müsse die immer stärker werdende Macht der Angestellten so auszunutzen verstehen, daß sie für die bürgerlichen Parteien in Frage käme. Wie ist es aber gekommen? Ist die Proletarisierung der Angestellten verhindert worden? Nein! Im Gegenteil, alle Organisationen, die damals die gewerkschaftliche Arbeit ablehnten, sitzen heute mit den freien Gewerkjchaftsorganisationen am Verhand lungstisch gegen die Arbeitgeber und haben längst eingesehen, daß die wirtschaftliche Macht fie aus beutet und daß sie nur dann die Möglichkeit haben, irgend etwas zu erreichen, wenn sie von ihren gewerkschaftlichen Kampfmitteln Gebrauch machen. Die Illusion des neuen Mittel standes ist längst vorbei. Heute glaubt kein Mensch mehr, daß das Vertrauen zwischen Arbeitgeber und Angestellten die Dinge regulieren kann. Es ist mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck gekommen, daß heute das Gesetz von Angebot und Nachfrage bestimmend ist. Wir haben gesehen, daß ein großer Abbau bei den An gestellten erfolgte. Als die Banken ihre Angestellten abgebaut haben, wurden Hunderte und Tausende rück sichtslos auf das Pflaster geworfen, ohne daß sich irgend- ein Mensch darum gekümmert hat. Rücksicht genommen wird beim Abbau nur, wenn eS sich um Direktoren handelt. In ihrer Verzweiflung gründen sich die stellenlosen An- gestellten, die zu den gewerkschaftlichen Organisationen kommen und zum Teil nicht organisiert sind, eine Not- gemeinschaft älterer Angestellter. Wir müssen den Leuten sagen: mit einer Notgemeinschaft ist nichts getan; der Klassenkampf tobt sich gerade bei den Angestellten in brutalster Stärke aus, in den rücksichtslosesten Formen wird der Klassenkampf gerade in jenen Kreisen geführt. ...Es kann grundlegend nur dann etwas geän- dert werden, wenn der Klassenstaat überwunden ist. Bis dahin muß sich die große Masse der Arbeit nehmer in den freigewerkschaftlichen Organisationen zu- sammenschließen, um tarifvertraglich den Kampfboden zu gewinnen, auf dessen Grundlage allein im heutigen Klassenstaate die Möglichkeit besteht, für jene Arbeit- nehmerkreise etwas herauszuholen. Wir freuen uns, daß auf der Grundlage dieser An träge die Möglichkeit besteht, einmal den Angestellten auseinanderzusetzen, daß fie imstande sind, ihre Lebens- läge zu verbessern, wenn sie die wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Konsequenzen ziehen wollen, wenn sie bereit sind, sich der sozialdemokratischen Arbeiter- Partei anzuschließen und in den freien Gewerkschaften für die Verbesserung ihrer Verhältnisse Sorge zu tragen. (Bravo! links.) Abg. Boigt (D. Vp. — Schlußwort): Ter letzte Herr Debattereder wies auf die Beseitigung des Klassenstaates hin und versprach sich allein von diesem Ereignis eine zuverlässige Abwehr der jetzigen Verhältnisse. Da können die stellenlosen älteren Angestellten noch lange warten, ehe ihnen geholfen wird! Der erste Debatteredner der SPD., Herr Kollege Siegnoth, hat sich im großen und ganzen auf den Vor schlag kapriziert, der Beschäftigungszwang müsse ein geführt werden, das werde helfen. Nun, nach der ganzen jetzigen Konstellation wird ja vermutlich eine Mehrheit dafür zustande kommen. Ich möchte aber die in der Debatte ausgesprochenen Unterstellungen falscher Motive zurückweisen. Es ist un möglich, wenn von irgendeiner Partei ein Antrag kommt, in der politischen Arbeit vorwärtszukommen, wenn immer von dem politisch Andersdenkenden das Aller- schlechteste und Rückständigste angenommen wird. Wo- hin die kaufmännischen Angestellten berufspolitisch ten dieren, ist ja zu ersehen durch einen Blick auf ihre Berufsorganisationen. Die kaufmännischen Berufs verbände sind in weit überwiegender Mehrzahl bürger lich orientiert. (Abg. Geiser: Wird schon anders wer den!) DaS haben die tm vergangenen Herbst vor genommenen Wahlen der Versichertenvertreter und der Arbeitgebervertreter in die Organe der An gestelltenversicherung aufs neue bewiesen. Die von den Kommunisten gebrachten Einwürfe brauchen von uns nicht ernst genommen zu werden, sie verdienen keine Widerlegung. Hierauf wird der Antrag Nr 1043 dem Haushalt- auSschutz überwiesen. Auf Antrag des Abg. Siewert (Oppos. Komm.) wird beschlösse«, nach Punkt 8 der Tagesordnung die heu tige Sitzung abzubrechen, also die Punkte 9—11 von der Tagesordnung abzusetzen. Diese werden in der nächsten Sitzung an erster Stelle behandelt. Die Punkte 6—8 werden in der Beratung verbunden. Punkt 6: Erste veratnng über den Antrag des Abg. Reimer «. Gen. über die Ergreifung von Maß nahmen zur Linderung der Rot der Erwerbslose«. (Drucksache Rr. 1102.) Der Antrag Nr. 1102 lautet: Die Erwerbslosigkeit steigt von Tag zu Tag und die Not der Erwerbslosen nimmt immer schlimmere Formen an. Auch in Sachsen leben gegenwärtig über 200000 Erwerbslose unter den schlimmsten wirtschaft lichen Verhältnissen. Der Landtag wolle deshalb beschließen: I. von der Reichsregierung zu fordern, ») Beseitigung des Arbeitslosenversicherungs, und Arbeitsvermittlungsgesetzes und Schaffung einer ausreichenden Unterstützung mit unbeschränkter Bezugsdauer für alle Erwerbslosen. d) Im Falle der Ablehnung, Änderung des Ar- beitslosenversicherungs- und Arbeitsvermitt lungsgesetzes in folgenden Punkten: 1. Änderung des 8 105 mit den 11 Lohnstusen und Zahlung der Unterstützung nach 2 Lohn klassen: a) mit einer Unterstützung bis zu 42 NM.; b) mit einer Unterstützung für die ländlichen Gebiete bis zu 37 50 RM. pro Woche. 2. Aufhebung der Krisenfürsorgebestimmung, statt dessen Einreihung der Krisenunter stützungsempfänger in die Versicherung ohne Kürzung der Unterstützung. 3. Sofortige Aufhebung der Karenzzeit und Zahlung der Unterstützung vom Tage der Erwerbslosigkeit an. 4. Beseitigung der Anwartschaftszeit. 5. Beseitigung der Strafbestimmungen nach den 88 247 und 275 gdgenüber den Erwerbslosen. 6. Aufhebung des 8 87 und der skandalösen Bestimmungen der Prüfung der Arbeits willigkeit, Arbeitsfähigkeit und unfreiwilligen Arbeitslosigkeit. 7. Aufhebung des 8 90 der Zwangsarbeit, des gleichen Beseitigung des 8 92 über Berufs umschulung und des 8 93, Zuweisung von Arbeit außerhalb des Wohnortes darf nur mit Zustimmung der Erwerbslosen erfolgen. 8. Aushebung des Saisonarbeitergesetzes. II. die Regierung zu beauftragen: 1. den Gemeinden sofort in ausreichendem Maße Mittel zur Verfügung zu stellen, die als Sonder- Unterstützung an die Erwerbslosen auszuzahlen sind, 2. mit den schärfsten Mitteln gegen das Unwesen der Betriebsstillegung anzukämpfen, 3. gegen jede Überschreitung des Achtstundentages von seiten der Unternehmer mit Gefängnisstrafe vorzugehen, 4. zur Arbeitsbeschaffung für die Erwerbslosen ofort Mittel für den Wohnungsbau zur Ver- ügung zu stellen und die aus der Mietzins teuer eingehenden Mittel restlos zum Wohnungs bau zu verwenden, 5. ausreichende Räume für Arbeitsvermittlung, Stellung von Räumen für die Arbeit und Aus kunftserteilung der Erwerbslosenausschüsse zu beschossen, 6. die Anerkennung der Erwerbslosenausschüsse und ihre Hinzuziehung zu den Beratungen aller Erwerbslosenfragen in allen Körperschaften durchzuführen. Abg. Opitz (Komm. — zur Begründung): Wir haben in diesem Hause bereits wiederholt zur Erwerbslosen frage Stellung genommen. Wir müssen feststellen, daß die dauernde Massenerwerbslosigkeit eine besondere Erscheinung der Nachkriegszeit ist. Auch bei einer ver hältnismäßig guten Konjunktur sahen wir im ver gangenen Jahre eine Erwerbslosigkeit von mindestens 1 Million in Deutschland. Es ist deshalb auch ganz verständlich, daß diese Struktur der Erwerbslosenarmee eine ganz andere ist im Verhältnis zu der Erwerbs- losenarmee vor dem Kriege. Das Erwerbslosenproblem bekommt deshalb eine ungeheure politische Bedeutung. Bei der Einführung des Erwerbslosenversicherungs. gesetzeS hat die Bourgeoisie natürlich nicht aus Liebe zu den Erwerbslosen gehandelt, sondern sie hatte bei der Einführung des Erwerbslosenversicherungsgesetzes ungeheure politische Gesichtspunkte. Die Bourgeoisie sah die Wirtschaftskrise kommen, und sie hat dieser kommenden Krise durch das Erwerbslosenversickerungs gesetz vorgebaut. Für sie stand das Problem so: Wie kann man die Erwerbslosenarmee am erfolgreichsten demoralisieren, wie kann man der Erwerbslofenarmee die Schlagkraft nehmen? Deshalb auch die Zersplitte rung, deshalb auch die Klassifizierung der Erwerbs losen, deshalb die Einteilung der Erwerbslosen in ver schiedene Gruppen. So, wie die Unternehmer bei ihrer allgemeinen Entlohnung viele Lohnstufen ein richteten, so, wie man ganz bewußt eine Arbeiter aristokratie bei den Arbeitern im allgemeinen züchtet, so glaubt man auch durch eine bestimmte Klassifizier rung, durch eine bestimmte Einführung verschiedener Gruppen die Erwerbslosenfront zu schwächen. Dieses Gesetz wurde in einer Zeit eingeführt, wo eine ver hältnismäßig gute Konjunktur vorhanden war, und die breiten Massen merkten noch nicht die Schatten eiten diese- ErwerbSlosenversichcrungSaefetze». Die ozialdemokratiscken und reformistischen Führer hatten deshalb gemeinsam mit der Bourgeoisie bei Einführung des Erwerbslosenversicherungsgesetzes verhältnismäßig ein leichtes Spiel, den eigentlichen Charakter, das Wesen dieses Gesetzes vorzuenthalten. Sie täuschten also die Arbeiterklasse über das eigentliche Wesen und über die Wirkungen des Erwerbslosenversicherungsgesetzes. Die Kommunistische Partei dagegen kämpfte schon damals, als dieser Entwurf vorlag, im Reichstage mit aller Entschiedenheit gegen diesen Entwurf. Sie versuchte bei der Beratung dieses Entwurfs eine ganze Reihe Abänderungsanträge durchzusetzen und stimmte dann gegen dieses Gesetz. Heute spüren natürlich Millionen Erwerbslose diese Nachteile des Erwerbslosenversiche rungsgesetzes, und deshalb fordern wir auch in unserem Anträge die Beseitigung des Erwerbslosenver sicherungsgesetzes, denn das entspricht unserer grundsätzlichen Einstellung zu diesem Gesetze überhaupt. Wir fordern weiter vor allem, solange dieses Gesetz besteht, die Beseitigung der 11 Lohnstufen und die Einführung von nur zwei Lohnklassen, eine für die Stadt und eine für das Land. Für die Erwerbslosen der Stadt fordern wir 42 M. Unterstützung pro Woche und für die auf dem Lande 37 M. Das Erwerbslosenversicherungsgesetz wurde vor allen Dingen durch eine Reihe von Verordnungen noch wesent lich verschlechtert. Wir erinnern dabei besonders an die Krisenfürsorgebestimmungen und an die Frage der Be- dürftigkeitsprüsung. Gerade in diesen beiden Dingen werden die Erwerbslosen ungeheuer schikaniert. Wir verlangen deshalb die Beseitigung der Krisen- fürsorgebestimmungen und der Bedürftigkeits- Prüfung. Des weiteren wenden wir uns auch gegen die Karenzzeit, weil wir ganz genau wissen, daß die Arbeiter in dieser Karenzzeit überhaupt nichts zu beißen haben. Wenn man die Erwerbslosen auf dieseWeise schikaniert, ihnen die Unterstützung entzieht, und wenn die Er werbslosen dann von Hunger gepeitscht auf die Straße gehen, was sehen wir dann? Dann sehen wir, daß in demselben Augenblick die Polizei gegen die Erwerbs losendemonstrationen mobil gemacht wird. Anstatt ihnen zu geben, was sie brauchen, gibt man ihnen den Gummi knüppel und blaue Bohnen. Wir können dafür eine ganze Anzahl von Beispielen anführen gerade aus .der letzten Zeit. ' ' Unser Antrag verlangt weiter die Beseitigung des 8 90, der praktisch die Zwangsarbeit für die Arbeiter bedeutet. Wir sind der Meinung, daß die Arbeiter ohne Nachteil eine solche Arbeitsstelle ablehnen können, wo sie von vornherein sehen, daß sie auf dieser Stelle weder ihren Hunger stillen, noch das nötige Geld verdienen können. Tie Krone wurde diesem Feldzuge gegen die Erwerbs losen aufgesetzt, als man das Saisonarbeitergesetz im Reichstag beschloß. Durch dieses Gesetz ist einer Reihe von Saisonarbeitern einfach die Unterstützung entzogen worden. Die Saisonarbeiter können im Jahre nur einige Monate arbeiten, sie sind während dieser Monate außerstande, auch nur die geringste Rück lage zu machen. Sie zahlen während ihrer Arbeit die Erwerbslosenversicherungsbeiträge, und wenn sie erwerbslos werden, werden sie einfach nach 6 Wochen aus der Erwerbslosenversicherung herausgeschmifsen. Wir können das Erwerbslosenversicherungsgesetz von allen Seiten beleuchten, überall sehen wir, daß gerade dieses Erwerbslosenversicherungsgesetz eines der Schand gesetze mit ist gegen das Proletariat, die in letzter Zeit von der Reichsregierung beschlossen wurden. Wir glauben, daß gegen solche Methoden mit aller Entschiedenheit angekämpft werden muß. Die steigende Erwerbslosigkeit wird ja von gar keinem der Herren, die hier sind, bestritten. Es ist eine feststehende Tatsache, daß fast ein Drittel der gesamten Erwerbslosen keine Unterstützung erhalten. Wir verlangen deshalb in unserem Anträge, daß Mittel locker gemacht werden, daß den Gemeinden Mittel zur Verfügung gestellt werden, daß allen Erwerbslosen eine Sonderunterstützung ausgezahlt wird. Weiter verlangen wir, daß mit aller Entschiedenheit gegen die Betriebsstillegungen angekämpft wird. Wir können uns hier auf eine Eingabe der Arbeiter stützen, in der sie von uns als Abgeordnete verlangen, daß mit aller Entschiedenheit gegen die Stillegung der Betriebe gekämpft werden muß. Außerdem verlangen wir in unserem Anträge, daß gegen die Überschreitung des Achtstundentages durch die Unternehmer mit Gefängnisstrafe vorgegangen wird. Wir sehen auch hier wieder, daß sich tue Unter nehmer nicht um das Erwerbslosenheer kümmern, sondern trotz der ungeheuren Erwerbslosigkeit 9, 10, 11' und 12 Stunden arbeiten lassen. Außerdem verlangen wir Arbeitsbeschaffung für die Erwerbslosen, indem sö- sort Mittel für den Wohnungsbau zur Verfügung ge stellt werden und daß die Mietzinssteuer restlos zuisi Wohnungsbau verwendet wird. Eine der wichtigsten Forderungen, die von der Erwerbslosenkonferenz, die in Sachsen stattgefunden hat, aufgestellt wurde, ist die Frage der Anerkennung der Erwerb-lofenau-'- schüsse und ihre Hinzuziehung zu den Be.- ratungen über Erwerbslosenfragen. Wir könnet uns als Kommunistiscke Partei dieser Forderung im vollen Umfange anschneßen. Unsere Anträge entsprechen vollkommen den Forde- runaen der Erwerbslosen. Für diese Anträge uüd