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8«r Der sozialdemokratische Ministerpräsident Hermann Müller erklärte einer Gruppe keiner Genossen als Hilfe für die Erwerbslosen: Da kann man nur mit dem Gummiknüppel über die Platte schlagen. Anders hat das keinen Sinn. DaS ist die sozialdemokratische Praxis für die Erwerbs- lolensürsorge. (Lärmende Zurufe b. d. Soz.) Herr Abg Müller (Mittweida) braucht da gar nicht abzuwiegeln. (Wiederholte lärmende Zurufe b. d. Soz.) Denn Herr Abg Müller (Mittweida) hat ja vorhin hier auch er klärt: „Das hat doch Renner nur organisiert! Was ist das für ein Gesindel!" (Wiederholter Lärm b. d. Soz. — Abg. Müller (Mittweida): Du bist ein aus gesuchter Schwindler!) Stellv. Präsident vr. Eckardt (unterbrechend): Herr Abg. Müller (Mittweida), ich rufe Sie zur Ordnung. Aba. Renner (fortfahrend): Wir brauchen ja auf diese kleine Charakteristik gar nicht einzugehen. Aber Ihre Aufregung zeig! wie sehr Sie getroffen sind! (Zurufe b. d. Soz.) Ihre praktische Hilfe kennzeichnet sich auchnoch in etwas anderem. Die Sozialdemokraten haben im Reichstag einen An'rageingebrackt1.,dieKrisenfürsorgeaufalleBerufeauS- zudehnen; 2., die Bezugsdauer für die Krisenunterstützung allgemein auf 52 Wochen zu verlängern; 3, die Bezugs dauer der Krisenunterstützung für Unterstützungsempfän ger, die über 40 Jahre alt sind, auf die ganze Tauer der Erwerbslosigkeit auszudehnen. Als dieser Antrag im Plenum des Reichstags zur Beratung kam, zeigte sich, daß die letzten zwei Punkte des Antrags von den Sozialdemolraten, also von den Antragstellern, nachdem sie von der Kommunistischen Fraktion wieder aus genommen worden waren, abgelehnt worden sind. Und welche Gründe waren dafür massgebend? Maßgebend waren dieselben Gründe, wie sie damals maßgebend warenbei demPanzerlreuzerbaumanöver der Sozialdemo kraten. (Lebhafte Zurufe b. d. Soz.) Die Zentrums partei hatte nämlich erklärt, daß sie für die beiden Absätze des Antrags stimmen würde, und dann wären diele Anträge angenommen worden. Der sozialdemo kratische Herr Finanzminister als Jnteressenvertreter der deutschen Bourgeoisie aber hatte seinen Partei freunden schon erklärt, daß eine solche Durchführung der Anträge nicht möglich sei, und so wollten die Sozial demokraten ihre KoalitionspoUtik durch ein kleines Manöver nach außen verschleiern. Das war eine typische Wiederholung des Manövers zu dem Panzer kreuzerbai«. (Zurufe b. d. Soz.) Wir haben aber auch noch andere Wiederholungen dieses Manöver-. Die Linkssozialdemokraten in Sachten vollführen in der Erwerbslosensrage ebenfalls dasselbe Hilfsstellungsmanöver, das s«e gegenüber dem Partei- Vorstand beim Panzerkreuzerbau vollführt haben. Da mals schrieben sie gegen den Militarismus, damals schrieben und sprachen sie. von Volksentscheid und Volksbegehren. Heute stellen sie, um die Haltung der Sozialdemokraten zu verschleiern, ein Arbeitsbeschaf fungsprogramm auf. Aber sie denken gar nicht daran, die>es Arbeitsbeschaffungsprogramm auch nur an irgendeiner Ecke ernsthaft in Angriff zu nehmen. Dafür aber sind sie bereit, mit der Bourgeoisie die Ausgaben für Rüstungen anzunehmen und zu be willigen, dafür sind sie bereit, die Aufrüstung des deutlchen Imperialismus mit zu betreiben und den Unterdrückungsapparat gegen die hungernden Erwerbs losen zu verstärken, denn so ist es doch nur zu verstehen, daß im diesjährigen Etat die Ausgaben für Hecres- zwecke um 8 Mill. M. höher sind als im Vorjahre, daß die Ausgaben für die Sckupo um 7 Mill. M. höher sind und die Ausgaben für innere Kriegslasten um 73 Millionen. So wie die Reichsausgaben erhöht werden mit Zu stimmung der Sozialdemokraten, so wie sie sich bereit erklärt haben im Reiche im Hecresetat der zweiten Rate zum Panzerkreuzerbau zuzustimmen, erklären sie sich bereit, den Aufbau der Reichswehr durchzuführen, und gerade ihre linken Vertreter sind es ja, die die Aufgabe der Reichswehr gegenüber den hungernden und erwerbslosen Arbeitern als die Hauptaufgabe herausstellen. (Lebhafte Zwischenrufe zwischen den Soz. und den Komm.) In Verbindung mit dem Zurück ziehen Ihrer Anträge und Ihrem Entgegenstnnmen gegen alle Erwerbslosenanträge zeigt diese Festlegung der Reichswehr als Bürgerkriegsarmee, was die Arbeiterschaft von Ihren demagogischen Manövein zu erwarten hat. Da zeigen Sie ganz klar und offen und deutlich wie Sie in Wirklichkeit der Arbeiterschaft feindlich gegenüberstehen und wie Herr Hermann Müller die Erwerbslosen mit dem Gummiknüppel über den Kopf schlagen möchte, wie Sie die Erwerbslosen als Gesindel ansehen und wie Sie die Erwerbslosen mit den Wassen niederwerfeu lassen. Ebenso wie der Reichsetat bewegt sich auch der sächsische Etat in dieser Linie. Auch im sächsischen Etat sind die Ausgaben für den Unterdrückungs- apparat nach wie vor die höchsten Ausgaben. Für die Gerichte werden über 49 Mill. M. aus- gegeben, für die Polizei über 47 Mill. M. Für die Kirche werden ebenfalls noch riesige Summen ausgeworfen. Der Herr Abg. vr. Blüher hat hier erklärt, wir werden bald mit den Ausgaben für die Kirche im Etat nichts mehr zu tun haben, aber man darf hier vor der Öffentlichkeit nicht verschweigen, daß durch das Kirchenablösungsgesetz der Betrag, der der Klrchenreaktion in den Rachen geworfen wird, um das Vierfache erhöht wird gegenüber den jetzigen Be trägen, die im Etat Jahr für Jahr ausgegeben wurden (Abg. Siegert: DaS ist ja Unsinn!) Gleichzeitig erfolgt die Neuanschaffung von Kraftwagen, die Neuorganisie rung der Polizeitruppe, Heranziehung der Hilsspolizei und Straßenpolizei zu Kasernen- und Dienstübungen, eine weitere Kasernierung der Polizei. So rüstet man auf der ganzen Linie gegen die Erwerbslosen, gegen das deutsche Proletariat. Unter dieser Art deS Auf baues steht auch der Etat der sächsischen Regierung. Aber diese Art de» Aufbaues de» Etats der sächsischen Regierung wird unterstützt, nein, wird gefördert, wird vorbereitet durch den Aufbau der Reichsregierung, durch die Maßnahmen der Reich», regierung, die geführt wird von Hermann Müller, von Hilferding und von Wissell. Dort sind die Weg bereiter und Schrittmacher der verstärkten Reaktion in Deutschland, und es sällt die volle Verantwortung auf die Sozialdemokratische Partei, und die lenden lahmen Oppositionsreden, die Herr Edel und seine Parteifreunde hier gegen die sächsische Negierung halten, verlieren an Gewicht und haben absolut keine Bedeutung, weil die Arbeiter draußen begreifen werden, daß sie nichts anderes sind, als der Versuch der Tarnung der absoluten reaktionären Reichspolitik der Sozial- demokraten (Zuruf b.d. Soz.: So ein Quatsch!), reaktio närer a's der Bürgerblock. DaS, was der Bürgerblock nickt wagen konnte, den arbeitenden Massen im vorigen Jahre zu bieten, das wagt die deutsche Bourgeoisie heute durch Müller, durch Severing, durch Hilferding und durch Wissell der deutschen Arbeiterschaft auf zuzwingen. Auch das wird aber den Widerstand der deutschen Arbeiterschaft stärken und beleben und die Arbeiter werden ihnen die Antwort, die ihnen gebührt, geben. DieArbeiter wissen ganz genau, daß hier im Parlament die Frage der Macht nicht entschieden wird. Sie wissen auch ganz genau, daß hier nicht einmal einige kleine Reformen durchgeführt und erfochten werden können. Die Arbeiterschaft wird gerade jetzt bei der wachsenden Arbeitslosigkeit in gewaltigen außerparlamentarischen Demonstrationen ihr Recht ertrotzen, aber dann wird die Arbeiterschaft auch sehen, daß die sozialdemokratischen Polizeiminister, die sozialdemokratischen Polizeipräsi denten und die sozialdemokratischen Reichswehrroll kommandos gegen die Erwerbslosen und gegen die um Lohn und Brot kämpfenden Arbeiter kämpfen werden. So zeigt sich ganz klar, wohin die Reise der Sozial demokraten immer mehr geht, und so zeigt sich, daß eine ganz aktive Front von den Sozialdemokraten bis zu den Deutschnationalen besteht. Die Arbeiterschaft wird im Zeichen der Abwehr gegen diese Front auch mit den Kräften der deutschen Reaktion aufräumen. (Bravo! b.d. Komm. — Händeklatschen auf der Tribüne — Hammer des Präsidenten!) Stellv.Präsidentvr.Eckardt: Ich lasse jetzt die Tribünen räumen. (Abg. Kautzsch: Nein, räumen Sie nicht, Herr Präsident, wegen der drei Leute nicht! — Abg. Lippe: Nehmen Sie Ihre Mütze ab da oben! — Abg.Ätüller- Mittweida: Das wiederholt sich in jeder Sitzung in den Stadtverordneten- und in den Neichsparlamenten! — Zuruf rechts: Heraus die drei Leute!) Ich fordere zu nächst diejenigen, die geklascht haben, auf, die Tribüne zu verlassen. (Abg. Kautzsch: Lassen Sie sie doch drin l) Da die Betreffenden (Zurufe von der Tribüne). Ich unterbreche die Sitzung bis Vr? Uhr. Die Tribünen sind zu räumen. (Unterbrechung der Sitzung 18 Uhr 8 Minuten.) Stellv. Präsident vr. Eckardt: Die Sitzung ist wieder eröffnet. Das Wort hat Herr Abg. vr. Seyfert. (Abg. Siewert: Zur Geschäftsordnung!) Jetzt gibt es nicht das Wort zur Geschäftsordnung. (Zurufe bei den Komm. — Abg. Siewert: Ich hftte.ums Wort zur Geschäfts ordnung!) Das Wort hat Herr Abg. Vr. Seyfert. Abg. vr. Seyfert (Dem.): Ich habe nicht über das Zahlenwerk des Etats zu sprechen, das ist Aufgabe unseres zweiten Redners, sondern über das Allgemeine, Zahlen können ja von verschiedenen Gesichtspunkten ausgefaßt werden. Wer den Etat des Reiches oder der Länder etwa mit den Augen betrachtet»wie ihn der Reparations agent sieht, der sieht in den hoben Zahlen der Einnahme nur einen Beweis der Zahlungsfähigkeit, desWohlstandes und fragt nicht danach, daß diese Zahlen auf einem Steuerdruck beruhen, wie ihn kein anderes Volk auf zuweisen hat; der fragt nicht danach, mit wieviel Seufzen und Stöhnen, vielleicht gelegentlich unberechtigt, die Einnahmen aufgebracht werden, daß unter ihnen die Wirtschaft gefährdet erscheint, daß auch die Lohn- und Gehaltsempfänger bis an das Existenzminimum heran mit Steuern belastet sind. Und doch sind gerade die hohen Zahlen vielfach Zeichen der Verarmung des Volkes. Lasten, die der Einzelne, die die Gemeinden, die die Beznksverbände nicht tragen können, müssen eben auf den Staat übernommen werden. Man sehe unsern Etat an, die Höhe der Darlehen der Beihilfen, der Arbeitslosenhilfen, die Beträge für soziale Ausgaben, für wirtschaftliche Unterstützungen usw., sie sind nick,t Zei chen eines Reichtums, auch nicht eines eingebildeten Reich tums, sondern der Armut, und sie haben mit doktrinärem Staatssozialismus nichts zu tun, sondern werden einfach in der Not getroffen. Um nur einzelnes hervorzuheben: die Landwirtschaft, die vor allem in unseren Gebieten Not leidet, muß unterstützt werden, die selbständigen Ge werbetreibenden brauchen Kapital, um sich wirtschaftlich aufrechtzuerhalten, der Kleinindustrie muß mit staatlicher Hilfe elektrische Kraft zugesührt werden. Da sind die Erwerbslosen, die nicht nur mit Geld, sondern vor allein mit Arbeitsgelegenheit unterstützt werden müssen. Not standsarbeiten aber erscheinen als Ausgaben. Da sind tue Sozialrentner, die der wzialen Fürsorge Bedürftigen. Eben weil die Not groß ist, deshalb sind die Ver pflichtungen und die Ausgaben groß. Da ist die Wohnungsnot unseres Volkes die schärfste Geißel. Schon die Wohnungsnot müßte beweisen, wie es uni unser Volk bestellt ist. Da sind die Gemeinden, die die Straßen nicht mehr unterhalten, die die nötigen Schulbauten nicht mehr aus eigener Kraft aufführen können. Selbst die Kulturaufgaben müssen wir als Notaufgaben ansehen, denn zur äußeren Verarmung möchte nicht innere Verödung kommen. Ich weise darauf hin, nicht etwa, um nach Art der Klageweiber zu wirken, sondern um falschen Deutungen der Etat- zahlen entgegenzutreten. Politisch gesehen will der neue Haushaltplan dem Finanzministerium größere Rechte einräumen. Ich weise da auf § 3 de- neuen Gesetzes hin; eS wird nickt ganz deutlich gesagt, um was eS sich handelt, vielleicht aber könnten wir eindeutig sagen: Alle Ge walt ,m Staate geht vom Finanzministerium au». Ich will dazu im einzelnen nicht Stellung nehmen, nur bemerken, daß die Rechte deS Landtages in keiner Weise dadurch berührt und beeinträchtigt werden dürfen. (Sehr richtig k) Wir möchten nicht, daß die Beschlüsse de» Landtage» einfach in die Entscheidung eines Ministeriums verlegt werden. ES ist selbstver ständlich, daß die Regierung mit größerem Sachverstände die einzelnen Fragen behandelt, sie hat eben für jede einzelne Frage einen eigenen Sachverständigen. Aber diese Selbstverständlichkeit darf nicht dazu führen, daß man eben Beschlüsse des Landtages nicht völlig ernst nimmt. Freilich muß sich der Landtag auch selbst völlig ernst nehmen, er muß — ich will an die Äußerlichkeiten erinnern — allmählich die Kinderkrankheiten des Par lamentarismus überwinden. Ob eine Geschäftsordnung dazu etwas beitragen kann, bleibe dahingestellt. Jeden falls bleibt aber das Wichtigste für den Abgeordneten bie Verpflichtung der Verantwortlichkeit. Daran erinnere ich nicht etwa, um Moralpredigten zu halten, sondern in Rücksicht auf den Plan emeS Ermächtigungsgesetzes. Durch ein Ermächtigungs gesetzerklärt derLandtagseineJmpotenz.Jchmeine,er muß die volle Verantwortung für alles das tragen, auch den Mut aufbringen, wenn es unpopulär ist. Unsere Stellung ist die: wir wollen die Verwallungsvereinsackung beginnen helfen, aber durch Gesetze. Warum das so schwer geht? Weil jeder den anderen reformieren will, nicht sich selbst. (Hört, hört! b. d. Soz.) Jeder klagt über Überlastung, aber niemand will überflüssige Arbeit unterlassen. Ich meine, in unseren Behörden wird nicht zu wenig, sonbern zuviel gearbeitet. Warum? Weil eS zuviel Stellen gibt, die Verwaltungs arbeit verursachen, es gibt zuviel Gesetzgeber, Ver ordner, Instanzen, Ansteller. Dort muß die Verein fachung beginnen. Vielleicht können wir im Landtag beginnen. Tagelang sehen wir reihenweise die Re gierungsvertreter in den Ausschüssen, ich muß schon sagen, in teilweise erzwungenem Müßiggang, der für Arbeit gelten muß. Das ist eine Verschleuderung von Arbeitskraft.DievielenErhebungen,Denkschriften,zeitrau benden Erörterungen, die wirklich die darauf verwandte Arbeit kaum lohnen! Als alter Parlamentarier darf ich darauf Hinweisen, daß früher die Arbeit anders geregelt war. Früher mußte sich der Berichterstatter Einblick in die Vorarbeiten des Haushaltplanes verschaffen, vor» ihm verlangte man die Auskünfte und nicht von je einem Regiernngsbeamten, und ich meine, ein Vor mittag bei einem erfahrenen Planstellenbeamten an Ort und Stelle verbracht, wäre ertragsreicher als daS vielfach beliebte Verfahren heute. Der Berichterstatter mußte sich damals gründlich bemühen, heute ist für jede Spezialfrage ein Regierungsvertreter nötig. Ich meine, das «st viel vergeudete Arbeitskraft und macht zugleich auch den Landtag abhängig von der Regierung in einer Weise, die seiner eben nicht würdig ist. Wenn also unsere Mininisterien nach der Meinung einzelner übersetzt sind mit Beamten, so ist der Land tag mit daran schuld. Freilich auch in gewissem Umfange die Arbeitsweise, die vielfach geübt wird. Ich spreche den Satz aus, der stutzig macht: Es gibt zu wenig Ministerialdirektoren! Allen Ernstes! Ich meine: es gibt zu wenig hohe Beamte, die wirklich Verantwortung haben, die wirklich selbständig ent scheiden. Warum zu jeder Entscheidung drei oder vier oder fünf Bearbeiter? Auch der Fachmann müßte größere Selbständigkeit bekommen, von ihm muß gute Gesetzeskenntnis unter allen Umständen gefordert werden. Also die Reform müßte oben beginnen und nach unten sortschreiten. Oberste Staatsbehörden wieder aus den Ministerien zu macken, alles Mittelmäßige, das sage ich persönlich, an die Mittelbehörden abweisen, das scheint mir richtiger als alles andere. Verwaltungsreform — auch hierin kann ich mich auf den Minister vr. Apelt beziehen — ist in aller erster Linie Reichsangelegenheit, und unser Grund satz, von oben zu beginnen, zwingt ja dazu, die Reichs- refvrm zu fordern. Daß hier alle Pläne zunächst nur Gedankenarbeit sein können, ist ganz selbstverständlich, und man muß ehrlich zugeben, daß die Gelegenheit, de«« deutschen Einheitsstaat zu schaffen, verpaßt ist — auch Weimar konnte ihn nicht mehr herbeiführen —, daß der deutsche Einheitsstaat, wie ich ihn auffasse, nur durch eine revolutionäre Bewegung geschaffen werden kann. (Sehr gut! b. d. Soz.) Freilich nicht eine revolutionäre Bewegung im kommunistischen Sinne, sondern eine Revolutionierung der Geister. Nun wird in Deutschland freilich nicht bloß große Politik, sondern sehr viel kleine Politik gemacht, auch im Reichstage, auch hier, auch in den Stadt- und Land parlamenten, und die kleinen Motive herrschen deshalb vor, der wirtschaftliche Vorteil, der Paitikularismus, die Parteischläue, die Parole für die nächste Wahl, die Rücksicht auf den politischen Philister, den man als Wähler gewinnen will, der Haß gegen den politischen Gegner und was ich sonst noch nennen könnte. Und wie könnte in einem solchen Chaos der Gedanke einer Volks- und Reichseinheit gedeihen! Wer diesen Ge danken erhebt, muß sich gefallen lassen, Utopist genannt zu werden. Wir meinen, Volks- und Reichsemhert ist eine Notwendigkeit, nicht eine Utopie, und von diesen Gedanken aus sehen wir auch die Politik unserer Regierung an. Wir müssen sordern, datz sie im Sinne der Relchseinheit durchgeführt wird. Allerdings wird niemand behaupten, daß das Ver fahren, wie es zum Teil von der Reichsregierung gegen die Länder gehandhabt wird, diesem Ziele förderlich wäre. Die Frage des Finanzausgleiches, des Luftver kehrs, des ElsenbahnrateS und dergleichen mehr sind Beweis dafür, daß man keine glücklicke Hand hat, die Lust zu dem einheitlichen Reiche zu stärken. In diesem Punkte stimmen wir unserem Ministerpräsidenten zu. Aber wir warnen ibn vor einer zuweit gehenden Intimität mit seinem Amts- und Namensvetter in Bayern (Hört, hört! und heitere Zustimmung b d. Soz.) Wir können ihm nicht zustimmen in seiner Haltung beim Lohnsteuergesetz und beim SteuervereinheitUchungS- geietz. Das Verhalten Bayerns in bezug aus das Reich entspricht einer Einstellung, die von der Mehrheit de» sächsischen Volke« ganz energisch und entschieden ab gelehnt wird. Diese Stellungnahme schließt nicht au», daß auch Sachsen al» Land energisch seine Forderungen vertritt bei allen den Dingen, wie sie etwa den Finanz ausgleich oder die Steuersrage, die Schlüsselung oder wo wir sonst Wünsche hier ausgesprochen haben, anlangen