Volltext Seite (XML)
85» AMMU zur AWt» AMDÜW 216. zu Nr. 26 des Hauptblattes. 1929. Beauftragt mit der Herausgabe Regierungsrat Brau he in Dresden. Landtagsverhandlungen. 1VS. Sitzung. Donnerstag, den 31. Januar 1929. Stellv. Präsident vr. Eckardt eröffnet die Sitzung 13 Uhr 6 Minuten. Am RegierungStifche Ministerpräsident Heldt, die Minister Elsner, vr. v. Fumetti, und Weber sowie Negierungsvertreter. Stellv. Präsident vr. Eckardt gedenkt zunächst des heute früh verstorbenen früheren Polizeipräsidenten von Dresden Abg. Menke (Soz), der dem Landtage feit 1920 angehört, mit ehrenden Worten. Das Haus hat sich zu Ehren des Verstorbenen, dessen Platz mit einem roten Nelkensträuße geschmückt ist, erhoben. Dann wird in die Tagesordnung eingetreten: 1. Abstimmung über die Punkte 1-9 der Tages ordnung vom 24. Januar 1929, Drucksache Rr. 1067, 1062. 1958, 1957, 1969, 1964, 1956, 1961 und 1963; 1948, 1953 und 1973. (Bgl. Landtagsbeilage Rr. 214 und 215.) Bei den Drucksachen Rr. 1967 bis 1963 werden, soweit MinderheitSanträge vorliegen, diese «gelehnt, und die Ausschußanträge angenommen. Die Anträge Rr. 1948, 1953 und 1973 werden dem Hanshaltans- schuß v überwiesen. 2. Wahl: u) eines Mitgliedes in den Aufsichtsrat der Landes- siedlungsgesellschaft „Sächsisches Heim" an Stelle der verstorbenen Krau Abg. Schilling; d) eines Mitgliedes für das LandeSwohlfahrts- und Jugendamt an Stelle der anSscheidenden Aran vr. Hertwig-Bünger. Die Wahl «»«ter a wird abgesetzt und soll erst vor- genommen werden, wenn der Ersatzmann des ver storbene« Abg. Menke (Soz.) einbernfcn ist. In Erledigung von b wird Abg. Boigt (D.BP ) mit überwiegender Mehrheit gewählt. 3. Erste Beratung der Vorlage Rr. 77, den Ent- Wurf eines Gesetzes über den Staatshaushalt auf das Rechnungsjahr 1929 und die Entwürfe des ordent- lichen und des außerordentlichen Staatshaushalts- Plans für dasselbe Jahr betr. 4. Erste Beratung über die Vorlage Rr. 79, den Rechenschaftsbericht über den Staatshaushalt auf das Rechnungsjahr 1927 betr. Ainanzminister Weber (vom Abg. Böttcher sOppos. Komm.) mit dem Zuruf begrüßt: Die Schallplatte Hilfer- dings!): Meine Damen und Herren! Die Vorlage Nr. 77, den Entwurf eines Staatshaushaltsplans für den Frei staat Sachsen betreffend, stellt den wichtigsten gesetz geberischen Akt des Landtags dar. Sie ist aber gleich zeitig ein klares Spiegelbild für das wirtschaftliche, kul turelle und soziale Leben unseres Volkes und enthält die gewiß sehr beachtlichen Leistungen des Staates für die Volksgemeinschaft. An der Schwelle eines neuen Jahrtausends ist der Etat darüber hinaus aber auch ein besonders eindringlicher Beweis dafür, welche Leistungen eine wohlorgamsierte Volksgemeinschaft im Interesse derWohlfahrt des Landes aufzubringen vermag. Da die allgemeinen Erläuterungen, die lediglich eine Ergänzung der Etatrede darstellen, noch weiter ausgebaut sind und da ich im vorigen Jahre zu den großen staats- wirtschaftlichen und finanzpolitischen Fragen eingehend Stellung genommen habe, glaube ich mich in diesem Jahre wesentlich kürzer fassen zu können. Mit dem Entwürfe des Staatshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1929 ist dem Landtage gleichzeitig wie in den Vorjahren der Rechenschaftsbericht auf das Rechnungsjahr 1927 zugegangen. In Erfüllung eines von verschiedenen Seiten geltend gemachten Wunsches sind in diesem Jahre dem Rechen- schaftSberichte Erläuterungen zu den die Ausführung des ordentlichen und des außerordentlichen Staatshaus haltsplans betreffenden Übersichten 8 und 6 beigegeben worden. Ich darf annehmen, daß der Landtag dies begrüßen wird. Der Rechenschaftsbericht 1927 schließt mit einem rechnungsmäßigen Gewinne von 3415278.5b RM ab. Damit ist nicht nur der veranschlagte Fehlbetrag von rund 31 Mill. RM. ausgeglichen, sondern sogar noch ein Gewinn erzielt worden! Dieses unerwartet günstige Ergebnis ist im wesentlichen auf Umstände zurückzu führen, auf welche die Finanzverwaltung keinerlei Ein fluß besitzt, so insbesondere auf erhebliche Mehrbeträge bei den Nutzungen de- StaatSvermögenS und bei den Steuern, zum Teil auch auf erhebliche Ersparnisse in der allgemeinen Verwaltung. über da- Gesamtbild des finanziellen Ergeb nisse» de» Rechnungsjahre» 1927 ist folgende» zu sagen: Einschließlich deS rechnungsmäßigen Ertrags beim ordentlichen Staatshaushalt von rund 3,4Mill. RM hat sich das Vermögen des StaateS an Kassenbeständen, Wert papieren, Beteiligungen usw. um rund 80 294 230 NM er höht. Dieser Vermögenszuwachs, der sich hauptsächlich aus den Werten des außerordentlichen Haushaltes ergibt, wurde im wesentlichen durch Aufnahme fremder Gelder ermöglicht. Dazu treten noch die Zunahme des Wertes des unbeweglichen Staatsvermögens um 13185915 RM und die Erhöhung der Kapitaleinlagen bei den staat lichen Betrieben im Be'rage von 5834434RM. Damit er gibt sich am Schlüsse desNechnungsjahres1927 ein Gesamt vermögen des Staates in Höhe von 927 353454,55 NM., d. i. 1,26 Millionen RM. mehr als bei Beginn des Rechnungsjahres. Wiederum wird dem Haushaltausschuß eine Zusammenstellung der Zahlungen aus Reichs mitteln im Rechnungsjahr 1927 übergeben werden, um einen Einblick in die Mittel zu geben, die außer den Aufwendungen des sächsischen Haushaltsplanes noch sür soziale, gewerbliche, landwirtschaftliche und kulturelle Zwecke bereitgestellt worden sind. Es handelt sich hier bei um keine Sonderdotationen, sondern um Zu wendungen, die im Reichshaushaltsplan etatisiert sind und allen deutschen Ländern nach Lage ihrer Verhältnisse zukommen. Wenn in den letzten beiden Rechnungsjahren das veranschlagte Defizit wesentlich herabgemindert, ja im Rechnungsjahr 1927 noch ein Gewinn erzielt werden konnte, so möchte ich doch ganz ernstlich davor warnen, diese erfreuliche Tatsache auch für das laufende oder gar für das folgende Etatjahr als gegeben anzusehen. Die einzelnen Etatansätze sind unterdessen unter dem Zwange der Verknappung der Mittel viel schärfer be schnitten worden, und vor allen Dingen sind bedenk liche Zeichen für eine wirtschaftliche Depression vor handen. Günstige Wirtschaftsjahre sollten eher zur Sammlung von Reserven verwendet werden, um in schlechten Wirtschaftsjahren Mittel zur Linderung der Not in Volk und Wirtschaft bereit zu haben. Außerdem ist gerade der den Ländern zukommende Anteil an der wirtschaftlichen Besserung durch die Änderung der Reichssteuergesetze für die Zukunft erheblich beschnitten worden. Wie schon gesagt, sind für unsere Wirtschaftslage ernste Krisenzeichcn vorhanden, die in den lapidaren Sätzen aus den Vierteljahrsheften zur Konjunktur, forschung für die Wirtschaftslage im November 1928 ihren Ausdruck finden. Es heißt dort: „Produktion und Beschäftigung sind rückläufig. Die Pro- duktionsumsätze find sowohl wertmäßig wie mengenmäßig zurückgegangen." Jeder mengen- mäßige Rückgang der Produktion muß sich aber gerade auf die feingegliederte Wirtschaft Sachsens besonders nachteilig auswirken, und tatsächlich haben auch die Erwerbslosenziffern für Mitte Januar 1929 gegenüber dem gleichen Zeitpunkte des Vorjahrs eine Steigerung von 30 Proz. erfahren, wenn auch die hohe Erwerbs losenziffer des 15. Januar 1927 noch nicht erreicht wird. Die Regierung hat bereits im laufenden Etatjahr alle Maßnahmen unterstützt, die auf eine Förderung von Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft hinzielten. Ins besondere hat die Negierung geglaubt, die sächsische Industrie sür die Hereinnahme von Aufträgen aus Nuß- land im Rahmen des Gesamtkredits von 10 Millionen RM dadurch unterstützen zu müssen, daß sie für die zurück- gezahlten Bürgschaftskredite von neuem die Bürgschaft übernahm. Bisher haben sich diese sogenannten Russen kredite glatt abgewickelt, und darum hat die Regierung geglaubt, den bewilligten Gesamtkredit bis auf weiteres als revolvierend ansehen zu können. In der Lage der Landwirtschaft ist leider immer noch keine Besserung eingetreten. Die Sächsische Regie rung hat namentlich der bäuerlichen Landwirtschaft auf steuerlichem Gebiete geholfen, soweit eS überhaupt in ihrer Kraft lag. Sie wird es auch weiterhin tun, wenn auch die Frage der Rentabilität der landwirtschaftlichen Betriebe in erster Linie eine Reichsfrage ist. Auch für die mittelständischen Berufe in Handwerk, Handel und Gewerbe ist die Lage nicht besser geworden, und auch für diese Erwerbskreise wurden auf steuerlichem Gebiete nach Prüfung der Verhältnisse Erleichterungen in großem Umfange gewährt. ES sind auch bereits alle Maßnahmen eingeleitet worden, um den gewerblichen Betrieben für die Winters- und Frühjahrszeit die staat lichen Aufträge zuzuführen, die sich zu einer Ausführung in dieser Jahreszeit eignen. Weiter hofft die Regierung, daß auch bei den Strom preisen bald eine beide Teile befriedigende Lösung ge funden wird. Eine aus Vertretern von Landwirtschaft, Handwerk und der Sächsischen Werke bestehende Kom- Mission prüft die Beschwerden und das Verhältnis zu anderen Stromgebieten zurzeit nach und die Regierung versichert, daß sie dem Ergebnis Rechnung tragen wird. Das Gesamtergebnis einer Betrachtung der wirtschaftlichen Verhältnisse Sachsens bietet ebenfalls keine Anhaltspunkte zu dem optimi stischen Wirtschaftsbericht des Herrn Repara- ionsagenten Parker Gilbert, im Gegenteil: e- eiden große Schichten des Volkes und der Wirt- chaft bittere Not und kämpfen unter den öffent- ichen Lasten verzweifelt um die Erhaltung ihrer Existenz. Ich wende mich nunmehr dem vorgelegten Haus haltspläne zu. Formell enthält er einige Änderungen gegenüber den bisherigen Plänen. Zunächst wird der Fehlbetrag nicht mehr bei Kap. 11 und damit dem Un eingeweihten verborgen verschrieben, sondern m oer Hauptübersicht offen ausgewiesen. Des weiteren werden die Mittel für Verzinfung und Tilgung der 10 Mil lionen RM. des außerordentlichen Etats für den Straßen bau nicht mehr bei Kap. 58 verbucht, da sie ja wie ,ur alle Anleihen bei Kap. 13 unter Verzinsung und Tilgung der Staatsschulden anteilig verschrieben sind. Außerdem sind die Mittel für die produktive Erwerbslosenfürsorge von Kap. 36 auf den außerordentlichen Etat über nommen worden, da es sich nicht um reine Verwaltungs ausgaben, sondern um Darlehen handelt, die gegen Zins- und Tilguugsvereinbarung ausgeliehen werden. Diese Einstellung entspricht dem Verfahren ,m Reiche, in Preußen und anderen deutschen Laudern. Neu sind in Kap. 17 unter Rücklage 7^ Millionen RM als Wohnungsbaudarlehen eingestellt, die bei der Lega lisierung der bekannten Stundungsverordnung dem Wohnungsbau zugeführt werden sollen. Dieser Betrag wird keine Dauerbelastung bleiben, sondern wird bei der nächsten Mietzins- bezw. Aufwertungssteuerregelung wegfallen. Der vorgelegte Etat für das Nechnungslahr 1929 schließt bei einem Gesamtbeträge von rund 435,8 Mil lionen RM gegenüber dem Vorjahre mit einem Mehr beträge von rund 18,4 Millionen RM ab. Die zwangs läufigen Vorbelastungen des neuen Etats sind noch bedeutend höher und die Mehrbelastung konnte nur durch äußerst sparsame Einstellungen im gesamten Etat auf den genannten Betrag herabgemindert werden. Die Steigerung der Gesamtsumme beträgt demnach rund 4 Proz., während zum Beispiel die Steigerung der Gesamt ausgaben in Bayern 7,73 Proz. ausmacht. Tie zwangs- äufigen Vorbelastungen des Haushalts für das Jahr 1929 liegen in der Kürzung der Polizeisudvention durch das Reich mit 366000 RM, der erhöhten Verzinsung >er Staatsschuld mit 3,5 Millionen, der weiteren Durch- ührung des Straßenbauproaramms mit 1,3 Millionen, »em gestiegenen Pensionsaufwande init 1 Mjlliyn, den erhöhtenAnwaltsgebührcnmit 1,5 Millionen, der erhöhten Leistung für den Landesfürsorgeverband mit 1 Million, dem genannten Darlehen für Wohnungsbauten in Kap. 17 mit 7 A Millionen, dem erhöhten Aufwande für die Lehrerbesoldung mit rund 3 Millionen NM., der Einrechnung der erhöhten Löhne für Arbeiter und An gestellte sowie den erhöhten Sachkosten. Diesen Mehrforderungen stehen auch Erhöhungen aus den Nutzungen des StaatSvermögenS gegenüber, die es ermöglichen ließen, den Fehlbetrag von rund 25 MillionenRM auf 19,5Millionen RMherabzudrücken. Der Etat war bereits mit einem Fehlbeträge von 18 Millionen NM abgeschlossen, als vom Reichstage durch die Verabschiedung des Gesetzes über die Er höhung der Rechtsanwaltsgebühren in Armensachen dem Lande eine Mehrausgabe von 1,5 Millionen RM auferlegt wurde, und damit der Fehlbetrag auf 19,5 Millionen RM erhöht werden mußte. So greift derReichstag dauernd direkt und indirekt in d»e Finanzlage der Länder ein, ohne Ersatz für Ausfälle zu bieten. Proteste der Länder im Reichsrate gegen ein derartiges Vorgehen von Neichsregierung und Reichstag verhallen, so daß nur eine klare Abgrenzung der gesetzlichen Befugnisse zwischen Reich und Ländern sowie eine weitergehende Steuerhoheit für die Länder in diesen untragbaren Verhältnissen eine Änderung schaffen kann. Es stärkt auch zweifellos nicht das Rechtsempfinden des Volkes, wenn von feiten der Ländervertretungen immer wieder erklärt werden muß, daß das Reich seine klaren Verpflichtungen nach Art. 8 der Neichsverfassung und aus § 54 des Finanz- ausgleichsgeietzes verletzt, ja darüber hinaus sich zur zeit anfchickt, den Ländern und Gemeinden weitere Einnahmen wegzunehmen. Die Sächsische Ne gierung hat gewiß volles Verständnis für die schwierige Lage des Reichs, aber sie kann nicht einsehen, daß die finanzpolitischen Folgen ans den Reparationsverpflichtungen allein von den Ländern und Gemeinden getragen werden sollen, und sie hat auch kein Verständnis dafür, daß das Reich seine Verwaltungen immer weiter ausbaut und neue sich an gliedert für Aufgaben, für welche die Länder zuständig find und wo auch die Einrichtungen schon längst vorhanden find. Auf der anderen Seite ist kein Fortschritt zu ersehen, wo durch Übertragung von Reichsaufgaben auf vor handene Länderverwaltungen Ersparnisse erzielt werden könnten, wie auf dem Gebiete der Bauverwaltung Das in meiner vorigen Etatrede gekennzeichnete Neben, einander von Reichs- und Länderbauverwaltung besteht weiter. Das Reich scheint demnach auch nicht die ge ringsten Konzessionen machen zu wollen im Interesse emer sparsamen Haushaltsführung. Wenn ich mich nunmehr wieder der Finanzlage des Sächsischen Staats zuwende, so muß ich zunächst zur Kassenlage berichten, daß sie oftmals recht gespannt war. D,e Mittelbeschaffung machte immer größere Schwierig, ketten und dazu kommt noch, daß infolge der verschieden- artigen Steuereingänge oft der zur Verfügung gestellte Betriebsmtttelkredit nicht auSreichte. Vor allen Dingen erschweren auch die erheblichenAu-gabevorbehalte früherer Etattahre die Kaffenlage, die zu den laufenden Ber- pflichtungen noch hinzukommen. E» ist daoer bei Auf-