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LMMU M NEU« NMUilllU Nr. 215. zu Nr. 22 des Hauptblattes. 1929. Beauftragt mit der Herausgabe RegierungSrat Brauße in Dresden. und auf die ungenügende Fürforgeunterstützung ver wiesen. Trotzdem gibt es in Sachsen bereits über 200000 unterstützte Erwerbslose. Die Not dieser Erwerbslosen gilt es zu lindern. Der Landtag wolle deshalb beschließen: die Regierung zu beauftragen. I. sofort 10 Mill. RM. als 1. Rate zur Verfügung zu stellen, um damit den nichtbezugsberechtigten Erwerbslosen und Saisonarbeitern ausreichende Unterstützung und denjenigen mit unzureichenden Unterstützungssätzen Zuschüsse zu zahlen; II. sofort alle für das Etatjahr 1929/30 vorgesehenen Arbeiten in Auftrag zu geben und dem Landtag ein Programm über weitere Arbeiten vorzulegen, um auch auf diese Weise die Erwerbslosigkeit zu bekämpfen; III. bei der Reichsregierung zu vertreten, daß die Bestimmungen des Erwerbslosenversicherungs gesetzes so abgeändert werden, daß an alle Er- werbslose während der ganzen Dauer der Er werbslosigkeit ausreichende Unterstützung gezahlt werden muß. Insbesondere müssen die Bestim mungen über Saisonarbeit usw. völlig beseitigt werden. Abg. Lieberasch (Oppos. Komm. — zur Begründung): Die kommunistische Opposition hat am 15.Januar diesen Antrag gestellt, um zu erreichen, daß die Öffentlichkeit und die beteiligten Kreise sich etwas mehr als bisher mit der steigenden Arbeitslosigkeit beschäftigen, um dem Elend der Erwerbslosen zu steuern. Infolge des Wachsens der Erwerbslosigkeit auf der ganzen Linie, sehen wir die Tatsache, daß der Verwaltungsrat der Reichsansialt nach Mitteln und Wegen sucht, auf jede Art und Weise die vorhandenen Mittel der Erwerbs lich, daß bei der Notlage, in der wir uns jetzt befinden, die Einfuhr von ausländischen Arbeitern möglichst ein geschränkt werden möchte, damit erst einmal die hei mischen Arbeiter Arbeit erhalten. (Abg. Schladebach: Die wollen ja gar nicht arbeiten! — Lebhafter Wider spruch link«.) Sie brauchen die Leute bloß entsprechend zu bezahlen, dann werden Sie schon Leute be- kommen, aber daran mangelt's eben bei Ihnen! lAbg. Schladebach: Das müssen wir nur erst können!) Meist benutzt man die ausländischen Arbeiter nur zu Lohndruck und tonst etwas. Die Landwirtschaft hat die allerwenigste Ursache, sich darüber aufzuregen, da von ihr sehr viele Gesuche gemacht werden, um die Arbens- losenbeiträge usw. nicht zu bezahlen, die sie sogar als Fau lenzersteuer bezeichnet. Wenn man bedenkt, daß der Staat gerade für die Landwirtschaft alles tut, so muß man sich umwmehr wundern, daß gerade diese Kreise sich zu solchen Ausdrücken Hinreißen lassen. Wir verlangen auch von der Reichsregierung, daß diese natürlich oaS gleiche versucht, um die Notstands maßnahmen so einzurichten, daß die Arbeitslosigkeit vermindert wird. Es wird weiter die Aufgabe sein, daß man die Mittel aus der produktiven Erwerbslosenfürsorge nicht nur für Ttefbauten zur Verfügung stellt, sondern auch für Hoch bauten, ganz besonders für Wohnungen. (Sehr richtig! b. d. Soz.) ES wird dadurch vielleicht sogar wesentlich mehr erreicht, als das bei den Tiefbauten der Fall ist. Sie wissen, wenn diese Mittel für Hochbauten zur Ver fügung gestellt werden, daß dann eine ganze Reihe anderer Gewerbezweige befruchtet werden, wodurch eine ganze Menge Arbeit geschaffen wird. Wenn man bedenkt, daß wir im gesamten Reichsgebiet 2 V, Mill. Erwerbslose haben, denen iin Dezember 1928 nur 24000 Arbeiter für Notstandsarbeiten gegenüberstanden, so beweist das, daß die Notstandsarbeiten m viel größerem Umfange in Angriff genommen werden müssen. Wir bitten, den Antrag dem HauShaltauSschuß 8 zu überweisen, und werden dort noch das Nötige sagen. (Beifall b. d. Soz.) Punkt 11 der Tagesordnung: Erste Beratung über dn, ««trag der «bgg. Böttcher, Lieberasch, Rötzscher Schreiber (Vberwürschnitz) «nd Siewert zum gleiche« Gegenstand. (Drucksache Rr. 1»SS.) Der Antrag Nr. 1053 lautet: Die Erwerbslosigkeit wächst in einem Umfange an, der ein sofortige» Einschreiten zur Linderung der Not der Erwerbslosen und ihrer Familien verlangt. Durch die skmdüivsen Bestimmungen de» Erwerb»- losenversicherungsgesehe» und die Verordnungen de» BerwaltungSrateS der Reichsanstalt für Arbeitslosen versicherung und -Vermittlung werden eine Masse Arbeiter vom Bezug von Unterstützung ausgeschlofsen auszunützen und, gestützt auf das Riesenheer von Erwerbslosen, dann bei Lohn- und Tariskämpfen die Löhne und Akkordpreise herabzusetzen und die Arbeiter zu höheren Arbeitsleistungen zu bringen. (Sehr richtig! b. d. Oppos. Komm.) Es genügt aber nicht, daß wir solche Anträge hier im Landtage stellen und uns mit der Ablehnung be gnügen, es genügt auch nicht, daß zurzeit bereits ein Teil der Erwerbslosen in Bewegung ist und mit Hilfe von Demonstrationen einen Druck auf die Gememde behörden auszuüben versucht, uni eine bessere Unter stützung zu erhalten, als sie gegenwärtig gegeben wird, sondern es muß die Verbindung der Erwerbslosen zu den Arbeitern in den Betrieben, der Unorganisierten mit den Organisierten hergestellt werden. (Sehr wahr! b. d. Oppos. Komm.) In allen proletarischen Organisa tionen muß die Frage einer ausreichenden Unterstützung der Erwerbsloien, und zwar in einer gemeinsamen solidarischen Aktion der Erwerbslosen und der noch im Produktionsprozeß Stehenden/ der Unorganisierten mit den Organisierten zusammen durchgeführt werden, um einen so starken Druck zu erzielen, daß mehr als bisher der Not und dem Elend der Erwerbslosen gesteuert wird und die Gelder, die zurzeit zur Erhal tung der kapitalistischen Gesellschaft in Form von Subventionen und Steuernachlässen an die kapitalistische Gesellschaft gegeben werden, nunmehr endlich ein mal im Interesse der Erwerbslosen, im Interesse der Mehrheit des sächsischen Volkes, im Interesse eer Ar beiter verwendet werden. (Sehr richtig! b. d. Oppos. Komm.) Wir werden versnchen, das in Verbindung mit unserem Anträge zu erreichen In welchem Zeit räume uns das gelingen wird, hängt -nicht allein von uns ab, sondern davon, mit welchem Ernste die Par teien, die sich als Arbeitervertretungen gegenüber der Arbeiterschaft draußen attsgeben, gewillt sind, über den Rahmen dieser demokratischen Parlamente hinaus die Kräfte der Arbeiter, der Erwerbslosen und der noch mi Pr >duktionsprozeß Stehenden gemeinsam mit uns geg.n die bürgerliche Gesellschaft und gegen die säch sisch- Bürgerblockregierung einzusetzen. (Bravo! b. d. Op os. Komm.) Punkt 12: Erste Beratung über de« Antrag de» Abg. Renner «. Gen. znm "gleichen Gegen stand (Drucksache Rr. IV7S). Der Antrag Nr. 1073 lautet: Die Erwerbslosigkeit in Sachsen nimmt immer größere Formen an. Es gibt in Sachsen jetzt schon weit über 200000 Erwerbslose und die Zahl der nichtbezugsberechtigten Erwerbslosen steigt täglich. Bei der Durchführung des Gesetze», betr. Sonder- fürsorge sür berufsübliche Arbeitslosigkeit, ergibt sich, daß noch nicht naturalisierte Ausländer, die jahre lang in Deutschland wohnen, arbeiten und ihre Steuern zahlen, aus der Sonderfürsorge keine Unter stützung erhalten und daß die Saisonarbeiter, wenn sie einen Antrag auf Sonderfürsorge stellen, der Be- dürftigkeitsprllfung unterzogen werden. Der Landtag wolle deshalb beschließen: - die Negierung zu beauftragen, dahingehend zu wirken, daß 1. allen aus der Erwerbslosenversicherung AuS- geschiedenen die volle Unterstützung weitergezahlt wird und die dazu benötigen Mittels ofort zur Ver fügung gestellt werden; 2. daß alle hier wohnenden Ausländer auch aus der Sonderfürsorge ihre Unterstützung erhalten; 3. daß die Bedürftigkeitsprüfung in Wegfall kommt. Ber.-Erst. Abg. Opitz (Komm. — zur Begründung): Die Erwerbslosigkeit ist keine Ausnahmeerscheinung mehr, sondern sie ist zu einer Dauererscheinung ge worden, nicht nur in Deutschland, sondern sehr stark auch in den übrigen Ländern. Da» ErtverbSlofen- versicherungsgesetz, das bei seiner Einbringung und Durchführung im Reichstag besonder» von der Sozial demokratie und von den Gewerkschaftsführern al» ein sozialer Fortschritt gepriesen würde, Ist, wie die Kom munistische Partei schon damal» den breiten Arbeiter- massen gesagt hat, tatsächlich kein sozialer Fortschritt, sondern bedeutet einen weiteten Fortschritt sür die sozialreaktionären Kräfte gegen die Erwerbslosigkeit und gegen die Erwerbslosen überhaupt. Heute sehen wir mit aller Deutlichkeit diese enormen Auswir kungen des Erwerbslosenversicherungsgesetzes, und ge stützt auf dieses Gesetz wird auch der Feldzug gegen die Erwerbslosen durchgeführt. War da» Gesetz in seiner ursprünglichen Form schon reak tionär und antisozial gegen die Erwerbslosen ein gestellt, so ist es im Verlaufe der Entwicklung durch die Verordnungen der Reich»anstalt noch wesentlich verschlechtert worden. (Sehr richtig! b. d. Komm.) Heute ist die Frage so, daß ersten» die sozialdemokra tischen Minister Gesetze und Verordnungen erlassen, die da» Elend der Erwerbslosen steigern, und »weiten» sind es sozialdemokratische Schlichter, die Hungerschiedssprüche fällen, die die Löhne der Arbeiter weiter herabsetzen. Ich erinnere bei dieser Gelegenheit immer an den Schand- schiedSspruch Severings, der selbst von der linken Leip ziger VolkSzeckung al» Schandschiedsspruch bezeichnet wurde. Auf der anderen Seite sind e» sozialdemokratische Polizeipräsidenten, die den Gutnmiknüppel gegen Arbeiter schwingen, wenn Arbeitslose, gezwungen durch die Not, auf losenversicherung einzusparen und immer mehr Erwerbs lose aus dem Kreis der Unterstützungsempfänger heraus- zubringen. Ein Mittel hierzu ist die Verordnung über die Saisonarbeiter, über die berufsübltche Erwerbs losigkeit. In der Tatsache, daß die Erwerbslosigkeit in der Nach kriegszeit in Deutschland mindestens seit 1921 zu einer Er- scheinung geworden ist, die aus der Wirtschaft und aus dem öffentlichen Leben überhaupt Nicht mehr verschwindet, fondern sich immer auf ekne gewisse Höhe hält, drücken sich die Erfolge der Rationalisierung der deutschen Wirt- schäft aus. Wir sehen bet der Industrie in Ver- bindung mit der Vertrustung der Großbetriebe und der Einführung des modernsten technischen Fortschritts eine ungeheure Steigerung der Leistungsfähigkeit dieser Betriebe und der gesamten Produktion, die heute gegenüber der Vorkriegszeit in allen Industrie- zweigen Deutschlands die Vorkriegsproduktion weit überholt hat, und ein Anwachsen des Prosits und eine Steigerung der Kapitalbildung in Deutschland sowie auf ver anderen Seite als Begleiterscheinung ein dauernd wachsendes Erwerbslosenheer in Deutschland immer mehr und stärker in die Erscheinung treten. Und wenn man dann im Rahmen einer solchen zwangs- läufigen Entwicklung, die die Erhaltung der kapitalistischen Gesellschaft nur auf Kosten des Elendes von Millionen von Arbeitern und ihrer Angehörigen ermöglicht, die gegenwärtige Erwerbslosenversicherung betrachtet, dann muß eine solche Erwerbslosenversicherung, gemessen an der Not und dem Elend der Erwerbslosen, einfach zum Scheitern verurteilt sein. Die Maßnahmen und Möglich, leiten, die im Erwerbslosenversicherungsgesetz gegeben sind, werden von den Stellen, die im Auftrage oer Unternehmer dieses Gesetz benutzen, dazu verwendet, um die Sozialpolitik abzubauen und möglichst viele dieser stehenden Erwerbslosenarmee aus dem Genüsse der ErwerbSlosenunterflützung auszustoßen. Deshalb hat die kommunistische Opposition den Antrag unter Nr. 1053 unter 1 gestellt. Durch den Antrag unter 2 soll der Erwerbslosigkeit auf die Weise gesteuert werden, der Staat die im Etat vorgesehenen Arbeiten bereits jetzt vergeben darf, um Arbeit zu schaffen. Er soll ferner ein Programm über weitere Arbeiten vorlegen, die im Laufe des Jahres und vielleicht auch dann im weiteren Verlaufe der Entwicklung, durchgeführt werden können, umsoden Arbeitern Sachsen», denen die Möglichkeit des AuSwandernS genommen ist, die Möglichkeit zu geben, wenigstens auf dem Gebiete dieser tariflich bezahlten Notstandsarbeiten dann ihre Arbeitskräfte im Interesse der Gesellschaft zu verwenden Wie notwendig em solcher Antrag ist, das zeigt ein kurzer Einblick in den un» erst diese Woche vorgelegten Etat. Da geht aüS 8 3 de» Gesetzes über den Staatshaushalt für 1929 hervor, daß nicht die Arbeitslosigkeit und die Notwendigkeit, diese Arbeiten durchzuführen, die Grund lage ist, sondern es beißt einfach, wir werden diese Dinge, die wir geplant haben, erst durchführen, wenn wir das Geld im Säckel haben. Wenn dieser 8 3 Gesetz wird, werden wahrscheinlich die im außerordentlichen Etat für di« wertschaffende Erwerbslosenfürsorge geplanten Arbeiten und die Straßenbauten und Talsperrenbauten, für die 10 Millionen eingesetzt sind, nicht au-gegeben werden und einfach vielleicht unterbrochen werden; die Regierung wird sagen, wir haben kein Geld, und sie wird da» Ihrige dazu bei tragen, die Erwerbslosigkeit in Sachsen nicht zu beheben, sondern noch zu steigern (Sehr wahr l b. d. Oppos. Komm.), damit ihre Auftraggeber, die sächsischen Industriellen, dann in die Loge kommen, die Rot dieser Erwerbs losen zu einem Druck auf die Arbeiter in den Betrieben Landtagsverhandlungen. (Fortsetzung der 102. Sitzung von Donnerstag, den 24. Januar 1829.) Punkt 11: Erste Beratung über den Antrag des Abg. vöchel «. Gen. wegen Ergreifung von Maß- nahmen zur Linderung der Erwerbslosigkeit. (Druck sache Rr. 1948.) Der Antrag Nr. 1048 lautet: Durch die ungeheuere, immer noch steigende Arbeitslosigkeit wird die Not der erwerbslosen Arbeiter und Angestellten ins unerträgliche gesteigert. Wir beantragen deshalb: Der Landtag wolle beschließen: die Regierung zu ersuchen, 1. unverzüglich alle Maßnahmen zu treffen, die geeignet sind, die Arbeitslosigkeit zu verringern, insbesondere a) rückständife Arbeiten aus dem laufenden Etat jahr sofort zu vergeben; d) die Vergebung der vom Staat geplanten Arbeiten, die erst zu einem späteren Zeitpunkt ausgeführt werden sollen, beschleunigt in Angriff zu nehmen; 2. bei der Reichsregierung dahin zu wirken, daß die Mittel für den Bau des Elster—Saale-Kanals in den Reichshaushaltplan für 1929 eingesetzt werden und die Inangriffnahme der Arbeiten sofort an geordnet wird Abg. Tempel (Soz. — zur Begründung): In keinem der zurückliegenden Jahre ist die Zahl der Erwerbs- lolen so schnell gestiegen, wie in diesem Winter. Wir wollen deshalb mit unserem Anträge bezwecken, daß die Landesregierung von sich aus alles versucht, die Arbeitslosigkeit zu vermindern. Das gleiche verlangen wir natürlich auch von den Gemeinden. Wir wissen, daß auch dort eine ganze Menge Rotstandsarbeiten gemacht werden können; ich erinnere nur an Straßen bauten; dw Straßen befinden sich ja in einem recht zweifelhaften Lustand. Die ganz? Notlage , erfordert also, daß »Esem Anträge pattgegeben wird. Sie erfordert aber auch weitere Maßnahmen, die wir hier gleich mit zur Sprache bringen möchten. Wir Haven jetzt zu verzeichnen, daß in der Industrie und in der Landwirtschaft sehr viel ausländische Ar beiter hereingeholt worden sind. Es ist selbstverständ