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ÄMOikÜU W AchWn AutzeiiW Nr. 210. zu Nr. 15 des Hauptblattes. 1929. Beauftragt mit der Herausgabe Regierungsrat Brauße in Dresden. LandtaftsverhaMungen. IW. Sitzung. Donnerstag, den 17. Januar 1S2V. Stellv. Präsident vr. Eckardt eröffnet die Sitzung 13 Uhr 6 Minuten nachmittags. Am RegierungStifch die Minister ElSner, Vr Kaiser und Weber sowie Negierungsvertreter. Vor Eintritt in die Tagesordnung erhält des Wort zu einer Erklärung Abg. Lieberafch (Oppos. Komm.): Die „Arbejter- stimme", offizielles Organ der KPD. für Ostsachsen, meldet unter der Überschrift „Ein Schurkenstreich der Abgesplitterten", die Mitglieder der Kommunistischen Opposition seien in das Fraktionszimmer der Kommu nistischen Landtagsfraktion eingebrochen. (Abg. Böttcher: Räuber!) Bei der öffentlich bekannten Wahrheitsliebe des zur Zeit für die „Arbeiterstimme" verantwortlich Zeichnenden ist es zwecklos, mit einer preßgesetzlichen Berichtigung diese infame Verleumdung aus der Welt zu schassen. (Abg. Böttcher: Sehr richtig!) Die Unterzeichneten stellen deshalb fest, daß sie nach der ordnungsgemäßen Übergabe deö gesamten Materials durch den Abg. Rötzscher an den neuen Sekretär nur in Anwesenheit von Fraktionsmitgliedern der Kommu- nistifchen Landtagsfraktion deren Zimmev betreten haben. Keiner von ihnen hat vom Landtagspersonal Öffnung der Schränke oder Herausholung irgendwelcher Materi alien verlangt. (Zuruf links.) Wir haben auch nicht nach Landtagsschluß die Räume betreten. (Abg. Böttcher: Sehr richtig!) Was wir an Material mitgenommen haben (Aha! und Hört, hört b. d. Komm.), ist von unS persönlich zusammengetragenes Material und unser politisches und persönliches Eigentum. (Zuruf d. Abg. Renner.) Wir hätten einen rechtlichen Anspruch auf einen prozentualen Anteil am Fraktionsinventar, da es das Ergebnis unserer langjährigen Arbeit ist. Dir verzichten auf einen Streit deshalb, weil wir das, was die Kommu nistische Landtagsfraktion im Apparat und den Mappen hat, im Kopfe haben. (Große Heiterkeit.) Unser Kampf geht nicht um Büroeinrichtnngen und bedrucktes Papier, sondern darum, alle ehrlichen revolutionären Arbeiter für eine gesunde von Korruption befreite Kommunistische Partei zu gewinnen. (Abg. Kuntzsch: Wo?) (gez.) Böttcher, (gez.) Lieberasch- - Rötzscher, - Schreiber, - Siewert. Hierauf wird in die Tagesordnung eingetreten: 1. Erste Beratung über den Antrag des Abg. Voigt u. Gen. wegen Stiftung eines LeffingprcifcS für sächsische Schriftsteller (Drucksache Rr. SS7). Der Antrag lautet: Der Landtag wolle beschließen: die Regierung zu ersuchen, in Würdigung des dem nächst zu feiernden 200. Geburtstages von Gotthold Ephraim Lessing einen Lessingpreis in Höhe von 5000 RM. zu stiften. Dieser Preis soll möglichst häufig ausgesetzt werden und unter solchen sächsischen Schriftstellern zur Verteilung gelangen, die im Lande tätig sind und durch ihre Werke der sächsischen Heimat anerkannte Dienste erweisen. Abg. -voigt (D. Vp. — zur Begründung): Das gleiche Ziel wie unser Antrag verfolgt eine Eingabe, die der Schutzverband der deutschen Schriftsteller, Gau Ostsachfcn, seinerzeit an den Landtag gerichtet hat. Der Kernpunkt jener Eingabe ist, daß der sächsische Staat den 200. Geburtstag Lessings nicht vorübergehen lassen könne, ohne den großen Sohn der Heimat zu begrüßen, und zwar in einer weithin sichtbaren Hand lung und in einer Form, die der einstigen Sendung des Gefeierten irgendwie entspricht. Mit dem von uns angeforderten Lessingpreis möch ten wir Anerkennung, Hilfe und Stützung ausdrücken für jene wertvollen Kräfte, die an der Bereicherung unseres Volkes mit bestem Schrifttum arbeiten. Es hat damals die vorhin genannte Vereinigung ein Verzeichnis mit überreicht über literarische Preise, die in Deutschland und in benachbarten Ländern eingerichtet sind. Daraus ergibt sich, daß das Land Preußen mit einem solchen Preis vertreten ist, auch das Land Hessen, und kürzlich war aus der Presse zu entnehmen, daß Lessingpreise eingerichtet haben die Stadt Berlin und vor allen Dingen die Stadt Hamburg. Beim Blick auf unser Lnnd ergibt sich, daß in Chemnitz eine Ehrengabe der Gesellschaft der Bücherfreunde vor Jahren gegründet wurde. Es ist die Ehrengabe wohl dreimal verteilt worden, leider immer außer Landes. Der sächsische Staat hat bisher etwas derartiges nicht geschaffen, obwohl gerade unser Land bekannt ist, der Welt so viele hervorragende Männer als Träger der Geistigkeit geschenkt zu haben,- außer Lessina darf ich an Luther erinnern, an Leibniz, Fichte, Nietzsche, Wagner. Unser Land ist auch heute nicht arm an Schriftstellern, die für literarische Bereicherung sorgen und damit unserem Volke anerkennenswerte Dienste erweisen. Für unser Sachsen, dem Heimatland Lessing-, sollte dessen 200. Ge- burtstaa ein willkommener Anian sein, staat-seitig einen literarischen Preis zu stiften. Ich dächte, eine bessere Verknüpfung als mit dem Namen Lessing ließe sich kaum denken. Wir kennen Lessing als den Klassiker; deutschem Geist und Wesen hat er die Möglichkeit edlen Ausdrucks geschenkt. Als Kritiker auf dem Gebiete der Kunst hat er neue Wege erschlossen. Fremdes Wesen auSzumerzen und deutsches Wesen in seiner Eigenart klar erkennen zu lassen, hat sich Lessing mit Erfolg be- müht. Größte Geister sind ihm in Verehrung gefolgt; in seinen Dichtungen ist er unvergänglich. Davon können wir uns in Dresden jetzt in diesen Tagen gerade aufs neue überzeugen. Nationaler Sinn paart sich bei Lessing mit höchster Gerechtigkeit, mit dem heiligen Streben nach edelster Menschlichkeit. Lessing wollte aber auch zugleich hinauswirken in die ganze Menschheit Unsere sächsische Heimat darf stolz sein auf diesen Mann, er gehört zu den ganz Großen, die deutschem Geist und Wesen in der Welt Geltung verschosst haben. Deutsches Wesen soll sich seiner Wurzeln bewußt sein; in der Heimat wurzelt dieses Wesens Kraft. Darum soll man gerade, wenn man den Mann feiern will, der deutschem Wesen Weltgeltung verschafft hat, nach meinem Dafür halten diejenigen belohnen, die auf die Wurzeln deutschen Geistes Hinweisen. Das aber sind in erster Linie unsere Heimatdichter. In dem vorliegenden Anträge wird gefordert, es möchte möglichst häufig dieser LefsingpreiS ausgesetzt werden. Uns ist cs am erwünschtesten, wenn er alljährlich aus Staatsmitteln eingesetzt werden könnte. Wenn es in unserem Anträge heißt, es sollen solche Persönlichkeiten berücksichtigt werden, die der sächsischen Heimat an erkannte Dienste erweisen in ihrer Tätigkeit, daun mömte ich bemerken, daß uns nicht etwa eine engherzige Aus- legung vorgeschwebt hat. Wir möchten allerdings meinen, daß im gegenwärtigen Jahre, das uns auf eine tausendjährige Geschichte Sachsens zurückblicken läßt, die Auszeichnung mit dem Lessingpreise den Männern ge bührt, die im eigenen Lande wohnen und Anerkanntes schaffen. Wir fordern hierfür 5000 M. Manche meinen, ein geringer Betrag, andere glauben, eine beträchtliche Summe sei das. Dieser Betrag kann aufgeteilt werden, und so kommen wir in die Lage, im Laufe der Jahre mehrere große Kräfte daran teilnehmen zu lassen. Ich verhehle mir nicht, daß die Auswahl der Preis träger nicht immer leicht jein wird. Ich möchte daher dringend raten, zur Einbringung und Begutachtung von Vorschlägen von Preisträgern eine Kommission ein zusetzen, eine Aufgabe, die wir der Negierung über lassen müssen. In diese Kommission hinein gehört nach meinen: Dafürhalten in erster Linie eine Vertretung des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller, aber auch des Landesverbandes der sächsischen Presse. Ferner möchte darauf Bedacht genommen werden, daß, soweit möglich, Herren aus verschiedenen Laudestcilen hierfür ausgewählt werden. Ich kann mir denken, daß es ersprießlich sein wird, wenn alles das so eingerichtet wird, daß die gesamte Einrichtung von Anfang an geschützt ist vor persönlicher oder parteilicher Einseitig- keit. Entscheidend bei der Verteilung des Preises sollen im allgemeinen immer die Leistungen sein. Ich möchte bitten, der Schlußberatung dieses An trages zuzustimmen, die ich hiermit beim Präsidium beantrage. In 5 Tagen stehen wir vor dem Geburts tage Lessings, und bis dahin möchte doch die von uns beantragte Einrichtung dieses Preises verwirklicht werden. Ich hege übrigens die Erwartung, daß die Regierung inzwischen alle nötigen Vorkehrungen ge troffen hat, um die Preisverteilung für die Zeit vor Lessings Geburtstag durchführen zu können. Abg vr. Kastner (Dem ): Ich habe grundsätzlich gegen die Schlußberatung des Antrages an sich nichts ein zuwenden, wenn Sie die Güte haben, einen Abänderungs antrag, der den zweiten Satz des Antrages Nr. 967 korrigieren soll, zuzustimmen. Wir beantragen, Catz 2, wie folgt, zu fassen: Dieser Preis soll möglichst häufig ausgesetzt werden. Erhalten soll ihn jeweils ein in Sachsen geborener oderinnerhalbSachsensseitmehrerenJahrenwohnendcr deutscher Schriftsteller, gleichgültig welcher Konfession und welcher Parteizugehörigkeit, dessen bisheriges dichterisches Gesamtwerk oder dessen literarische Einzel leistung sich einer derartigen Auszeichnung Wert er weist. Vor der Verleihung sind gutachtlich die Vor stände der sächsischen Ortsgruppen des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller zu hören. Diesen Zusatzantrag stellen wir. Zur Begründung darf ich einige kurze Worte dazu sagen. Ich halte den gegen wärtigen Moment nicht dazu geeignet, für die Zuhörer schaft eine Festrede auf Lessing zu halten. Ich möchte aber mit Herrn Voigt neben dem klassischen Schriftsteller und Kritiker doch den Vorkämpfer für Geistessreiheit in weltanschaulicher und politischer Hinsicht nicht ganz vergessen sehen. Wenn der große geistige Umschwung der damaligen Zeit im deutschen Volke sich hat Bahn brechen können, dann ist das zum großen Teil ein Ver dienst Lessings, das wir nicht vergessen wollen. Ich bedauere eS deshalb, daß wir hier vom Staat und Stadt eigentlich bisher kaum etwas gehört haben und wohl auch nicht mehr hören werden, daß man vom Lande Sachsen aus oder auch in der Haupt- nadt des Lande- Sachfen dieses Mannes in besonderer Weise gedenkt. Mit Ausnahme der einen Morgenfeier im Schauspielhaus und der Kamenzer Veranstaltung weiß ich hier in Sachsen nicht» von Lessingfeiern. Ich möchte bei der Gelegenheit auch feststellen, daß da» letzte, was das Land Sachsen seinerzeit dem lebenden Lessing gegenüber zu tun sich bemüßigt sah, das Andrehen eines Gotteslästerungsprozesses gewesen ist, dessen Be endigung nur durch den Tod Lessings verhindert wurde. Das war das etzte, was Lessing mit Sachsen persönlich verbunden hat. Wenn wir heute an der Hand einer solchen Stiftung, deren Betrag minimal ist, aber hoffent lich vergrößert werden kann, die aber doch moraUscken und sachlichen Wert hat, uns zu ihm und seinem An denken wieder bekennen, so ist das etwas Notwendiges gerade in der gegenwärtigen Zeit. Ich wäre dem Herrn Kollegen Voigt außerordentlich dankbar, wenn er die Güte hätte, seinen letzten Satz zurückzuziehen zugunsten der Fassung, die ich, und zwar, wie ich sagen darf, in Übereinstimmung mit den Vertretungen der sächsischen Schriftstellerkreise, mir zu formulieren erlaubt habe. Denn, Herr Kollege Voigt, darüber sind wir doch auch miteinander einig, daß, wenn Sie lagen, dieser Preis toll ausgesetzt werden für sächsische Schriftsteller, die im Lande tätig sind, und durch ihre Werke der sächsischen Heimat anerkannte Dienste erweisen, das eine Fassung ist, die sehr eng auszulegen sein könnte und die zum mindesten den Gedanken und dem Geiste Lessings in keiner Weise entspricht. Wenn ich am Schlüsse meines Antrages den Wnnsch ausgesprochen habe, daß vor Verleihung gutachtlich die Vorstände der sächsischen Ortsgruvpen des Schutzver- bandcs deutscher Schriftsteller zu hören sind, so ist das eine Selbstverständlichkeit. Sie wollen nicht die Ent scheidung — die mag verantwortlichen Stellen anheim fallen —, aber sie wollen und haben das Recht, gut achtlich bei dieser wichtigen Frage gehört zu werden und ihre Vorschläge anbringen zu können. Im übrigen noch eine andere damit in ganz losem Zusammenhang stehende Bemerkung! Es hat mich und meine Freunde mit großer Freude erfüllt, daß in dem Augenblicke, wo d e Deutfche Bo'ckspartei der Öffentlich» keit den neuen Kultusminister genannt hat, sie sich gleichzeitig so warnt für Lessing, seinen Geist und seine Gedanken eingesetzt hat. Ich darf, glaube ich, mit den Kollegen von der Deutschen Volkspartei diese Tatsache als sicheres Vorzeichen und Omen dafür nehmen, daß uns eine Garantie geboten werden soll, daß über der Tätigkeit des neuen Kultusministers auch fürderhin der Geist Lessings schweben wird. Abg. Bogel (Soz.): Wir sind mit der Aussetzung der Stiftung eines Lefsingpreises einverstanden. Ebenso erklären wir unser Einverständnis dazu, daß heute diese Angelegenheit in Schlußberatung genommen wird. Wir haben aber allerhand Bedingungen ausznsprechen, und ich fasse diese Bedingungen in dem einen Worte zu sammen, es möchte die Stiftung im Geiste Lessings angcwendet werden. „Lessing, der Wahrheitssucher, der Kämpfer gegen mittelalterliche Tendenzen", das ist es, was ich unter Lessinggeist etwa verstanden wissen möchte. Bor einiger Zeit erschien das Buch eines modernen Kämpfers für Geistesfreiheit, des Amerikaners Lindsey. Der schreibt folgendes schönes Wort über Wahrheit und Sittlichkeit: Es ist unmöglich, sittlich und zugleich ein scheinheiliger Esel zu sein. Es ist unmöglich, vernünftig, geistig ge richtet und wirklich gebildet zu sein und zugleich aber gläubisch, feig und blind konfessionell. Ich glaube, nicht zuviel zu behaupten, wenn ich sage, diese Lindsey-Worte entsprechen der geistigen Richtung eines Lessing durchaus. Und ähnlichentspricht die Geistes- richtung eines Lessing auch einem Wort von Friedrich Delitzsch, was ich vor kurzem hier bei Besprechung der Lehrplans zitiert habe. Anch dieses Wort entspricht ganz und gar der Auffassung und dem Geiste eines Lessing; denn er hat schon damals — und damals war es doch bedeutend schwerer — gegen mittelalterliche Tendenzen seinen Mann gestanden, tapfer gegen mittel alterliche Anschauungen angekämpft und versucht, die geistigen Fesseln von den damaligen Zeitgenossen zu lösen und zu nehmen. Wenn ich sage, cs möchte diese Stiftung im Geiste Lessings angewendct werden, so ist auch zu bedenken, daß Lessing ein Weltbürger sein wollte, daß Lessing durchaus kein Fürstcndiener war, daß Lessing kein Lakai der Großen sein wollte und daß Lessing auch ein Kriegs verächter war. Ich zitiere das Wort: „Sind wir deswegen auf der Welt, daß wir uns untereinander nmbringen sollen?" Ferner erlaube ich mir, nur zwei kleine Berschen eines Dichters der Gegenwart zu zitieren, in dem auch Lessingscher Geist zum Ausdruck gebracht ist: Das Volk erwachte. Zorn fuhr in die Massen. Der bleiche Lunger stachelte die Wut, Und Sühne schrie das hingegossene Blut. Es quoll der Aufruhr aus der Armut Massen: Fort mit den Epauletten, die wir hassen Und mit der Fürsten angemaßter Brut! UnS lockt kein Tand, Uns lockt kein Übermut, Doch nimmer wollen wir uns knechten lassen. Der Inhalt dieser zwei Berschen entspricht durchaus dem Freiheitsdrang und dem Wahrheilsuchen eine» Lessing. Wenn in diesem Sinne etwa der LelsingpreiS künftig angewandt und verteilt würde, würde eS unserer Auffassung entsprechen. Roch auf ein» will ich bei dieser Gelegenheit ein- gehen. Weswegen werden denn eigentlich solche Preise