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8MMv zm WM AaMeiiW 94. zu Nr. 158 des Hauptblattes 1927. Beauftragt mit der Herausgabe Regierungsrat Brau he in Dresden. LandtaMrrhandlungtn. (Fortsetzung der 44. Litzung von Mittwoch, den 8. Juli 1927 ) Abg. Böttcher (Komm.) — (Fortsetzung): Das einzige Dokument und die einzige Äußerung, die von bürgerlicher Seite heute hier im Zusammen hang mit dem Mißtrauensvotum gefallen ist, ist das Lob auf die Monarchie durch den Abg. vr. Eberle. DaS charakterisiert die Lage vollkommen. Kein Demokrat, kein Mitglied der ASPS- hat gesprochen. Wo waren denn alle die heldenmütigen Republikaner, als es galt, gegen den Lobsänger der Monarchie aufzutreten? Kerner hat sich gerührt. So wie heute die Situation im Land tage gekennzeichnet ist: die bürgerlichen Parteien im Schlepptau der Deutschnationalen, ökonomisch und po litisch, so wird auch die Politik dieser Regierung auS- sehen: im Schlepptau der Deutschnationalen Unter drückungspolitik gegen das Proletariat. Und deshalb dieser Regierung den schärfsten Kampf bis zu ihrem Sturze, bis zu ihrer endgültigen Beseitigung! Beide Anträge werden hierauf mit 47 gegen 47 Stimmen abgelehut. Auf Grund der Verfassung bedarf es zur Annahme eines Mißtrauensvotums der Mehrheit der gesetzlichen Zahl der Abgeordneten. Diese ist aber 49. Punkt 3: Zweite Beratung über Kap. 88 — Staat»- theater — de» ordentlichen StaatshauShaltplan» für da» Rechnung»jahr 1927. (Mündlicher Bericht de» Hau»hattan»schusse» Drucksache Nr. L47.) Ter Antrag Nr. 457 lautet: <Li« MindtrhritlauUtge sind durch M bt'»nd,r« bleich,i»«., Der Landtag wolle beschließen: , I. die Regierung zu beauftragen: 1. im Kap 68 unter ^4 neu einzustellen 30000 M. als Prämienfonds zur Ausschreibung und zum Ankauf hervorragender Bühnenwerke zeit genössischer Künstler aus den Gebieten der Literatur und Musik. Bei der Verteilung der Mittel sollen ent- scheidend mitwirken Vertreter des Schutzver- bandeS Deutscher Schriftsteller, Bühncngenossen- schast und Gewerkschaften; 2. die Stelle des Generalintendanten neu zu be setzen; Böttcher. 3. das stündige Personal an den beiden Staats- theatern um je 8 Mann zu vermehren; Weckel. 4. die Spielgelder für Ehorschüler und Statisten um 10 Proz. zu erhöhen; 5. den Chorschülern und Statisten die Proben zu vergüten; Böttcher. 6. die Spielgelder sür Chorschüler und die Ent- schädigungen für Statisten und Logenschließer wesentlich zu erhöhen; Weckel. , ll. nach 8 15 der Geschäftsordnung des Landtages einen Ausschuß einzusetzen, der analog den Bei räten bei den Staatsbetrieben die Kunst- und Personalpolitik sowie den Geschäftsbetrieb der Staatstheater fördert und überwacht. In den Ausschuß entsenden die Fraktionen unter 10 Mitglieder je 1 Vertreter, die Fraktionen über 10 Mitglieder je 2 Vertreter. Böttcher. III. die Einstellungen bei Kap. 68 des ordentlichen Staatshaushaltplans für 1927 nach der Vorlage zu genehmigen; IV. die Regierung zu ersuchen, dem Landtag eine Denkschrift vorzulegen über die Organisation der Staatstheater und ihrer Verwaltung. Berichterstatter Aba. Weckel (Coz ): Die Verhand lungen im Haushaltausschuß über das Kap. 68, Staats- theater, brachte diesmal keine großen ästhetisch.Philo- sophischen und keine kunsthistorischen Betrachtungen. Eie waren im großen und ganzen hauShaltplanmäßig. Bon vornherein ist auf die Krise der bürgerlichen Theaterkultur hingewiesen worden. Man sprach von einer geistigen Armut des heutigen bürgerlichen Theaters. Der Herr Minister entgegnete dem: wir haben keine einheitliche große Produktion an Schauspielen und Opern; wir haben keine bodenständige Kultur. Zum anderen sei auch daran schuld der Konkurrenzkampf mit Kinos und Rundfunk. Interessant waren dann die Ausführungen über das Problem „Theater und Politik". Es ist auf den Deutschen BolkSbühnentag in Magde burg hingewiesen worden und auf die Ausführungen von Julius Bab aus Berlin und Ernst Toller, Prof. Ziegler aus Hannover und Vr. Nestriepke au- Ber lin auf dieser Tagung. Dann ist über den Spielplan gesprochen worden, und man ging in der Hauptsache auf die Neueinstudierungen, Uraufführungen und Erstausführungen ein. Es wurde gefragt: Wird nun sowohl die Oper al- auch das Schau- spiel den Forderungen, die auf dem Deutschen BolkS- bühnentage gestellt worden sind, gerecht? ES wurde darauf hingewiesen, daß die vielen Wünsche, die im vorigen Jahre im HauShaltausschuß sowohl al- auch hier im Plenum in dieser Richtuna aestellt worden sind. nicht berücksichtigt worden sind. Es wurde deshalb im Ausschüsse der Wunsch laut, e- möchte mehr die moderne Theaterliteratur berücksichtigt werden. Auch Toller hat noch keine Genugtuung in Dresden erfahren. Die Generalintendant hat darauf hingewiesen, daß sie für die kommende Spielzeit eine sogenannte aktuelle Bühn e, eine Art VersuckSbühne, errichten wolle, und auf dieser aktuellen Bühne sollen nun allerhand moderne Stücke gespielt werden, und es sollen nur diejenigen hingehen, die nicht irgendwie die Kunst stören, sondern moderne Kunst genießen wollen. Von einer Seite wurde darauf hingewiescn, daß die Wedekindmorgenfeier direkt Anstoß erregt habe. Man verlangte von dieser Seite auch mehr deutsche Opern. Auf der anderen Seite wurde darauf hinge- wiesen, daß man namentlich im Schauspiel mit zuviel alten Ritterrüstungen arbeite. Wenn das Publikum heute noch nicht viel Geschmack an modernen Dichtungen habe, so habe die Generalintendanz die Aufgabe, mit Hilfe der Theater das Publikum dazu zu erziehen. Gegenüber dem Borwurf, daß zuviel ausländische Opern gegeben würden, führte die Generalintendanz aus: Im letzten Spieljahre war es etwas eigenartig. Durch die sechs besonderen Beethoven-Konzerte und die vielen Proben dazu ergaben sich verschiedene Schwierigkeiten für den Betrieb. Zu fremdländischen Opern kam es z. B. auch dadurch, daß Pattiera Ausländer ist, und es liegt doch auch im geschäftlichen Interesse, Opern zu bringen, in denen Pattiera singt. Wir hatten 103 italienische Werke, nicht Abende; 26 franzö sische Werke, darunter Margarethe und die neu einstudierte Mignon, die beim Publikum sehr beliebt ist und einen außergewöhnlichen Kassenerfolg hat. Ferner 12 russische und 1 tschechische Oper, zu- sammen 142 fremde gegen 160 deutsche Opern. Dar- unter waren Figaros Hochzeit 17 mal, Freischütz 14 mal, Richard Wagner 34 mal, Mozart 26 mal, 20 Strauß-Abende. Wir haben den systematischen Plan eines vollständigen Mozart-Zyklus, ferner wollen wir einen Wagner-Zyklus und einen Richard Strauß- Zyklus bringen. Strauß hat uns Aussicht gemacht für die Uraufführung der Helena. An Neueinstudie- rungen sind vorgesehen, wenn es auch noch nicht sicher ist: Zigeunerbaron, Tannhäuser, Ooai t»n tutte, Undine, Salome, ferner der Ring in zeitgemäßer äußerer Form, was aber eine der schwierigsten Fragen ist. Ferner der Barbier von Bagdad von Cornelius. Marschner würden wir sehr gern nehmen, aber das Publikum liebt solche Romantik nicht mehr, der Vampir ist in Berlin auf Interesselosigkeit beim Publikum gestoßen. Auch Götz, Der Widerspenstigen Zähmung, begegnet immer wieder kalter Aufnahme. Bon den Wünschen in bezug auf Pfitzner nimmt die Regierung Kenntnis. Hänsel und Gretel ist nicht gegeben worden, weil es technische Schwierigkeiten bereitet. Im allgemeinen wurde die Arbeit des Schauspiel hauses mehr anerkannt als die Tätigkeit der Oper. Tas Schauspielhaus hat viel mehr Neuaufführungen und Erstaufführungen herausgebracht, im ganzen wohl 20, während die Oper eigentlich nur 8, mit 3 Neuein studierungen 11, zusammengebracht hat. Die beiden Theater, die 2 Mill. M. Zuschuß vom Staat bzw. von der Stadt Dresden erhalten, müssen nach Meinung der Kritiker im Haushaltausschuß ^4 mehr leisten und vor allen Dingen nur ganz Hervorragendes. Bedauert wurden Mißgriffe, wie z. B. das Stück Meiseken. Ich glaube, schon im Namen liegt hier die ganze Be deutung. Tie Pläne des Schauspielhauses, die jetzt durch die Zeitungen gegangen sind, weisen darauf hin, daß die Wünsche, die der Ausschuß hatte und die im vorigen Landtage vorgebracht worden sind, doch noch erfüllt werden. Als Grund für die Wenigerleistungen der Oper wurde, wie im vorigen Jahre, angegeben, daß Busch, der Generalmusikdirektor der Staatsoper, zu viel auf Reisen ist. Der Generalmusikdirektor Busch hat ein Anrecht auf 4 Wochen Urlaub außerhalb seiner Ferien, also während der Spielzeit. Es ist im HauShaltaus schuß ä darauf hingewiesen worden, daß man sich nicht sklavisch an diese 4 Wochen binden solle; wenn ein oder zwei oder drei Tage oder auch mehr an Urlaub ver- langt würden, solle man es ruhig gewähren, zuviel aber sei zuviel. Busch will in diesem Jahre vom Oktober bis hinein in den Januar eine Reise nach Amerika antreten, also gerade zu einer Zeit, in der die wichtigste Periode der Spielzeit de- ganzen Jahres ist. ES wurde allgemein anerkannt, daß Busch ein glänzender Künstler ist, seine Leistungen wurden über mäßig hervorgehoben; anderseits wurde aber auch darauf hingewiesen, daß er den Titel Generalmusik direktor der Staatsoper Dresden dazu benutze, um außerhalb Sachsen- Geld zu verdienen, und dabei be kommt er eine Bezahlung in Dresden, die die Höhe von 60000 M. erreicht, also eine Bezahlung, die nicht ganz niedrig ist. Die Regierung wies auf den künstlerischen Ruf BuschS hin; er wurde, wenn er von hier sortginge, das Doppelte und '. Dreifache bekommen; die übrigen prominenten Kapellmeister in Deutschland bekämen ja viel mehr. Im übrigen habe die Regierung auch ver- sucht, auf Busch einzuwirken, daß er nicht nach Amerika reise, und die Versuche dieser Einwirkung dauern zurzeit noch an. ES wurde der Meinung Ausdruck gegeben, ob nicht ein Stellvertreter Buschs gewonnen werden könne, wenn Busch aus Reisen gehe. Striegler und Kutzschbach, die zusammen 197 mal dirigiert hätten gegenüber 120mal Busch, seien etwas zu sehr in den Hintergrund gestellt. Die Tätigkeit der Künstler des Schauspiels wurde lobend anerkannt. Es wurden auch Namen genannt; ich will sie hier, unr den anderen nicht wehezutun, in der Öffentlichkeit nicht nennen. Die Künstler deS Schauspielhauses spielen fleißig, sie spielen auch vor züglich im Ensemble. Bon den Künstlern der Oper konnte daS nicht allenthalben gesagt werden. Kritisiert wurde vor allem, daß oft Aushilfsgäste herangeholt werden, selbst für mittlere und kleinere Rollen. Die Regierung suchte die Gründe für das öftere Aushelfen lind das öftere Versagen namentlich der Tresdner Künstler in dem Tresdner Klima, das für die Kehlköpfe mancher Künstler nicht gerade geeignet sei. Daß an unserer Oper zuviel ausländische Künstler wirkten, wurde auch von einer Seile betont. Die Regierung führte aber folgendes aus: Tie ausländischen Künstler sind nicht in der Über zahl. Frau Roselle ist auf gewissen Gebieten einzig; das zeigt z. B., daß Strauß gebeten hat, sie die Salome singen zu lassen, die er mit ihr einstudieren will. Frau Roselle bekommt zurzeit in Amerika ungeheure Gagen. Für Turandot war sie wegen der großen Stimmhöhc der Partie die einzige, die in Betracht kam. Andresen ist auch ein Conderfall wegen seiner ganz besonders schönen Baßstimme. Er war nur schwer von Stockholm loszubekommen. Air haben einen verhältnismäßig günstigen Vertrag, keinen so genannten Gastfpielvertrag mit ihm. Was mit Fazzini werden soll, kann noch nicht vollständig beantwortet werden. Man hatte den Eindruck, daß er sich wie Pattiera entwickeln würde. Taß für Tobrowen Opern besonders ausgesucht worden seien, ist irrig. Wir waren damals in Ver legenheit, einen Regisseur für Boris Godunow zu finden, und sanden ihn zufällig. Er hat auch nicht beantragt, daß wir die Oper Howautschina auffahren. Uber diese Oper kann man ja geteilter Meinung sein; es sind jetzt Kürzungen vorgenommen worden, und wir hosten auf Erfolg mit dieser Oper. Tas Star-Syflem, das bei unserer Oper vor allen Dingen noch eine sehr weite Ausbreitung hat, wurde ebenfalls kritisiert. Bon der linken Seite des Hauses wurde gesagt, daß es in der heutigen Zeit merkwürdig berühre, wenn einige wenige prominente Künstler 60000, 70000, 90000, 100000 M. verdienen, während auf der anderen Seite Garderobefrauen, Logenschließer usw. abendliche Einkünfte von 1,54 M. hätten. Ter Regierung wurde anheimgegeben einmal zu prüfen, ob das Schauspiel nicht mehr Aufmerksamkeit in 'finanzieller und oganisatorischer Hinsicht verdiene; zum Teil sei die Oper das liebe Kind der Negierung und der Generalintendanz. Tie Generalintendanz wies aber darauf hin, daß beide ihr liebe Kinder seien, die Oper aber sei ihr Sorgenkind. Auch hinsichtlich der Generalintendanz wurde Kritik geübt, das Verhältnis zum Spielplane und zur Ver waltung sei nicht allenthalben zur Zufriedenheit des Landtages. Aus diesem Grunde ist von feiten der Kommunisten der Antrag gestellt worden, die Stelle des Generalintendanten neu zu besetzen. Als Mehrheits antrag ist angenommen worden, die Regierung zu ersuchen, dem Landtag eine Denkschrift vorzülegen über die Organisation der Etaatstheater und ihre Verwaltung. Regie und Inszenierung kosten in Dresden un geheures Geld. Dabei werden gerade die Gelder für diese Dinge häufig aufgewendet für Theaterstücke, die nur einige wenige Ausführungen erleben. So ist es zu verzeichnen bei der Hochzeit im Fasching, ebenso wird es wohl werden mit der Szenerie von Cardillac und Howantschina, die bereits wieder in die Ecke gestellt sind. Die Regierung hat aber darauf hingewiesen, daß die teuren Inszenierungen nötig seien, weil die übrigen Theater mit ihrem großen Ruf mit dem Tresdner Theater konkurrieren. Einen breiten Raum nahmen diesmal die Verhand lungen über das technische Personal ein. Dieses hatte in einer Zuschrift auf „die Tragödie der Ausnutzung menschlicher Arbeitskraft hinter den Kulissen" hin gewiesen. Der Dienst des technischen Personals an den Staatstheatern, ohne den auch die vollkommensten Meisterwerke nicht vor sich gehen können, wird leider von der öffentlichen Meinung entweder gar nicht be achtet oder mindestens nicht genügend gewürdigt. In der Oper ist eine Umstellung des Dienstplanes er- solgt. Als Grund für diese Umstellung wurde von der technischen Direktion zunächst die Erhöhung der Wirt- schoftlichkeit des Unternehmens angegeben. Dieser Grund soll aber nicht stichhaltig fein. ES konnte vom Betriebsrat einwandfrei nachgewiesen werden, daß sich durch den neuen Dienstplan eine größere Anzahl von Überstunden notwendig machte als früher, sowie daß so gut wie keine Zeit mehr für die erforderlichen Jnstandsetzungsarbeiten vorhanden war, was auf die Dauer daS tadellose Funktionieren de- technischen Apparates in Frage stellen muß, ganz abgesehen da von, daß die durch den neuen Dienstplan bedingte übernormale MehrauSnutzung der Arbeitskraft de» PersonalS zwingend eine beträchtliche Erhöhung der Krankenziffer zur Folge haben muß, also eine unnötige