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Äck«BilU W WM ZimiDÜW Nl. 70. zu Nr. 115 des Hauptblattes. 1927. Beauftragt mit der Herausgabe Regierungsrat Brauhe in Dresden. LandtagsverhandlMMn. 32. Sitzung. Dienstag, de« 17. Mai 1927. Präsident Schwarz eröffnet die Sitzung 1 Uhr 7 Minuten. Am Regierungstisch sämtliche Minister außer dem Ministerpräsidenten, sowie eine Anzahl Regierungsver treter. Auf der Tagesordnung stehen zunächst die Punkte, die in der letzten Sitzung nicht erledigt werden konnten, und zwar sind das zuerst die Punkte 11 bis 13, die zuletzt begründet worden waren. Eine Aussprache findet nicht statt. Die Anträge Nr. 321 und 320 werden dem Haushaltausschuß der Antrag Nr. 222 dem Rechts- ausschuß überwiesen. Punkt 14 und 15 werden verbunden. . Punkt 14: Erste Beratung über den Antrag des Abg. Berg u. Gen., den Benutzungszwang der amtlichen Arbeitsnachweise betr. (Drucksache Nr. 23«). Der Antrag Nr. 236 lautet: Der Landtag wolle beschließen: Die Anordnung des sächstschen Arbeitsministeriums, betreffend Benutzungszwang der amtlichen Arbeits nachweise bei Vergebung von Aufträgen der Staatsbehörden und Gemeinden vom 22. Sep tember 1923, wird aufgehoben. Abg. Berg (Dnat.zur Begründung): Tas Arveitsmini- stcrium hat im Jahre 1923 unter dem 22. September an die Kreis- und Amtchauptmannschaften eine Verordnung erlassen, wonach, soweit von Gemeinden oder Gemeinde verbänden Arbeiten an Unternehmer vergeben werden, nach Möglichkeit auf eine vertragliche Bindung der Unter nehmer hingewirkt werden muß, ihre offenen Stellen beim öffentlichen Arbeitsnachweis anzumelden und ihre Arbeitskräfte von diefen zu beziehen, da das Ansehen der öffentlichen Arbeitsnachweise einen nicht wieder gutzumachenden Schaden erleidet, wenn von den pri vaten Arbeitnehmern immer wieder darauf hingewiesen werden kann, daß selbst die öffentlichen Betriebe den öffentlichen Arbeitsnachweis nicht in Anspruch neh men wollen. An dieser Verordnung ist an sich nicht viel auszusetzen, wenn sie in der Form angewcndet würde, daß die Gemeinden bei Vergebung von Auf trägen, die reiuen Gemeindezwecken dienen, natur- gemäß in erster Linie dafür sorgen, daß der öffent liche Arbeitsnachweis in Anspruch genommen wird. Es haben sich aber bei der Durchführung dieser Verordnung eine Reihe von Schwierigkeiten und Härten ergeben, sowohl für die Arbeitnehmer wie für die Unternehmer. Wenn irgendeine Gemeinde Arbeiten zu vergeben hat, die stets üblich waren, dann versuchte man, auf den Unternehmer schon denn Ausschreiben von Offerten mündlich einzuwirken, indem man sagte: Ihr kriegt die Arbeiten nur, wenn Ihr Euch verpflichtet, den öffent lichen Arbeitsnachweis in Anspruch zu nehmen. Nun besteht auf Grund der reichsgesetzlichen Bestimmungen lein Benutzungszwaug. Ich gebe zu, daß eine Gemeinde ein Interesse daran haben kann, in erster Linie den Arbeitsnachweis zu benutzen, man sollte es aber im Interesse des freien Wettbewerbs unterlassen, die Unter nehmer, die sich um Vergebung von Aufträgen bemühen, von vornherein zwangsweise festzulegen, daß sie für die Durchführung der Arbeiten unter allen Umständen Leute vom Arbeitsnachweis nehmen müssen. Nehmen wir an, ein Unternehmen für Straßenbau, das in der Regel jahrelang Beschäftigte bei sich hat, die im Winter ohne Beschäftigung sind, hat im Frühjahr wieder die Mög lichkeit, Aufträge für die Gemeinde durchzuführen, und es soll in jedem einzelnen Falle gezwungen werden, die neuen Kräfte nummernmäßig vom Arbeitsnachweis zu beziehen, ohne in der Lage zu sein, seine alten Kräfte, die cs über den Winter formell entlassen muß, wieder zu nehmen. Mir ist ein Fall aus Leipzig be richtet worden, wo der Unternehmer, der gezwungen wurde, die Leute vom Arbeitsnachweis zu nehmen, die Arbeiten bei einem Tiefbauunternehmen jetzt hat ein stellen müssen, weil er nicht in der Lage ist, seine ein- gearbeitet^n spezialisierten Kräfte wieder zu bekommen, die noch arbeitslos sind oder in einen Hilfsberuf über gegangen sind. Ich bitte, den Antrag dem Ausschuß L zu über weisen. Punkt 15: Erste Beratung über den Antrag des Abg. Arzt «. Gen. denselben Gegenstand betreffend. (Drucksache Nr. 285.) Der Antrag Nr. 295 lautet: In dem Bericht des Sächsischen LandesarbeitS- amteS ist besonders hervorgehoben, daß durch die Reichs-, Staats- und Gemeindebehörden immer wieder Angestellte und Arbeiter eingestellt werden, ohne die öffentlichen Arbeitsnachweise in Anspruch zu nehmen. Weiter ist festzustellen, daß die Benutzung der öffentlichen Arbeitsnachweise durch Industrie, Handel und Gewerbe eine äußerst mangelhafte ist. Der Landtag wolle beschließen: die Regierung zu ersuchen: 1 . ») die staatlichen Behörden erneut anzuweisen, in allen Fällen bei Einstellung von Arbeits kräften die öffentlichen Arbeitsnachweise zu benutzen, b) in den staatlichen Betrieben und Behördenstellen ist auf je 5 Beschäftigte, ausschließlich der Lehr linge, mindestens ein Arbeiter oder eine Ar beiterin von mehr als 50 Jahren bei der Ein stellung zu berücksichtigen. Ebenso ist bei den Angestellten zu verfahren, e) auf die Reichs- und Gemeindebehörden im gleichen Sinne einzuwirken 5 2 . beim Reichsarbeitsminister vorstellig zu werden, damit dieser, entsprechend des 8 49 des Arbeits nachweisgesetzes vom 13. Juli 1922 anordnet, daß die Unternehmer in Industrie, Handel und Ge werbe verpflichtet werden, die offenen Stellen durch die öffentlichen Arbeitsnachweise zu besetzen, sofern vorhandene Tarifverträge dem nicht ent- gegenstehen. Abg. Müller (Mittweida — Soz.— zur Begründung): Der Antrag Nr. 295 stützt sich im wesentlichen auf die Ver öffentlichungen des sächsischen Landesarbeitsamtes. Tort wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die öffent lichen Verwaltungen, Reichs-, Staats- und Gemeinde- behörden, nicht in dem Maße die Arbeitsnachweise benützen, wie das eigentlich notwendig ist. Es muß von diesen Behörden verlangt werden, daß die staat lichen und Gemeindebetriebe die Gesetze in erster Linie selbst beachten. (Sehr richtig! b. d. Soz.) Der Herr Abg. Berg hat darauf hingewiesen, daß Schwierigkeiten bestünden, daß diese Arbeitgeber, die Gemeindearveiten machen, verpflichtet würden, die öffentlichen Arbeits nachweise zu benützen. Ich erinnere den Herrn Abg. Berg an seine eigenen Spitzenverbände in Berlin, die vor ein paar Jahren sich verpflichtet haben, ihre Organisationen anzuweisen, die Arbeitsnachweise zu benutzen, und deswegen hat der Reichsarbeitsmimster bis heute vom 8 49 des Arbeitsnachwelsgesetzes noch keinen Gebrauch gemacht. Gerade bei den älteren Arbeitern liegt es doch heute praktisch so, daß Leute über 50 Jahre in der Regel überhaupt nicht mehr in Arbeit kommen können. Es wird eine Zeit kommen, wo man bereits mit 40 Jahren die Leute im Arbeitsprozeß in ihren Kräften als erledigt bezeichnet. Es liegt leider im Interesse der kapitalistischen Gesellschaftsordnung als solcher, daß diese versucht, die Arbeitskräfte möglichst rücksichtslos auszunützen und auszubeuten, und sie dann einfach auf die Straße wirft. Es wird deshalb in dem Antrag gefordert, daß die Arbeiter mit mehr als 50 Jahren bei der Einstellung zu berücksichtigen sind. Nun liegt es bei dem Arbeitsnachweis so, daß wohl heute ein Meldezwang besteht, aber gar kein Benutzungs zwang, und selbst der Meldezwang ist praktisch so: wenn heute einem Arbeitgeber so und soviel Leute vorge schlagen werden, dann weist er diese Leute als für seinen Betrieb nicht passend zurück, und das muß zur Folge haben, daß diese Leute nie in Arbeit kommen. Wenn wir diesen Antrag gestellt haben, so soll er den Zweck haben, auf den Arbeitsmarkt regulierend zu wirken. Die sächsische Regierung soll beauftragt werden, daß sie beim Reichsarbeitsministerium darauf hinwirkt, daß von dem 8 49 Gebrauch gemacht wird. Wir sehen, daß die Beschränkungen eintreten und daß den Gemeinden immer mehr Staatelasten auf der einen Seite aufgehalst werden, und auf der anderen Seite ist ihnen die Steuer hoheit vollkommen beschnitten. Diese Sache wird also wiederum auf Kosten der sozialen Fürsorge in den Gemeinden gehen, und die Notleidenden dabei werden ganz bestimmt die Arbeiterklassen sein. Wir möchten Sie deshalb dringend ersuchen, mit uns darauf hinzu wirken, daß hier eine Änderung eintritt und daß man diese Leute mit 50 Jahren nicht auf die Straße wirft. Im Weltkriege wurden die Leute bis zum 48. Jahre zur Verteidigung des Vaterlandes herangezogen. Es wäre viel richtiger, wenn diese älteren Leute überhaupt aus dein Produktionsprozeß herausgeschält würden und der Staat eine entsprechende Unterstützung gewähr leistete. Denn wir sehen auf der anderen Seite das Gegenstück insofern, daß ein großer Teil Jugendlicher, die ausgelernt haben, ihre Lehrlingszeit weggemacht haben, auf der Straße liegen. Wir beantragen, den Antrag Nr. 295 dem Ausschuß 8 zu überweisen. (Bravo b. d. Soz.) Abg. Berg (Dnat.): Nur ein ganz kurzes Wort zu der Drucksache Nr. 29b l Der Punkt 1a wünscht genau das Gegenteil von dem, was ich in meinem Antrag vorhin verlangt habe. Ich möchte den Herrn Kollegen Müller auf eins aufmerksam machen: es herrscht inver Wirtschaft, also in der Industrie und in den Spitzen verbänden, Klarheit darüber, daß man sich möglichst bei Einstellung von Arbeitskräften der Arbeitsnachweise bedient. Insofern gehen wir einig. Ja, ich kann sogar noch einen Schritt weltergehen. Herr Kollege Müller hätte ruhig dazu sagen können, daß eS eine ganze Reihe von Arbeitgeberverbänden gibt, die durchaus seit Jahr zehnten mit den Arbeitnehmergewerkschaften fachliche Arbeitsnachweise selbst errichtet haben und dabei sehr gut fahren. Wogegen wir uns wenden, ist der Zwang der bet der Vergebung von Gemeindeaufträgen aus geübt wird. Daß der Unternehmer, wenn er sine Ge meindearbeit bekommt, auch den Arbeitsnachweis mit benützt, ist selbstverständlich. Aber man soll die Erteilung des Auftrages nicht abhängig machen von der Bedingung, daß er unter allen Umständen den letzten Menschen von dorther beziehen muß. Wenn der Arbeitsnachweis immer in der Lage wäre, in schneller Form geeignete Kräfte zu vermitteln, brauchten auch die Gewerkschaften der politischen Linksparteien nicht zu inserieren, wenn sie Angestellte für ihre Bureaus brauchen. Dann könnten sie auch die Arbeitsnachweise benutzen. Aber sie tun das für den einzelnen Spezialfall genau so wenig, wie wir uns zwingen lassen möchten, es zu tun. Das ist der große Unterschied in der Auffassung, ob man den Arbeitsnachweis benutzen will oder ob man ihn unter allen Umständen zwangsweise benutzen muß. Ich möchte davor warnen — wir werden das im Aus schüsse näher erörtern können —, daß man etwa an die Reichsregierung durch einen Beschluß des sächsischen Landtages herantritt mit der Bitte, einmal das Arbeitsnachweisgeietz abzuändern. Ich habe das Gefühl als wenn sich Sachsen sowieso hin und wieder ge nügend blamierte, wenn es jeden Tag im Plenum be schließt, bei der Reichsregierung in irgendeiner Form vorstellig zu werden. Wenn die Reichsregierung das alles durchführen wollte, was der sächsische Landtag ihr in Form von Beschlüssen an Wünschen auf den Weg gegeben hat und gibt, würde die Reichsregierung vergrößert werden müssen, um das alles durchzuführen. (Bravo! rechts.) Die Anträge auf Truckiacbe Nr. 236 und 295 werden hierauf dem Ausschuß 8 überwiesen. Punkt 16: Erste Beratung über den Antrag de» Abg. Arzt ». Gen. auf Andernug des Betriebsräte» gesetzes vom 4. Februar 1929. (Drucksache Nr. 275.) Ter Antrag Nr. 275 lautet: Der Landtag wolle beschließen: die Regierung zu ersuchen, auf die Reichsregierung einzuwrrken, baldigst eine Gesetzesvorlage einzu bringen, nach der das Betricbsrätegesctz vom 4. Februar 1920 (Reichsgesetzbl. S- 147) wie folgt ge ändert wird: 8 23 Abs. 2 erhält folgenden Wortlaut: Kommt der Betriebsrat seiner Verpflichtung nicht nach, so hat die Belegschaft in einer Belegschaftsver sammlung einen aus drei Arbeitnehmern bestehenden Wahlvorstand zu bestellen. Ter Arbeitgeber ist ver pflichtet, den Anschlag über die Einberufung dieser Belegschastsversammlung an einer allgemein zugüng- Uchen Stelle seines Betriebes zu dulden. Tie Bekannt machung der Belegschastsversammlung außerhalb des Betriebes ist zulässig. Für die Teilnahme an der Belegschaftsversammlung gelten die Bestimmungen des 8 45 entsprechend. Eine Belegschastsversammlung ist ordnungsmäßig, wenn sie allgemein bekanntgemacht worden ist. Ter Wahlvorstand bestimmt seinen Vor sitzenden selbst 8 95 erhält folgenden neuen Abschnitt: Zur Kündigung des Dienstverhältnisses von Per sonen, die zum Wahlvorstand bestellt sind und der jenigen Personen, welche auf ordnungsmäßigen Vor schlagslisten bis zu der zulässigen Höchstzahl als Kan- didaten für die Betriebsräteneuwahlen aufgestellt sind oder zu deren Versetzung in einen anderen Be trieb, bedarf der Arbeitgeber der Zustimmung des Arbeitsgerichts, und zwar für die Tauer von drei Monaten vom Beginn der ordnungsmäßigen Be stellung des Wahlvorstandes bzw. der ordnungs mäßigen Einreichung der Kandidatenvorschlagslisten ab gerechnet. Im übrigen gelten die Bestimmungen des 8 96 Abs. 2 bis 4 entsprechend. Tas gleiche gilt für diejenigen Betriebsvertretungs- Mitglieder, die freiwillig oder durch Amtsenthebung oder durch Erlöschen des Betriebsratsamts wegen Ablauf der Wahldauer aus ihrem Amte ausscheiden, jedoch für die Tauer von sechs Monaten vom Tage des Verlustes der Betricbsratseigcnschast ab gerechnet. 8 96 Abs. 2 Ziff. 2 erhält folgende Fassung: 2. bei Entlassungen, die durch gänzliche und dauernde Stillegung des Betriebes erforderlich sind, 8 96 Abs. 2 Ziff. 2 erhält folgenden Zusatz: Nicht als Grund zur fristlosen Kündigung eines Betriebsvertretungsmitgliedes gilt dauernde Arbeits unfähigkeit infolge Krankheit. 8 97 gilt in solchen Fällen mit der Maßgabe, daß das Arbeitsgericht entscheidet, ob die weitere Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses aus betrieblichen Gründen nicht mehr zumutbar ist. Folgender Abs. 5 ist neu anzufügen: Betriebsvertretungsmitglieder, deren Arbeitsver- hältnis lediglich auS Anlaß eines Streiks oder einer Aussperrung gekündigt worden ist, sind nach Be endigung deS Streiks oder der Aussperrung wieder einzustellen. Abg. Geiser (Soz.)r Zur Begründung unseres An trages auf Drucksache Nr. 275 möchte ich zunächst einige grundsätzliche Bemerkungen machen. Als im Jahre 1918 die politische Umwälzung vor sich gegangen war und im Anschluß daran den deutschen Arbeit-