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ÄcktzMU M WWa AMitW Nr. 44. zu Nr. 7 des Hauptblattes. 1927. Beauftragt mit der Herausgabe Regierung-rat Brautze in Dresden. Landtagsvrrhandlungen. (Fortsetzung der 21. Sitz««- von Dienstag. 22. März 1927.) Punkt 11: Zweite Beratung über Tit. 17 — Bau einer Talsperre bei der Lehnmühle in Flur Reichsstadt an der Wilden Weiheritz (Zweiter Teil betrag) — des anherordentliche« StaatShanShaltplanS siir das Rechnungsjahr 1927. (Mündlichen Bericht des HanShaltanSschusse» », Drucksache Rr. 2S2.) Die Druckiache Nr. 252 lautet: <D!e NiiidtrhrÜ»-nlrL-e durch » belmdir» brjeichu«»-! Der Landtag wolle beschließen: »I. die Regierung zu ersuchen, dafür zu sorgen, daß ») die am Talsperrenbau beschäftigten Arbeiter nach Klasse I des Tiefbauarbeitertarifes entlohnt werden; d) die Arbeit nur im Lohn ausgeführt wird; e) die Arbeiter außer dem Lohn noch freie Fahrt, Fahrgeld oder Kilometergelder für den Weg zu und von der Arbeitsstelle erhalten; ch den Arbeitern Arbeitsgerät und Arbeitskleidung (Anzug und StiefeH unentgeltlich geliefert wird; «) die Erwerbslosen nach der Dauer ihrer Erwerbs losigkeit eingestellt werden; 1) die Betriebsvertretung der Arbeiter nur mit Zustimmung der Regierung entlassen werden darf; g) für Lohnausfall infolge Regentagen die Arbeits losenunterstützung gezahlt wird. (Liebcrasch. Schreiber (Oberwürschnitz). Opitz. - H. a) die Einstellung bei Tit. 17 de» außerordentlichen StaatshauShaltpIanes für 1927 nach der Vor lage zu genehmigen, d) die Regierung zu ersuchen, sofort genügend UnterkunftSräume für die Arbeiter und Ofen zum Essenwärmen zu schaffe». Berichterstatter Abg Lieberasch (Komm.): Dem alten Landtag hat im vorigen Jahre eine Vorlage Nr. 246 Vor gelegen, wo für den Bau einer Talsperre bei der Lehn mühle in Flur Reichstädt im Tale der Wilden Weißeritz insgesamt 9 85VOVO M. angefordert wurden. Im vorigen Jahre sind dafür zu den Vorarbeiten 400 000 M bewilligt worden, und in diesem Jahre werde» in Tit. 17 des außerordentlichen Etats rund 3 Mill. M. angefordert. Ursprünglich machte sich in Sachsen bei dem Bau von Talsperren auf der bürgerlichen Seite des Hauses ein ungeheurtzL.,IZiderKand geltend (Zuruf des Abg. vr. Dehne), solange sie sich in der Opposition befanden. Das ändert nichts an der Tatsache, daß heute, wo der Landesverein Sächsischer Heimatschutz sich zur Erhaltung des alten Zustandes in der sächsischen Heimat an de« Verband der Industriellen gewandt hat, dieser Verband der Industrielle« auf feiten der sächsischen Regierung steht und die Notwendigkeit des Baues von Talsperren anerkennt. Die Arbeiten zum Bau von Talsperren sind not- wendig für die menschliche Gesellschaft und zurzeit für die kapitalistische Profitwirtschaft, und deshalb sollte man die Bezeichnung Rotstandsarbeiten fallen lassen. Sie hat nur nach der einen Seite hin noch Berech tigung als Bezeichnung „Notstandsarbeit", weil man bei diesenArbeiten die Notlage, in der sich die Erwerbs losen befinden, auSnutzt im Interesse der kapitalistischen Gesellschaft. (Sehr richtig! b. d. Komm.) Als Berichterstatter habe ich mir die Arbeit an der Lehnmühle dort angesehen und lege natür- lich als Arbeitervertreter nicht nur Wert auf die Mauer, die dort gebaut wird, oder die Menge Wasser, die dort aufgestaut wird, sondern darauf, unter welchen Umstänoen die Arbeiter, die dort be schäftigt werden, auch diele Arbeit verrichten werden. Unter der heutigen Herrschaft des modernen Kapitalis mus, in diefer Gesellschast, die an allen Ecken von Wohlfahrt und von Moral gegenüber den Unterdrückten trieft, sieht man, daß in der rücksichtslosesten Weise ohne irgendwelche Rücksicht auf Leben oder Existenz dieser Arbeitskräfte sie ganz einfach gezwungen werden, an diesen Werken mit zu arbeiten. Ich habe deshalb nicht nur als Kommunist, sondern als Berichterstatter die Antäge gestellt, die Sie teil weise in den MinderheitSanträgen finden und zum Teil auch einen Antrag in dem Mehrheitsgutachten unter b. Die Arbeiter dort erhalten einen Stunden lohn von 71 Pf. (Hört, hört! b. d. Komm.), von diesen 71 Pf. müssen sie pro Woche 3 M. Fahrgeld bezahlen, damit sie ihre Arbeitszeit nicht all zusehr ins Unendliche au-dehnen müssen. Die Arbeite- stelle liegt sehr weit von jeder modernen Zivilisation, d. h. von einem Verkehrswege entfernt, und die Arbeits losen, die aus dem Bezirk Dippoldiswalde zusammen geholt werden, müssen mitunter 3—4 Stunden Weg hin- und dieselbe Zeit zurücklaufen. ES ist nur einem kleinen Teil möglich, auf diese 3 M. ihre- Lohne- zu verzichten, ein anderer Teil, der das auf Grund feiner Familienverhäktnisse nicht kann, muß den Kea zur unk von der Arbeitsstelle laufen oder mit dem Rad fahren und die Kosten in Form der Abnutzung seine- Fahri- rades selbst bezahlen. An der Baustelle selbst sind zwe kleine Baubuden und eine vorgerichtete Scheune vor handen, die zusammen höchstens für 80 Menschen Unterkunft geben. Es sind aber 100 Arbeiter dort beschäftigt, so daß jeden Mittag ein Kampf darum entsteht, wer der erste in der Baubude ist, und wer nicht hineinkommt, wer keine Sitzgelegenheit mehr er wischen kann, muß sich außerhalb der Bude auf den Rzsen plazieren, selbst wenn Regenwetter ist. ES ist auch keine Möglichkeit vorhanden, in ausreichender Weise sein Essen zu wärmen. Sie erhalten keine Kleidung, die den dortigen Arbeiten entspricht. Attes das müssen sich die Leute, die nur 13 Wochen dort beschäftigt werden und dann wieder herausfliegen, von ihrem unzureichenden Lohne abknapsen, damit sie wenigstens während dieser sogenannten Notstands, arbeit sich nicht so krank machen, daß sie nach Ablauf dieser Arbeit einfach zugrunde gehen auf Grund der Erkältungen, die sie sich dort geholt haben. Weiter ist zu verzeichnen, daß die Arbeitslosen nicht entsprechend der Reihenfolge, wie sie auf Grund der Länge der Er werbslosigkeit zu erfolgen hat, von den Arbeitsnach weisen eingestellt werden, soudern von den Arbeits nachweisen wird den Unternehmern eine gewisse Aus lese unter den Arbeiter» gestattet. Arbeiter, von denen bekannt ist, daß sie von ihrem Privatunternehmer ge maßregelt worden sind, oder Pie politisch anrüchig sind, werden nicht eingestellt, auch wenn sie zwei Jahre erwerbs los sind, dagegen werden Leute, die genügend Fürsprache haben, auch wenn siaaerst neun Wochen erwerbslos waren, sofort eingestellt, und zwar in besonders glänzende Stellen. Dann haben die Leute das Recht, sich eine Betriebsvertretung in Form von sogenannten Sprechern zu wählen. Einer dieser Sprecher ist bereits auf die Straße geworfen worden. Aus diesem Grunde Habel» wir alle diese Anträge, die leider als Minderheils anträge hier stehen, gestellt. Eine andere Tatsache, die allerdings nach einer Rücksprache mit Regierungsvertretern bereits aus der Welt geschafft sein sollte. DaS ist eine gewisse Abgeltung dafür, daß die Leute an Regentagen nicht arbeiten können und daß sie bisher für Regentage keinen Arbeitslohn und auch keine Unterstützung erhielten. Es ist in ein zelne,» Fällen in Erscheinung getreten, daß die Leute, trotzdem sie arbeiteten und den weite». Weg und die Fährlichkeilen dieser Arbeit auf sich nehmen mußten, weniger an Lohn auSgezahlt eihielten in der Woche, als sie Erwerbslosenunterstützung zu erhalten hatten. Im Ausschuß ist von dem Vertreter der ASP. erklärt worden, der Landtag könne derartige Dinge nicht be schließe», es sei nicht Aufgabe des Landtages, in Tarife emzugreifen usw. Die gewerkschaftlichen Organisationen, die Spihenorganisation selbst wendet sich an die Reichs regierung und verlangt die Verkündung eines Arbeits zeitgesetzes, die Regelung der Überstundenfrage, sie wandte sich an die Reichsregierung zur Schaffung eines Schlichtungsgesetzes. Sollte dazu das Parlament nicht besonders berufen sein? , Ich ersuche Sie als Berichterstatter, de», Antrag unter 2 a und d anzunehmen. Zugleich ersuche ich aber auch in Anbetracht der dort vorhandenen Verhältnisse, außer den MehrheitSanträgen auch die Minderheitsan- träge anzunehmen. Ich möchte nun noch als Frattivnsredner das, was ich als Berichterstatter schließlich nickt tun kann, doch einmal den Arbeitervertretern in diesem Hause, die teil- mit Bedenken, teils mit den Einwänden, wie ich sie geschildert habe, an di? Zustimmung oder Ablehnung der von unS gestellten MinderheitSanträge heran, gegangen sind, zu bedenken geben, was die Parteien, denen sie - angehören, vor den Wahle», und bei den Wahlen den Arbeitern versprochen haben. Ich frage, ob eS nicht möglich ist, die Arbeiterinteressen in diesem Parlamente in derselben Weise zu vertreten, als immer von der anderen Seite die Interessen der Unternehmer nach jeder Richtung hin vertreten werden? Den Ar- beitern möchte ich aber von dieser Stelle aus sagen, daß, wenn die Regierung nicht gewillt ist, dem Minder- heitSantrag zuzustimmen, sie von ihrer Kraft al- organi sierte Arbeiterschaft Gebrauch macken müssen (Sehr richtig! b. d. Komm) und, soweit sie nicht organisiert sind, sofort den Freien Gewerkschaften beitreten müssen. (Sehr gut! b. d. Komm.) Abg. Lie-noth (Soz.): Nur zwei Bemerkungen de» Herrn Abg. Liebcrasch veranlassen unS, doch ganz kurz auf die Dinge einzllgehen. Er hat gefügt, wir hätten im Ausschüsse zu denAnträgen der Kommunistischen Partei einenengheizigenStandpunkteingenommen-Wirhabenim Ausschüsse zu den kommunistischen Anträgen gesagt, daß wir ihnen zustimmen werden. Wir haben aber im Aus- schusse betont, daß uns die Form deS kommunistischen Antrages nicht gefällt, weil m diesem Anträge Dinge enthalten sind, die schon gesetzlich geregelt sind. Wenn bei diesem Talsperrenbau die Erwerbslosen im Wasser arbeiten müssen und dazu eine entsprechende Ausrüstung brauchen, dann ist e- Sache de- Arbeitsnachweise-, der diese Erwerbslosen vermittelt, diese Arbeitsausrüstung zu beschaffen. Wenn die betreffenden Erwerbslosen einen derartigen Antrag stellen, dann müssen diese Aus- lagen bewilligt werden. . Wenn von selten der Arbeitgeber eingewandt wor- den ist, daß man in die Tarifverträge der Arbeiter und Arbeitgeberorgansiationen nicht eingreiseu kann, und daß man deshalb im Landtag nicht beschließen kann, daß die am Bau beschäftigten Arbeiter nach dem Tiefbauarbeitertarif bezahlt werden sollen, so stimmt dieses Argument nicht, den», nach der ErwerbSlofen- ürsorgeverordnung ist die Notstandsarbeit eine Form >er Erwerbslosenfürsorge, und die dort bezahlten Löhne ind Fürsorgemittel, die Notstandsarbeiter sind Für- örgeempfänger. Wenn man bedenkt, daß die Elwerb»- osen nur für kurze Zeit zur Notstandsarbeit heran- wzogen werden, und in welchem Elend sie sich durch die lange Erwerbslosigkeit befinden, dann muß man sich, wem» man ehrlich sein will, auf den Standpunkt stellen, daß ihnen der höchste Tariflohn zu gewähren ist, und das ist gegenwärtig der Tariflohn der Tief arbeiter. (Beifall b. d. Soz.) Abg. vr. Dehne (Dem.): Den Ausführungen, die der Herr Abg. Lieberasch als Berichterstatter über die Haltung der Demokratische»» Fraktion gemacht hat, muß ich widersprechen. Die Frage der Wasserwirtschaft ist für uns niemals eine politische Frage gewesen; ganz gleich gültig, ob wir uns als Regierungspartei oder als Oppositionspartei im Landtag befunden haben, haben wir diese Frage rem vom sachlichen Standpunkt aus geprüft und sind allemal für die Anträge der Negierung eingetreten, wenn wir sie sachlich für berechtigt hielten. Nach dem Schlußwort des Abg. Lieberasch werden alle MinderheitSanträge mit den Stimme»» der Sozial demokraten, Kommunisten und Altsozialdcmokraten an genommen. Unter Berücksichtigung dessen werden auch die Mehrheitsanträge angenommen. (Schluß der Sitzung 4 Uhr 6 Min. »achm) 22. Sitzun». Donnerstag, 24. März 1927. Präsident Schwarz eröffnet die Sitzung 1 Uhr 26 Minute»» nachmittags. Am Regierungstische Ministerpräsident Heldt, die Minister Bünger, Elsner, vr. Kaiser, Weh^t und vr. Wilhelm sowie Regierungsvertreter. Vor Eintritt in die Tagesordnung erhält das Wort zu einer Erklärung (Abg. Page«stecher (T rat.): Zu der Gegenerklärung des Herrn Abg. Liebmann am Schlüsse der Landtagssitzung vom 16. Februar erkläre ich folgendes: Der Herr Abg. Liebman»» hat behauptet, ich hätte aus einem meiner Güter kein Einkommen nachgewiesen. Das ist richtig. Es erklärt sich aber einwandfrei aus der Tatsache, daß ich das Gut, während es verpachtet war, übernommen habe, und daß die Pachtsumme die Zinsen der auf dem Gute haftenden Schulden nicht decke. Herr Liebmann hat zweitens behauptet, ich sei des halb »nit dem Verbrauch cingeschätzt worden. Das ist unwahr. Dritteils hat Herr Liebrnann behauptet, ich hätte auch von meinem zweite»» Gut kein Einkommen aus gewiesen und versteuert. Auch das ist unwahr. Ich habe stets mein Einkommen nach mecker von der Steuerbehörde al» ordnungsgemäß anerkannten Buch- führung versteuert. (Zurufe b. d. Soz. u. a.: Wieviel ist da-? 3 M.?) Wenden Sie sich doch bitte an da» Finanzamt! (Lebhaftes Lachen links ) Viertens hat Herr Liebmann behauptet, ich hätte mich in der Gemeinde Lauterbach erboten, 2M. Ein kommensteuer zu zahlen. Auch das ist nicht wahr. (Zuruf link-: 2L0M.! — Heiterkeit links.) Ich bin, wie jedermann, einkommensteuerpflichtig nur an meinem Wohnsitz — das ist Steinbach —, und in der Gemeinde Lauterbach zahlte ich, solange ich Besitzer war, nach dem OrtSgesetz anstatt der Einkommensteuer, zu der ich al» Ortsfremder natürlich nicht herangezogen werden konnte, die Grundsteuer doppelt so hoch al» die Ortseingesessenen. In falscher Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen verlangte der Gemeindevorstand zu Lauterbach den Mindeststeuerbetrag an Einkommen. Den habe ich al- unwesentlich zwei Jahre bezahlt, und dann hat ihn die Gemeinde überhaupt nicht mehr gefordert. (Lachen link» ) Da ich den ganze»» Tatbestand schon Anfang 1926 öffentlich festgestellt habe, muß ich die Ausführungen des Herrn Abg. Liebmann vom 16. Februar als offen bare Unwahrheit zurückveisen, und ich halte meine Er klärung am Schluffe jener Sitzung vollkommen aufrecht. (Abg. Geiser: Was Sie noch bezahlen, sagen Sie aber nicht l) Abg. Edel (Soz): Ich habe im Ramen der Sozial demokratischen Fraktion die nachfolgende ErklSr»»ngab zugeben: Während die breiten Massen der sächsische»» Be völkerung unter dem Druck eines unerhörten Wirt schaft-elend- stehen, hat e» die sächsische Regierung fertig gebracht, ihre Vertreter im Reichsrat anzuweifen, der von der Reich-regierung verordneten Mietpreis- erhöhung zuzustimmen. (Hört, hört! b. d. Soz.) Damit hat die sächsische Regierung die volle Verantwortung für den geplanten Raubzug auf die Taschen notleidender Volksschichten übernommen. Sie hat sich erneut al» reaktionär und volksschädigend enthüllt. Demgegenüber hat es die Sozialdemokratische Land- tagsfraktion für ihre selbstverständliche Pflicht erachtet